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OGH vom 11.02.2003, 11Os43/02

OGH vom 11.02.2003, 11Os43/02

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Trauner als Schriftführer, in der Strafsache gegen Christian H***** wegen des Verbrechens des Missbrauch der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 3 a Vr 4575/00-32, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Riedl, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Strafsache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Christian H***** vom Anklagevorwurf des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Entscheidungsgegenstand war der Vorwurf, der Angeklagte hätte im Sommer 1998 in Wien als Beamter der Bundespolizeidirektion Wien mit dem Vorsatz, dadurch die Republik an ihrem Recht auf Strafverfolgung zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er ein unter seiner Mitwirkung zustandegekommenes Schriftstück der Ruzica T*****, aus dem einerseits geschlossen werden könne, dass der Leiter der E***** Mag. Walter P***** als häufiger Gast in der "H*****"-***** des Celal B***** diesen begünstigt habe, andererseits Celal B***** des Raubes bzw Diebstahls zum Nachteil von Mag. Walter P***** beschuldigt wurde, nicht einer geschäftsordnungsmäßigen Behandlung zuführte, insbesondere nicht in Form einer Anzeige der Justiz übermittelte.

Rechtliche Beurteilung

Diesen Freispruch bekämpft die Staatsanwaltschaft mit einer auf die Gründe der Z 9 lit a und 9 lit b des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, die sich als berechtigt erweist. Das Erstgericht stellte zunächst fest, dass der Angeklagte Christian H*****, der als Kriminalbeamter ab 1995 bis Anfang 1999 in der Abteilung II/8, E***** des Bundesministeriums für Inneres eingesetzt war und anschließend in der für Zeugenschutz zuständigen Abteilung II/6 dieses Bundesministeriums Dienst versah, im Zuge der in den Jahren 1995 und 1996 durchgeführten Erhebungen gegen den in der Folge zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Celal B***** ein Vertrauensverhältnis zu der Belastungszeugin Ruzica T***** aufgebaut hatte. Demzufolge eröffnete diese Zeugin dem Angeklagten, dass es sich bei seinem Vorgesetzten Mag. Walter P***** um eine der "undichten Stellen" handeln würde, die zwar bislang Gegenstand einschlägiger interner Polizeierhebungen gewesen waren, aber nie aufgedeckt werden konnten. Danach sei Mag. P***** mit dem damals Verdächtigen Celal B***** befreundet gewesen, habe in dessen Gastlokal verkehrt und dafür gesorgt, dass gegen den Genannten erstattete Anzeigen im Sicherheitsbüro nicht behandelt oder zumindest zurückgehalten wurden. Zudem wäre Mag. P***** von Celal B***** durch die Beimengung von Valium in ein Getränk betäubt und in diesem Zustand durch die Wegnahme eines Geldbetrages von zirka 60.000 S bestohlen oder beraubt worden.

Im Sommer 1998 veranlasste der Angeklagte Ruzica T*****, diese Angaben in einem undatierten Schreiben festzuhalten, welches er aber nicht an die zuständige Staatsanwaltschaft weiterleitete, sondern vielmehr für sich behielt, um es einmal gegen seinen Vorgesetzten verwenden zu können. Andere Vorgesetzte machte er mit dem Inhalt des Schreibens nur oberflächlich bekannt, verschwieg jedoch die Behauptungen über Anzeigenunterdrückungen und über ein an Mag. P***** verübtes Vermögensdelikt.

Als der Angeklagte Ende 1999 von der Bewerbung des Mag. P***** um die Planstelle des Leiters der Abteilung II/16 erfuhr, entschloss er sich, den Inhalt des Schreiben der Ruzica T***** einem befreundeten Reporter mitzuteilen, der hierauf den Kontakt zur Pressesprecherin des damaligen Innenministers herstellte. Nachdem der Angeklagte Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Bundesminister erhalten hatte und interne Erhebungen gegen Mag. P***** durchgeführt worden waren, nahm der Minister schließlich von der geplanten Ernennung Mag. P*****´s Abstand. Weiteres wurde nicht veranlasst, zumal der vom Bundesminister mit der Sachverhaltsklärung betraute Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit die Vorwürfe der Zeugin T***** unter Berücksichtigung der seit den angeblichen Geschehnissen verstrichenen längeren Zeit als bloß vage und lediglich disziplinär relevant beurteilte. Als jedoch nach dem kurz darauf erfolgten Regierungswechsel der neue Innenminister von Medienvertretern das Schreiben der Ruzica T***** vorgelegt erhielt, wurden einer Kriminalabteilung formelle Erhebungen aufgetragen, deren Ergebnis unter anderem auch zur vorliegenden Anzeigeerstattung gegen den Angeklagten wegen Verdachtes des Amtsmissbrauchs führte. Im verfahrensgegenständlichen Urteil nahm das Gericht als erwiesen an, dass der Angeklagte nach seinem Tatplan von vornherein bloß darauf abzielte, sich persönlich ein bei späterer Gelegenheit gegen Mag. P***** zu verwendendes Schriftstück von Ruzica T***** zu verschaffen und diese deshalb auch nicht niederschriftlich vernommen hat. Demzufolge hat der Angeklagte, der auch die strafrechtliche Relevanz des Vorbringens der Genannten (unter dem Gesichtspunkt eines Amtsmissbrauches und Raubes) erkannte und um seine Verpflichtung, einen derartigen Sachverhalt "zur Anzeige zu bringen", wusste (US 8 oben), durch Zurückhalten des Schriftstückes und pflichtwidriges Unterlassen der erforderlichen Anzeigeerstattung seine Befugnis wissentlich missbraucht und damit auch mit dem Willen gehandelt, hiedurch den Staat an seinem Recht auf Strafverfolgung zu schädigen (insbes US 7 f und 34 ff).

Ungeachtet dieser Feststellungen, nach denen die Tatbestandserfordernisse des § 302 Abs 1 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht verwirklicht sind, gelangte das Erstgericht dennoch zu einem Freispruch mit der Begründung, dass auch die zirka ein Jahr nach Abfassung des Schreibens informierten Dienstvorgesetzten, nämlich der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit Mag. S***** und der Bundesminister für Inneres Mag. Sch*****, nicht eine (sofortige) Anzeigeerstattung für nötig befunden hatten, ohne aber ebenso wie der Angeklagte in Strafverfolgung gezogen worden zu sein, weshalb auch diesem die Verletzung "dieser Verpflichtung" nicht zum Vorwurf gemacht werden solle (US 38). Dieser Standpunkt des Schöffengerichtes ist rechtlich verfehlt. Für den als Angehöriger des Kriminalbeamtenkorps mit der Besorgung des Exekutivdienstes befassten Angeklagten galten nach einem "gefährlichen Angriff" (hier: nach Kenntnisnahme von den aktuellen Straftatbeständen nach dem Strafgesetzbuch) die Bestimmungen der Strafprozessordnung, sobald ein bestimmter Mensch (im vorliegenden Fall Mag. Walter P***** und Celal B*****) einer strafbaren Handlung verdächtig geworden war (§ 22 Abs 3 iVm §§ 5, 16 Abs 2 lit a SPG - auch in der 1998 geltenden Fassung). Nach §§ 24 letzter Satz und 84 Abs 1 und Abs 3 StPO war der Angeklagte, der als Exekutivorgan bei einer Sicherheitsbehörde Dienst versah und dabei insbesondere mit der Entdeckung von Straftätern befasst war, verpflichtet, ihm (wie gegenständlich) amtlich, dh in seinem gesetzmäßigen Wirkungsbereich bekannt gewordenes strafrechtlich relevantes Verhalten (soweit es sich nicht um bloße Privatanklagedelikte handelt), dem Leiter seines Amtes zu melden, damit dieser die Anzeige an die Staatsanwaltschaft oder den Untersuchungsrichter erstatte. Zu einer unmittelbaren Anzeigeerstattung (namens des Amtes) wäre er dagegen nur dann verhalten gewesen, wenn er selbst Leiter des Amtes gewesen wäre (vgl SSt 26/44; s auch §§ 53 Abs 1, 54 Abs 1 BDG).

Die strafrechtliche Beurteilung eines vom Exekutivorgan erhobenen Sachverhalts und die diesbezügliche weitere Veranlassung obliegt dem zuständigen Staatsanwalt bzw (abschließend) dem hiezu berufenen Gericht, wogegen eine entsprechende Bewertung durch das Exekutivorgan selbst oder durch andere Angehörige der Sicherheitsbehörde, die nicht seine unmittelbaren Vorgesetzten sind, ohne Bedeutung bleiben muss. Für das Exekutivorgan genügt zur Strafbarkeit nach § 302 StGB schon die Beeinträchtigung des Rechtes auf Strafverfolgung insoweit, als durch Unterlassen der Sachverhaltsmitteilung oder Weiterleitung eine Verdachtsüberprüfung gemäß den in Betracht kommenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen durch die hiefür zuständige (Justiz-)Behörde unterblieben ist. Auf die diesbezügliche Auffassung von Kollegen oder nicht zur Entgegennahme solcher Anzeigen berufenen Vorgesetzten kann sich das zur Anzeigeerstattung verpflichtete Exekutivorgan daher nicht berufen. Ebensowenig ist es relevant, ob sich diese auch ihrerseits strafbar gemacht haben oder strafrechtlich verfolgt werden.

Die vom Erstgericht zu Gunsten des Angeklagten ins Treffen geführten Gesichtspunkte sind somit weder für die Lösung der Frage relevant, ob eine gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, noch wird damit ein Rechtfertigungsgrund, ein Schuldausschließungsgrund, ein Strafausschließungsgrund oder ein Strafaufhebungsgrund dargetan. Vielmehr hat auf der Grundlage der erstgerichtlichen Feststellungen der Angeklagte den Tatbestand des - bereits mit der Unterdrückung einer (wenngleich über seine Veranlassung hergestellten) Beweisurkunde und dem Unterbleiben der Meldung über den strafrechtlich relevanten Inhalt im Dienstweg (vgl § 54 Abs 1 BDG) im Jahr 1998 vollendeten - Verbrechens des Amtsmissbrauchs nach § 302 Abs 1 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt. Unter Zugrundelegung der Urteilsannahmen wäre daher mit einem entsprechenden Schuldspruch vorzugehen gewesen (vgl hiezu insbes Bertel WK2 Rz 39 und WK 82; ferner Mayerhofer, StGB5, E 51, 86 und 87 - jeweils zu § 302 StGB).

Ungeachtet dessen, dass die rechtlichen Erwägungen, auf denen das Urteil beruht, nicht zutreffen, sah sich der Oberste Gerichtshof zu einer reformatorischen Entscheidung nicht veranlasst, weil allfällige Mängel der erstgerichtlichen Tatsachenfeststellungen, welche nicht ohne jeden Zweifel ausgeschlossen werden können, vom Angeklagten, da er freigesprochen worden ist, mit Nichtigkeitsbeschwerde nicht geltend gemacht werden konnten.

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher mit der Maßgabe Folge zu geben, dass das angefochtene Urteil aufgehoben und die Neudurchführung des Verfahrens angeordnet wurde.