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OGH vom 03.05.2012, 11Os44/12y

OGH vom 03.05.2012, 11Os44/12y

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab und Mag. Lendl als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wohlmuth als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerald R***** und andere wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB, AZ 611 St 28/11t der Staatsanwaltschaft Wien (= 311 HR 354/10g des Landesgerichts für Strafsachen Wien) über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten Wilhelm G***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom , AZ 23 Bs 64/12y, 65/12w (= ON 462 der HR Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Wilhelm G***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit dem angefochtenen Beschluss wurde der gegen die jeweiligen gerichtlichen Bewilligungen des Europäischen Haftbefehls vom und der diesem zugrunde liegenden Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft Wien vom , GZ 311 HR 354/10g 388, 387 des Landesgerichts für Strafsachen Wien, gerichteten Beschwerde des davon betroffenen (deutschen Staatsangehörigen) Wilhelm G***** mit der Maßgabe nicht Folge gegeben, dass der „Haftgrund“ der Fluchtgefahr zu entfallen hat.

Das Oberlandesgericht erachtete den Genannten mit der Subsumtion eines Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB als (sogar dringend BS 5) verdächtig, seit 2007 in Österreich im bewussten und gewollten Zusammenwirken unter anderem mit Roland B*****, Gerald R*****, Franz D*****, Rene L***** und Christian K***** als handelsrechtlicher Geschäftsführer der F***** Ltd und Geschäftsführer oder faktischer Machthaber der N***** Inc sowie der DW***** Company mit dem Vorsatz, durch das Verhalten der Getäuschten sich unrechtmäßig zu bereichern, durch Täuschung über Tatsachen, und zwar durch die Vorgabe, durch die Beteiligung insbesondere an den vorgenannten Unternehmen eine lukrative und risikolose Veranlagung zu schaffen, gewerbsmäßig mit Bezug auf schwere Betrügereien Anleger zur Übergabe bzw Überweisung von Bargeld, sohin zu Handlungen verleitet zu haben, die diese mit einem 50.000 Euro weit übersteigenden Betrag an deren Vermögen schädigten.

Die Annahme des Festnahmegrundes der Tatbegehungsgefahr nach § 170 Abs 1 Z 4 StPO begründete das Beschwerdegericht mit einer Verurteilung wegen Anlagebetrügereien zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe am (rechtskräftig ) und dem nunmehrigen dringenden Verdacht wiederholter gewerbsmäßiger Betrugshandlungen der gleichen Art.

Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Wilhelm G***** (dessen vorläufige Auslieferungshaft nach Festnahme in Deutschland am unter Erteilung von Auflagen außer Vollzug gesetzt worden war vgl zur Zulässigkeit der Grundrechtsbeschwerde Kier in WK² GRBG § 1 Rz 9), in der er einen Verstoß gegen das EuRHÜbk und gegen das ARHG geltend macht (1), die Annahme des „Haft“grundes der Tatbegehungsgefahr rügt (2) und behauptet, die Festnahme stehe zur Bedeutung der Sache „insofern“ außer Verhältnis, „als sie durch gelindere Mittel substituierbar wäre“ (3).

1. Das Vorbringen zur Vernehmung des Beschwerdeführers im Rechtshilfeweg ist in den Beschwerdeschriftsätzen ON 396 (vom ) und 399 (vom ) nicht enthalten, sondern erst in jenem vom (ON 450) und im Antrag auf Aufhebung des Europäischen Haftbefehls vom selben Tag (ON 441). Zwecks Berücksichtigungsfähigkeit im Grundrechtsbeschwerdeverfahren hätte es allerdings der Thematisierung innerhalb der vierzehntägigen (§ 88 Abs 1 StPO) Beschwerdefrist ( Kirchbacher/Rami , WK StPO Vor §§ 170 bis 189 Rz 18) bedurft. Einer meritorischen Erwiderung steht daher die mangelnde horizontale Erschöpfung des Instanzenzugs entgegen (13 Os 110/10s ua; Kier in WK² GRBG § 1 Rz 42).

2. Im Grundrechtsbeschwerdeverfahren wird die rechtliche Annahme von ua Tatbegehungsgefahr (hier § 170 Abs 1 Z 4 StPO) dahin überprüft, ob sie ohne Willkür aus den in der zu überprüfenden Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte (RIS Justiz RS0118185, RS0117806; Kier in WK² GRBG § 2 Rz 49). Für diese angesichts der dargestellten Ausführungen des Oberlandesgerichts gegen die Beschwerdemeinung ausfallende Beurteilung ist es irrelevant, aus welchem Grund der in Deutschland lebende Beschuldigte einer Ladung zur Vernehmung in Wien nicht folgte, wurde vom Beschwerdegericht doch die damit vom Erstgericht in Zusammenhang gebrachte Fluchtgefahr ausdrücklich verneint. Dass „damit“ jedoch „auch dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr die rechtliche Grundlage entzogen“ sei, bleibt eine substratlose Behauptung in der Grundrechtsbeschwerde. Genauso wenig von Bedeutung ist es, ob der Festnahmegrund auch schon vor der Festnahmeanordnung oder ob „eine Änderung im Tatsächlichen“ vorlag. Nicht die Vorstrafe in abstracto, sondern der nahtlose Rückfall danach wurde dem Beschwerdevorbringen entgegen als Argument für Tatbegehungsgefahr herangezogen (BS 4, 9). Die darauf gegründete Folgerung, „dass eine Abkehr von dieser kriminellen Einkommenserlangung durch redliche Beschäftigung nicht zu ersehen“ sei (BS 9), ist frei von Willkür und keineswegs eine „unstatthafte Vermutung zu Lasten des Beschwerdeführers“.

3. Die unter Bezug auf § 5 Abs 2 StPO geforderten „gelinderen Mittel“ sieht die Strafprozessordnung im Zusammenhang mit einer Festnahme (§ 170 Abs 3 im Gegensatz zu § 173 Abs 1 StPO) nicht vor.

Auf der Basis der Sachverhaltsannahmen, die das Beschwerdegericht seinem (dringenden) Tatverdacht zu Grunde legte (BS 2), ist auch die Bejahung der Verhältnismäßigkeit der Festnahme zur Bedeutung der Sache (§ 170 Abs 3 StPO; BS 5) in keiner Weise zu beanstanden (RIS Justiz RS0120790; Kier in WK² GRBG § 2 Rz 6 ff).

Mangels Verletzung des Festgenommenen in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit war die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Bleibt anzumerken, dass aus § 72 ARHG wie das Oberlandesgericht zutreffend ausführte kein Rechtsanspruch auf Vernehmung im Rechtshilfeweg abgeleitet werden kann (wozu sich Martetschläger in WK² ARHG § 72 Rz 1 der vom Beschwerdeführer für sich ins Treffen geführt wird im Übrigen gar nicht äußert).