TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 30.07.2013, 8ObA46/13t

OGH vom 30.07.2013, 8ObA46/13t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Mag. Manuela Majeranowski als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** K*****, vertreten durch die Sollhart Taumberger Rechtsanwälte OG in Graz, gegen die beklagte Partei H***** N*****, vertreten durch die Friedl Holler Rechtsanwalt Partnerschaft in Gamlitz, wegen 56.012,86 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 1/13s 70, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die vom Beklagten geltend gemachten Verfahrensmängel liegen wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat nicht vor.

Eine vom Erstgericht in einem vom Berufungsgericht im ersten Rechtsgang aufgehobenen Urteil getroffene Feststellung kann vom Berufungsgericht nicht im zweiten Rechtsgang „übernommen“ werden. Außerdem hat das Berufungsgericht im zweiten Rechtsgang aufgrund erheblicher Bedenken gegen die Richtigkeit der Feststellungen und die Beweiswürdigung des Erstgerichts eine Beweiswiederholung durchgeführt und davon ausgehend andere Feststellungen als das Erstgericht getroffen. Es ist daher ausschließlich die Sachverhaltsgrundlage maßgeblich, wie sie vom Berufungsgericht im zweiten Rechtsgang auf den Seiten 2 und 3 sowie auf den Seiten 6 und 7 seines Urteils (ON 70) dargestellt wird. Soweit der Beklagte von diesen Feststellungen abweicht, wendet er sich gegen die Beweiswürdigung, die vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr angefochten werden kann (vgl RIS Justiz RS0043371; RS0043099).

2. Der Hinweis des Beklagten auf eine angebliche verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit der Klägerin ist verfehlt. Die Sanktion nach § 28 Abs 1 Z 3 AZG trifft den Arbeitgeber. Selbst wenn die Aufzeichnungspflicht betreffend die Arbeitsstunden dem jeweiligen Arbeitnehmer durch Vereinbarung iSd § 26 Abs 2 AZG übertragen wird, bleibt die (auch) verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung für die regelmäßige Kontrolle und die Aufbewahrung der Aufzeichnungen beim Arbeitgeber. Den Arbeitnehmer selbst trifft keine verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit ( Pfeil in ZellKomm² §§ 24 bis 29 AZG Rz 3 und 7). Der Arbeitgeber hat nur die Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen einen verantwortlichen Beauftragten zu bestellen und die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortung an diesen nach § 9 Abs 2 und 3 VStG zu delegieren. Eine solche Bestellung ist nach § 23 ArbIG erst wirksam, nachdem beim Arbeitsinspektorat eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des Bestellten eingelangt ist. Außerdem können Arbeitnehmer nur dann zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden, wenn sie leitende Angestellte sind, denen maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind ( Pfeil Rz 7). Dass diese Voraussetzungen gegeben wären, wird nicht einmal vom Beklagten behauptet.

Gerade in Berücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin im Computer nachträglich Arbeitsstunden geändert hat, ist das Berufungsgericht zum Ergebnis gelangt, dass ihren Arbeitsaufzeichnungen nicht gefolgt werden kann. Weitere Feststellungen dazu waren nicht geboten. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass das Berufungsgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung auch auf die Widersprüchlichkeiten in der Aussage des Beklagten hingewiesen hat.

3.1 Im Fall der Unmöglichkeit oder besonderer Schwierigkeiten des Beweises der Höhe einer Forderung kann das Gericht nach § 273 ZPO den Betrag nach freier Überzeugung festsetzen, ohne dass den Kläger eine unbedingte Beweislast trifft (2 Ob 2006/96f). Für die Anwendung dieser richterlichen Befugnis muss feststehen, dass einer Partei ein Ersatzanspruch oder eine Forderung dem Grunde nach zusteht, aber der Beweis über die Höhe des Anspruchs gar nicht oder nur mit unverhältnismäßiger Schwierigkeit zu erbringen ist. Dabei sind die Tatsacheninstanzen gehalten, aus dem gewonnenen Beweismaterial Tatsachenfeststellungen zu treffen, die der Betragsfestsetzung nach § 273 ZPO zugrunde gelegt werden können (9 ObA 155/02p).

Eine Verschiebung der Beweislast für die Erbringung von Mehrstunden bzw Überstunden tritt durch die Schätzung nach § 273 ZPO nicht ein. Ebenso wenig verliert der Arbeitnehmer sein Recht auf Abgeltung der Mehrarbeitsstunden durch fehlerhafte oder ungenaue Arbeitsaufzeichnungen. Entgegen der Ansicht des Beklagten kann von der in Rede stehenden Norm also nicht nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn die Verletzung der Aufzeichnungspflicht von der Arbeitgeberseite zu verantworten ist. Außerdem ist der Beklagte noch einmal daran zu erinnern, dass sich der Arbeitgeber selbst im Fall einer Vereinbarung iSd § 26 Abs 2 AZG der Kontroll und Aufbewahrungspflicht hinsichtlich der Arbeitsaufzeichnungen nicht entledigen kann.

3.2 Die Heranziehung des § 273 ZPO zur Betragsfestsetzung durch das Berufungsgericht ist im Anlassfall nicht korrekturbedürftig (vgl RIS Justiz RS0040494). Das Berufungsgericht konnte konkret feststellen, dass die Arbeitsaufzeichnungen der Klägerin laut Computer nicht verlässlich sind, sie ab April 2009 aber wesentlich mehr als die vereinbarten Arbeitsstunden (20 Stunden pro Woche) geleistet hat und tatsächlich von Montag bis Freitag auch am Nachmittag im Büro war. Ausgehend von dieser Sachverhaltsgrundlage hat das Berufungsgericht die Mehrarbeitsstunden der Klägerin aufgrund des von ihm gewonnenen Erfahrungssatzes (durchschnittliche Arbeitsleistung im Ausmaß der Normalarbeitszeit) berücksichtigt. Die Ermittlung der Arbeitsstunden durch das Berufungsgericht ist ausreichend nachvollziehbar (vgl dazu 8 ObA 80/12s).

3.3 Das Ergebnis der Anwendung des § 273 ZPO betrifft eine Ermessensentscheidung, der im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (RIS Justiz RS0121220). Eine Überschreitung des dem Berufungsgericht eingeräumten Ermessensspielraums wird vom Beklagten nicht aufgezeigt.

Der vom Berufungsgericht ermittelte Anspruch der Klägerin kann auch nicht mit dem Argument als angeblich unangemessen bekämpft werden, die Klägerin sei in ihrer Aussage selbst von einem Stundenlohn von 10 EUR und von einer Mehrarbeitspauschale von 500 EUR pro Monat ausgegangen.

4. Das Berufungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Arbeitsleistungen (auch) eines Lebensgefährten keineswegs unentgeltlich sind, wenn diesen ein Arbeitsverhältnis zugrunde liegt. Die Beurteilung, dass im Anlassfall ein derartiger besonderer Rechtsgrund bestehe, weil das Arbeitsverhältnis schon vor Aufnahme der Lebensgemeinschaft begründet worden sei, ist keinesfalls korrekturbedürftig. Die wiederholten Hinweise des Beklagten auf einen nicht bestehenden Bereicherungsanspruch (vgl dazu RIS Justiz RS0033705) sind somit verfehlt. Der Arbeitgeber kann sich seiner Zahlungspflicht auch nicht etwa durch die Zusicherung entziehen, er werde die Mehrarbeitsstunden bezahlen, wenn es ihm finanziell besser gehe.

5. Der Klägerin stehen für die Mehrarbeitsstunden somit die vom Berufungsgericht errechneten Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zu. Aus diesem Grund ist auch die Kritik des Beklagten am arbeitsrechtlichen Mehrstundenzuschlag nach § 19d Abs 3a AZG unberechtigt.

Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die außerordentliche Revision des Beklagten insgesamt zurückzuweisen.