VfGH vom 23.09.2003, B424/03
Sammlungsnummer
16955
Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Vertretung durch eine nicht zur Substitution berechtigte Person bei Verhandlungen; ausreichende Konkretisierung des Tatvorwurfes; Heranziehung der Bestimmungen über Vertreter im Verwaltungsverfahren und im Zivilprozess nicht zulässig
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes sowie der Berufspflichtenverletzung begangen zu haben, weil er sich als ausgewiesener Vertreter von Beschwerdeführern bei Verhandlungen vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) Wien am , am
13. sowie am durch eine Person vertreten lassen hat, die nicht als Rechtsanwalt oder Rechtsanwaltsanwärter eingetragen gewesen war. Es wurde deswegen über ihn die Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises ausgesprochen.
2. Der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Berufung gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) mit Erkenntnis vom keine Folge.
Nach Auffassung der OBDK sei bei der Vertretung in Verwaltungsverfahren vor den UVS § 15 Abs 3 RAO anzuwenden, wonach sich ein Rechtsanwalt vor Gerichten und Behörden "nur durch einen bei ihm in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen könne". Diese völlig eindeutige und unmißverständliche Bestimmung stelle im Verhältnis zu § 10 AVG sowohl die lex specialis als auch die lex posterior dar.
3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B-VG) und darauf, "nicht wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt zu werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war" (Art7 EMRK) geltend gemacht und die Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
Der Beschwerdeführer bestreitet darin das Vorliegen eines Disziplinarvergehens, "weil der Kanzleimitarbeiter als Student der Rechtswissenschaften mit langjähriger, aus der Tätigkeit als Caritas-Ausländerberater geschöpfter Erfahrung, jedenfalls zum Einsatz bei Verhandlungen im Verwaltungsverfahren geeignet sei". Der angelastete Verstoß gegen § 15 Abs 3 RAO liege im Hinblick auf die durch § 10 iVm. § 12 AVG gegebene Zulässigkeit der Vertretung durch Nichtanwälte bzw. Nicht-Berufsanwärter nicht vor. Auch nach § 31 Abs 3 ZPO dürfe sich der Rechtsanwalt bei bestimmten (näher im Gesetz genannten) Prozeßhandlungen durch einen Kanzleimitarbeiter vertreten lassen. Ebenso wie § 31 Abs 3 ZPO sei die Bestimmung des § 10 iVm. § 12 AVG als lex specialis zu § 15 Abs 3 RAO anzusehen.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. § 15 Abs 3 RAO lautet:
"Ist die Beiziehung eines Rechtsanwaltes gesetzlich nicht vorgeschrieben, so kann sich der Rechtsanwalt vor allen Gerichten und Behörden auch durch einen anderen bei ihm in Verwendung stehenden Rechtsanwaltsanwärter unter seiner Verantwortung vertreten lassen; die Unterfertigung von Eingaben an Gerichte und Behörden durch einen Rechtsanwaltsanwärter ist jedoch unzulässig."
1.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt anläßlich der hier zu beurteilenden Beschwerde gegen § 15 Abs 3 RAO keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Der Beschwerdeführer ist daher nicht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden.
2. Zum Vorwurf der Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sowie des durch Art 7 EMRK gewährleisteten Rechtes:
2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 11776/1988 grundlegend darlegte, muß einer Verurteilung nach § 1 DSt 1990 - verfassungskonform im Sinne des Art 7 EMRK - zugrunde liegen, daß sie wegen einer Verletzung von Berufspflichten oder wegen eines Verstoßes gegen Ehre und Ansehen des Standes erfolgt, die sich aus gesetzlichen Regelungen oder aus verfestigten Standesauffassungen - wozu allenfalls Richtlinien oder die bisherige (Standes-)Judikatur Bedeutung besitzen - ergeben, die in einer dem Klarheitsgebot entsprechenden Bestimmtheit feststehen. Dem aus Art 7 EMRK erfließenden Gebot entspricht die Behörde jedenfalls (auch) dann nicht, wenn sie - statt zu benennen, gegen welche konkrete Berufs- oder Standespflicht ein inkriminiertes Verhalten verstößt - sich mit Rechtsprechungshinweisen begnügt. Der Gerichtshof ging in weiterer Folge davon aus, daß das Fehlen eines konkretisierten Vorwurfes, worin die Verletzung von Berufspflichten bzw. von Ehre und Ansehen des Standes zu erblicken ist, einen Bescheid mit Willkür belastet.
Diesen Erfordernissen kommt die belangte Behörde insofern nach, als sie das festgestellte Verhalten des Beschwerdeführers als Verletzung des § 15 Abs 3 RAO iVm. § 1 DSt 1990 wertet.
2.2. Der Vorwurf der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes erfolgte auch in vertretbarer Weise:
Die Regelung des § 15 Abs 3 RAO soll gewährleisten, daß im Fall der Beauftragung eines Rechtsanwaltes mit der Vertretung, diese auch tatsächlich durch einen Rechtsanwalt oder Rechtsanwaltsanwärter erfolgt.
Demgegenüber trifft § 10 iVm. § 12 AVG keine Regelungen über die Substitution eines von der Partei mit der Vertretung beauftragten Rechtsanwaltes: § 10 Abs 1 AVG sieht in diesem Zusammenhang lediglich vor, daß sich die Beteiligten und deren gesetzliche Vertreter im Verwaltungsverfahren durch eigenberechtigte Personen vertreten lassen können (sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird). Die Bedeutung des § 12 AVG liegt darin, daß die prozessualen Rechte vom Vertreter geltend gemacht und die prozessualen Pflichten von ihm erfüllt werden können.
Wenn der Beschwerdeführer für seine Argumentation § 31 Abs 3 ZPO heranzieht, verkennt er, daß sich diese Bestimmung nur auf - gesetzlich eng umgrenzte - Bereiche des zivilgerichtlichen Verfahrens bezieht.
In Anbetracht dieser Erwägungen hat sich die von der Behörde gewählte Auslegung des § 15 Abs 3 RAO iVm. § 1 DSt 1990 jedenfalls im Rahmen dessen gehalten, was bei vernünftiger Interpretation dieser Bestimmung für den Beschwerdeführer erkennbar sein müßte, nämlich daß er sich durch sein Verhalten dem Risiko einer Bestrafung aussetzt [VfSlg. 16168/2001, 16353/2001; Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar2, Rz 4 zu Art 7 EMRK mit Nachweisen auf die Rechtsprechung des EGMR; Thienel Art 7 EMRK, in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Kommentar zum Bundesverfassungsrecht, Rz 17 (1999)].
Die behauptete Verletzung des Gleichheitssatzes bzw. des Art 7 EMRK liegt sohin nicht vor.
3. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat daher nicht stattgefunden.
Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.