OGH vom 29.01.2013, 9ObA36/12b

OGH vom 29.01.2013, 9ObA36/12b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** H*****, vertreten durch Mag. Dr. Heike Berner Baumgartner, Rechtsanwältin in Feldbach, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch die Lippitsch Neumann Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Feststellung (Streitwert 15.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Ra 2/12d 23, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 32 Cga 23/11t 17, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 978,84 EUR (darin 163,14 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten ab als Kraftfahrer beschäftigt. Am trat die Beklagte einer von der U***** GmbH am mit der ***** Versicherungs AG abgeschlossenen Gruppenunfallversicherung nach § 3 Abs 1 Z 15 EStG als weitere Versicherungsnehmerin bei. Versichert wurden Arbeitnehmer der beiden Versicherungsnehmerinnen, die in der jeweils aktualisierten Versicherungspolizze als versicherte Personen namentlich angeführt wurden. Auch der Kläger befand sich ab unter den versicherten Personen. Er gab, etwa ein halbes Jahr nach seiner Einstellung, gegenüber der Beklagten in einer ihm vorgelegten Urkunde eine undatierte „Einverständniserklärung“ ab, dass er mit der Auszahlung aller Ansprüche aus der Gruppenunfallversicherung an seinen Dienstgeber, „die Firma U*****ges.m.b.H.“, einverstanden sei.

Am erlitt der Kläger einen von der Gruppenunfallversicherung erfassten Verkehrsunfall, der seine Arbeitsunfähigkeit bis nach sich zog. Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum . Als der Kläger von der ***** Versicherungs AG aufgrund des Unfalls Leistungen aus der Gruppenunfallversicherung verlangte, antwortete diese, dass zwar ihrer Ansicht nach eine Versicherung für fremde Rechnung vorliege, sie jedoch verpflichtet sei, die Versicherungsleistung an die U***** GmbH zu erbringen, weil der Kläger keinen Versicherungsschein vorlegen könne.

Zwischen den Parteien herrscht nun Streit darüber, ob die Leistungen aus der gegenständlichen Gruppenunfallversicherung aufgrund des erlittenen Unfalls dem Kläger als versicherter Person oder der Beklagten als Versicherungsnehmerin zustehen, ob hier also eine Versicherung „auf fremde Rechnung“ der einzelnen Arbeitnehmer oder „auf eigene Rechnung“ der Beklagten als Arbeitgeberin vorliege. Damit in Verbindung ist auch strittig, ob die vorstehend erwähnte „Einverständniserklärung“ des Klägers wirksam sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren teilweise statt, indem es mit Urteil feststellte, dass die aus der Gruppenunfallversicherung aufgrund des Unfalls des Klägers vom resultierenden Zahlungen zur Gänze dem Kläger zustehen; das Mehrbegehren, es möge festgestellt werden, dass der Kläger diese Zahlungen direkt gegen die Versicherung geltend machen könne, wies das Erstgericht hingegen ab. Unter Zugrundlegung der einleitend wiedergegebenen Feststellungen ging das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht davon aus, dass die Einverständniserklärung unwirksam sei, weil sie mangels darin enthaltener Information über die Versicherungssumme und die Versicherungsleistungen nicht als schriftliche Zustimmung im Sinn des § 179 Abs 3 VersVG anzusehen sei. Die Versicherungsleistungen stünden daher dem Kläger zu.

Das Berufungsgericht gab der gegen den klagestattgebenden Teil des Ersturteils erhobenen Berufung der Beklagten in der Hauptsache nicht Folge. Es trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts bei, die es noch weiter vertiefte. Da die Zustimmung des Klägers zu einer Unfallversicherung des Klägers auf eigene Rechnung der Beklagten unzureichend sei, liege gemäß § 179 Abs 2 VersVG eine Versicherung auf fremde Rechnung des Klägers vor. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht mit der Begründung zu, dass zur Wirksamkeit der Zustimmungserklärung der Gefahrenperson nach § 179 Abs 3 VersVG noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Klagebegehren vollinhaltlich abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Im Revisionsverfahren geht es primär um die Frage, ob hier eine Versicherung auf eigene Rechnung oder auf fremde Rechnung vorliegt. Der von der Revisionswerberin in den Vordergrund gestellten Frage der Wirksamkeit der Einverständniserklärung des Klägers kommt in diesem Zusammenhang nur subsidiäre Bedeutung zu. Insoweit bedarf es also einiger Klarstellungen, wodurch sich aber am Ergebnis dem Zurechtbestehen der vom Kläger begehrten Feststellung nichts ändert.

Zutreffend wurde erkannt, dass für die in Bezug auf die gegenständliche Gruppenunfallversicherung zu lösende Rechtsfrage die Bestimmung des § 179 VersVG einschlägig ist.

Nach § 179 Abs 1 VersVG kann die Unfallversicherung gegen Unfälle, die dem Versicherungsnehmer, oder gegen Unfälle, die einem anderen zustoßen, genommen werden. Im zweiten Fall („Unfälle, die einem anderen zustoßen“) werden wiederum zwei Varianten unterschieden: Die Versicherung kann für „fremde Rechnung“ (dh für „Rechnung des anderen“, also der versicherten Person) oder für „eigene Rechnung“ des Versicherungsnehmers geschlossen werden.

Nach § 179 Abs 2 VersVG gilt eine Versicherung gegen Unfälle, die einem anderen zustoßen, im Zweifel als für Rechnung des anderen genommen. Die Vorschriften der §§ 75 bis 79 VersVG sind diesfalls entsprechend anzuwenden. Wird eine Versicherung gegen Unfälle, die einem anderen zustoßen, vom Versicherungsnehmer für eigene Rechnung genommen, so ist nach § 179 Abs 3 VersVG zur Gültigkeit des Vertrags die schriftliche Zustimmung des anderen erforderlich.

Ob eine Versicherung für fremde oder für eigene Rechnung vorliegt, hängt also von der primär aus deren unmittelbarem Inhalt auszulegenden Vereinbarung zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer ab. Dies folgt schon aus dem Gesetz („ Die Unfallversicherung kann … genommen werden “ [§ 179 Abs 1 VersVG]; „ Versicherung … gilt im Zweifel als … genommen “ [§ 179 Abs 2 VersVG]; „ Wird eine Versicherung … vom Versicherungsnehmer für eigene Rechnung genommen, so ist zur Gültigkeit des Vertrages die schriftliche Zustimmung des anderen erforderlich “ [§ 179 Abs 3 VersVG]), wurde aber auch schon in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs betont (9 ObA 104/05t; in diesem Sinn auch Schwintowski in Honsell , Berliner Kommentar zum deutschen und österreichischen VVG § 179 Rz 26 ua).

Dass hier eine Versicherung gegen Unfälle, die einem anderen (als dem Versicherungsnehmer) zustoßen, vorliegt, ist nicht weiter strittig. Fraglich ist, ob im Versicherungsvertrag diese Versicherung auf fremde oder auf eigene Rechnung vereinbart wurde. Das VersVG gibt in § 179 Abs 2 der Vereinbarung einer Versicherung auf fremde Rechnung den Vorzug („ Eine Versicherung gegen Unfälle, die einem anderen zustoßen, gilt im Zweifel als für Rechnung des anderen genommen. “). Nur dann, wenn kein Zweifelsfall vorliegt, also zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer eindeutig eine Versicherung auf eigene Rechnung des Versicherungsnehmers vereinbart wurde, kommt die in § 179 Abs 3 VersVG geforderte Zustimmungserklärung der versicherten Person ins Spiel („ Wird eine Versicherung gegen Unfälle, die einem anderen zustoßen, vom Versicherungsnehmer für eigene Rechnung genommen, so ist zur Gültigkeit des Vertrages die schriftliche Zustimmung des anderen erforderlich. “).

Der Kläger bestritt von Anfang an das Vorliegen einer Versicherung auf eigene Rechnung der Beklagten, indem er darauf hinwies, dass die Gruppenunfallversicherung „nach § 3 Abs 1 Z 15 EStG“ abgeschlossen wurde. Der Versicherungsvertrag machte durch die Bezugnahme auf diese Bestimmung, die Befreiungen von der Einkommenssteuer regelt, klar, dass die Gruppenunfallversicherung als „Zuwendung des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung der Arbeitnehmer“ der Beklagten abgeschlossen wurde (Z 15 lit a leg cit). Die weiteren Fälle der Z 15 lit b und c leg cit („Beteiligungen“) waren kein Thema. Der Kläger verwies zur Stützung seines Standpunkts, dass hier eine Versicherung auf fremde Rechnung der Arbeitnehmer vorliege, auch darauf, dass dieser Standpunkt auch vom Versicherer geteilt werde, der allerdings die Auszahlung an den Kläger von der Vorlage des Versicherungsscheins abhängig mache. Auch das wurde von der Beklagten nicht näher bestritten. Sie verwies zum diesbezüglichen Schreiben des Versicherers nur auf ihr eigenes Vorbringen.

Dem Beklagtenvorbringen kann zwar unterstellt werden, dass die Beklagte davon ausging, dass eine Versicherung „auf eigene Rechnung“ vorliege. Ihr Ansatz, dies von der Einverständniserklärung des Klägers als versicherter Person abzuleiten, ist jedoch unzureichend. Wie bereits ausgeführt, stellt sich die Einverständnisfrage erst, wenn Versicherer und Versicherungsnehmer „ohne Zweifel“ eine Versicherung gegen Unfälle, die einem anderen zustoßen, auf eigene Rechnung abschließen wollen. Dies ist aber davor durch Auslegung des Versicherungsvertrags zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer zu ermitteln (vgl 9 ObA 104/05t; zum deutschen Recht auch Leverenz in Bruck/Möller , VVG 9 § 179 Rz 133 ua). Besteht diesbezüglich ein Zweifel, dann ist nach § 179 Abs 2 VersVG von einer Versicherung auf fremde Rechnung auszugehen.

Unstrittig zielt der gegenständliche Versicherungsvertrag auf eine Versicherung gegen Unfälle, die einem anderen zustoßen, ab. Dass er aber darüber hinaus auch eine Festlegung auf eine Versicherung auf eigene Rechnung enthält, kann der Versicherungspolizze nicht entnommen werden. Gegenteiliges in Bezug auf die Polizze behauptet auch die Beklagte nicht. Eine nähere Auseinandersetzung mit der steuerrechtlichen Gebarung der Beklagten braucht hier nicht erfolgen. Mit dem Abschluss einer Gruppenunfallversicherung „nach § 3 Abs 1 Z 15 EStG“ wurde jedenfalls das Vorhaben zum Ausdruck gebracht, eine Einkommenssteuerbefreiung für Zuwendungen des Arbeitgebers für die Zukunftssicherung der Arbeitnehmer in Anspruch zu nehmen. Unter „Zukunftssicherung“ sind Ausgaben des Arbeitgebers für Versicherungs- oder Versorgungseinrichtungen zu verstehen, die dazu dienen, Arbeitnehmer oder diesen nahe stehende Personen für den Fall der Krankheit, der Invalidität, des Alters oder des Todes der Arbeitnehmer sicherzustellen (vgl Lohnsteuerrichtlinien 2002 Rz 81; Doralt , EStG Bd 1 § 3 Rz 84 mwN ua). Dass dies nicht dazu geeignet ist, bestehende Zweifel (§ 179 Abs 2 VersVG) am Abschluss einer Versicherung „auf eigene Rechnung“ der Beklagten als Arbeitgeberin zu beseitigen, bedarf keiner besonderen Erörterung. Es mag schon sein, dass die Beklagte mit dem Abschluss der Gruppenunfallversicherung auch eigene Interessen verfolgte. Entscheidend ist jedoch und zwar nicht nur für die Parteien, sondern vor allem für das Verhältnis zum Versicherer was davon seinen Niederschlag im Versicherungsvertrag fand. Die Überlegung der Beklagten, dass für die Annahme einer Versicherung auf eigene Rechnung schon der Umstand spreche, dass sie die Versicherungsprämien gezahlt habe, greift nicht, denn die Bezahlung der Prämie ist die ureigenste Pflicht des Versicherungsnehmers (§ 1 Abs 2 VersVG). Dies gilt auch für die Versicherung auf fremde Rechnung ( Schauer , Versicherungsvertragsrecht³ 167 ua).

Nach der Lage des Falls kann hier also nicht davon gesprochen werden, dass am Abschluss einer Versicherung auf eigene Rechnung keine Zweifel bestehen. Es ist daher nach § 179 Abs 2 VersVG vom Vorliegen einer Versicherung auf fremde Rechnung auszugehen. Auf die Überlegungen zur Einverständniserklärung muss nicht mehr eingegangen werden.

Zusammenfassend ist die Revision der Beklagten unbegründet. Sie bleibt daher ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Beim Kostenzuspruch an den Kläger war zu berücksichtigen, dass ihm für die Revisionsbeantwortung nur der einfache Einheitssatz zusteht (§ 23 Abs 3 RATG). Der verzeichnete dreifache Einheitssatz nach § 23 Abs 9 RATG gebührt nur für das Berufungsverfahren.