OGH vom 03.05.2022, 11Os42/22v (11Os43/22s)
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. BachnerForegger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in der Strafsache gegen * L* wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1, Abs 4 StGB, AZ 9 Hv 27/21y des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die von der Generalprokuratur gegen einen Vorgang im Verfahren und das Urteil dieses Gerichts vom (ON 25 der HvAkten) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Mag. Schneider, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Durchführung der Hauptverhandlung und Fällung des Urteils in Abwesenheit der Angeklagten am verletzen § 427 Abs 1 erster Satz StPO.
Das Abwesenheitsurteil vom , GZ 9 Hv 27/21y-25, wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Text
Gründe:
[1] Mit Abwesenheitsurteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom , GZ 9 Hv 27/21y-25, wurde die zur Hauptverhandlung ordnungsgemäß geladene, nicht erschienene (ON 22 S 3, ON 24 S 1) * L* des – am in G* begangenen – Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1, Abs 4 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
[2] Gegen das Abwesenheitsurteil hat die Staatsanwaltschaft Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe erhoben (ON 26, 28).
[3] L* war zum Anklagevorwurf zu keinem Zeitpunkt förmlich als Beschuldigte vernommen worden. Einer polizeilichen Ladung zur Beschuldigtenvernehmung am leistete sie nicht Folge (ON 2 S 4, 13 f). Ebenso blieb sie trotz Zustellung der Ladung zu eigenen Handen (unentschuldigt) einem für anberaumten Hauptverhandlungstermin fern (ON 1 S 2, ON 9 S 3, ON 11 S 2).
Rechtliche Beurteilung
[4] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils in Abwesenheit der Angeklagten mit dem Gesetz nicht in Einklang:
[5] Gemäß § 427 Abs 1 StPO darf die Hauptverhandlung nur dann in Abwesenheit der Angeklagten durchgeführt und in jener das Urteil gefällt werden, wenn neben anderen Voraussetzungen die Angeklagte zuvor gemäß §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde. Nur eine dem Abwesenheitsverfahren vorangegangene, den gesamten Anklagevorwurf erfassende förmliche Vernehmung der nun Angeklagten als Beschuldigte (gleich welchen Inhalts) trägt dem durch Art 6 MRK auf Verfassungsebene gehobenen Grundsatz des beiderseitigen Gehörs hinreichend Rechnung (Bauer, WK-StPO § 427 Rz 8; RIS-Justiz RS0130532).
[6] Dass L* im Ermittlungsverfahren einer polizeilichen Ladung zur Beschuldigtenvernehmung nicht Folge geleistet hatte, vermag am Fehlen der Voraussetzungen des § 427 Abs 1 erster Satz StPO – entgegen der Ansicht der Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Graz (vgl ON 24 S 2; US 4) – ebenso wenig zu ändern (RIS-Justiz RS0129629 [T1]) wie der Umstand, dass die Angeklagte trotz ausgewiesener persönlicher Zustellung der Ladung zu einem früheren Hauptverhandlungstermin (unentschuldigt) nicht erschienen war.
[7] Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, das Abwesenheitsurteil aufzuheben und dem Landesgericht für Strafsachen Graz die neue Verhandlung und Entscheidung aufzutragen (§ 292 letzter Satz StPO).
[8] Die Berufung der Staatsanwaltschaft ist damit gegenstandslos.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00042.22V.0503.000 |
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