VfGH vom 26.02.2008, B468/07

VfGH vom 26.02.2008, B468/07

Sammlungsnummer

18355

Leitsatz

Verletzung im Eigentumsrecht durch gesetzlose Vorschreibung eines Pflichtbeitrages zu einem nicht mehr existierenden Tourismusverband; Derogation der Promillesatz-Verordnung der früheren Tourismusverbände durch Wegfall eines alten Tourismusverbandes und gleichzeitige Errichtung eines neuen Verbandes

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1.1. Die beschwerdeführende Gesellschaft betreibt den Handel

mit Obst und Gemüse und hat ihren Sitz in Ötztal Bahnhof (Gemeinde Haiming). Sie war im Jahr 2005 Pflichtmitglied des mit Verordnung der Tiroler Landesregierung, LGBl. 3/1950, errichteten Tourismusverbandes Haiming.

Im Zuge der Vollversammlung dieses Verbandes am wurde die Höhe des Pflichtbeitrages an den Tourismusverband mit 14 Promille der Grundzahl neu festgelegt.

1.2. Mit Verordnung der Tiroler Landesregierung vom über die Errichtung des Tourismusverbandes Ötztal, LGBl. 104/2005, wurde - gestützt auf § 1 Abs 2 litb, 3 und 4 des Tiroler Tourismusgesetzes 1991, LGBl. 24 - für das Gebiet der Gemeinden Haiming, Längenfeld, Ötz, Sautens, Sölden und Umhausen ein (neuer) Tourismusverband mit dem Namen "Ötztal" errichtet. § 2 der Verordnung ordnet gleichzeitig das Außerkrafttreten der Verordnungen über die Errichtung der bisher für diese Gebiete existierenden Tourismusverbände an, sohin auch jener Verordnung, die den Bestand des Tourismusverbandes Haiming begründete. Die Verordnung über die Errichtung des (neuen) Tourismusverbandes trat mit in Kraft.

1.3. Mit vorläufigem Bescheid des Amtes der Tiroler Landesregierung vom wurde der beschwerdeführenden Gesellschaft für das Jahr 2006 ein Pflichtbeitrag zum Tourismusverband Ötztal vorgeschrieben. Ihre dagegen erhobene Berufung wurde zunächst mit Berufungsvorentscheidung erledigt. Der Berechnung des Pflichtbeitrags zum Tourismusverband Ötztal wurde in beiden Entscheidungen der von der Vollversammlung des Tourismusverbandes Haiming am beschlossene Promillesatz zugrunde gelegt; dazu führt die Berufungsvorentscheidung aus:

"Anlässlich der Vollversammlung des Tourismusverbandes Haiming - Ötztal/Bahnhof am wurde der Beschluss gefasst, die Höhe des Promillesatzes mit 14,00 ‰ - ohne Beitrag zum Tiroler Tourismusförderungsfonds in Höhe von 1,2 ‰ - für das Kalenderjahr 2006, festzusetzen.

...

Die Abgabenbehörde hat die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und die Gesetzmäßigkeit von Verordnungen nicht zu prüfen, sondern ist zum Vollzug der geltenden Gesetzesbestimmungen und dazu erlassenen Verordnungsinhalte verpflichtet."

Die beschwerdeführende Gesellschaft beantragte die Vorlage ihrer Berufung. Mit dem angefochtenen Bescheid der Berufungskommission nach § 38 des Tiroler Tourismusgesetzes 1991 wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen. In diesem Bescheid ist von einem Beschluss der "Vollversammlung des Tourismusverbandes Ötztal vom " die Rede, mit dem die Höhe des Promillesatzes für die Berechnung der Pflichtbeiträge für das Haushaltsjahr 2006 mit 14 Promille festgesetzt worden sei (gemeint ist offenbar der Beschluss des Tourismusverbandes Haiming, da ein Tourismusverband Ötztal am noch nicht existierte). Der beschwerdeführenden Gesellschaft wurde auf der Basis dieses Beschlusses für das Jahr 2006 ein Tourismusverbandsbeitrag in bestimmter Höhe vorgeschrieben.

2. Dagegen richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung und eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde legte fristgerecht die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II. 1. Die Beschwerde ist zulässig und gerechtfertigt:

Der angefochtene Bescheid greift in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 13.587/1993 mwN, 15.364/1998, 15.768/2000, 16.113/2001, 16.430/2002) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

Mit der Verordnung der Tiroler Landesregierung über die Errichtung des Tourismusverbandes Ötztal haben die zuvor auf dessen Gebiet existierenden Tourismusverbände zu bestehen aufgehört. Ausdrückliche Vorschriften über eine Überleitung oder Fortgeltung der von diesen Tourismusverbänden erlassenen Verordnungen bestehen nicht.

Nach § 35 Abs 3 des Tiroler Tourismusgesetzes 1991 ist "zur

Berechnung des Promillesatzes ... die bei der Erstellung des

Haushaltsplanes des Tourismusverbandes veranschlagte Summe der Einnahmen" heranzuziehen. Über den Haushaltsplan beschließt die Vollversammlung nach Erstellung eines Entwurfs durch den Obmann über Empfehlung des Aufsichtsrates (§26 leg.cit.). Er hat alle im kommenden Haushaltsjahr unter Bedachtnahme auf die Grundsätze der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zur Erfüllung der Aufgaben des Tourismusverbandes erforderlichen Aufwendungen und die zu ihrer Deckung notwendigen Erträge aufzunehmen (§24 leg.cit.). Das Gesetz normiert somit den von einer Vollversammlung zu verantwortenden Haushaltsplan als Voraussetzung für den von ihr zu beschließenden Promillesatz und ordnet die Verantwortung für den Haushaltsplan und die Zuständigkeit zur Erlassung des Promillesatzes dem selben Organ zu.

Aus diesem Zusammenhang ergibt sich - mangels anderslautender Überleitungsvorschriften -, dass mit dem Wegfall eines Tourismusverbandes die von ihm erlassene Verordnung über den Promillesatz ihren Anwendungsbereich verliert, das heißt als Grundlage für eine Beitragserhebung für diesen Tourismusverband pro futuro nicht mehr in Betracht kommt, aber auch nicht als Grundlage für die Pflichtbeiträge eines anderen Tourismusverbandes (hier: des Tourismusverbandes Ötztal) herangezogen werden kann, mag auch dessen Gebiet nunmehr jenes des früheren Tourismusverbandes mitumfassen. Soweit in der Beschwerde daher Bedenken gegen die Verordnung des Tourismusverbandes Haiming und die Bestimmung des § 35 Abs 5 des Tiroler Tourismusgesetzes 2006 vorgebracht werden, ist auf diese nicht weiter einzugehen, weil die Anwendung dieser Verordnung durch die Behörden des Verwaltungsverfahrens nicht in Betracht kam und daher auch im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof weder diese Verordnung noch ihre allfälligen gesetzlichen Grundlagen präjudiziell sind. Mit dem durch die bereits erwähnte Verordnung der Tiroler Landesregierung vom , LGBl. 104, angeordneten Wegfall (unter anderem) des Tourismusverbandes Haiming und der gleichzeitigen Errichtung des Tourismusverbandes Ötztal wurde den Promillesatz-Verordnungen der einzelnen früheren Tourismusverbände daher insoweit derogiert, als sie für Zeiträume nach Wegfall dieser Tourismusverbände keine Beitragspflicht mehr begründen können. Ein Promillesatz zur Vorschreibung von Beiträgen zum (neuen) Tourismusverband Ötztal wäre von der Vollversammlung dieses Tourismusverbandes (auf Grundlage seines eigenen Haushaltsplanes) zu beschließen gewesen. Da eine solche Verordnung dem angefochtenen Bescheid nicht zugrunde liegt, ist die Vorschreibung des Tourismusbeitrages an die beschwerdeführende Gesellschaft gesetzlos ergangen. Die beschwerdeführende Gesellschaft wurde daher in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

2. Der angefochtene Bescheid ist daher schon deswegen aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,-- und eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG in Höhe von € 180,-- enthalten.

4. Eine mündliche Verhandlung konnte unterbleiben (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).