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OGH vom 03.10.2000, 10ObS271/00a

OGH vom 03.10.2000, 10ObS271/00a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Gründler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir Wilfried Kmenta (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Karin O*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr. Michael Kinberger und Dr. Alexander Schuberth, Rechtsanwälte in Zell am See, wider die beklagte Partei Salzburger Gebietskrankenkasse, Faberstraße 19-23, 5024 Salzburg, wegen Krankengeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 291/99x-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 19 Cgs 247/98h-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, zurückgewiesen. Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin erlitt am als Pkw-Lenkerin einen Verkehrsunfall, bei dem sie schwer verletzt wurde. Die beklagte Partei verweigerte mit Bescheid vom die Gewährung von Krankengeld in voller Höhe mit der Begründung, dass die Klägern zum Unfallszeitpunkt schwer alkoholisiert gewesen sei (im Hinblick darauf, dass die Klägerin für ihre - nicht schuldhaft am Unfall beteiligte - Tochter zu sorgen hatte, war gemäß § 142 Abs 2 ASVG das halbe Krankengeld ausbezahlt worden).

Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage auf Gewährung von Krankengeld in voller Höhe ab stützte die Klägerin darauf, dass ihre Alkoholisierung zum Unfallszeitpunkt nicht nachgewiesen sei. Mangels Zustimmung sei die Blutabnahme unter Verstoß gegen Art 8 MRK erfolgt, sodass dieses Beweismittel einem Beweisverwertungsverbot unterliege. Da kein anderer Beweis für das Vorliegen der Alkoholisierung zu erbringen sei, habe die beklagte Partei die Leistung zu Unrecht unter Hinweis auf § 142 ASVG verweigert.

Die beklagte Partei wendete ein, die Zustimmung der Klägerin zur Blutabnahme sei nicht entscheidend. Faktum sei, dass die Klägerin in alkoholisiertem Zustand einen Verkehrsunfall verursacht habe. Da sich die Arbeitsunfähigkeit als unmittelbare Folge der Trunkenheit erweise, sei gemäß § 142 ASVG das Krankengeld zu versagen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, dass die Klägerin unmittelbar vor dem Unfallszeitpunkt stark alkoholisiert gewesen sei. Der Blutalkoholwert habe bei etwa 2,10%o gelegen. Die Voraussetzungen des § 142 Abs 1 ASVG seien daher erfüllt.

Zur Verwertung der Blutprobe vertrat das Erstgericht den Standpunkt, dass selbst ein rechtswidrig erlangtes Beweismittel im Zivilverfahren verwendet werden dürfe. Es gebe diesbezüglich weder ein gesetzliches Beweisverwertungsverbot, noch verbiete die Europäische Menschenrechtskonvention die Verwertung nach nationalem Recht rechtswidrig erlangter Beweismittel.

Das Berufungsgericht verwarf die Nichtigkeitsberufung der Klägerin und gab ihrer Berufung nicht Folge.

Zur behaupteten Nichtigkeit führte es aus, dass es hier nicht um ein Beweismethodenverbot (also die rechtswidrige Beweiserlangung durch das Gericht) gehe, sondern um ein Beweisverwertungsverbot, da der Beweis durch die Sicherheitsbehörde erlangt worden sei. Dass der Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot keinen Nichtigkeitsgrund bilde, werde in Judikatur und Lehre einhellig vertreten.

Die Verwertung der Blutprobe begründe aber auch keinen Verfahrensmangel: Für ihre Verwertbarkeit spreche zunächst der Umstand, dass von einem Richter nicht verlangt werden könne, wesentliche Beweisergebnisse zu negieren, was vielfach dazu führen würde, dem ersten Fehler (einer Rechtsverletzung bei der Beweisaufnahme) ein falsches Urteil hinzuzufügen. Selbst wenn man die Verwertung eines rechtswidrig erlangten Beweismittels im Zivilprozess aber nicht unter allen Umständen, sondern nur im Rahmen einer Interessenabwägung für zulässig erachten wollte, wäre nach der Interessenlage von einer zulässigen Verwertung der Blutproben auszugehen: Wie der Oberste Gerichtshof zum Versicherungsrecht entschieden habe, sei eine von Exekutivbeamten an einer Bewusstlosen verfügte Blutabnahme zwecks Blutalkoholbestimmung zwar eine in Ausübung behördlicher Zwangsgewalt gesetzte Maßnahme, die in das durch Art 8 MRK geschützte Recht auf Achtung der Privatsphäre eingreife; bei der Verwertung auf solche Art erlangter Beweismittel dürfe aber nicht übersehen werden, dass der Versicherungsnehmer gegenüber dem Versicherer zur umfassenden Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung verpflichtet sei. Diese Pflichten des Versicherungsnehmers umfassten auch die Gestattung einer Blutabnahme; sei die Fahrtüchtigkeit des Lenkers doch einer jener Umstände, über die der Versicherer ungeachtet der Interessen des Versicherungsnehmers vollständig aufgeklärt werden müsse.

Nichts anderes könne im Sozialversicherungsverhältnis gelten: Auch hier treffe den Versicherten eine umfassende Aufklärungs- und Mitwirkungspflicht, die eine Blutabnahme zur Sachverhaltsermittlung sicherlich einschließe, weil diese Mitwirkungspflicht die Interessen der gesamten Versicherungsgemeinschaft vor unberechtigten Ansprüchen schütze. Es bestünden daher keine Bedenken, in einem Sozialrechtsverfahren eine möglicherweise rechtswidrig erlangte Blutprobe zu verwerten.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, die als Revisionsgründe Nichtigkeit, erhebliche Verfahrensmängel und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht, mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag.

Die Beklagte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Da der Anspruch auf Krankengeld eine wiederkehrende Leistung betrifft (RIS-Justiz RS0085788 [T 1]), ist die Revision gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Das vorliegende Rechtsmittel wiederholt die Berufungsausführungen der Klägerin, die daran festhält, dass die Berücksichtigung der rechtswidrig erlangten Blutprobe die Nichtigkeit des Verfahrens, jedenfalls aber einen wesentlichen Verfahrensmangel begründe. Dabei wird jedoch Folgendes übersehen:

Ist das Berufungsgericht in die Prüfung der Frage einer allfälligen im erstinstanzlichen Verfahren unterlaufenen Nichtigkeit eingegangen und hat eine solche verneint, dann ist die Wahrnehmung dieser Nichtigkeit im Verfahren dritter Instanz nach ständiger Rechtsprechung nicht mehr möglich (RIS-Justiz RS0042981; SZ 68/3 mwN; Kodek in Rechberger**2 Rz 2 zu § 503 ZPO mwN). Dies folgt schon aus der Unanfechtbarkeit des berufungsgerichtlichen Beschlusses, mit dem die Nichtigkeitsberufung verworfen wurde (§ 519 ZPO; SZ 68/195).

Gleiches gilt für die von der Revisionswerberin - wenn auch unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung - geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens, als welche ausschließlich bereits in der Berufung geltend gemachte Verfahrensmängel erster Instanz neuerlich releviert werden; können doch nach ständiger Rechtsprechung auch erstinstanzliche Verfahrensmängel, deren Vorliegen bereits das Berufungsgericht verneint hat, im Revisionsverfahren (auch in Sozialrechtssachen) nicht mehr mit Erfolg neuerlich geltend gemacht werden (SSV-NF 11/15; 11/18; 7/74 ua; RIS-Justiz RS0043061; Kodek aaO Rz 3 Abs 2 zu § 503 ZPO).

Außerdem betrifft die Frage der Verwertung des vorliegenden Blutalkoholbefundes sowie die Eignung dieses Beweismittels, als Sachverhaltsgrundlage zu dienen, die irrevisible Beweiswürdigung der Tatsacheninstanz. Die unter Berücksichtigung der Blutprobe gewonnene Tatsachenfeststellung, dass die Klägerin unmittelbar vor dem Unfallszeitpunkt stark alkoholisiert (Blutalkoholwert bei etwa 2,10%o) gewesen sei, kann mit der Revision nicht bekämpft werden (Kodek aaO Rz 1 zu § 503 ZPO; RIS-Justiz RS0043061 [T 11]).

Dem Obersten Gerichtshof ist daher ein (neuerliches) Eingehen auf die in der Revision wiederholten Berufungsausführungen - mit der Beurteilung durch das Berufungsgericht setzt sich die Klägerin ohnehin nicht auseinander - verwehrt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch an die Klägerin aus Billigkeit sind nicht ersichtlich.