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VfGH vom 20.06.1981, B460/79

VfGH vom 20.06.1981, B460/79

Sammlungsnummer

9151

Leitsatz

Bewertungsgesetz 1955; Antrag auf rückwirkende Neufestsetzung eines rechtskräftig festgestellten Einheitswertes; keine denkunmögliche und keine willkürliche Anwendung des § 53 Abs 7 lita (nach Aufhebung der beiden letzten Satzteile durch den VfGH) im Zusammenhalt mit Abschn. I ArtII Z 3 Abgabenänderungsgesetz 1977

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Die beschwerdeführende Genossenschaft ist ein gemeinnütziges Wohnungsunternehmen.

Das Finanzamt für den 6., 7. und 15. Bezirk in Wien hat für das im Alleineigentum der beschwerdeführenden Genossenschaft stehende Mietwohngrundstück in Wien 15, G-gasse 20 (Grdst. Nr. 85/1, EZ 67, KG R.), mit rechtskräftigem Bescheid vom im Wege der Hauptfeststellung den Einheitswert zum mit Wirksamkeit ab mit S 1,615.000,- festgestellt.

Mit Eingabe vom beantragte die beschwerdeführende Genossenschaft beim Finanzamt unter Hinweis auf das Erk. des , G89, 90/78 (= VfSlg. 8421/1978) die "Neufeststellung des Einheitswertes" zum mit Wirksamkeit ab .

Das Finanzamt deutete diese Eingabe als Antrag auf Wiederaufnahme des Bewertungsverfahrens und wies das Begehren mit Bescheid vom ab. Es erließ jedoch in der Folge einen mit datierten (Einheitswert-)Feststellungsbescheid, mit dem für das gegenständliche Grundstück zum im Wege der Wertfortschreibung der Einheitswert mit S 861.000,- festgestellt wurde.

Die Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. hat mit Bescheid vom die von der beschwerdeführenden Genossenschaft gegen den Bescheid vom erhobene Berufung als unbegründet abgewiesen, jedoch den erstinstanzlichen Bescheid insoweit abgeändert, als es im Spruch zu lauten hat, daß das erwähnte Ansuchen vom , "mit welchem die Neufeststellung des Einheitswertes zum mit Wirksamkeit ab beantragt worden ist, abgewiesen wird".

2. Gegen diesen Berufungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der VfGH hat erwogen:

1. a) Zwischen den Parteien ist strittig, ob der Einheitswert des im Alleineigentum der beschwerdeführenden Genossenschaft stehenden Mietwohngrundstückes in den Jahren 1974 bis einschließlich 1978 - weiterhin wie mit Einheitswertbescheid vom festgestellt - S 1,615.000,- beträgt (Meinung der belangten Behörde) oder bloß S 861.000,- (Meinung der beschwerdeführenden Genossenschaft). Für den Zeitraum ab 1979 hat auch die Finanzbehörde den verminderten Einheitswert von S 861.000,- anerkannt.

b) Diese divergierende Auffassung ist auf folgende Entwicklung der Rechtslage zurückzuführen:

Das Bewertungsgesetz 1955, BGBl. 148 (BewG), regelt in § 53 die Bewertung von bebauten Grundstücken. Durch die BewG-Nov. 1972, BGBl. 447, ist ua. der Abs 7 dieser Gesetzesbestimmung neu gefaßt worden. Die Neufassung ist dem ArtII Abs 2 BewG-Nov. 1972 zufolge erstmalig bei der Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundvermögens zum und bei Fortschreibungen und Nachfeststellungen der Einheitswerte dieser Vermögensart zum anzuwenden gewesen. § 53 Abs 7 BewG in dem hier in Betracht zu ziehenden Umfang hat idF der BewG-Nov. 1972 wie folgt gelautet:

"(7) Zur Berücksichtigung der unterschiedlichen Ertragsfähigkeit bebauter Grundstücke ist die gemäß Abs 1 bis 6 ermittelte Summe aus dem Bodenwert und aus dem Gebäudewert um die in lita bis d festgesetzten Hundertsätze zu kürzen. Die Kürzung darf sich jedoch hinsichtlich des Bodenwertes nur auf eine Fläche bis zum Zehnfachen der bebauten Fläche erstrecken; dies gilt nicht für Geschäftsgrundstücke, auf denen sich ein Fabriksbetrieb befindet. Das Ausmaß der Kürzung beträgt

a) bei bebauten Grundstücken, soweit ein durch gesetzliche Vorschriften beschränkter Mietzins entrichtet wird, entsprechend dem Anteil der von der Mietzinsbeschränkung betroffenen nutzbaren Flächen an der gesamten nutzbaren Fläche (Abs5), bei einem Anteil von

100 v.H. bis 80 v.H. an der gesamten nutzbaren Fläche 60 v.H., weniger als 80 v.H. bis 60 v.H. an der gesamten nutzbaren Fläche 55 v. H.,

...;

bei der Ermittlung des Anteiles der von der Mietzinsbeschränkung betroffenen nutzbaren Fläche sind die Wohnräume mit ihrer tatsächlichen nutzbaren Fläche, die gewerblichen oder öffentlichen Zwecken dienenden Räume jedoch nur mit ihrer halben nutzbaren Fläche anzusetzen; bei Mietobjekten, für die nach dem ein Mietvertrag abgeschlossen wurde, ist ein durch gesetzliche Vorschriften beschränkter Mietzins nicht anzunehmen, sofern nicht die Bestimmungen des § 15 Wohnhaus-Wiederaufbaugesetz entgegenstehen oder diese Mietobjekte nachweislich nicht bzw. nicht zu einem höheren als dem seinerzeitigen beschränkten Mietzins vermietet werden können,

b) ...

c) ...

d) bei allen übrigen bebauten Grundstücken 25 v.H."

Der Bescheid des Finanzamtes vom , mit dem der Einheitswert zum mit Wirksamkeit ab festgestellt wurde, ging davon aus, daß lediglich ein Kürzungssatz von 25% in Betracht komme.

Der VfGH hat in einem ähnlich gelagerten Fall mit Erk. vom B296/74 (= VfSlg. 8020/1977), dargetan, es sei iS einer verfassungskonformen Auslegung zur Vermeidung einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes davon auszugehen, daß der im ersten Satz des § 53 Abs 7 lita BewG idF der Nov. 1972 aufgestellte Grundsatz im Einzelfall die Prüfung der Frage zulasse, ob eine geltende gesetzliche Mietzinsbeschränkung in ihrer Wirkung derjenigen des § 15 des Wohnhaus-Wiederaufbaugesetzes gleichkommt. Insbesondere kämen die im Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz vom , DRGBl. I, S 437, und in der hiezu ergangenen (auf Gesetzesstufe stehenden) Durchführungsverordnung vom , DRGBl. I, S 1012, enthaltenen Bestimmungen über die Mietzinsbildung als gesetzliche Vorschriften iS des letzten Halbsatzes des § 53 Abs 7 lita BewG in Betracht.

In der Folge wurde - offenbar um die bisherige Praxis der Finanzbehörden gesetzlich zu decken (vgl. die Erläuterungen zu ArtI Z 22 der Regierungsvorlage zum Abgabenänderungsgesetz 1977 - 485 BlgNR XIV. GP) - durch Abschn. I ArtI Z 22 des Abgabenänderungsgesetzes 1977, BGBl. 320 (AbgÄG 1977), § 53 Abs 7 lita zur Gänze neu erlassen. Der Beginn dieser Bestimmung behielt jedoch denselben Wortlaut wie bisher; lediglich der bisherige letzte Satzteil (beginnend mit: "bei Mietobjekten ...") wurde durch folgende zwei Satzteile ersetzt:

"...; bei Mietobjekten, für die nach dem ein Mietvertrag abgeschlossen wurde, sind nur die Bestimmungen des § 15 Wohnhaus-Wiederaufbaugesetz als gesetzliche Mietzinsbeschränkung iS des ersten Halbsatzes anzusehen; die Kürzung ist auch für Mietobjekte zu gewähren, die nach diesem Zeitpunkt nachweislich nicht bzw. nicht zu einem höheren als dem seinerzeit auf Grund des Mietengesetzes, des Preisregelungsgesetzes und des Zinsstopgesetzes beschränkten Mietzins vermietet werden können,"

Diese Neufassung war dem Abschn. I ArtII Z 3 AbgÄG 1977 zufolge erstmalig bei der Hauptfeststellung der Einheitswerte des Grundvermögens zum und bei Fortschreibungen und Nachfeststellungen der Einheitswerte dieser Vermögensart zum anzuwenden.

Der VfGH hat mit Erk. vom , G21, 89, 90/78 (= VfSlg. 8421/1978) (vgl. Kundmachung BGBl. 597/1978) im § 53 Abs 7 lita BewG idF des AbgÄG 1977 die mit den Worten "bei Mietobjekten" beginnenden letzten beiden Satzteile als verfassungswidrig aufgehoben. Im Erk. wurde verfügt, daß frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft trete und daß die aufgehobenen Gesetzesbestimmungen auch auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände nicht anzuwenden sind.

In diesem Erk. wurde weiters ausgesprochen, daß ArtII Z 3 im Abschn. I AbgÄG 1977 nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.

2. Die beschwerdeführende Genossenschaft meint - entgegen der im angefochtenen Bescheid geäußerten Ansicht -, aus Abschn. I ArtII Z 3 AbgÄG 1977 in Verbindung mit der rückwirkenden Aufhebung der beiden letzten Satzteile des § 53 Abs 7 lita BewG durch den VfGH ergebe sich unter Zugrundelegung der soeben wiedergegebenen Auffassung des VfGH, daß - ungeachtet des rechtskräftigen Einheitswertbescheides vom (mit dem unter Zugrundelegung des subsidiären 25%igen Kürzungssatzes der Einheitswert mit S 1,615.000,- festgesetzt wurde) - mit Wirksamkeit zum (also rückwirkend) und nicht erst (wie die belangte Behörde meint) zum der Einheitswert unter Zugrundelegung des 60%igen Abschlages (die Voraussetzungen hiefür liegen nach der nunmehr geltenden Rechtslage unbestritten vor) mit S 861.000,- festzustellen sei.

3. Dem hält die belangte Behörde - auf das Wesentlichste zusammengefaßt - entgegen, daß für die Ersetzung des bestehenden rechtskräftigen Feststellungsbescheides vom durch einen neuen Bescheid keine gesetzliche Grundlage bestehe. Insbesondere enthalte Abschn. I AbgÄG keinen derartigen Gesetzesbefehl; auch das Erk. des VfGH VfSlg. 8421/1978 enthalte keinen derartigen normativen Ausspruch. Ob eine Fortschreibung des Einheitswertes vorzunehmen ist, sei ausschließlich nach den hiefür unverändert in Geltung stehenden Bestimmungen des § 21 BewG und des § 193 BAO zu beurteilen. Der Antrag der beschwerdeführenden Genossenschaft vom sei einem Antrag auf Wertfortschreibung gleichzuhalten. In Ansehung des Zeitpunktes der Einbringung dieses Antrages habe unter Beachtung des § 193 Abs 2 BAO die Fortschreibung des Einheitswertes mit dem bereits vom Finanzamt erlassenen Bescheid vom erst auf den vorgenommen werden können.

4. Die Beschwerde ist nicht begründet:

a) Die belangte Behörde durfte - ohne daß ihr der Vorwurf einer denkunmöglichen oder willkürlichen Gesetzesanwendung zu machen ist - von folgender Überlegung ausgehen: Durch die Aufhebung der beiden letzten Satzteile des § 53 Abs 7 lita BewG idF des AbgÄG 1977 durch das Erk. VfSlg. 8421/1978 sei inhaltlich die gleiche Rechtslage hergestellt worden, wie sie vor dem Inkrafttreten des AbgÄG 1977 bestanden habe; damit aber sei die Übergangsbestimmung des Abschn. I ArtII Z 3 AbgÄG 1977 gegenstandslos geworden. Daher könne diese Übergangsbestimmung - welchen Inhalt immer sie seinerzeit gehabt haben mag - seit dem Erk. VfSlg. 8421/1978 keinesfalls mehr die Rechtsgrundlage für die von der antragstellenden Genossenschaft begehrte rückwirkende Neufestsetzung des rechtskräftig festgestellten Einheitswertes bilden.

Ob diese - vertretbare - Ansicht auch die richtige ist oder ob nicht vielmehr die Meinung zutrifft, daß die zitierte Übergangsbestimmung nach wie vor (also auch nach dem Ergehen des Erk. VfSlg. 8421/1978) - wenngleich auf den durch dieses Erk. veränderten § 53 Abs 7 lita BewG - anzuwenden ist (vgl. ), hat der VfGH nicht zu beurteilen. Denn auch für den Fall, daß die belangte Behörde die hier maßgebliche Frage mit einem unzutreffenden Ergebnis gelöst hätte, könnte ihr kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler angelastet werden.

b) Der VfGH hat unter dem Gesichtspunkt dieses Beschwerdefalles gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Da - wie in der vorstehenden lita dargetan - der belangten Behörde eine denkunmögliche oder willkürliche Gesetzesanwendung nicht vorzuwerfen ist, hat eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nicht stattgefunden.

Die Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes hat das Verfahren ebensowenig ergeben wie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.