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VfGH vom 17.12.2009, B446/09

VfGH vom 17.12.2009, B446/09

Sammlungsnummer

18974

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe über einen Arzt wegen Verstoßes gegen standesrechtliche Vorschriften nach dem Ärztegesetz durch aufdringliche bzw marktschreierische Werbung für Botox-Behandlungen; Verletzung des Doppelbestrafungsverbotes durch Verhängung einer Disziplinarstrafe nach den Disziplinarvorschriften wegen desselben Verhaltens

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht, wegen derselben Sache nicht zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden, verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Österreichische Ärztekammer ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer ist Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde sowie für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und betreibt seine Ordination in Wien. In dieser Eigenschaft führt der Beschwerdeführer auch Botox-Behandlungen durch. Auf Anregung der Firma

"Z GmbH & Co KG" führte der Beschwerdeführer eine Werbeaktion mittels Flugblättern, die für einen bestimmten Zeitraum anlässlich einer Eröffnung einer "Plus-Filiale" der Firma Z in Wien verteilt wurden, durch.

Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer vom wurde der Beschwerdeführer der Disziplinarvergehen nach § 136 Abs 1 Z 1 und 2 Ärztegesetz 1998 (im Folgenden: ÄrzteG 1998) schuldig erkannt und gemäß § 139 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998 zu einer Geldstrafe in der Höhe von € 1.500,- sowie gemäß § 163 Abs 1 ÄrzteG 1998 zum Ersatz der mit € 1.000,- bestimmten Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt, da er durch eine näher bezeichnete Werbeaktion das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft beeinträchtigt habe. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem beschwerdegegenständlichen Erkenntnis - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - insofern Folge gegeben, als der Teilschuldspruch bezüglich des Disziplinarvergehens gemäß § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998 aufgehoben wurde. Hinsichtlich des Disziplinarvergehens nach § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 wurde die erstinstanzliche Entscheidung jedoch bestätigt und der Beschwerdeführer zu einer Geldstrafe von € 1.000,- sowie zum Ersatz der mit € 965,54 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens verurteilt.

In der beschwerdegegenständlichen Entscheidung werden der dem Verfahren zugrunde liegende Sachverhalt und das erstinstanzliche Verfahren wörtlich wie folgt dargestellt (Hervorhebungen wie im Original):

"Nach den wesentlichen erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen, die sich hinsichtlich des unbestrittenen Inhalts des in Rede stehenden Werbeflugblattes auf das zum integrierenden Bestandteil der Erkenntnisausfertigung erklärte Belegexemplar stützen, stellt sich das Werbeangebot des Disziplinarbeschuldigten als Beilage zu einem Werbeflugblatt des Lebensmitteldiskonters 'plus' dar, ist mit 'plus immer billig - gültig ab Montag, ' überschrieben und enthält die druckmäßig hervorgehobene, als 'Blickfang' aufbereitete Ankündigung: 'WER SCHÖN SEIN WILL MUSS LAUFEN! BOTOX-BEHANDLUNG DURCH DDR. P ZUM SENSATIONSPREIS FÜR DIE ERSTEN 100!'. Als weiterer 'Blickfang' findet sich in der unteren Flugblatthälfte als kreisrund gestalteter Preishinweis 'BOTOX-Behandlung 149,-' in Verbindung mit dem Zusatzhinweis 'Sie sparen: 101,-', wobei ein Betrag von 250,- Euro als unverbindliche Preiserhebung am Markt mittels kreuzweiser Durchstreichung als obsolet präsentiert wird.

In rechtlicher Hinsicht ging die Disziplinarkommission davon aus, dass die inkriminierte Werbeaktion durch die wiederholte Einschaltung den Disziplinarbeschuldigten zeigender Lichtbilder, die noch häufigere Anführung seines Namens und das Anbieten eines 'Sensationspreises für die ersten 100' eine Selbstanpreisung und eine aufdringliche und marktschreierische Werbebotschaft für eine ärztliche Behandlung in einer Weise kommuniziert werde, die mit der ärztlichen Berufsethik und dem Standesansehen im Sinne des § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG unvereinbar sei. Die Unterlassung jedweder Instruktionen über die mit der Botox-Anwendung verbundene medizinische Problematik möglicher Komplikationen wurde erstinstanzlich als Verstoß gegen die Berufspflicht zur gewissenhaften Patientenbetreuung (§49 Abs 1 ÄrzteG) und demnach als Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung nach § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG beurteilt."

Anschließend führt die belangte Behörde aus, dass - entgegen der Ansicht der Erstbehörde - es an einem zuverlässigen Substrat in der Richtung fehle, dem Beschwerdeführer ein dem Gebot gewissenhafter Patientenbetreuung widerstreitendes Vorgehen gemäß § 136 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998 vorzuwerfen, weswegen der diesbezügliche Teilschuldspruch des erstinstanzlichen Bescheides aufzuheben sei.

Der Vorwurf einer selbstanpreisenden, aufdringlichen und marktschreierischen Werbebotschaft wird von der belangten Behörde jedoch bestätigt; wörtlich führt sie dazu aus (Hervorhebungen wie im Original):

"Der Erwiderung der Berufungsargumentation ist

insoweit voranzustellen, dass die hier in Rede stehende Eingliederung einer Werbeinitiative für ärztliches Wirken in eine Postwurfwerbung eines Lebensmittel-Diskontunternehmens mit dazu evidentermaßen gezielt angepasster Aufmachung eine Publikationsstrategie verdeutlicht, die in ihrer kommerziell-dominierten Ausrichtung auf vordergründige Werbeeffekte nur schwer überbietbar ist. Dies gilt insbesondere für jene Inhaltselemente, die in der erstinstanzlichen Fallbeurteilung zu Recht als zentral bedeutsam hervorgehoben werden. Dabei handelt es sich in erster Linie um die Passagen 'WER SCHÖN SEIN WILL MUSS LAUFEN!' bzw. 'BOTOX-BEHANDLUNG DURCH DDR. P ZUM SENSATIONSPREIS FÜR DIE ERSTEN 100!' und um die plakative Hervorhebung des im Vergleich zum angeblich marktüblichen Preis erheblich reduzierten Sonderpreises.

Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand, § 53

Abs1 ÄrzteG enthalte auch in Verbindung mit der Werberichtlinie 'Arzt und Öffentlichkeit' keinen ausreichend determinierten Normbestand, weil die Bezugnahme auf 'das Standesansehen beeinträchtigende Informationen' bzw. auf Begriffskriterien wie 'aufdringliche' oder 'marktschreierische Ankündigungen' infolge ihrer wertenden Strukturierung dem aus Artikel 7 EMRK ableitbaren Bestimmtheitsgebot nicht gerecht werde, setzt sich über die gefestigte Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu dieser speziellen disziplinarrechtlichen Problematik hinweg, wonach das angesprochene Bestimmtheitsdefizit durch eine einschlägig gefestigte Standesauffassung und gesicherte Judikaturbeiträge beseitigt wird. Dass aber ein inhaltlich und optisch mit einer Postwurfwerbung für einen Supermarkt harmonisiertes und als 'Sensation' herausgestelltes Werbeangebot für ärztliche Leistungen nicht jenen dem beruflichen Selbstverständnis der Ärzteschaft entspringenden Auflagen entspricht, die eine ausschließlich sachorientierte Patienteninformation ohne kommerziell geleitete 'Effekthascherei' gewährleisten sollen, bedarf nach Lage des Falles keiner weitläufigen Ergänzung der dazu im angefochtenen Erkenntnis zum Ausdruck gebrachten Erwägungen. Ein Arzt, der potenzielle Patienten sinngemäß zum Wettlauf um von ihm als Sensation in Aussicht gestellte Preisreduktionen animiert, disqualifiziert sich damit selbst auf ein öffentliches Kontaktniveau, das nachhaltig an Jahrmarktmethoden erinnert. Eine entsprechende Einsicht ist dem Durchschnittsarzt unabhängig von der Verfügbarkeit standesrechtlicher Judikaturauszüge vorbehaltslos abzufordern.

...

Da ärztliche Werbeinitiativen, die - wie vorliegend - plump-vordergründig auf kommerzielle 'Effekthascherei' ausgerichtet sind, dem ärztlichen Standesansehen nach repräsentativer, nicht nur standesrechtlicher, sondern allgemeingesellschaftlicher Auffassung massiv abträglich sind, war der Berufung im zuletzt erörterten Umfang der angestrebte Erfolg zu versagen."

2. Diese Entscheidung des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen wurde - so auch das Datum des Bescheides - am gefällt, jedoch dem Beschwerdeführer erst mit zugestellt. Dagegen wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte, insbesondere auch des Grundsatzes "ne bis in idem", behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.

II. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. § 53, § 136 Abs 1 und § 139 Abs 1 des Bundesgesetzes, mit dem ein Bundesgesetz über die Ausübung des ärztlichen Berufes und die Standesvertretung der Ärzte (Ärztegesetz 1998 - ÄrzteG 1998) erlassen und das Ausbildungsvorbehaltsgesetz geändert wird, BGBl. I 169/1998 idgF, lauten auszugsweise:

"1. Hauptstück

Ärzteordnung

...

3. Abschnitt

Gemeinsame Vorschriften für alle Ärzte

...

Werbebeschränkung und Provisionsverbot

§53. (1) Der Arzt hat sich jeder unsachlichen,

unwahren oder das Standesansehen beeinträchtigenden Information im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes zu enthalten.

(2) bis (3) ...

(4) Die Österreichische Ärztekammer kann nähere Vorschriften über die Art und Form der im Abs 1 genannten Informationen erlassen.

...

3. Hauptstück

Disziplinarrecht

...

2. Abschnitt

Disziplinarvergehen

§136. (1) Ärzte machen sich eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie im Inland oder im Ausland


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1.
das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft
durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten
oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigen oder


Tabelle in neuem Fenster öffnen
2.
die Berufspflichten verletzen, zu deren Einhaltung
sie sich anlässlich der Promotion zum Doctor
medicinae universae verpflichtet haben oder zu
deren
Einhaltung sie nach diesem Bundesgesetz oder nach
anderen Vorschriften verpflichtet sind.

...

4. Abschnitt

Disziplinarstrafen

§139. (1) Disziplinarstrafen sind

1. der schriftliche Verweis,

2. die Geldstrafe bis zum Betrag von 36 340 Euro,

3. die befristete Untersagung der Berufsausübung,

4. die Streichung aus der Ärzteliste."

2. Art 4 des Protokolls Nr. 7 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

(7. Zusatzprotokoll zur EMRK - 7. ZPEMRK), BGBl. 628/1988 idgF, lautet:

"Artikel 4 - Recht, wegen derselben Sache nicht

zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden

1. Niemand darf wegen einer strafbaren Handlung,

wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.

2. Abs 1 schließt die Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht des betreffenden Staates nicht aus, falls neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder das vorausgegangene Verfahren schwere, den Ausgang des Verfahrens berührende Mängel aufweist.

3. Dieser Artikel darf nicht nach Art 15 der Konvention außer Kraft gesetzt werden."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die gemäß § 187 ZPO iVm § 35 Abs 1 VfGG zur gemeinsamen Beratung mit der Beschwerde zu B1778/07 verbundene, zulässige und im Ergebnis begründete Beschwerde erwogen:

1.1. In der Beschwerde wird unter .)

insbesondere vorgebracht, dass der angefochtene Bescheid den Grundsätzen des Verbots der Doppelbestrafung widerspreche, da der Beschwerdeführer wegen derselben Vorwürfe bereits in einem Verwaltungsstrafverfahren verurteilt worden sei. Da ein Verstoß gegen § 53 ÄrzteG 1998 nur von Ärzten begangen werden könne, sei es nach dem Grundsatz "ne bis in idem" nicht denkbar, "wegen ein und derselben Tat zweimal von verschiedenen Behörden bestraft zu werden".

1.2. Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 11.506/1987, 11.569/1987, 15.543/1999, 15.867/2000, 17.710/2005) sind bestimmte schwere Disziplinarstrafen im Bereich der freien Berufe als Strafen im Sinne des Art 6 EMRK zu qualifizieren, wobei es nicht darauf ankommt, welche Sanktionen im konkreten Disziplinarverfahren verhängt wurden, sondern darauf, welche Rechtsfolgen das Gesetz kennt (vgl. EGMR , Fall Engel u. a., EuGRZ 1976, 231 ff.). Aus denselben Gründen sind daher Disziplinarvergehen, die mit solchen schweren Disziplinarstrafen bedroht werden, als strafbare Handlungen im Sinne des Art 4 des 7. ZPEMRK anzusehen.

Die Beschwerde ist mit ihrem Vorbringen im Ergebnis im Recht.

2.1. Vorweg ist festzuhalten, dass aufgrund einer Anzeige des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 15, Gesundheitswesen und Soziales, vom bereits ein Verwaltungsstrafverfahren gegen den Beschwerdeführer gemäß §§53 Abs 1 iVm 199 Abs 3 ÄrzteG 1998 eingeleitet wurde. Im Straferkenntnis des Magistrats der Stadt Wien vom wurde dem Beschwerdeführer Folgendes zur Last gelegt:

"Sie haben als [...] tätiger Arzt vom bis das Standesansehen beeinträchtigende Informationen durch Selbstanpreisung der eigenen Person bzw. marktschreierische Darstellungen sowie Werbung für Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte weitergegeben, da Sie in einer Flugblattwerbung der Firma Z Warenhandel GmbH & Co KG [...] Botox-Behandlungen in Ihrer Praxis bewarben."

Aufgrund dieses Vorwurfes wurde der Beschwerdeführer wegen Übertretung des § 199 Abs 3 iVm § 53 Abs 1 ÄrzteG 1998 iVm

Artikel 1, 3 litc und d der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" für schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von € 630,- (Ersatzfreiheitsstrafe 4 Tage 12 Stunden) verurteilt. Der dagegen erhobenen Berufung wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien mit Bescheid vom insofern Folge gegeben, als die verhängte Strafe auf € 510,- (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage 12 Stunden) herabgesetzt wurde. Hinsichtlich der Schuldfrage wurde das Straferkenntnis jedoch bestätigt.

2.2. Mit dem angefochtenen Bescheid des Disziplinarsenates der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen wurde der Beschwerdeführer, auf Basis der in wesentlichen Teilen gleichlautenden Tatsachenfeststellung wie im Verwaltungsstrafverfahren, wegen Verletzung des Ansehens der Ärzteschaft des Disziplinarvergehens nach § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 für schuldig erkannt und gemäß § 139 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998 zu einer Geldstrafe in der Höhe von € 1.000,- verurteilt.

3. Die im gegenständlichen Fall maßgebliche

Rechtslage weist folgende Besonderheiten auf:

3.1. Der 3. Abschnitt des 1. Hauptstücks des Ärztegesetzes 1998 enthält gemeinsame Vorschriften für alle Ärzte.

§53 Abs 1 ÄrzteG 1998 verpflichtet den Arzt sich jeder unsachlichen, unwahren oder das Standesansehen beeinträchtigenden Information im Zusammenhang mit der Ausübung seines Berufes zu enthalten.

§53 Abs 4 ÄrzteG 1998 ermächtigt die Österreichische Ärztekammer nähere Vorschriften über die Art und Form der im § 53 Abs 1 ÄrzteG 1998 genannten Informationen zu erlassen; gestützt auf diese Ermächtigung hat die Vollversammlung der Österreichischen Ärztekammer am im Rahmen des 108. Österreichischen Ärztekammertages die Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" beschlossen, kundgemacht in der Österreichischen Ärztezeitung Nr. 5/2004 vom .

Gemäß Art 3 litc und d der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" liegt eine "das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigende Information" im Sinne des § 53 Abs 1 ÄrzteG 1998 unter anderem bei Selbstanpreisung der eigenen Person oder Leistungen durch aufdringliche bzw. marktschreierische Darstellung (litc) und Werbung für Arzneimittel, Heilbehelfe und sonstige medizinische Produkte sowie für deren Hersteller und Vertreiber (litd) vor.

Im 6. Hauptstück des Ärztegesetzes 1998 schließlich sieht die Strafbestimmung des § 199 Abs 3 ÄrzteG 1998 vor, dass ein Zuwiderhandeln u.a. gegen § 53 Abs 1 bis 3 ÄrzteG 1998 eine Verwaltungsübertretung darstellt und mit einer Geldstrafe bis zu € 2.180,- zu bestrafen ist.

3.2. Das 3. Hauptstück des Ärztegesetzes 1998 regelt das Disziplinarrecht; § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 legt fest, dass Ärzte sich u.a. eines Disziplinarvergehens schuldig machen, wenn sie "im Inland oder im Ausland, das Ansehen der in Österreich tätigen Ärzteschaft durch ihr Verhalten der Gemeinschaft, den Patienten oder den Kollegen gegenüber beeinträchtigen".

Gemäß § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 soll das Ansehen des Ärztestandes in Österreich geschützt werden. Der Tatbestand des § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 erfasst somit aus disziplinarrechtlicher Sicht aber auch ein ärztliches Fehlverhalten, welches schon vom Verbot des § 53 Abs 1 ÄrzteG 1998 erfasst ist, bzw. erachtet unter anderem auch ein schon in § 53 Abs 1 ÄrzteG 1998 geregeltes Verhalten als das Ansehen der Ärzteschaft beeinträchtigend.

3.3. Insoweit haben aber die zuständigen Behörden bei Vorliegen eines Sachverhaltes, der die sich überschneidenden Tatbestandsvoraussetzungen sowohl des § 53 Abs 1 ÄrzteG 1998 als auch des § 136 Abs 1 Z 1 ÄrzteG 1998 erfüllt, sicherzustellen, dass es im Lichte des Art 4 des 7. ZPEMRK zu keiner Doppelbestrafung kommt.

4.1. Zur verfassungsrechtlichen Grenze, die Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK einer Doppelbestrafung zieht, führte der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom , G9/96 ua, wörtlich Folgendes aus:

"Die verfassungsrechtliche Grenze, die Art 4 Abs 1 des

7. ZPEMRK einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung zieht, kann daher nur darin liegen, daß eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodaß ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfaßt (Kienapfel, Grundriß des österreichischen Strafrechts, 6. Aufl., 1996, 245). Die Bundesregierung ist im Recht, wenn sie die diesbezügliche Bedeutung des Art 4 Abs 1 des

7. ZPEMRK in der verfassungsrechtlichen Absicherung 'der die Lehre von der Scheinkonkurrenz tragenden Grundsätze' sieht. Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, die auf Straftatbeständen fußen, die einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion jedenfalls bei eintätigem Zusammentreffen ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird. (Vgl. zur Annahme bloßer Scheinkonkurrenzen, um dem Vorwurf der Doppelbestrafung zu entgehen, OGH - verst. Senat - , 14 Os 127/90 = RZ 1993/47, unter Berufung auf Burgstaller, Die Scheinkonkurrenz im Strafrecht, JBl 1978, S 393 ff., 459 ff.)."

4.2. Der Verfassungsgerichtshof hat zuletzt in seiner Entscheidung vom , B559/08, auch in Darstellung der Entwicklung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, ausführlich dargelegt, dass es Art 4 des 7. ZPEMRK grundsätzlich verbietet, einen Beschwerdeführer für dasselbe strafbare Verhalten, für das er bereits rechtskräftig freigesprochen oder verurteilt wurde, neuerlich zu verfolgen oder zu bestrafen.

Allerdings hat der Verfassungsgerichtshof in dieser Entscheidung - unter Heranziehung der "travaux preparatoires" - auch erneut dargetan, dass Art 4 des 7. ZPEMRK nicht schlechthin ein Nebeneinander von Verfahren ausschließt, selbst wenn diese dasselbe (strafbare) Verhalten betreffen; wörtlich heißt es dazu:

"4.4.2. Die historische Interpretation des Art 4

7. ZPEMRK bestätigt dieses Ergebnis. Sie hat zu berücksichtigen, dass die Entstehungsgeschichte des 7. Zusatzprotokolls von jener der Menschenrechtskonvention selbst abweicht.

Aus den 'travaux preparatoires' (siehe oben III.1.1.) wird zum einen deutlich, dass (alleine) Art 14 Abs 7 des UN-Pakts über Bürgerliche und Politische Rechte, nicht aber ein späteres Menschenrechtsdokument, ein Abkommen im Rahmen des Europarates oder der Europäischen Union mit anderem Wortlaut das Vorbild der EMRK-Garantie bildet ('travaux preparatoires' Z 1, 27). Zum anderen kommt in den 'travaux preparatoires' zum Ausdruck, dass die Konventionsgarantie des Art 4 7. ZPEMRK konkurrierende Zuständigkeiten und Verfolgungen jenseits des Strafrechts im engeren Sinn nicht ausschließen soll, wie die ausdrückliche Erwähnung des Strafrechts und die Bezugnahme auf das Disziplinarrecht zeigen (Z28, 32), das jedenfalls teilweise auch unter Art 6 EMRK und damit zu den Strafverfahren im Sinne der Terminologie der Rechte der EMRK fällt.

Die Erklärung Österreichs nimmt die Entstehungsgeschichte im Rahmen des Europarates auf und präzisiert die 'travaux preparatoires'. Sie bringt - zwar nur mittelbar, aber doch hinreichend deutlich - zum Ausdruck, dass die Bundesregierung von der Zulässigkeit der Mehrfachverfolgung einer Tat nach verschiedenen - nicht bloß in Scheinkonkurrenz zueinander stehenden - Delikten ausging, war nach dem Stand der Rechtsprechung des EGMR doch bereits erkennbar, dass das Verwaltungsstrafrecht unter den Strafrechtsbegriff der Art 6 und 7 EMRK fällt. Sie macht deutlich - wie der Verfassungsgerichtshof sinngemäß auch zu Art 6 EMRK und den Anforderungen an Verfahren über civil rights festgestellt hat (VfSlg. 11.500/1987) -, dass die an der Ratifikation beteiligten Organe von einer grundsätzlichen Vereinbarkeit des bestehenden Systems des Nebeneinander von Strafrecht und Verwaltungsstrafrecht ausgegangen sind. Andernfalls wären Bundesregierung und Nationalrat im Jahr 1988 (BGBl. 628/1988) - bereits in Kenntnis der strengen Judikatur zu Art 57 EMRK (RV 900 BlgNR 16. GP, Fall Belilos, EGMR , Z 20/1986/118/167, EuGRZ 1989, 21) - gezwungen gewesen, einen den Anforderungen dieser Konventionsbestimmungen genügenden Vorbehalt zu erklären oder aber die verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, die ein Nebeneinander von verschiedenen Verfahrensarten ermöglichen.

Die Erklärung ist nach Gegenstand und Umfang nur sinnvoll, wenn das Nebeneinander von (durch Verwaltungsbehörden zu vollziehendem) Disziplinarrecht bzw. Verwaltungsstrafrecht einerseits und (gerichtlichem) Strafrecht andererseits im Großen und Ganzen mit der Konvention in Einklang steht und keine ihrer Garantien einen vollständigen Umbau der österreichischen Staatsorganisation verlangt."

5.1. Wie schon zuvor erörtert, wurde der Beschwerdeführer vom Magistrat der Stadt Wien, bestätigt durch den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, gemäß § 199 Abs 3 iVm § 53 Abs 1 ÄrzteG 1998 iVm Art 1, 3 litc und d der Richtlinie "Arzt und Öffentlichkeit" zu einer Verwaltungsstrafe verurteilt, weil er das Standesansehen beeinträchtigende Informationen weitergegeben hat.

5.2. Mit dem hier angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer überdies vom Disziplinarsenat der Österreichischen Ärztekammer beim Bundesministerium für Gesundheit und Frauen wegen der in I.1. näher beschriebenen Werbeaktion gemäß § 136 Abs 1 Z 1 iVm § 139 Abs 1 Z 2 ÄrzteG 1998, somit ebenfalls wegen Verletzung des Standesansehens, zu einer Disziplinarstrafe verurteilt.

Schon aus der unter I.1. wiedergegebenen Begründung wird deutlich, dass die belangte Behörde die Verurteilung formal zwar auf einen anderen Straftatbestand als der Unabhängige Verwaltungssenat Wien stützte, jedoch dabei außer Acht ließ, dass das durch § 136 ÄrzteG 1998 sanktionierte Verhalten dem schon durch § 53 ÄrzteG 1998 sanktionierten entsprechen kann.

Da im vorliegenden Fall der Beschwerdeführer bereits vom Unabhängigen Verwaltungssenat Wien wegen der - offenkundig von den Standesrichtlinien verpönten - das Standesansehen verletzenden Arzneimittelwerbung bestraft wurde, kommt eine neuerliche Bestrafung wegen desselben Verhaltens aus dem Grund einer Verletzung der Standesehre nach den Disziplinarvorschriften nicht mehr in Betracht.

Der hier angefochtene Bescheid war sohin wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes, wegen derselben Sache nicht zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden, aufzuheben.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG und enthält die Kosten in der beantragten Höhe. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-

enthalten.

7. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.