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OGH vom 05.03.2019, 14Os16/19p

OGH vom 05.03.2019, 14Os16/19p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Schriftführers Bodinger in der Strafsache gegen J***** M***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 334 HR 30/13h des Landesgerichts für Strafsachen Wien (AZ 603 St 13/13f der Staatsanwaltschaft Wien), über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 22 Bs 75/17s, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Gföller und des Verteidigers Mag. Mustajbegovic, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 22 Bs 75/17s, verletzt im Ausspruch eines Auftrags an die Staatsanwaltschaft Wien, bis zum über eine Anklageerhebung oder Einstellung des Ermittlungsverfahrens zu entscheiden, § 108 Abs 1 StPO.

Text

Gründe:

In dem von der Staatsanwaltschaft Wien zum AZ 603 St 13/13f gegen J***** M***** und andere Beschuldigte wegen der Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB und der betrügerischen Krida nach § 15, 156 Abs 1 und 2 StGB (im Zusammenhang mit der Ausschüttung einer [Sach-]Dividende in Höhe von etwa 2 Mio Euro zum Nachteil der M***** AG und deren Gläubiger im Februar 2009) geführten Ermittlungsverfahren wurden jeweils auf § 108 Abs 1 Z 1 und Z 2 StPO gestützte Anträge der Beschuldigten MMag. Peter W***** und Günter We***** auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens vom und (ON 500 und 506) mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 334 HR 30/13h-574, abgewiesen.

Den dagegen erhobenen Beschwerden der Genannten (ON 575 und 576), inhaltlich derer (nunmehr zusätzlich) auch eine Verletzung des Beschleunigungsgebots nach § 9 StPO aufgrund der bereits 7-jährigen Dauer des
– nach den Beschwerdestandpunkten „offenbar nicht mit dem nötigen Nachdruck geführten“ – Ermittlungsverfahrens behauptet wurde (jeweils BS 3), gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom , AZ 22 Bs 75/17s, nicht Folge, trug der Staatsanwaltschaft Wien jedoch unter einem auf, „bis über eine Anklageerhebung oder Einstellung des Ermittlungsverfahrens zu entscheiden“ (BS 1).

Begründend führte das Beschwerdegericht
– soweit im Folgenden von Relevanz – aus, dass Dringlichkeit und Gewicht des auf Grundlage hinreichend geklärten Sachverhalts gegen die Beschwerdeführer vorliegenden Tatverdachts eine gerichtliche Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 108 Abs 1 Z 2 StPO nicht zuließen, vielmehr bereits eine (neuerliche) Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft Wien erlaubten. Weil auch der Einstellungsgrund nach § 108 Abs 1 Z 1 StPO nicht vorliege, sei den Rechtsmitteln daher kein Erfolg zu bescheiden. Aufgrund der bereits mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 22 Bs 42/15k, aus dem Grund des § 212 Z 3 StPO gemäß § 215 Abs 3 StPO erfolgten Zurückweisung der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien vom , des Unterbleibens von weiteren Ermittlungsschritten „jedenfalls seit erstgerichtlicher Beschlussfassung“ und des Umstands, dass „entgegen der Ankündigung der Oberstaatsanwaltschaft Wien vom April 2017 das Ermittlungsverfahren noch immer keiner ’Enderledigung’ zugeführt worden“ sei, vertrat das Beschwerdegericht unter Berufung auf höchstgerichtliche Judikatur (11 Os 131/13v sowie RIS-Justiz RS0124006) zudem die Ansicht, dass „der Staatsanwaltschaft mit Blick auf die Verletzung des Beschleunigungsgebots und die Bestimmung des § 108 Abs 1 Z 2 StPO in analoger Anwendung des § 107 Abs 4 StPO der aus dem Spruch ersichtliche Auftrag zu erteilen“ und „zur Hintanhaltung weiterer Verzögerungen … eine Frist bis zu setzen“ war (BS 7 f).

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer dagegen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, steht dieser Beschluss, soweit darin der Anklagebehörde zufolge einer vom Beschwerdegericht angenommenen Verletzung des Beschleunigungsgebots nach § 9 StPO der eben dargestellte Auftrag erteilt wurde, mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Im Ermittlungsverfahren räumt die Strafprozessordnung – soweit hier wesentlich – jedem, der behauptet, durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt worden zu sein, den (binnen sechs Wochen ab Kenntnis der behaupteten Rechtsverletzung einzubringenden) Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO, dem Beschuldigten zudem den (nach Ablauf der in § 108 Abs 3 StPO genannten Zeitspanne unbefristeten) Antrag auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 108 StPO ein.

Ergreift ein Beschuldigter einen dieser Rechtsbehelfe und wird dieser von der Staatsanwaltschaft dem Gericht weitergeleitet (§ 106 Abs 5 StPO,§ 108 Abs 2 StPO), hat das Gericht – außer im Fall des Vorliegens der Voraussetzungen für eine Zurückweisung – stets „in der Sache“ zu entscheiden (§ 107 Abs 1, § 108 Abs 3 StPO), womit der Umfang des Prozessgegenstands in erster Instanz durch den jeweiligen Antrag bestimmt wird. Genau dieser ist auch Gegenstand einer allfälligen Beschwerdeentscheidung. Nur für dessen Tatsachengrundlage sind gegebenenfalls auch Neuerungen zu berücksichtigen (§ 89 Abs 2b StPO; vgl Rebisant, Beschwerdegegenstand im Ermittlungsverfahren, in Lewisch [Hrsg] Jahrbuch Wirtschaftsstrafrecht und Organverantwortlichkeit 2017, 27 [31 f]; Tipold, WK-StPO § 89 Rz 8 f). Der Prozessgegenstand beschränkt sich sohin bei einem Einspruch wegen Rechtsverletzung auf die Prüfung, ob der Antragsteller durch die darin bezeichnete – tatsächliche oder rechtliche – Handlung der Staatsanwaltschaft in einem konkreten subjektiven Recht verletzt wurde (§ 106 Abs 1 StPO), beim Einstellungsantrag hingegen, ob die Voraussetzungen vorliegen, das Ermittlungsverfahren einzustellen (§ 108 Abs 1 StPO).

Dementsprechend sind aber auch die potentiellen Folgen des jeweiligen Rechtsbehelfs abschließend geregelt (idS mit Blick auf das Verschlechterungsverbot Birklbauer, WK-StPO § 16 Rz 10 f). Gibt das Gericht dem Einspruch wegen Rechtsverletzung statt, kann es der Staatsanwaltschaft gemäß § 107 Abs 1 iVm Abs 4 StPO – bindende – Anordnungen erteilen, wie der Rechtszustand vor der bekämpften Handlung oder Unterlassung wiederherzustellen ist (restitutio in integrum). Als – einzig mögliche, in den Auswirkungen jedoch weitergehende – Konsequenz sieht § 108 Abs 1 StPO hingegen vor, dass das Gericht selbst das Verfahren unter den dort normierten Voraussetzungen mittels Beschluss einzustellen hat.

Für eine Verletzung des Beschleunigungsgebots des § 9 Abs 1 StPO bedeutet dies, dass der Beschuldigte im Wege eines Einspruchs gemäß § 106 StPO deren Feststellung in Verbindung mit einem konkreten Auftrag des Gerichts erster oder (im Beschwerdefall) zweiter Instanz an die Staatsanwaltschaft erwirken kann, dem Beschleunigungsgebot durch geeignete Maßnahmen, wie etwa der gehörigen Fortführung des Ermittlungsverfahrens, dessen Einstellung oder einer Anklageerhebung, Rechnung zu tragen (vgl RIS-Justiz RS0124006 [T6]; 15 Os 118/11h). Durch eine Antragstellung gemäß § 108 StPO hingegen kann er eine entsprechende Kontrolle innerhalb der Schranken der von § 108 Abs 1 Z 2 StPO vorgesehenen Abwägung zwischen Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts einerseits und Dauer und Umfang der Ermittlungen andererseits veranlassen und bei entsprechendem Ausgang dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung die Verfahrenseinstellung unmittelbar durch das Gericht erreichen.

Zwar stellt der Antrag auf Einstellung nach § 108 StPO nach der Lehre seinem Wesen nach einen Sonderfall des Einspruchs wegen Rechtsverletzung gemäß § 106 StPO dar (Venier, Einstellung und Anklage im neuen Strafprozessrecht, ÖJZ 2007/78, 907; zum Ganzen Pilnacek/Stricker, WK-StPO § 108 Rz 9 ff mwN). Das ändert jedoch nichts daran, dass selbst in einem – hier vom Oberlandesgericht angenommenen – Fall, in dem eine Einstellung aufgrund der Dringlichkeit eines Verdachts nicht zu erfolgen hat, die Staatsanwaltschaft jedoch mit der Einbringung der Anklage säumig ist und das Beschleunigungsgebot verletzt hat, eine Entscheidung im Sinn der § 106 ff StPO (samt Feststellung einer Verletzung des Beschleunigungsgebots und Erteilung eines Auftrags an die Staatsanwaltschaft, die Anklage einzubringen [oder andere verfahrensbeschleunigende Maßnahmen zu setzen]) aus Anlass eines Einstellungsantrags weder in erster noch in zweiter Instanz in Betracht kommt, weil – wie dargelegt – der Prozessgegenstand durch den jeweiligen, bei der Staatsanwaltschaft eingebrachten Antrag bestimmt wird und eine amtswegige Wahrnehmung der Verletzung subjektiver Rechte (so auch des – hier erst im Beschwerdeverfahren, zudem pauschal und ohne genaue Bezeichnung der konkreten Verzögerung [vgl dazu Kier, WK-StPO § 9 Rz 54] relevierten – Beschleunigungsgebots) in § 106 ff StPO nicht vorgesehen ist (Pilnacek/Stricker, WK-StPO § 108 Rz 38).

Anhaltspunkte für ein Rechtsschutzdefizit oder eine planwidrige Gesetzeslücke, welche durch eine analoge Anwendung von § 107 Abs 4 StPO im Rahmen der Entscheidung über einen Einstellungsantrag zu schließen wäre (vgl Markel, WK-StPO § 1 Rz 41), liegen daher nicht vor.

Aus der vom Oberlandesgericht zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu Haftbeschwerde und Einspruch wegen Rechtsverletzung ist für den gegenteiligen Standpunkt nichts zu gewinnen, weil Prozessgegenstand der richterlichen Haftprüfung nicht bloß die Entscheidung über Fortdauer oder Aufhebung der Untersuchungshaft, sondern stets die Einhaltung aller die Haft betreffenden, vom Gericht zu beachtenden Vorschriften ist, wozu auch die Einhaltung des besonderen Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§ 177 Abs 1 StPO) zählt, selbst wenn dessen Verletzung noch nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Haft nach § 173 Abs 1 zweiter Satz StPO und damit zur Enthaftung führt (vgl 14 Os 43/07s; EvBl 2007/101, 552; 14 Os 108/08a uva). Insoweit hat das Gericht nicht nur die Kompetenz, sondern auch die Verpflichtung (§ 177 Abs 1 StPO), verfahrensbeschleunigende und damit haftverkürzende Maßnahmen zu erwirken.

Demgegenüber soll § 108 StPO dem Beschuldigten zwar (unter anderem) auch die Möglichkeit geben, die Verfahrensführung der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Einhaltung des Beschleunigungsgebots einer gerichtlichen Prüfung unterziehen zu lassen, dies jedoch nur (aber immerhin) innerhalb der dort normierten Grenzen, um sicherzustellen, dass das Ermittlungsverfahren nur so lange dauert, als es zur Überführung des Beschuldigten erforderlich und angemessen ist (idS auch EBRV 25

BlgNR 22. GP 145 f; EBRV 181 BlgNR 25. GP 6 f; erneut Pilnacek/Stricker, WK-StPO § 108 Rz 8 ff;

Pilnacek/Pleischl, Das neue

Vorverfahren [2005] Rz 448), während § 106 StPO (sowie in Haftsachen die Haftbeschwerde in Bezug auf alle haftrelevanten Vorschriften) im Ermittlungsverfahren (allerdings fristgebundenen) Rechtsschutz gegen punktuelle Rechtsverletzungen durch die Staatsanwaltschaft, wie – die Zulässigkeit des weiteren Ermittlungsverfahrens iSd § 108 Abs 1 Z 2 StPO nicht tangierende – unangemessene Verzögerungen, gewährt (so auch die vom Oberlandesgericht zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 11 Os 131/13v).

Die vom Beschwerdegericht im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Einstellung nach § 108 StPO vorgenommene Erteilung eines Auftrags an die Staatsanwaltschaft gemäß § 107 Abs 4 StPO per analogiam war daher rechtlich verfehlt.

Ein aus der angeführten Gesetzesverletzung resultierender

Nachteil für die (vormals) Beschuldigten ist nicht auszumachen, weshalb es mit deren Feststellung sein Bewenden hat (§ 292 letzter Satz StPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0140OS00016.19P.0305.000

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