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OGH vom 14.06.2022, 11Os41/22x

OGH vom 14.06.2022, 11Os41/22x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. BachnerForegger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in der Rechtshilfesache betreffend * E* und * S* wegen optischer und akustischer Überwachung von Personen über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom , AZ 11 Bs 76/20v (ON 13 im Verfahren AZ 4 HSt 2/20k der Staatsanwaltschaft Feldkirch), nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin MMag. SauterLongitsch LL.M., zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom , AZ 11 Bs 76/20v, verletzt § 137 Abs 3 zweiter Satz StPO.

Text

Gründe:

[1] Mit an die Staatsanwaltschaft Feldkirch gerichteter Note vom (ON 2) übermittelte die Staatsanwaltschaft Darmstadt/Deutschland eine im dortigen Ermittlungsverfahren gegen * E* und * S* wegen Verdachts des schweren Raubes nach §§ 249, 250, 25 Abs 2 dStGB ausgestellte Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) vom (ON 2 S 3 ff) samt einer Ausfertigung des Beschlusses des Amtsgerichts Darmstadt vom , AZ 26 Gs 1/20 (ON 2 S 23 f).

[2] Mit dem bezeichneten Beschluss ordnete das Amtsgericht Darmstadt gemäß § 100f dStPO die akustische Überwachung und Aufzeichnung des außerhalb von Wohnungen nichtöffentlich gesprochenen Wortes mit technischen Mitteln innerhalb des von den Beschuldigten benutzten Personenkraftwagens mit dem amtlichen Kennzeichen * bis längstens an.

[3] Nach der EEA wurden die Mittel zur technischen Umsetzung bereits in das Fahrzeug eingebaut (ON 2 S 3). Da der Beschuldigte nach polizeilichen Erkenntnissen beabsichtige, am für einen dreitägigen Urlaub nach D*/Österreich zu reisen (ON 2 S 3), ersuchte die Staatsanwaltschaft Darmstadt, die technischen Überwachungsmaßnahmen während des Aufenthalts in der Republik Österreich fortsetzen und die dabei gewonnenen Erkenntnisse verwenden zu dürfen (ON 2 S 15) bzw um Bewilligung der weiteren technischen Überwachung der in dem benutzten Kraftfahrzeug geführten Konversation (ON 2 S 1).

[4] Dieses Rechtshilfeersuchen langte laut Bescheinigung vom (vgl aber § 55j Z 1 EU-JZG) am bei der Staatsanwaltschaft Feldkirch ein (ON 3 S 2 – laut Eingangsstempelabdruck auf ON 2 S 1: „14. JAN. 2020“).

[5] Zur Vollstreckung der EEA erließ die Staatsanwaltschaft Feldkirch am eine Anordnung der akustischen Überwachung gemäß § 136 Abs 1 Z 3 StPO iVm §§ 55 ff EU-JZG (ON 4):

„I. Die mit Europäischer Ermittlungsanordnung der Staatsanwaltschaft Darmstadt vom beantragte Überwachung und Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen betreffend die Beschuldigten 1. * E* und 2. * S* darf im Rahmen der im Beschluss des Amtsgerichtes Darmstadt vom , 26 Gs 1/20, bereits bewilligten Abhörung der genannten Beschuldigten und ihrer Gesprächspartner mit technischen Mitteln sowie die Aufzeichnung und Speicherung dieser Gespräche auf Datenträgern anlassbezogen auf Österreichischem Hoheitsgebiet fortgesetzt werden.

II. Die Wirksamkeit dieser Anordnung ist vorläufig befristet bis .

III. Gegen die retrograde Verwendung der seit Bewilligungsbeschluss des Amtsgerichts Darmstadt vom existierenden Erkenntnisse aus den – vom Amtsgericht Darmstadt jeweils bewilligten und von den deutschen Behörden bereits vorgenommenen – Aufzeichnungen des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen betreffend die Beschuldigten 1. * E* und 2. * S*, soweit diese bei zurückliegenden Fahrten nach Österreich angefallen sind, besteht kein Einwand.“

[6] Nach Bewilligung dieser Anordnung auf akustische Überwachung gemäß („§ 135“ – ersichtlich gemeint) § 136 Abs 1 Z 3 StPO mit Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom , AZ 27 HR 23/20d (ON 4 S 4) aus den in der Anordnung angeführten Gründen (RIS-Justiz RS0124017) wurde deren Durchführung am angeordnet (ON 4 S 4).

[7] Einer gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom , AZ 27 HR 23/20d, gerichteten Beschwerde des Rechtsschutzbeauftragten (ON 8 – § 55e Abs 4 EU-JZG iVm § 147 Abs 3 StPO) gab das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom , AZ 11 Bs 76/20v (ON 13 der HSt-Akten), teilweise Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, „dass er zu lauten hat wie folgt:

1. Die mit Europäischer Ermittlungsanordnung der Staatsanwaltschaft Darmstadt vom beantragte Überwachung und Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen betreffend die Beschuldigten 1. * E* und 2. * S* im Rahmen der mit Beschluss des Amtsgerichtes Darmstadt vom , 26 Gs 1/20, bereits bewilligten Abhörung der genannten Beschuldigten und ihrer Gesprächspartner mit technischen Mitteln sowie die Aufzeichnung und Speicherung dieser Gespräche auf Datenträgern wird während des Aufenthalts eines der Beschuldigten auf österreichischem Hoheitsgebiet von bis bewilligt.“

[8] Den Antrag auf entsprechende gerichtliche Bewilligung „über den in Punkt 1. genannten Zeitraum hinaus“ wies das Beschwerdegericht ab (Punkt 2).

[9] Begründend führte es aus, dass sich die EEA ausdrücklich auf die akustische Überwachung und Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes außerhalb von Wohnungen innerhalb des von den Beschuldigten benutzten Personenkraftwagens während des – zum Zeitpunkt der Ausstellung der EEA geplanten – Aufenthalts eines der Beschuldigten in D*/Österreich von 8. bis längstens bezog.

[10] Eine Ermittlungsmaßnahme nach § 136 StPO dürfe gemäß § 137 Abs 3 zweiter Satz StPO nur für einen künftigen Zeitraum angeordnet werden; eine Anwendung der Bestimmungen über die Überwachung von Nachrichten im Sinn des § 134 Z 3 StPO („Inhaltsüberwachung“) und somit eine Anwendung des § 55d Abs 7 EU-JZG sei aufgrund des Analogieverbots bei Grundrechtseingriffen nicht zulässig (15 Os 180/13d). Die Intention der gegenständlichen EEA sei aber nicht in einem Ersuchen um Genehmigung der „retrograden Verwendung“ von Ermittlungsergebnissen gelegen, sondern vielmehr auf Fortsetzung einer zum Zeitpunkt der Ausstellung in der Zukunft liegenden technischen Überwachungsmaßnahme gerichtet gewesen. Dass die im Rahmen der EEA begehrte Überwachungsmaßnahme zum Zeitpunkt der tatsächlichen gerichtlichen Bewilligung bereits durchgeführt wurde, stehe deren Zulässigkeit nicht entgegen, weil die Voraussetzungen für deren Bewilligung zum Zeitpunkt der Ausstellung vorgelegen seien (BS 8 ff).

Rechtliche Beurteilung

[11] Wie die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeisbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, steht der Beschluss des Oberlandesgerichts Innsbruck vom , AZ 11 Bs 76/20v, mit dem Gesetz nicht im Einklang:

[12] §§ 55 ff EU-JZG idF BGBl I 2018/28 (zuletzt geändert durch BGBl I 2021/94) dienen der Umsetzung der Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL-EEA). §§ 55 bis 55m EU-JZG regeln die Vollstreckung einer von einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Europäischen Ermittlungsanordnung (EEA) in Österreich.

[13] Zur Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung – hier – zur Durchführung einer akustischen Überwachung (iSd § 100f dStPO) hat die Staatsanwaltschaft (§ 55c Abs 1 EU-JZG) – sofern keine Ablehnungsgründe im Sinn des § 55a Abs 1 EU-JZG vorliegen – eine Anordnung auf akustische Überwachung von Personen im Sinn der §§ 134 Z 4, 136 Abs 1 StPO zu erlassen (§ 55e Abs 1 EU-JZG) und einen entsprechenden Antrag auf gerichtliche Bewilligung derselben zu stellen (§ 55e Abs 2 EU-JZG iVm §§ 105, 137 Abs 1 letzter Satz StPO). Dabei sind die Dringlichkeit des Tatverdachts sowie die Notwendigkeit bzw die Erforderlichkeit und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme grundsätzlich (vgl aber § 55a Abs 1 Z 7 EU-JZG [Art 11 Abs 1 lit f RL-EEA]) nicht zu prüfen (§ 55e Abs 1 Z 1, Abs 4 zweiter Satz EU-JZG [Art 14 Abs 2 RL-EEA]), hingegen die übrigen Verfahrens- und Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 136 ff, 147 StPO zu beachten (§ 55a Abs 1 Z 4 EU-JZG [Art 11 Abs 1 lit h RL-EEA], nunmehr § 55a Abs 1 Z 13 EU-JZG idF BGBl I 2021/94 [Art 28 Abs 1 RL-EEA], § 55b Abs 1 Z 1 EU-JZG [Art 10 Abs 1 RL-EEA]; vgl Herrnfeld in Göth-Flemmich/Herrnfeld/Kmetic/Martetschläger, Internationales Strafrecht § 55a Rz 10 f, 16, 24; § 55e Rz 2 ff; vgl auch EBRV 66 BlgNR 26. GP 4, 10 f, EBRV 808 BlgNR 27. GP 24).

[14] Nach § 137 Abs 3 zweiter Satz StPO dürfen Ermittlungsmaßnahmen nach §§ 135 bis 136 StPO – mit Ausnahme der vom ersten Satz leg cit erfassten Anlassdatenspeicherung nach § 135 Abs 2b StPO – nur für einen solchen künftigen, in den Fällen des § 135 Abs 2 StPO auch vergangenen Zeitraum angeordnet werden, der zur Erreichung ihres Zwecks voraussichtlich erforderlich ist.

[15] Eine – wie hier – akustische Überwachung von Personen nach § 136 Abs 1 Z 3 StPO darf demnach gemäß § 137 Abs 3 zweiter Satz StPO – selbst bei Vorliegen der sonstigen Zulässigkeitskriterien des § 136 StPO – nur für einen künftigen Zeitraum angeordnet werden (RIS-Justiz RS0129771 [= 15 Os 180/13d]; Reindl-Krauskopf, WK-StPO § 137 Rz 54).

[16] Die (optische und) akustische Überwachung iSd § 134 Z 4 StPO, die den Strafverfolgungsbehörden die Wahrnehmung und Aufzeichnung von nicht zur unmittelbaren Kenntnisnahme Dritter bestimmten Äußerungen einer Person mittels technischer Mittel zur Tonübertragung und -aufnahme ermöglichen soll, richtet sich stets auf ein künftiges Geschehen (vgl Reindl-Krauskopf, WK-StPO § 134 Rz 104/1; zum wesensmäßigen Unterschied einer akustischen Überwachung im Sinn des § 134 Z 4 StPO einerseits und einer Überwachung von Nachrichten iSd § 134 Z 3 StPO andererseits vgl 15 Os 180/13d = JBl 2015, 736 mit Anm Reindl-Krauskopf).

[17] Eine gerichtliche Bewilligung einer staatsanwaltschaftlichen Anordnung einer akustischen Überwachung für die Vergangenheit findet in § 137 Abs 3 zweiter Satz StPO keine Deckung (15 Os 180/13d = JBl 2015, 735 und 736).

[18] Eine Regelung für den Fall einer von einer ausländischen Behörde bereits veranlassten akustischen Überwachung enthält das EU-JZG nicht.

[19] Die Bestimmung des Art 31 Abs 1 RLEEA betrifft ausschließlich die Überwachung von Nachrichten im Sinn des § 134 Z 3 StPO („Überwachung des Telekommunikationsverkehrs“).

[20] Der Beschluss des Landesgerichts Feldkirch vom , AZ 27 HR 23/20d, verstößt demnach gegen § 137 Abs 3 zweiter Satz StPO. Indem das Oberlandesgericht diesen erstinstanzlichen Beschluss vom (bloß) dahin abänderte, dass die Ermittlungsmaßnahme für den Zeitraum 8. bis und damit für einen – im Zeitpunkt der staatsanwaltschaftlichen Anordnung und Antragstellung – bereits vergangenen Zeitraum bewilligt werde, verletzte es seinerseits § 137 Abs 3 zweiter Satz StPO. Zufolge der oben dargestellten Verfahrensanordnungen kann es in diesem Zusammenhang – entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts – bei der Vollstreckung einer Europäischen Ermittlungsanordnung in Österreich nicht auf die Zeitpunkte der ausländischen Akte ankommen (neuerliche 15 Os 180/13d).

[21] Diese Gesetzesverletzung gereichte den Beschuldigten schon deshalb nicht zum Nachteil (§ 292 letzter Satz StPO), weil sich diese mit ihrem Kraftfahrzeug im relevanten Zeitraum nicht auf österreichischem Hoheitsgebiet aufhielten und daher in Österreich keine Ermittlungsergebnisse aufgrund der rechtsfehlerhaften gerichtlichen Bewilligung gewonnen wurden (ON 16).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00041.22X.0614.000

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