VfGH vom 15.12.2008, B427/08
Sammlungsnummer
18662
Leitsatz
Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung einer Maßnahmenbeschwerde gegen die abfallpolizeiliche Anordnung der Räumung einer Grundfläche von gefährlichen Abfällen; willkürliche Beurteilung des Liegenschaftseigentümers als Anlageninhaber im Sinne des Abfallwirtschaftsgesetzes 2002; Beendigung des Mietverhältnisses zum früheren Anlagenbetreiber sowie dessen Konkurs kein ausreichender Grund für die Annahme des Übergangs der Anlageninhaberschaft
Spruch
Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die beschwerdeführende Partei ist Rechtsnachfolgerin von
N. L., des verstorbenen Eigentümers zweier Liegenschaften in Wien, auf denen aufgrund eines Mietvertrages mit N. L. von einem näher bezeichneten Dritten eine - auch auf gefährliche Abfälle bezogene - Abfallbehandlungsanlage betrieben wurde.
Nach wiederholter Durchführung von Revisionen der Anlage wurden dem (damaligen) Grundeigentümer N. L. vom Landeshauptmann von Wien am iZm dem mehrfachen Betreten des Areals durch Umweltaktivisten wegen weit reichender Missstände und Vorliegens von Gefahr im Verzug im Wege unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß § 62 Abs 4 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) umfangreiche Sofortmaßnahmen (einschließlich einer Totalräumung) zur Sanierung des Geländes aufgetragen, deren Durchführung - nach Unterbleiben der umgehenden Befolgung des Auftrages seitens des Verpflichteten - behördlich veranlasst wurde. Der über die dagegen gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG erhobene Maßnahmenbeschwerde ergangene - abweisliche - Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien (im Folgenden: UVS) vom , Z UVS-02/11/7363/2006-13, (gegen den die Verlassenschaft nach N. L. Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof erhoben hat) wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B1702/07, aufgehoben.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des UVS vom wurde der beschwerdeführenden Partei gemäß § 62 Abs 4 AWG 2002 der Ersatz der Kosten für diese abfallpolizeilichen Sofortmaßnahmen iHv € 1,157.550,85 aufgetragen. Die belangte Behörde stützt sich in der Begründung ihrer Entscheidung u. a. auf den oben angeführten (vom Verfassungsgerichtshof behobenen) Bescheid des UVS vom betreffend die Maßnahmenbeschwerde (s. S 26 des angefochtenen Bescheides).
3. Gegen diesen Kostenersatzbescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Unversehrtheit des Eigentums sowie auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
Die beschwerdeführende Partei bringt im Wesentlichen vor, dass § 62 Abs 4 AWG 2002 mangels Vorliegens eines aufrechten Betriebes einer Abfallbehandlungsanlage von der Behörde nicht anzuwenden gewesen wäre und diese - abgesehen davon - die wirtschaftliche Zumutbarkeit des Kostenersatzes für die Durchführung der Maßnahmen zu Unrecht angenommen und damit der Bestimmung des § 62 Abs 4 AWG 2002 einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -
Beschwerde erwogen:
1. Die im vorliegenden Fall maßgebliche Regelung des § 62 Abfallwirtschaftsgesetz 2002, BGBl. I 102/2002 idF BGBl. I 43/2007, lautet (auszugsweise):
"Überwachung von Behandlungsanlagen
§62. (1) Die Behörde hat Behandlungsanlagen, die gemäß den §§37, 52 oder 54 genehmigungspflichtig sind, längstens alle fünf Jahre zu überprüfen.
(2) Besteht der Verdacht eines konsenswidrigen Betriebs einer Behandlungsanlage, die gemäß den §§37, 52 oder 54 genehmigungspflichtig ist, so hat die Behörde - unabhängig von der Einleitung eines Strafverfahrens - den Inhaber einer Behandlungsanlage zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustands innerhalb einer angemessenen Frist aufzufordern. Kommt der Inhaber dieser Aufforderung innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, so hat die Behörde mit Bescheid die zur Herstellung des der Rechtsordnung entsprechenden Zustands erforderlichen, geeigneten Maßnahmen, wie die Stilllegung von Maschinen oder die teilweise oder gänzliche Schließung, zu verfügen.
(2a) [...]
(2b) Wird durch den Betrieb einer Behandlungsanlage die Gesundheit, das Leben oder das Eigentum eines Dritten gefährdet, hat die Behörde ohne vorausgehendes Verfahren die erforderlichen Maßnahmen, wie die Stilllegung von Maschinen oder die teilweise oder gänzliche Schließung, bescheidmäßig zu verfügen.
(2c) Die Bescheide gemäß Abs 2a oder 2b sind sofort vollstreckbar. Liegen die Voraussetzungen für die Erlassung eines Bescheides gemäß Abs 2, 2a oder 2b nicht mehr vor, so hat die Behörde die getroffenen Maßnahmen ehestmöglich zu widerrufen.
(3) [...]
(4) Bei Gefahr im Verzug hat die Behörde die geeigneten Maßnahmen unmittelbar anzuordnen und gegen Ersatz der Kosten durch den Inhaber der Behandlungsanlage nötigenfalls unverzüglich durchführen zu lassen.
(5) Maßnahmen gemäß Abs 2 bis 4 bedürfen keiner Bewilligung oder Genehmigung nach anderen bundesrechtlichen Vorschriften.
(6) [...]
(7) Werden vom Anlageninhaber bei einer Unterbrechung oder bei der Einstellung des Betriebs nicht die zur Vermeidung der Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen erforderlichen Maßnahmen gesetzt, hat die zuständige Behörde diese bescheidmäßig aufzutragen. Der Bescheid ist sofort vollstreckbar."
2. Bedenken gegen die den Bescheid tragende Rechtsvorschrift des § 62 Abs 4 AWG 2002 wurden nicht vorgebracht und sind aus Anlass des vorliegenden Falles auch nicht entstanden (vgl. ). Eine Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes liegt somit nicht vor.
3. Der Bescheid ist aber mit einem in die Verfassungssphäre reichenden - objektiver Willkür gleichzuhaltenden - Begründungsmangel behaftet:
Darüber, welche Umstände gegeben sein müssen, damit in die Verfassungssphäre reichende Willkür vorliegt, lässt sich keine allgemeine Aussage treffen; dies kann nur dem Gesamtbild des Verhaltens der Behörde im Einzelfall entnommen werden (zB VfSlg. 17.903/2006; mwN). Ein objektiv willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. vor, wenn der angefochtene Bescheid etwa wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 11.436/1987, 12.030/1989, 14.394/1995), aber auch dann, wenn die Behörde in einem Bescheid Gründe anführt, denen in Wahrheit kein Begründungswert zukommt (zB VfSlg. 13.302/1992, 14.506/1996, 17.230/2004), oder dann, wenn die Behörde einen Bescheid ohne jede rechtliche Begründung erlässt (zB VfSlg. 15.987/2000).
Ein vergleichbarer Fehler liegt hier vor.
Wie dargelegt (Pkt. I.2.), knüpft der bekämpfte (Kostenersatz-)Bescheid u.a. an die Entscheidung des UVS vom an, mit der die Maßnahmenbeschwerde gegen die gemäß § 62 Abs 4 AWG 2002 gegenüber dem Liegenschaftseigentümer unmittelbar angeordneten (und in der Folge behördlich durchgeführten) abfallpolizeilichen Aufträge abgewiesen wurde; der angeführte frühere Bescheid des UVS bildete sohin ein tragendes Begründungselement des nunmehr angefochtenen Bescheides (zur Bindungswirkung bei Erlassung des Kostenvorschreibungsbescheides vgl. ).
Die Kassation des Bescheides des UVS vom durch den Verfassungsgerichtshof (Pkt. I.1.) hat bewirkt, dass eine entscheidungswesentliche Grundlage des vorliegenden Kostenersatzbescheides weggefallen ist. Dieser Wegfall bewirkt eine gravierende Begründungslücke des bekämpften Bescheides, die (auch wenn sie der belangten Behörde subjektiv nicht vorzuwerfen ist) objektiver Willkür gleichkommt, welche der Verfassungsgerichtshof aufzugreifen hat (vgl. auch VfSlg. 15.448/1999).
Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf die Beschwerdeeinwände weiter eingegangen werden musste.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- sowie eine Eingabengebühr gemäß § 17a VfGG enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.