OGH vom 22.03.2011, 8ObA51/10y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Birbamer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei S***** D*****, vertreten durch Dr. Michael Nocker, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. T***** GmbH, *****, 2. Mag. W***** Z*****, beide vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Widerruf, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 7 Ra 119/09k 20, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der Kläger erachtet die Revision für zulässig, weil keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage bestehe, ob die Grenzen zulässiger Kritik an Mitgliedern des Betriebsrats weiter gezogen seien als für Privatpersonen. Diese Rechtsfrage stellt sich im vorliegenden Verfahren aber überhaupt nicht.
Die Vorinstanzen sind nicht davon ausgegangen, dass der Kläger sich aufgrund seiner Eigenschaft als Mitglied des Betriebsrats ein höheres Maß an Kritik gefallen lassen müsste, sondern haben ihn deswegen diesem Maßstab unterworfen, weil er selbst zuerst gegenüber einer qualifizierten Öffentlichkeit gravierende Vorwürfe (zB „wahnwitziger, fast krimineller Sparkurs“) gegen die Unternehmensleitung der Erstbeklagten erhoben und disziplinäre Maßnahmen gegen seine Person in falschem Licht, nämlich unter Verschweigung seines zugrundeliegenden Fehlverhaltens, als bloße Schikane des Dienstgebers dargestellt hat.
Hinsichtlich der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung, wonach nicht nur Politiker, sondern auch Privatpersonen oder Vereine, die zu Themen allgemeinen Interesses in der Öffentlichkeit Stellung nehmen, einen höheren Grad an Toleranz zeigen müssen, und zwar vor allem dann, wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen, ist auf die zutreffende rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO; vgl 6 Ob 79/07x in Branchenzeitungen ausgetragene Auseinandersetzung; 4 Ob 132/09d; 1 Ob 117/99h standesinterner Meinungsstreit). Das rechtliche Ergebnis der Vorinstanzen, dass der Kläger sich unter den festgestellten Umständen auch eine schärfere, argumentativ zugespitzte Erwiderung gegenüber der selben Öffentlichkeit gefallen lassen musste, stellt keine im Einzelfall vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende krasse Fehlbeurteilung dar.
Das Gleiche gilt für die Beurteilung des Inhalts der klagsgegenständlichen Mitteilung unter dem Aspekt des § 1330 Abs 2 ABGB. Werturteile, die erst aufgrund einer Denktätigkeit aus einer Tatsachengrundlage gewonnen werden, geben die rein persönliche Meinung des Erklärenden wieder. Der Tatbestand des § 1330 Abs 2 ABGB wird durch ein Werturteil nur dann verwirklicht, wenn es seinerseits auf konkret dargestellte unwahre Tatsachen gegründet wurde (RIS Justiz RS0032212, insb [T1; T 8]). Zwar stellte das gegenständliche E-Mail bei objektiver Betrachtung den Verdacht in den Raum, dass Betriebsratsmitglieder ihre Freistellungszeiten nicht nur zur Ausübung ihres Mandats verwenden könnten, sowie, dass die Finanzierung der von ihnen angestrengten Gerichtsverfahren für die Belegschaft hinterfragenswert sei, diese Verdachtsäußerungen sind jedoch eindeutig als Schlussfolgerungen des Zweitbeklagten aus den von ihm angeführten, jeweils wahren Tatsachen erkennbar (schlechte Erreichbarkeit der Betriebsratsmitglieder, überaus zahlreiche Prozesse).