OGH vom 28.04.2020, 11Os44/20k
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in der Strafsache gegen Florian S***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB, AZ 15 Hv 148/19d des Landesgerichts Klagenfurt, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom , AZ 8 Bs 107/20a (ON 80a der Hv-Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 2 zweiter Satz OGH-Geo 2019) zu Recht erkannt:
Spruch
Florian S***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Mit Beschluss vom (ON 76) setzte das Landesgericht Klagenfurt die am über Florian S***** verhängte Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO fort. Der dagegen gerichteten Beschwerde des Angeklagten gab das Oberlandesgericht Graz mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss nicht Folge und setzte die Untersuchungshaft aus dem nämlichen Haftgrund fort.
In der Sache erachtete das Beschwerdegericht den Angeklagten dringend verdächtig, er habe am in E***** seine am geborene Tochter Antonia S***** am Körper verletzt und dadurch fahrlässig ihren Tod herbeigeführt, indem er sie heftig schüttelte und ihren Kopf gegen einen stumpfen, flächigen Gegenstand schlug.
In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Beschwerdegericht dieses Verhalten als Verbrechen der Körperverletzung mit tödlichem Ausgang nach § 86 Abs 2 StGB (während die Staatsanwaltschaft – Anklageschrift ON 50 – § 75 StGB als verwirklicht ansieht).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten, die sich gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts und des zuvor bezeichneten Haftgrundes wendet sowie Substituierbarkeit der Haft durch die Anwendung gelinderer Mittel behauptet.
Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO angefochten werden (RIS-Justiz RS0110146). Zur deutlichen und bestimmten Bezeichnung eines Begründungsmangels (Z 5) ist erforderlich, konkret auf jene (hier) Sachverhaltsannahmen Bezug zu nehmen, die er betreffen soll (RIS-Justiz RS0130729).
Im Gegenstand wurden die Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht durch eindeutigen Verweis auf die Begründung der (zu demselben Verfahren ergangenen) Beschlüsse des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom , 8 Bs 450/19s (ON 54a), und vom , 8 Bs 480/19b (ON 58), getroffen (BS 3; zur Zulässigkeit dieser Vorgangsweise RISJustiz RS0124017 [insbesondere T 4]).
Die – undifferenziert „den dringenden Tatverdacht“ bezweifelnde – Beschwerde (nominell Z 5 erster, zweiter und vierter Fall) macht nicht klar, welche dieser Sachverhaltsannahmen sie konkret bekämpfen will.
Sollte das Vorbringen gegen die Annahme gerichtet sein, die zum Tod des Säuglings führenden Verletzungen seien durch „massive“ äußere Gewalteinwirkung („Schütteln des Opfers und Dagegenschlagen seines Kopfes“) herbeigeführt worden (BS 3 iVm ON 54a S 5), sei hinzugefügt:
Das Beschwerdegericht hat diese Annahme – im Übrigen willkürfrei (vgl RIS-Justiz RS0097433 [insbesondere T 3]) – vor allem auf die von ihm als überzeugend erachteten Gutachten der medizinischen Sachverständigen MR Dr. K***** (ON 21), Dr. O***** (ON 15 und 32) und Univ.-Prof. Dr. S***** (ON 38) gestützt (BS 3 iVm ON 54a S 4 f).
Die „Expertise des Prof. Dr. N*****“ vom (ON 67 S 19 ff) hat es dabei berücksichtigt, jedoch für (auch inhaltlich) ungeeignet angesehen, die Überzeugungskraft der Expertisen der zuvor Genannten zu erschüttern (BS 3). Der Einwand unterbliebener Erörterung dieses Privatgutachtens (nominell Z 5 erster und vierter Fall, inhaltlich Z 5 zweiter Fall) geht daher jedenfalls ins Leere (zu dessen prozessualem Stellenwert siehe im Übrigen Hinterhofer, WK-StPO § 125 Rz 23 ff; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 351; RIS-Justiz RS0118421, RS0115646, RS0098139).
Die (Verdachts-)Annahme der Täterschaft (gerade) des Angeklagten wiederum wurde nicht aus den genannten Sachverständigengutachten, sondern aus vernetzter Betrachtung einer Mehrzahl von weiteren Beweisergebnissen erschlossen (BS 3 iVm ON 54a S 5).
Sollte sich der Beschwerdevorwurf unterbliebener „Beschäftigung“ mit der leugnenden Verantwortung des Angeklagten sowie mit „Aussagen der Kindesmutter“ (Z 5 zweiter Fall) darauf beziehen, wäre er (ebenfalls) unzutreffend (BS 3 iVm ON 54a S 5).
Die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahr (Prognoseentscheidung) überprüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens darauf, ob sich diese angesichts der ihr zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS-Justiz RS0117806).
Seine diesbezügliche (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO) Einschätzung gewann das Oberlandesgericht aus den Modalitäten der dem Beschwerdeführer zugesonnenen Tat (nämlich dem „äußerst geringen Alter des wehrlosen Opfers“, den „vom Angeklagten zu verantwortenden [massiven] Einwirkungen auf den kindlichen Körper durch Schütteln und Schlagen des Kopfes und deren gravierender Folge“) sowie der darin manifest gewordenen „rücksichtslosen Vorgehensweise“ und „kriminellen Energie“ (BS 3 iVm ON 54a S 5 f).
Unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit ist diese Ableitung – der Beschwerde („keine konkrete Gefahr […] vertretbar zu argumentieren“) zuwider – nicht zu beanstanden. Die – im Übrigen unzutreffende (BS 3 iVm ON 54a S 6 und ON 58 S 5) – Behauptung, gegen das Vorliegen des herangezogenen Haftgrundes sprechende Umstände seien unberücksichtigt geblieben, stellt die Prognoseentscheidung nicht prozessförmig in Frage (Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 49).
Mit bloßem Bestreiten der Einschätzung des Oberlandesgerichts, die Untersuchungshaft sei durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO) nicht substituierbar (BS 3 iVm ON 54a S 6 und ON 58 S 5), sowie dem Angebot eines Gelöbnisses und einer Weisung im Sinn des § 173 Abs 5 Z 3 StPO zeigt die Beschwerde keinen konkreten Beurteilungsfehler auf (siehe aber RIS-Justiz RS0116422 [T1]).
Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0110OS00044.20K.0428.000 |
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