VfGH vom 26.02.2002, B433/01
Sammlungsnummer
16439
Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch die Aufforderung sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen infolge Fehlens einer nachvollziehbaren Begründung in einem entscheidungswesentlichen Punkt; keine Auseinandersetzung mit den im Sicherheitspolizeigesetz festgelegten Voraussetzungen
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 1.962,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit dem bekämpften Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 65 Abs 1 und 4 iVm. § 77 Abs 1 und 2 Sicherheitspolizeigesetz aufgetragen, sich erkennungsdienstlich behandeln zu lassen und an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.
Begründend führte die Behörde aus:
"Laut Anzeige des Gendarmeriepostens Mödling vom sind Sie verdächtig, den Tatbestand der §§134 (Unterschlagung), 146 (Betrug), 147 (schwerer Betrug) und 148 (gewerbsmäßiger Betrug) StGB verwirklicht zu haben.
Sie stehen daher im Verdacht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben.
Um Sie vor weiteren gefährlichen Angriffen abzuhalten, erscheint es erforderlich, Sie erkennungsdienstlich behandeln zu lassen.
Sie wurden mit Schreiben vom (...) gemäß § 77 Abs 1 SPG formlos aufgefordert, sich der erkennungsdienstlichen Behandlung beim Gendarmerieposten Mödling zu unterziehen.
Da Sie dieser Aufforderung nicht nachgekommen sind, mußte Ihnen die im Spruch angeführte Verpflichtung bescheidmäßig auferlegt werden."
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf persönliche Freiheit, auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie im Recht, keiner erniedrigenden Behandlung unterworfen zu werden, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt wird.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Die zur Beurteilung des vorliegenden Falles maßgebenden Rechtsvorschriften des Sicherheitspolizeigesetzes - SPG, BGBl. 566/1991 idF BGBl. I 85/2000, lauten:
"Erkennungsdienstliche Behandlung
§65. (1) Die Sicherheitsbehörden sind ermächtigt, einen Menschen, der in Verdacht steht, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wenn der Betroffene im Rahmen krimineller Verbindungen tätig wurde oder dies sonst zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betroffenen erforderlich scheint.
(2) (...)
(4) Wer erkennungsdienstlich zu behandeln ist, hat an den dafür erforderlichen Handlungen mitzuwirken.
(5) (...)
Verfahren
§77. (1) Die Behörde hat einen Menschen, den sie einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen hat, unter Bekanntgabe des maßgeblichen Grundes formlos hiezu aufzufordern.
(2) Kommt der Betroffene der Aufforderung gemäß Abs 1 nicht nach, so ist ihm die Verpflichtung gemäß § 65 Abs 4 bescheidmäßig aufzuerlegen; dagegen ist eine Berufung nicht zulässig. Eines Bescheides bedarf es dann nicht, wenn der Betroffene auch aus dem für die erkennungsdienstliche Behandlung maßgeblichen Grunde angehalten wird.
(3) (...)"
III. Die - zulässige - Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) kann eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10.338/1985, 11.213/1987). Darüber hinaus begründet das Unterlassen jeglicher Begründung nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes Willkür (VfSlg. 12.477/1990, 15.409/1999, 15.696/1999).
2.1. Gemäß § 65 Abs 1 SPG ist die Zulässigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung eines Menschen an zwei Voraussetzungen geknüpft: Zum einen hat der Betreffende im Verdacht zu stehen, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben; zum anderen muß er entweder im Rahmen krimineller Verbindungen tätig geworden sein oder die erkennungsdienstliche Behandlung muß sonst zur Vorbeugung gefährlicher Angriffe des Betreffenden erforderlich scheinen.
2.2. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, daß der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides im Verdacht stand, eine mit Strafe bedrohte Handlung begangen zu haben.
2.3. Die belangte Behörde hat in ihrem Bescheid zwar die gegen den Beschwerdeführer bestehenden Verdachtsgründe angeführt, es jedoch unterlassen, sich sodann mit der weiteren Voraussetzung des '65 Abs 1 SPG auseinanderzusetzen. Diesbezüglich wird im Bescheid nur allgemein festgestellt, daß eine erkennungsdienstliche Behandlung des Beschwerdeführers erforderlich erscheine, um ihn vor weiteren gefährlichen Angriffen abzuhalten. Eine Begründung für diese Ansicht hat die belangte Behörde aber gänzlich unterlassen. Die Behörde ist daher in einem entscheidungswesentlichen Punkt jede nachvollziehbare Begründung schuldig geblieben.
Der Beschwerdeführer wurde dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, daß die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift dargelegt hat, weshalb ihrer Ansicht nach eine "Wiederholungsgefahr" iSd. § 65 Abs 1 SPG bestehe. Wie der Verfassungsgerichtshof nämlich wiederholt ausgesprochen hat, muß die Begründung eines Bescheides aus diesem selbst hervorgehen; sie ist durch die Gegenschrift im Beschwerdeverfahren nicht nachholbar (zB VfSlg. 15.826/2000 mwN).
Der angefochtene Bescheid war somit aufzuheben.
IV. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VfGG; in den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 327,-- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.