VfGH vom 28.02.2000, b420/97

VfGH vom 28.02.2000, b420/97

Sammlungsnummer

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Leitsatz

Verstoß gegen Art 6 EMRK durch Verletzung des äußeren Anscheins der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des über zivilrechtliche Ansprüche entscheidenden Vergabeamtes aufgrund der Überschneidung dienstlicher Aufgabenbereiche einzelner - als Organwalter weisungsgebundener - Mitglieder mit der Tätigkeit im Vergabeamt

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem durch Art 6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Tirol ist verpflichtet, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Aufgrund einer im offenen Verfahren durchgeführten öffentlichen Ausschreibung des Bauvorhabens "Neubau Bezirkskrankenhaus Kufstein-Wörgl" erteilte der Gemeindeverband Bezirkskrankenhaus Kufstein-Wörgl einem Mitbewerber des nunmehrigen Beschwerdeführers den Zuschlag für das "Gewerk Medizinalgasanlage 5B3". Die nunmehr beschwerdeführende Gesellschaft beantragte daraufhin mit Schriftsatz vom beim Tiroler Vergabeamt (TVA) gemäß § 12 Abs 2 Tiroler Vergabegesetz, LGBl. 87/1994, die Feststellung der Rechtwidrigkeit der Zuschlagserteilung. Mit Bescheid des TVA vom stellte das TVA fest, daß im vorliegenden Vergabeverfahren der Zuschlag dem Bestbieter erteilt wurde und daß ein Verstoß des Auftraggebers gegen die Bestimmungen des Tiroler Vergabegesetzes oder einer Verordnung aufgrund dieses Gesetzes nicht feststellbar ist.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentrat und die Abweisung der Beschwerde begehrte.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (vgl. zB. VfSlg. 14.499/1996) - Beschwerde erwogen:

1. Art 6 EMRK verlangt, daß in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des EGMR mehrfach ausgesprochen, daß ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muß, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfSlg. 10.701/1985, 11.131/1986, 12.074/1989, 14.564/1996, alle auch mit entsprechenden Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).

In seiner Entscheidung vom , B2835/96, hat der Verfassungsgerichtshof näher dargelegt, daß und warum das TVA diesen Anforderungen nicht genügte; die dort angestellten Erwägungen treffen auch im vorliegenden Fall zu:

Zwar stellt der Umstand, daß ein Mitglied einer kollegialen Verwaltungsbehörde im Sinne des Art 133 Z 4 B-VG Verwaltungsbeamter ist und als solcher in seiner sonstigen Tätigkeit weisungsgebunden ist, für sich allein noch keinen Grund dafür dar, an der Unabhängigkeit des Kontrollorgans zu zweifeln.

Dem äußeren Anschein der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit widerstreitet es aber, wenn sich der konkrete Aufgabenbereich eines Mitgliedes eines gemäß Art 133 Z 4 B-VG eingerichteten Organs mit seinem konkreten Aufgabenbereich als weisungsgebundener Organwalter des Landes derart überschneidet, wie dies beim TVA sowohl hinsichtlich des Vorsitzenden als auch hinsichtlich des Berichterstatters der Fall ist, die weisungsgebunden gerade in Vergabesachen tätig werden:

Der Vorsitzende und das als Berichterstatter tätig gewordene Mitglied des TVA sind in der Präsidialabteilung IV des Amtes der Tiroler Landesregierung tätig, in deren Kompetenz u.a. Aufgaben des Vergabewesens fallen. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem oben zitierten Erkenntnis festgestellt hat, ist es einerseits nicht ausgeschlossen, daß Mitarbeiter dieser Abteilung mit vergaberechtlichen Rechtsfragen auch in Angelegenheiten insbesondere der Landes- und Gemeindeverwaltung befaßt werden, die zu einer Befassung des TVA führen können, und andererseits wird der Anschein erweckt, als ob das TVA geradezu als Teil der Präsidialabteilung IV des Amtes der Landesregierung geführt wird.

Angesichts dieser Umstände können vom äußeren Anschein her Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder des TVA entstehen. Die Zusammensetzung des im vorliegenden Fall tätig gewordenen Organs entspricht daher nicht den Anforderungen des Art 6

EMRK.

Der Bescheid war daher bereits aus den genannten Gründen aufzuheben, ohne daß geprüft zu werden brauchte, ob er auch aus anderen Gründen mit Verfassungswidrigkeit behaftet ist.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 88 VerfGG, vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 3.000,-- auf die Umsatzsteuer.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.