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OGH vom 04.07.2017, 14Os15/17p

OGH vom 04.07.2017, 14Os15/17p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Limberger, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Abdurrahman Ö***** und einen weiteren Angeklagten wegen der Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2, Abs 4 erster Fall FPG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom , GZ 602 Hv 13/16v-170, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani sowie des Verteidigers Dr. Trachtenberg zu Recht erkannt:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Freispruch des Angeklagten Abdurrahman Ö***** sowie im ihn betreffenden Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) und im gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss nach § 494a StPO aufgehoben und in diesem Umfang

1./ in der Sache selbst erkannt:

Abdurrahman Ö***** ist schuldig, er hat am in K***** den Polizeibeamten Thomas F***** der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, indem er in der Hauptverhandlung zu AZ 602 Hv 13/16v des Landesgerichts Korneuburg aussagte, dieser habe ihn bei seiner Vernehmung im Ermittlungsverfahren geschlagen und eingeschüchtert, um von ihm eine belastende Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, ihn mithin einer von Amts wegen zu verfolgenden mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB, falsch verdächtigt, wobei er wusste (§ 5 Abs 3 StGB), dass die Verdächtigung falsch war.

Abdurrahman Ö***** hat hiedurch das Vergehen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB begangen und wird hiefür sowie für die ihm weiterhin zur Last liegenden Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2, Abs 4 erster Fall FPG unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 114 Abs 4 FPG zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Die Anrechnung der Vorhaft wird dem Erstgericht überlassen.

Gemäß §§

389 Abs 1, 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Strafverfahrens zur Last.

2./ den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Abdurrahman Ö***** mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom zu AZ 141 Hv 55/13m gewährte bedingte Strafnachsicht sowie die ihm mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom zu AZ 186 BE 259/13p gewährte bedingte Entlassung werden widerrufen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant – Abdurrahman Ö***** einer unbestimmten Anzahl von Verbrechen der Schlepperei nach § 114 Abs 1, Abs 3 Z 1 und 2, Abs 4 erster Fall FPG schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Danach hat er von Anfang 2015 bis Anfang Mai 2016 in B***** und andernorts „in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Schlepperhandlungen längere Zeit hindurch, nämlich (…) über einen Zeitraum von zumindest einem Jahr (…), ein nicht bloß geringfügiges, nämlich bei jährlicher Durchschnittsbetrachtung monatlich den Betrag von 400 Euro jedenfalls übersteigendes fortlaufendes Einkommen zu verschaffen“ (US 8), als Mitglied einer kriminellen Vereinigung rechtswidrig die Ein- oder Durchreise „in Bezug auf mindestens drei Fremde bei den einzelnen Taten“ (US 8) in oder durch einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder Nachbarstaat Österreichs mit dem Vorsatz gefördert, die führenden Mitglieder der kriminellen Vereinigung durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, indem er „für diverse Auftraggeber, unter anderem für Olgun und Coskun K*****, für ein Entgelt von zumindest 100 Euro pro Fremden für eine Schlepperfahrt und zumindest 350 Euro pro Fremden für einen Schlepperflug, für insgesamt zumindest 100 Fremde die Schlepperfahrt oder den Schlepperflug nach Österreich oder von Österreich in weitere EU-Mitgliedstaaten organisierte und den Schlepperfahrern ihr Entgelt bezahlte“.

Von der wider ihn erhobenen Anklage (ON 159a S 26), er habe am in K***** durch die in der Hauptverhandlung zu AZ 602 Hv 13/16v des Landesgerichts Korneuburg getätigte Aussage, ein Polizeibeamter, der ihn im Ermittlungsverfahren vernommen habe, habe ihn geschlagen und eingeschüchtert, um von ihm eine belastende Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um ihn für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihm oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen, diesen der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, ihn mithin zu einer von Amts wegen zu verfolgenden mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung, nämlich des Verbrechens der Folter nach (gemeint:) § 312a Abs 1 StGB falsch verdächtigt, wobei er gewusst habe (§ 5 Abs 3 StGB), dass die Verdächtigung falsch war, wurde der Angeklagte gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Das Schöffengericht nahm zwar die Unrichtigkeit der Verdächtigung als erwiesen an, erachtete aber dadurch „auf Basis der völlig unglaubwürdigen Angaben des Angeklagten“ eine konkrete Gefahr behördlicher Verfolgung als nicht verwirklicht (US 12).

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Freispruch gerichteten, aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO ergriffenen und eine Verurteilung nach dem Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB „oder zumindest wegen des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB“ anstrebenden Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft kommt bezüglich des Eventualbegehrens Berechtigung zu.

Zutreffend weist die Rechtsrüge (Z 9 lit a) darauf hin, dass die getroffenen Feststellungen die Subsumtion nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB tragen.

Das Tatbild der Verleumdung nach § 297 Abs 1 StGB setzt voraus, dass durch die falsche Verdächtigung die (konkrete) Gefahr einer behördlichen Verfolgung geschaffen wird. Deren (rechtliche) Annahme setzt Feststellungen zum Inhalt der Anschuldigung und den Umständen ihrer Äußerung voraus. Wird gegen eine bestimmte Person der substantiierte Vorwurf der Begehung einer mit (gerichtlicher) Strafe bedrohten Handlung gegenüber einer zur Strafverfolgung zuständigen (und verpflichteten) Behörde (deren Organ) geäußert, erlangt diese also Kenntnis von einem solchen Anfangsverdacht, ist die behördliche Verfolgung des Angeschuldigten als regelmäßige Folge zu erwarten (vgl § 1 Abs 3, § 2 Abs 1 StPO). Bei einer derartigen Sachverhaltskonstellation ist daher (rechtlich) – unabhängig davon, ob es tatsächlich zu einer Verfolgung kommt – grundsätzlich vom Bestehen einer solchen konkreten Gefahr auszugehen. Dies ist dann nicht anzunehmen, wenn die Verdächtigung bei gebotener Ex-ante-Betrachtung intersubjektiv derart unglaubwürdig (oder unsubstantiiert) erscheint, dass ausnahmsweise (mangels Anfangsverdachts) keine Verfolgung zu erwarten war (zum Ganzen: Hinterhofer/Rosbaud, BT II6§ 297 Rz 12 f; vgl Tipold, SbgK § 297 Rz 42 ff; Pilnacek/Świderski in WK2 StGB § 297 Rz 17 und 41; RIS-Justiz RS0096788, RS0096807; insbesondere 13 Os 137/81; 15 Os 88/96 [15 Os 89/96]; 15 Os 104/11z).

Nach den Konstatierungen sagte der Angeklagte „am in der Hauptverhandlung als Angeklagter vernommen aus, ein Polizeibeamter, der ihn im Ermittlungsverfahren vernommen habe, habe ihn geschlagen und eingeschüchtert, um von ihm eine belastende Aussage oder ein Geständnis zu erlangen“, wobei er in der Hauptverhandlung am diese Beschuldigung in Richtung des zu diesem Zeitpunkt als Zeugen vernommenen Polizeibeamten Thomas F***** konkretisierte (US 8).

Diese Anschuldigung war nach Überzeugung der Tatrichter jedoch falsch; diese gingen vielmehr davon aus, dass „die Angaben“ (des Abdurrahman Ö***** im Ermittlungsverfahren) „korrekt“ (also ohne strafbares Verhalten des vernehmenden Polizeibeamten) „zustande gekommen sind“ (US 10).

Zur subjektiven Tatseite stellte das Erstgericht fest, dass es der Angeklagte bei dieser Aussage ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, „dass er dadurch einen anderen der Gefahr einer behördlichen Verfolgung aussetzt, wobei er wusste, dass er [den] betreffenden Polizeibeamten einer von Amts wegen zu verfolgenden mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohten Handlung falsch verdächtigte“ (US 9).

Wie die Beschwerde richtig darlegt, hat der Angeklagte auf Basis der getroffenen Feststellungen – denen eine Anschuldigung zugrunde liegt, die den Tatbestand des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB umschreibt (vgl RIS-Justiz RS0093403) – das Vergehen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht verwirklicht und hat das Erstgericht die Rechtsfrage des Vorliegens der (konkreten) Gefahr einer behördlichen Verfolgung im vorliegenden Fall zu Unrecht verneint. Denn die in der Hauptverhandlung, also in Anwesenheit des zur Aufklärung verpflichteten Staatsanwalts (§ 2 Abs 1 StPO), als Grund für eine geänderte Verantwortung wiederholt vorgebrachte – per se nicht gegen jede Logik und Empirie verstoßende – Behauptung, ein im Ermittlungsverfahren abgelegtes Geständnis sei durch Schläge und Einschüchterungen eines konkret bezeichneten Polizisten erlangt worden, lässt die vom Angeklagten angestrebte behördliche Verfolgung desjenigen als regelmäßige Folge der einen Anfangsverdacht (§ 1 Abs 3 StPO) begründenden Anschuldigung unmittelbar erwarten.

Davon ausgehend traf das Erstgericht keine (im Übrigen auch nach dem Akteninhalt nicht indizierten) Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen, die im Sinn der obigen Ausführungen die Annahme trügen, diese Anschuldigung habe ausnahmsweise (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 602) keine Gefahr strafbehördlicher Verfolgung geschaffen. Vielmehr begnügten sich die Tatrichter mit dem Hinweis, sie hätten die inkriminierte Äußerung – ex post und subjektiv – für „völlig unglaubwürdig“ und deshalb eine diesbezügliche Beweisaufnahme von Amts wegen nicht für notwendig gehalten und überdies habe auch die Staatsanwaltschaft kein Strafverfahren gegen den genannten Polizeibeamten eingeleitet (US 8 ff).

Bleibt im Übrigen anzumerken, dass bei Verneinung des Tatbildmerkmals der Verfolgungsgefahr Strafbarkeit wegen Versuchs zu prüfen wäre und ein

absolut untauglicher (und damit strafloser) Versuch (§ 15 Abs 3 StGB) im gegebenen Zusammenhang nur dann vorliegen würde, wenn die Verwirklichung der angestrebten strafbaren Handlung auf die vorgesehene Art bei generalisierender Ex-ante-Betrachtung, somit losgelöst von den Besonderheiten des Einzelfalls, nach der Art der Handlung geradezu denkunmöglich ist und demzufolge unter keinen wie immer gearteten Umständen erwartet werden kann, während ein bloß relativ untauglicher Versuch anzunehmen ist, wenn die Tatvollendung nur infolge der zufälligen Modalitäten des konkreten Einzelfalls gescheitert ist (RIS-Justiz

RS0115363). Ist die Herbeiführung der vom Täter gewollten Verfolgungsgefahr somit wegen der (relativen) Untauglichkeit seines Vorgehens im Einzelfall misslungen, liegt strafbarer Versuch der Verleumdung vor (RISJustiz RS0096594; neuerlich Pilnacek/Świderski in WK2 StGB § 297 Rz 41).

Aus dem erfolgreich geltend gemachten Rechtsfehler resultiert die Kassation des Freispruchs sowie des Strafausspruchs und des gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschlusses nach § 494a StPO.

Bevor der Oberste Gerichtshof vom Erstgericht festgestellte (aus seiner Sicht) entscheidende Tatsachen, die mangels Beschwer nicht angefochten werden können, seiner Entscheidung in der Sache selbst (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO) zugrunde legt, prüft er sie amtswegig auf Mängel iSd § 281 Abs 1 Z 2 bis 5a StPO (Ratz, WKStPO § 281 Rz 415). Darüber hinaus wurde dem Angeklagten im Rahmen der Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur die Möglichkeit gegeben, zu einem allfälligen Vorgehen nach § 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO Stellung zu beziehen und auf Verfahrens-, Begründungs- oder Tatsachenmängel hinsichtlich der für eine Entscheidung in der Sache selbst in Frage kommenden Feststellungen hinzuweisen (vgl zu diesem Vorgehen Ratz, WKStPO § 285 Rz 14). Derartige Mängel oder erhebliche Bedenken wurden in der Gegenausführung zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft nicht aufgezeigt und haben sich auch aus der amtswegigen Prüfung nicht ergeben, weshalb der Oberste Gerichtshof eine abschließende rechtliche Beurteilung des vom Erstgericht mit Freispruch erledigten Sachverhalts durch Entscheidung in der Sache selbst wie aus dem Spruch ersichtlich vornehmen konnte (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO).

Bei der erforderlichen

Strafneubemessung

wertete der Oberste Gerichtshof das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit einem Vergehen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), die auf gleicher schädlicher Neigung beruhende Vorstrafe (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB), die Tatbegehung während offener Probezeiten

(vgl RISJustiz RS0111324), den langen Tatzeitraum und die zusätzliche Erfüllung der nicht den Strafrahmen bestimmenden Qualifikationen nach § 114 Abs 2 Z 1 und 2 FPG erschwerend, mildernd hingegen keinen Umstand. Davon ausgehend erweist sich bei einem Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe eine solche von drei Jahren als tat- und schuldangemessen sowie der Täterpersönlichkeit entsprechend.

Die für eine bedingte Nachsicht eines Teils der Freiheitsstrafe erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Angeklagte keine weiteren strafbaren Handlungen begehen werde (§ 43a Abs 4 StGB), ist schon aufgrund der einschlägigen Vorstrafe, die zumindest zum Teil unter Verspüren des Haftübels verbüßt wurde, nicht gegeben.

Die Anrechnung der Vorhaft kommt gemäß § 400 Abs 1 StPO dem Erstgericht zu.

Die mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom zu AZ 141 Hv 55/13m gewährte bedingte Strafnachsicht sowie die mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom zu AZ 186 BE 259/13p gewährte bedingte Entlassung waren im Hinblick auf die einschlägige Vordelinquenz und die Wirkungslosigkeit der bedingten Strafnachsicht und bedingten Entlassung aus spezialpräventiven Erwägungen zu widerrufen (§ 53 Abs 1 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 4 StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 389 Abs 1, 390a Abs 1 StPO.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00015.17P.0704.000
Schlagworte:
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