TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 27.02.1986, B457/85

VfGH vom 27.02.1986, B457/85

Sammlungsnummer

10749

Leitsatz

ÄrzteG 1949; wiederverlautbart als ÄrzteG 1984; Verhängung einer Disziplinarstrafe nach § 55 f Abs 1 lita (§95 Abs 1 Z 1) durch den Disziplinarsenat beim BMGU in oberster Instanz; statische Verweisung auf Dienstpragmatik in § 55k (§100 Abs 1) - keine Gleichheitsbedenken; keine Gleichheitswidrigkeit standesrechtlicher Sondernormen, die für gerichtlich strafbare Handlungen auch eine disziplinäre Verantwortlichkeit festlegen; keine unsachliche Kostenregelung in § 102 Abs 1 Satz 2 ÄrzteG 1984; Ahndung von Verstößen gegen Standes- und Berufspflichten (jedenfalls hinsichtlich Geldstrafen) vom Schutzumfang des Art 6 MRK nicht umfaßt; keine denkunmögliche Auslegung des § 25 ÄrzteG 1984; ausreichende gesetzliche Determinierung der Umlage und damit des Höchstausmaßes der Disziplinargeldstrafe in § 101 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1984; Disziplinarsenat beim BMGU Kollegialbehörde iS des Art 133 Z 4 B-VG - keine Abtretung an den VwGH

Spruch

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH wird gleichfalls abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Mit Erk. des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer - Disziplinarkommission für Wien, NÖ und Bgld. - vom , Z Dk 33/83 W, wurde der Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Dr. H T nach mündlicher nichtöffentlicher Verhandlung ua. eines Disziplinarvergehens nach § 55 f Abs 1 lita Ärztegesetz, BGBl. 92/1949 (= § 95 Abs 1 Z 1 des mit BGBl. 373/1984 wiederverlautbarten Ärztegesetzes (Ärztegesetz 1984 - ÄrzteG)) schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.

1.1.2. Gegen dieses Erk. brachten der Disziplinarbeschuldigte und der Disziplinaranwalt schriftlich das Rechtsmittel der Berufung ein.

1.1.3. Der Disziplinarsenat beim Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz als Berufungsinstanz gab beiden Rechtsmitteln mit Erk. vom , Z Ds 9/1984, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung keine Folge. Zugleich wurde ausgesprochen, daß dem Disziplinarbeschuldigten gemäß § 102 Abs 1 Ärztegesetz 1984 die mit 11420 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zur Last fallen.

1.2.1. Dagegen richtet sich die vorliegende, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützte Beschwerde des Dr. H T an den VfGH, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, und zwar insbesondere auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 Abs 1 B-VG, Art 2 StGG) und auf Einhaltung eines "fair trial" (Art6 MRK), ferner die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

1.2.2. Der Disziplinarsenat beim Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz als bel. Beh. erstattete - unter Vorlage der Administrativakten - eine Gegenschrift und beantragte darin die Abweisung der Beschwerde.

2. Über die Beschwerde wurde erwogen:

2.1.1. Gemäß § 55i Abs 3 Satz 1 Ärztegesetz (- § 98 Abs 3 Satz 1 Ärztegesetz 1984) erkennt der Disziplinarsenat beim Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz in oberster Instanz; gegen seine Entscheidungen steht darum ein weiteres - administratives - Rechtsmittel nicht offen. Der Instanzenzug ist folglich erschöpft (vgl. VfSlg. 9615/1983).

2.1.2. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde an den VfGH zulässig.

2.2.1.1. Der Bf. hängt mit Beziehung auf Art 7 Abs 1 B-VG (Art2 StGG) vorerst der Auffassung an, daß das Disziplinarverfahren vor der bel. Beh. teils in Handhabung verfassungswidriger Normen, teils ohne jede gesetzliche Grundlage vor sich gegangen sei:

Da § 185 Abs 2 Z 1 BDG 1979 die hier nach § 55k Ärztegesetz, BGBl. 92/1949 idF BGBl. 50/1964 (= § 100 Abs 1 Ärztegesetz 1984), sinngemäß anzuwendenden Regeln der Dienstpragmatik, RGBl. 15/1914, außer Kraft gesetzt, eine spezielle Weitergeltung für das Disziplinarverfahren nach dem Ärztegesetz aber nicht angeordnet habe, sei es rechtswidrig, wenn sich die Wiederverlautbarung des Ärztegesetzes (Ärztegesetz 1984) auch auf § 55k Ärztegesetz und das dort enthaltene Zitat der Dienstpragmatik erstrecke. Demgemäß habe die bel. Beh. das Berufungsverfahren "ohne gültige Verfahrensnorm" (willkürlich) durchgeführt.

Dem ist zu entgegnen, daß es sich bei § 55k Ärztegesetz, BGBl. 92/1949 idF BGBl. 50/1964, um eine sogenannte "statische" Verweisung, also eine Verweisung auf eine fremde Rechtsvorschrift (hier: die entsprechenden Normen der Dienstpragmatik) in einer bestimmten - feststehenden - Fassung handelt, die somit zum Inhalt des verweisenden Gesetzes wurde (vgl. VfSlg. 3041/1956, 6290/1970, 10549/1985; , B211/82; s. auch Adamovich - Funk, Österreichisches Verfassungsrecht, 2. Auflage, 1984, 162). Daran ändert auch nichts, daß die Dienstpragmatik selbst in der Folge außer Kraft trat (§185 Abs 2 Z 1 BDG 1979).

Angesichts dieser Rechtslage zeigt sich daher, daß entgegen der in der Beschwerdeschrift verfochtenen Meinung weder die behaupteten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 100 Abs 1 Ärztegesetz 1984 bestehen noch von einem im Verfahren vor dem VfGH relevanten Vollzugsfehler der bel. Beh. gesprochen werden kann.

2.2.1.2. Außerdem macht der Bf. geltend, das Ärztegesetz 1984 sei insoweit gleichheitswidrig, als es die disziplinäre Ahndung gerichtlich strafbarer Handlungen gebiete.

Standesrechtliche Sondernormen, denen sich jeder bei Antritt des entsprechenden Berufes selbst unterwirft, verletzen das Gleichheitsgebot des B-VG an sich ebensowenig (VfSlg. 2150/1951) wie Gesetzesvorschriften, die festlegen, daß Standesangehörige für bestimmte Handlungen nicht nur strafrechtlich, sondern auch disziplinär verantwortlich sind. Zur Beantwortung des näheren einschlägigen Beschwerdevorbringens genügt hier ein Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des VfGH in dieser Frage (vgl. zB VfSlg. 216/1923, 2311/1952, 4514/1963, 6710/1972, 7907/1976).

2.2.1.3. Für gleichheitswidrig hält der Bf. aber auch die Norm des § 102 Abs 1 Satz 2 Ärztegesetz 1984, welche lautet:

"Die Kosten sind unter Berücksichtigung der für das Verfahren aufgewendeten Barbeträge und der besonderen Verhältnisse des Falles, bei einem Schuldspruch unter Bedachtnahme auf die Vermögensverhältnisse des Beschuldigten nach freiem Ermessen festzusetzen."

Die Bedenken des Bf. zielen dahin, daß einerseits den ehrenamtlichen Mitgliedern des Disziplinarsenates gemäß § 96 Abs 5 Ärztegesetz 1984 alle Barauslagen zu ersetzen seien und andererseits die Österreichische Ärztekammer kraft § 102 Abs 3 Ärztegesetz 1984 die Kosten der Kanzleigeschäfte zu tragen habe, sodaß sich der tatsächliche Verfahrensaufwand exakt bestimmen lasse. Es sei unsachlich, wenn das Gesetz "darüber hinaus" anordne, auf die "besonderen Verhältnisse des Falls" und die "Vermögensverhältnisse des Beschuldigten" Rücksicht zu nehmen.

Dem ist entgegenzuhalten, daß die § 102 Abs 3 Ärztegesetz 1984 relevierende Prämisse des Bf. nicht zutrifft: Denn diese Vorschrift über die allgemeine Verpflichtung der Österreichischen Ärztekammer, für die Kosten der Kanzleigeschäfte der Disziplinarbehörden aufzukommen, kann keinesfalls als Beleg dafür dienen, daß der Kanzleiaufwand für jeden einzelnen Disziplinarfall ziffernmäßig genau feststell- und errechenbar sei, sodaß die an die verfehlte Ausgangsposition der Beschwerde geknüpften Schlußfolgerungen ins Leere gehen.

2.2.1.4. Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß der Bf. im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Gleichheitsrecht nicht verletzt wurde.

2.2.2. Ebenfalls schon vom Ansatz her verfehlt sind all jene weitwendigen Beschwerdeausführungen, die nachzuweisen suchen, daß die bel. Beh. gegen Art 6 MRK verstoßen habe, weil es vorliegend um "zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen" gehe und eine "strafrechtliche Anklage" nicht erhoben worden sei. Denn zum einen fällt nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (s. VfSlg. 6239/1970, 7366/1974, 7907/1976) die Ahndung von Verstößen gegen Standes- und Berufspflichten im allgemeinen nicht unter diese Konventionsbestimmung. (Die Frage, inwieweit die Garantien des Art 6 MRK bei Androhung freiheitsentziehender Disziplinarmaßnahmen zum Tragen kommen, kann hier unerörtert bleiben, weil das Ärztegesetz 1984 - vgl. § 101 Abs 1 Z 1 bis 3 - derartige Sanktionen grundsätzlich nicht vorsieht.) Zum anderen versagt der Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 10. Feber 1983, EuGRZ 1983/190, über den Begriff der "civil rights" allein schon deshalb, weil ihr die Verhängung eines Berufsverbots zugrunde lag, dem Bf. aber die Berufsausübungsberechtigung gar nicht entzogen wurde.

2.2.3.1. Ferner wendet der Bf. ersichtlich unter dem Aspekt der durch Art 6 StGG gewährleisteten Erwerbsfreiheit, jedoch ohne nähere Begründung ein, die bel. Beh. habe § 25 Ärztegesetz 1984 (über das Verbot der Werbung iZm. der Ausübung des ärztlichen Berufs) denkunmöglich angewendet.

2.2.3.2. Die Gründe des angefochtenen Bescheides zeigen indes, daß dieser Vorwurf zu Unrecht erhoben wurde. Es heißt dort ua.:

"Die Frage, ob eine Maßnahme Werbung für einen Arzt darstellt oder nicht, beantwortet sich (wie im Wettbewerbsrecht) nicht nach der subjektiven Absicht des Arztes, der seine Angaben in einer bestimmten Weise aufgefaßt wissen möchte, sondern nach dem objektiven Eindruck der angesprochenen Verkehrskreise, wobei der Arzt bei Mehrdeutigkeit der Äußerung auch die für ihn ungünstige Auslegung gegen sich gelten lassen muß (SZ 47/31, ähnlich Doepner 'Standesrechtliche Grenzen der Werbung für Ärzte' in: Wettbewerb in Recht und Praxis 1977, 703 mit Judikatur- und Literaturnachweis).

Unter diesem Blickwinkel gesehen kann nicht bezweifelt werden, daß der gegenständlichen Veröffentlichung gerade mit Rücksicht auf den in der Zeitungsspalte 'Chronik/Für die Frau' angesprochenen Personenkreis, nämlich die Frauen und sohin auch die Mütter, Werbecharakter zukommt. Denn welche sorgende Mutter wird schon verabsäumen, ihrem Kind den 'Leidensweg' zum Zahnarzt durch den Hinweis darauf schmackhaft zu machen, daß der behandelnde Arzt sehr lustig ist, Kindern Spielwaren zur Verfügung stellt und auf deren Wünsche bei der Behandlung Rücksicht nimmt. Von der in der Berufung behaupteten 'Werbeuntauglichkeit' kann daher keine Rede sein. Desgleichen auch nicht, daß die Berichterstattung bloß einen 'Schmunzeleffekt' zu bewirken vermöge. Daran ändert auch nichts, daß im Layout neben dem Bericht ein Zeitungswitz unter der Überschrift 'Scherz laß nach' abgedruckt ist.

Keineswegs kann sich der Beschuldigte vorliegend darauf berufen, er habe alles Nötige und Zumutbare unternommen, um einen Verstoß gegen die Standespflichten zu verhindern, indem er dem Reporter anläßlich des Interviews ausdrücklich auf das für Ärzte geltende Werbeverbot verwies. Denn er hat dadurch, daß er sich in Berufskleidung in einer der Grundaussage des Artikels entsprechenden Weise mit einem von ihm behandelten, eine Zange in der Hand haltenden Kind fotografieren ließ, selbst zur Werbung beigetragen und kann sich demnach nicht auf ein vereinbarungswidriges Verhalten des Reporters berufen, den er dieses zur Werbewirkung beitragende Bild (vereinbarungsgemäß) verwenden ließ. Im übrigen liegt der Entscheidung der Unterbehörde in subjektiver Hinsicht die - nach Ansicht des Berufungssenates im Hinblick auf das bisherige Verhalten des Disziplinarbeschuldigten (siehe dazu die Vorakten) zutreffende - Annahme zugrunde, der Beschuldigte habe jedenfalls fahrlässig gehandelt, wenn er von dem ihn interviewenden Reporter gar nicht verlangte, er möge ihn (durch einen Bürstenabzug oder auf andere Weise) vor dem Abdruck des Artikels von dessen Inhalt in Kenntnis setzen. Denn durch diesen Verzicht hat er sich vollends außerstande gesetzt, zu verhindern, daß von einem Dritten für ihn Werbung getrieben wird."

Diese Überlegungen und Ableitungen mögen unrichtig sein; vertretbar sind sie angesichts des Gesetzeswortlauts immerhin. Nur dann, wenn die bekämpfte Rechtsauffassung schlechterdings unvertretbar wäre, könnte aber von denkunmöglicher - und damit verfassungswidriger - Gesetzeshandhabung gesprochen werden.

2.2.4. Schließlich vermeint der Bf., daß die Bestimmung des § 101 Abs 1 Z 2 Ärztegesetz 1984, welche - für Disziplinarvergehen - eine Geldstrafe "bis zur Höhe der fünfundsiebzigfachen Umlage" vorsehe, gegen Art 18 B-VG verstoße, weil es an der Nennung der Höhe der Umlage fehle.

Nun legt § 41 Ärztegesetz 1984 ua. fest, daß alle Kammerangehörigen verpflichtet sind, die in der Umlagenordnung festgesetzten Umlagen (= Kammerbeiträge) zu leisten. Dazu schreibt § 56 Abs 3 Ärztegesetz 1984 vor, daß die Kammerumlage unter Bedachtnahme auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und unter Berücksichtigung der Art der Berufsausübung der Kammerangehörigen bestimmt werden müsse. Damit ist aber die Umlage und das Höchstausmaß der Disziplinargeldstrafe nach § 101 Abs 1 Z 2 Ärztegesetz 1984 ausreichend gesetzlich determiniert. Der Inhalt der im Gesetz verwendeten Begriffe (aus dem allgemeinen Sprachgebrauch) ist nämlich insgesamt soweit bestimmbar, daß die Rechtsunterworfenen ihr Verhalten danach einrichten können (vgl. dazu zB VfSlg. 6026/1969).

2.3. Die Verletzung eines sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes wurde nicht behauptet und kam auch im Beschwerdeverfahren nicht hervor; ebensowenig entstanden - aus der Sicht dieser Beschwerdesache - verfassungsrechtliche Bedenken gegen die dem bekämpften Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften (s. Punkt 2.2.); der Bf. wurde mithin auch nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.

2.4. Die Beschwerde war bei der gegebenen Sach- und Rechtslage als zur Gänze unbegründet abzuweisen.

2.5. Der Disziplinarsenat beim Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz, der den angefochtenen Bescheid erlassen hatte, ist eine Kollegialbehörde iS des Art 133 Z 4 B-VG, deren Entscheidungen vor dem VwGH nicht bekämpft werden können. Infolgedessen war der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den VwGH gemäß Art 144 Abs 3 B-VG abzuweisen (vgl. zB VfSlg. 4009/1961, 4074/1961).