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VfGH vom 26.09.1986, B468/85

VfGH vom 26.09.1986, B468/85

Sammlungsnummer

10975

Leitsatz

StGG Art 5, Art 9; MRK Art 8; polizeiliche Hausdurchsuchung samt Beschlagnahme durch zugrundeliegenden richterlichen Hausdurchsuchungsbefehl nicht gedeckt; Ermächtigung zu Amtshandlungen nur in den vom (nach § 16 StGB) Verdächtigten bewohnten bzw. benützten Räumlichkeiten (Örtlichkeiten) der Wohnung des Bf; keine vertretbare Annahme, daß das durchsuchte Arbeitszimmer des Bf. vom Verdächtigten bewohnt bzw. benützt wird; Verletzung im Hausrecht durch die Hausdurchsuchung; Verletzung im Eigentumsrecht durch die - als Ergebnis der Durchsuchung verfügte - Beschlagnahme, die infolge der Gesetzwidrigkeit der Hausdurchsuchung völlig gesetzlos stattgefunden hat

Art144 Abs 1 B-VG; mangelnder Nachweis dafür, daß der Bf. von den Behördenorganen (durch Unterbrechung eines Gespräches) am Telefonieren gehindert worden sei - kein tauglicher Beschwerdegegenstand; daß die Ehegattin einer solchen Maßnahme unterworfen wurde, vermag an der fehlenden Legitimation des Bf. nichts zu ändern

VerfGG 1953 § 88; teils Zurückweisung, teils Stattgebung der Beschwerde - gegenseitige Aufhebung der Verfahrenskosten

Spruch

I. Der Bf. ist dadurch, daß Organe der Bundespolizeidirektion Innsbruck am in seiner Wohnung in Innsbruck, ..., eine Hausdurchsuchung veranstalteten, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art 9 StGG, ferner dadurch, daß diese Beamten im Zug der Durchsuchung Schriftstücke beschlagnahmten, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nach Art 5 StGG verletzt worden.

II. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

III. Die Verfahrenskosten werden gegeneinander aufgehoben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Ing. T O beantragte mit seiner auf Art 144 (Abs1) B-VG gestützten Beschwerde an den VfGH der Sache nach die kostenpflichtige Feststellung, am dadurch, daß Organe der Bundespolizeidirektion Innsbruck a) seine Wohnung in Innsbruck, ..., durchsuchten, b) dort schriftliche Unterlagen beschlagnahmten und c) ihn während dieser Amtshandlungen am Telefonieren mit seinem Rechtsanwalt hinderten, indem sie eine bereits hergestellte Telefonverbindung unterbrachen, demnach durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein, und zwar im Hausrecht nach Art 9 StGG iVm. Art 8 MRK (Punkt a), im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums nach Art 5 StGG (Punkt b) sowie im Recht auf persönliche Freiheit nach Art 8 StGG (Punkt c).

1.1.2. Die durch die Finanzprokuratur vertretene Bundespolizeidirektion Innsbruck als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und begehrte darin die kostenpflichtige Zurückweisung, hilfsweise die Abweisung der Beschwerde, weil die zu den Punkten a und b bekämpften Amtshandlungen in Vollziehung eines gerichtlichen Auftrages stattgefunden hätten und es dabei zu keiner Einschränkung der persönlichen Freiheit des Bf. gekommen sei (Punkt c).

1.2. Das Landesgericht Innsbruck erließ am gegen den des Verbrechens der betrügerischen Krida nach § 156 StGB verdächtigen E O einen - der Bundespolizeidirektion Innsbruck zugeleiteten - schriftlichen Hausdurchsuchungsbefehl, worin es ua. hieß:

"II. Die Durchsuchung der Wohnungen des Verdächtigen E O und der Geschäftsräumlichkeiten der Firma E Gesellschaft mbH wird unter nachstehenden Anschriften angeordnet, und zwar: ...

8. Innsbruck, ..., 1. Stock, in der Wohnung bzw. den Geschäftsräumlichkeiten des T E O (d.i. der Bf. im verfassungsgerichtlichen Verfahren), hinsichtlich der von E O bewohnten bzw. benützten Räumlichkeiten;

...

III. Bei Auffindung sind an den unter Punkt II.) angeführten Örtlichkeiten gemäß §§143 Abs 1 und 2, 144 StPO in Beschlag zu nehmen: ..."

1.3. Aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens wurde folgender Sachverhalt als erwiesen festgestellt:

Mit Berufung auf den richterlichen Hausdurchsuchungsbefehl (s. Punkt 1.2.) erschienen die Bezirksinspektoren W N und H B von der Bundespolizeidirektion Innsbruck am morgens bei Ing. T O in Innsbruck, ..., und fragten, ob diese Wohnung von E O benützt oder bewohnt werde. Obwohl der Bf. verneinend antwortete (Zeugen N und B) und die Richtigkeit dieser Auskunft den Umständen nach offensichtlich nicht in Zweifel gezogen wurde, durchsuchten die beiden Beamten das Arbeitszimmer und beschlagnahmten eine Reihe von Unterlagen. Der Bf. setzte den Beamten keinerlei Widerstand entgegen und fügte sich der Amtshandlung, um physische Zwangsmaßnahmen zu vermeiden.

Als A O, die Ehefrau des Bf., während der Durchsuchung mutmaßlich mit ihrem Schwager Rechtsanwalt Dr. A O telefonierte, unterband der Zeuge N das Gespräch, indem er die Telefongabel niederdrückte (Zeugen N, A O); dieser Vorgang wiederholte sich bald danach noch einmal. Angesichts der im wesentlichen unbedenklichen Aussagen der Zeugen N und B und in Würdigung aller übrigen Beweismittel ist jedoch nicht mit voller Sicherheit erwiesen, daß der (im Vorverfahren als Partei gehörte) Bf. - seiner Behauptung gemäß - selbst am Telefonieren gehindert wurde, zumal die Zeugin A O im gegebenen Zusammenhang bloß aussagte, der zweite Telefonierversuch sei "glaublich" von ihrem Ehemann unternommen worden.

2.1. Gemäß Art 144 Abs 1 Satz 2 B-VG idF der Nov. BGBl. 302/1975 erkennt der VfGH über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person. Darunter fallen Verwaltungsakte, die bis zum Inkrafttreten der B-VG-Nov. 1975, BGBl. 302, nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH als sog. faktische Amtshandlungen (mit individuell-normativem Inhalt) bekämpfbar waren, wie dies für eine Hausdurchsuchung oder Beschlagnahme zutrifft (zB VfSlg. 7943/1976, 8680/1979). Doch können gerichtlichen Anordnungen entsprechende Amtshandlungen der Verwaltungsorgane niemals gemäß Art 144 B-VG angefochten werden (VfSlg. 6815/1972, 7203/1973, 9388/1982 uva.).

2.2.1. Die hier in Beschwerde gezogene polizeiliche Hausdurchsuchung samt Beschlagnahme war durch den zugrundegelegten richterlichen Hausdurchsuchungsbefehl keineswegs gedeckt, weil dieser Befehl die Verwaltungsorgane - nach seinem unmißverständlichen Wortlaut - lediglich zu entsprechenden Amtshandlungen in den "von E O bewohnten bzw. benützten Räumlichkeiten (Örtlichkeiten)" der Wohnung Innsbruck, ..., ermächtigt hatte. Daß diese Voraussetzung auf das durchsuchte Arbeitszimmer zutreffe, nahmen die Zeugen N und B nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens gar nicht an; sie gaben sich mit der Erklärung des Ing. T O zufrieden, daß E O die (gesamte) Wohnung weder bewohne noch benütze. Auch die bel. Beh. machte im verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren nichts Gegenteiliges geltend. Da unter diesen Verhältnissen also keine Rede davon sein kann, daß die einschreitenden Beamten mit gutem Grund der Auffassung anhingen, das Arbeitszimmer werde (zumindest: auch) von E O bewohnt bzw. benützt, findet die polizeiliche Durchsuchung im richterlichen Befehl - andere Rechtsgrundlagen wurden gar nicht herangezogen und behauptet (s. auch VfSlg. 9393/1982) - keine wie immer geartete Stütze.

2.2.2. Demnach bleibt festzuhalten, daß die Beschwerde, soweit sie sich gegen die zu Punkt 1.1.1. bezeichnete - nach dem Gesagten nicht in Vollziehung eines Gerichtsauftrages veranstaltete - Durchsuchung richtet, sowohl zulässig als auch begründet ist; der Bf. wurde in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Hausrecht (Art9 StGG) verletzt.

2.2.3. Gleiches gilt für die Beschwerde gegen die - als Ergebnis der Durchsuchung verfügte - Beschlagnahme (von schriftlichen Unterlagen), die dem richterlichen Hausdurchsuchungsbefehl - auf den allein sie gegründet wurde - nur dann hätte entsprechen können, wenn die Hausdurchsuchung selbst dem Gericht zuzurechnen gewesen wäre. Da dies nicht der Fall ist, fand die Beschlagnahme, der die behauptete rechtliche Grundlage fehlte, völlig gesetzlos statt; der Bf. wurde darum auch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt (Art5 StGG).

Aus diesen Erwägungen war spruchgemäß zu erkennen (s. Abschnitt I.).

2.3. Hingegen mußte die Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen werden, insoweit sie geltend macht, daß der Bf. von den Behördenorganen (durch Unterbrechung eines Gespräches) am Telefonieren gehindert worden sei, weil sich der behauptete Vorgang - wie die Sachverhaltsfeststellungen zu Punkt 1.3. zeigen - nicht erweisen ließ, weshalb es an einem tauglichen Beschwerdegegenstand mangelt. Daß A O, die selbst nicht Beschwerde ergriff, einer solchen Maßnahme unterworfen wurde, vermag an der fehlenden Beschwerdelegitimation ihres Ehemannes nichts zu ändern.

2.4. Die Kostenentscheidung (Punkt II/2 des Spruches) fußt auf § 88 VerfGG 1953. Angesichts des Gesamtergebnisses des Beschwerdeverfahrens (teils Zurückweisung, teils Stattgebung) wurden die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben (§43 Abs 1 ZPO iVm. § 35 Abs 1 VerfGG 1953; s. zB VfSlg. 9920/1984, 10083/1984).