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OGH vom 18.06.2012, 17Os1/12v

OGH vom 18.06.2012, 17Os1/12v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am am durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Marvan als Schriftführer in der Strafsache gegen Manfred M***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom , GZ 51 S Hv 37/11z 26, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwalts Mag. Holzleithner, des Angeklagten und seines Verteidigers Dr. Ringhofer zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Freispruch unberührt bleibt, im Übrigen aufgehoben und Manfred M***** vom Vorwurf, er habe zwischen und in Wien in fünf Fällen als Beamter des Finanzamts ***** mit dem Vorsatz, dadurch die betroffenen Personen an ihrem Grundrecht auf Datenschutz nach § 1 Abs 1 DSG zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er ohne dienstliches Erfordernis aus rein privater Motivation die in der ZMR-Anwendung gespeicherten persönlichen Daten einer Person abfragte, gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen (auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden) Urteil wurde Manfred M***** im zweiten Rechtsgang erneut des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt, weil er zwischen und in Wien in fünf Fällen als Beamter des Finanzamts ***** mit dem Vorsatz, dadurch die betroffene Person an ihrem Grundrecht auf Datenschutz nach § 1 Abs 1 DSG zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbrauchte, indem er ohne dienstliches Erfordernis aus rein privater Motivation deren in der ZMR-Anwendung gespeicherte persönliche Daten abfragte.

In seinem (aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten aufgrund vorliegender Nichtigkeit im Sinn des § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO nach § 290 Abs 1 erster Satz StPO ergangenen) das Erstgericht gemäß § 293 Abs 2 StPO rechtlich bindenden kassatorischen Erkenntnis (11 Os 105/11t) hatte der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass jedes gezielte unbefugte Beschaffen von personenbezogenen Daten, die dem Geheimnisschutz unterliegen, unter dem Aspekt des Grundrechts auf Datenschutz (§ 1 Abs 1 DSG) einer Prüfung zu unterziehen ist, weil die konkrete Schädigung eines Dritten bereits in der Verletzung des Grundrechts auf Datenschutz durch missbräuchliche Datenermittlung liegt. Bei allgemein zugänglichen, demnach nicht dem Geheimnisschutz unterliegenden Daten oder wenn der an der Geheimhaltung Berechtigte der Verwendung seiner Daten zugestimmt hat (vgl § 8 Abs 1 Z 2 DSG), komme allein durch eine Meldeabfrage begründeter, als Missbrauch der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB strafbarer Befugnismissbrauch jedoch nicht in Betracht. Und weiter: „Für die Erteilung von Meldeauskünften nach § 18 Abs 1 MeldeG sind nach § 18 Abs 6 MeldeG Verwaltungsabgaben zu entrichten, für solche ‚Auskünfte’ hingegen, die das Meldegesetz gar nicht vorsieht, kann naturgemäß kein Gebührenanspruch des Staates bestehen“.

Im nun angefochtenen Urteil wurde festgestellt, der Angeklagte habe mit dem Vorsatz gehandelt, die „Meldeadressen“ herauszufinden, und zwar in Betreff dreier (nahe verwandter oder verschwägerter) Personen, um sie „zu einer Hochzeitsfeier einzuladen“, hinsichtlich der anderen zwei aber, „um zu eruieren, um (gemeint: ob) ihre Meldeadresse mit der dem Finanzamt bekannten Adresse übereinstimmt“, hatten sie ihm doch „mitgeteilt, sie hätten eine Finanzstrafe erhalten, ohne vorher allerdings etwas Schriftliches bekommen zu haben“ (US 4). „Im Zuge seiner Abfrage“ so das Erstgericht weiter „erhielt der Angeklagte jeweils den Gesamtdatensatz der betroffenen Personen, welcher Privaten, die im Übrigen nur unter den Voraussetzungen des § 16 Meldegesetz Auskunft erhalten, nicht zugänglich ist.“

Rechtliche Beurteilung

Treffend zeigt die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten einen den Rechtsschädigungsvorsatz betreffenden Rechtsfehler mangels Feststellungen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) auf, der darin liegt, dass das Erstgericht Befugnismissbrauch vom überschießenden Rechtsschädigungsvorsatz nicht strikt unterschieden hat. Just diese von § 302 Abs 1 StGB verlangte Unterscheidung steht kriminalpolitisch unerwünschter Kriminalisierung (bloß) disziplinären Verhaltens von Beamten wirksam entgegen.

Hat sich nämlich der Vorsatz des (wenngleich hinsichtlich des Missbrauchs der ihm bloß für dienstliche Zwecke eingeräumten Befugnis zu ZMR-Abfragen wissentlich handelnden) Angeklagten nur auf allgemein zugängliche Daten also solche, hinsichtlich derer das Zentrale Melderegister ohnedies ein öffentliches Register ist (§ 16 Abs 1 MeldeG) erstreckt, ist keines der von 11 Os 105/11t angesprochenen konkreten Rechte davon berührt, weder ein dem Geheimnisschutz des DSG unterworfenes Recht des Betroffenen noch ein konkretes Recht des Staates (hier: auf Gebühren). Eine Feststellung, wonach in Betreff der abgefragten Personen eine Auskunftssperre (§ 18 Abs 2 MeldeG) bestand und der Angeklagte dies in Rechnung gestellt hätte, wurde nicht getroffen.

Dass dem Angeklagten als Ergebnis des Missbrauchs seiner Abfrageberechtigung mehr Daten zugänglich wurden, als er wollte, ist für die Subsumtion seines Verhaltens unter den Tatbestand des Missbrauchs der Amtsgewalt ohne Bedeutung, sodass das Schöffengericht insoweit keine entscheidende Tatsache festgestellt hat.

Demnach war in der Sache selbst mit Freispruch nach § 259 Z 3 StPO vorzugehen, ohne dass es erforderlich wäre, auf (bereits nach den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils) nahe liegende, einen Feststellungsmangel nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO begründende irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts (§ 8 erster Satz StGB) zufolge mutmaßlicher Einwilligung derjenigen Verletzten einzugehen, welche den Angeklagten wegen eines angeblich verfehlt zugestellten Strafbescheids angesprochen hatten ( Lewisch in WK 2 Nach § 3 Rz 247; zur Einwilligung des Verletzten als Rechtfertigungsgrund vgl Lewisch in WK 2 Nach § 3 Rz 233 ff, Fuchs AT I7 16/38 ff, Kienapfel/Höpfel AT 13 , 81 f).

Angesichts der Breite des mit § 302 Abs 1 StGB angestrebten Rechtsgüterschutzes (vgl zB RIS-Justiz RS0106275, RS0096642, RS0086127, RS0101043, RS0095284, RS0093047, RS0096141), der zum Großteil außerhalb der Verfügungsbefugnis des Einzelnen liegt (wo sich die Frage nach wirksamer Zustimmung gar nicht stellt), kann nämlich nicht gesagt werden, Fehlen der Einwilligung sei ein Tatbestandsmerkmal dieser strafbaren Handlung (vgl Fuchs , AT I 7 16/2 f; vgl jedoch 14 Os 128/00, 13 Os 140/93). Demgemäß kommt der (tatsächlichen oder mutmaßlichen) Einwilligung des Betroffenen in einen (vom Täter gedachten) Eingriff in an sich durch § 302 Abs 1 StGB geschützte Rechte, sofern diese der Verfügungsbefugnis des Einzelnen unterliegen, die Bedeutung eines Rechtfertigungsgrundes zu. Bei dessen Prüfung im einzelnen Fall ist demnach aus dem Blickwinkel des § 302 Abs 1 StGB auf das jeweils vom Schädigungsvorsatz betroffene Recht abzustellen. Unterliegt dieses wie im gegebenen Zusammenhang das Grundrecht der Betroffenen auf Datenschutz der Disposition des Einzelnen, kommt der Rechtfertigungsgrund in Betracht (vgl Fuchs , AT I 7 16/16 ff).

Bleibt anzumerken, dass der unmittelbare Täter nur dann im Sinn des § 302 Abs 1 StGB mit auf Schädigung des Staates an dessen Gebührenanspruch (hier nach § 18 Abs 6 MeldeG; vgl auch § 15 Abs 3 MeldeV) gerichtetem Vorsatz handeln kann, wenn er zu der den Gebührenanspruch auslösenden Amtshandlung (hier das Erteilen von Meldeauskünften nach § 18 Abs 1 MeldeG) befugt ist.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2012:0170OS00001.12V.0618.000