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VfGH vom 21.06.2004, B433/02

VfGH vom 21.06.2004, B433/02

Sammlungsnummer

17229

Leitsatz

Keine Anlassfallwirkung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Schwellenwertregelungen im BundesvergabeG 1997 und in der Erstreckungsverordnung 2000; Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtigerklärung des Ausscheidens eines Angebotes sowie gegen die Zurückweisung eines Feststellungsantrags; im Übrigen Zurückweisung der Beschwerde mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit

Spruch

I. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch die Spruchpunkte 1. und 3. des angefochtenen Bescheides weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt worden.

Die Beschwerde wird insoweit abgewiesen.

II. Soweit sich die Beschwerde gegen Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides richtet, wird sie zurückgewiesen.

III. Die beschwerdeführende Gesellschaft ist schuldig, der mitbeteiligten Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 1.962,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof

beschwerdeführende Bundesimmobiliengesellschaft mbH hat im Wege eines

offenen Verfahrens gemäß ÖNORM A 2050 die "Vergabe der

Baumeisterarbeiten für die Bundesanstalt für Kindergartenpädagogik

... Linz, GZ: 300085/0690-2001/Prei/Pi" ausgeschrieben.

An dieser Ausschreibung hat sich eine Baugesellschaft beteiligt und aus Anlass des Ausscheidens ihres Angebotes durch die beschwerdeführende Gesellschaft ein Nachprüfungsverfahren vor dem Bundesvergabeamt (BVA) mit den Begehren angestrengt, dieses Ausscheiden im Sinne des Punktes 7.5.1. der ÖNORM A 2050 und die daraus resultierende Nichtberücksichtigung ihres Angebotes für das weitere Verfahren für nichtig zu erklären sowie dem Auftraggeber die Zuschlagserteilung an sie "aufzutragen".

2. Mit Bescheid vom erklärte das BVA das Ausscheiden des Angebots der im hg. Verfahren mitbeteiligten Partei und die daraus resultierende Nichtberücksichtigung für das weitere Verfahren gemäß §§113 Abs 2 Z 2 und 117 Abs 1 Bundesvergabegesetz 1997 (BVergG) sowie Pkt. 4.3.6. der ÖNORM A 2050 für nichtig (Spruchpunkt 1.). Das weitere Begehren der mitbeteiligten Partei wurde indes gemäß § 113 Abs 2 Z 2 BVergG ebenso mangels Zuständigkeit des BVA zurückgewiesen (Spruchpunkt 2.) wie der von der beschwerdeführenden Gesellschaft im Nachprüfungsverfahren gestellte Eventualantrag auf Feststellung, dass die mitbeteiligte Partei keine echte Chance auf Zuschlagserteilung gehabt hätte, gemäß § 113 Abs 2 und 3 leg.cit. (Spruchpunkt 3.).

Zu seiner Zuständigkeit führte das BVA unter anderem aus, dass die beschwerdeführende Gesellschaft öffentlicher Auftraggeber iSd § 11 Abs 1 Z 3 BVergG und gemäß § 1 Abs 2 Z 1 der Erstreckungsverordnung 2000, BGBl. II 35, sei und die ausgeschriebene Leistung als im Rahmen eines Gesamtvorhabens mit einem geschätzten Gesamtauftragswert von S 58.329.625,-- (ohne USt) zu erbringender Bauauftrag iSd § 2 Abs 1 Z 2 BVergG den für die Zuständigkeit des BVA nach § 2 Abs 1 Z 1 der Erstreckungsverordnung 2000 maßgebenden Auftragswert von S 14 Mio (ohne USt) übersteige.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde des Auftraggebers, die sich ihrem ganzen Vorbringen nach zwar nur gegen Spruchpunkt 1. wendet und der belangten Behörde insofern eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit vor dem Gesetz vorwirft, aber undifferenziert die kostenpflichtige Aufhebung des "angefochtenen Bescheid[es]" (also seinem gesamten Umfang nach) beantragt.

4. a) Das BVA hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

b) Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie den Beschwerdevorwürfen entgegentritt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - im Hinblick auf Spruchpunkt 1. und 3. zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Beim Verfassungsgerichtshof sind bei Behandlung der Beschwerde Bedenken ob der Verfassungs- bzw. Gesetzmäßigkeit der Wortfolgen "2 und" in § 14 Abs 1 Z 2 des Bundesvergabegesetzes 1997 bzw. in § 2 Abs 1 Z 1 der sog. Erstreckungsverordnung, BGBl. II 35/2000, entstanden. Er hat daher am beschlossen, die Verfassungs- bzw. Gesetzmäßigkeit dieser Bestimmungen von Amts wegen zu prüfen.

In dem eingeleiteten, zu den Zahlen G215/02, V52/02 protokollierten Normenprüfungsverfahren hat der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom ausgesprochen, dass die geprüften Wortfolgen verfassungs- bzw. gesetzwidrig waren. Diese Entscheidung vermag aber der beschwerdeführenden Gesellschaft im Bescheidprüfungsverfahren nicht zum Erfolg zu verhelfen, da es nach Lage des Falles ausgeschlossen ist, dass die beschwerdeführende Gesellschaft durch den Bescheid in Folge Anwendung der als verfassungs- bzw. gesetzwidrig erkannten Wortfolgen in ihrer Rechtsphäre nachteilig betroffen wurde: Die Nichtanwendung der geprüften und als verfassungs- bzw. gesetzwidrig qualifizierten Wortfolgen ändert im vorliegenden Fall nichts an der Zuständigkeit des BVA, über die mit Spruchpunkt 1. und 3. erledigten Anträge zu entscheiden, und dem materiellen Prüfungsmaßstab. Sie bewirkt, dass Bauaufträge gemäß § 2 Abs 1 Z 2 BVergG unabhängig vom Erreichen eines Auftragswertes von S 14 Mio einem vergabespezifischen Rechtsschutz zugänglich gemacht werden können.

2. Zu prüfen ist daher, ob die beschwerdeführende Gesellschaft durch den angefochtenen Bescheid entsprechend ihrer Beschwerdebehauptung in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde. In ihrer Beschwerde wirft die beschwerdeführende Gesellschaft dem BVA vor, bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt zu haben:

"Wohl hat das BVA in seiner Begründung selbst festgestellt, dass es zu der Klärung der Frage, ob der Antragsteller auszuscheiden gewesen wäre weiterer Erhebungen bedürfe, hat es in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage jegliche diesbezügliche Ermittlungstätigkeit in einem vom BVA selbst als entscheidenden Punkt erkannten Sachverhaltsbereich unterlassen, und somit ein willkürliches Verhalten gesetzt, das in die Verfassungssphäre eingreift.

Das BVA irrt insbesondere, wenn es vermeint, dass das Vorbringen der Antragstellerin hinsichtlich der ausgeschriebenen Massen der Hohldielendecken und der Betonrohre mit Glockenmuffen dadurch vom Auftraggeber 'außer Streit' gestellt worden sei und daher nicht beweisbedürftig wäre.

Die Behauptungen des Antragstellers hätten vom BVA amtswegig auf ihre Richtigkeit überprüft werden müssen. Dies umso mehr, als § 106 Abs 2 BVergG im gegenständlichen Fall nicht zur Anwendung gelangt, da die diesbezüglichen Behauptungen erst im Schriftsatz des Antragstellers vom erhoben wurden und bei der Einräumung der Replik für die Beschwerdeführerin ein Hinweis gemäß § 106 Abs 2 BVergG nicht aufgenommen wurde.

Hätte das BVA ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt, hätte dieses ergeben, dass die ausgeschriebenen Betonrohre mit Glockenmuffen im Baustoffhandel erhältlich und gebräuchlich sind und die ausgeschriebenen Massen für Hohldielendecken auf Grund der durchgeführten Vorerhebungen der ausschreibenden Stelle festgelegt wurden. Das weitere Ermittlungsverfahren hätte somit ergeben, dass die Ausscheidung des Antragstellers des Ausgangsverfahrens zu Recht erfolgte.

Dadurch, dass das BVA kein Ermittlungsverfahren durchgeführt hat und die Entscheidung der Beschwerdeführerin ohne jede Begründung (vergleiche ) für nichtig erklärt hat, hat es die Beschwerdeführerin auch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt."

Das BVA hätte es zudem verabsäumt, "weitere Sachverhaltsfeststellungen iSd § 39 AVG" zu treffen, wodurch es die beschwerdeführende Gesellschaft auch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt habe.

3. Die mitbeteiligte Partei ist diesem Beschwerdevorbringen im Einzelnen entgegengetreten: Weder habe das BVA ihrer Ansicht nach willkürlich noch in einer das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzenden Weise über den Nachprüfungsantrag entschieden.

4. a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10.374/1985, 11.405/1987, 13.280/1992).

b) Die beschwerdeführende Gesellschaft ist mit keinem ihrer Vorwürfe im Recht:

Mit Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides hat das BVA einem Antrag eines beteiligten Bieters stattgegeben, die Entscheidung, sein Angebot auszuscheiden, nichtig zu erklären. Dies hat das BVA im Wesentlichen damit begründet, dass das Ausscheiden eines Angebots nicht auf eine vermutete Unterpreisigkeit in Positionen gestützt werden könne, bezüglich derer strittig sei, ob sie überhaupt zur Ausführung gelangen könnten. Eine solche Begründung erscheint dem Verfassungsgerichtshof plausibel und nachvollziehbar und kann den Vorwurf, das BVA habe seine Entscheidung leichtfertig getroffen oder Willkür geübt, nicht erhärten. Ob das Verfahren in jeder Hinsicht rechtmäßig geführt wurde und die materiell-vergaberechtlichen Fragen zutreffend beurteilt wurden, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen; und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen einen Bescheid des BVA in der Organisationsform gemäß BVergG 1997 (sohin als Kollegialbehörde nach Art 133 Z 4 B-VG) richtet, der beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 10.565/1985, 10.659/1985, 12.697/1991). Dies betrifft insbesondere auch den Vorwurf, die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt und wäre unzutreffend davon ausgegangen, dass die beschwerdeführende Gesellschaft Teile des Antragsvorbringens "außer Streit" gestellt hätte (vgl. zum letztbezogenen Vorwurf aber insb. die im Verwaltungsakt erliegende "Stellungnahme der Antragsgegnerin" vom , der ein inhaltlicher Widerspruch der beschwerdeführenden Gesellschaft zu jenem Vorbringen des Nachprüfungswerbers nicht zu entnehmen ist). Die Behauptung der Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter kann insofern schon deshalb nicht erhoben werden, als das BVA eine Sachentscheidung der beschwerdeführenden Gesellschaft gegenüber nicht verweigert hat.

Eine solche Verletzung hat aber auch nicht durch Spruchpunkt 3. des angefochtenen Bescheides stattgefunden: Dem eindeutigen - und verfassungsrechtlich unbedenklichen - Wortlaut des § 113 Abs 3 BVergG ist zu entnehmen, dass ein Antrag des Auftraggebers festzustellen, dass ein übergangener Bewerber oder Bieter auch bei Einhaltung der Bestimmungen dieses Gesetzes und der hiezu ergangenen Verordnungen keine echte Chance auf Erteilung des Zuschlages gehabt hätte, erst Gegenstand eines nach erfolgtem Zuschlag abzuführenden Feststellungsverfahrens sein kann. Da sich das Vergabeverfahren im Zeitpunkt der Entscheidung durch das BVA aber unstrittig in der Phase vor Zuschlagserteilung befand, ist der Zurückweisung des diesbezüglichen Antrages der beschwerdeführenden Gesellschaft nicht entgegenzutreten.

III. Insoweit die Beschwerde - undifferenziert - auch gegen Spruchpunkt 2. des Bescheides erhoben wird, ist sie zurückzuweisen:

Es ist nicht erfindlich, in welcher Hinsicht die beschwerdeführende Gesellschaft durch jenen Spruchpunkt des Bescheides, mit dem ein Antrag des übergangenen Bieters, "der vergebenden Stelle die Zuschlagserteilung an die Antragstellerin aufzutragen", mangels Zuständigkeit des BVA zurückgewiesen wurde, in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt sein könnte.

IV. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG, in den an die beteiligte Partei zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-- enthalten.