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OGH vom 24.02.2009, 9ObA153/08b

OGH vom 24.02.2009, 9ObA153/08b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Johann Jakob S*****, vertreten durch Dr. Hans Rainer ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei R*****-GmbH, *****, vertreten durch Dr. Josef Pfurtscheller ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 3.140,37 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 13 Ra 50/08p-14, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 67 Cga 115/07b-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Arbeitsrechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger war seit bei der Beklagten als Lehrling im Lehrberuf Hotel- und Gastgewerbeassistent beschäftigt. Am forderte der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger per SMS auf, zu einem Gespräch zu ihm zu kommen. Der genaue Inhalt dieses Gesprächs steht nicht fest. Jedenfalls fragte der Beklagte den Kläger, welche Vorstellungen er habe und ob er das Lehrverhältnis fortsetzen wolle. Der Kläger erklärte, das Lehrverhältnis nicht mehr fortsetzen, sondern es beenden zu wollen. Daraufhin wurde dem Kläger vom Geschäftsführer der Beklagten eine mit datierte, als „Lehrvertragslösung" bezeichnete Urkunde vorgelegt, wobei ihm mitgeteilt wurde, dass er bis zum in der Urkunde genannten Datum seinen Urlaub verbrauchen und noch ca 14 Tage im Betrieb arbeiten könne. Der (zu diesem Zeitpunkt volljährige) Kläger unterfertigte diese Urkunde, in der die vorgedruckte Rubrik „Auflösung durch den Lehrling" angekreuzt ist. Gründe für die Auflösung des Lehrverhältnisses sind in der Urkunde nicht angegeben.

Am teilte die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol als Rechtsvertreterin des Klägers der Beklagten schriftlich mit, dass der Kläger unter Druck eine einseitige Austrittserklärung unterfertigt habe, die keine Rechtswirksamkeit entfalte; mit Schreiben vom erklärte die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol neuerlich, auf den Rechtsstandpunkt des Klägers zu verweisen, dass sein Lehrverhältnis unverändert aufrecht sei.

Die Beklagte lehnte die Beschäftigung des Klägers über den hinaus ab.

Der Kläger begehrte im vorliegenden Verfahren zuletzt 3.140,37 EUR sA netto an Lehrlingsentschädigung und Schadenersatz. Er habe die (erste) Auflösungserklärung über Druck der Beklagten und in Unkenntnis der Folgen erklärt. Ein gesetzlicher Auflösungsgrund habe nicht bestanden. Die Auflösungserklärung sei daher unwirksam und von ihm überdies widerrufen worden. Trotzdem habe sich die Beklagte geweigert, ihn weiter zu beschäftigen. Nachdem er vom bis die Berufsschule besucht hat, habe er daher mit zu Recht das Lehrverhältnis vorzeitig beendet.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger habe von der ihm durch § 15 Abs 4 lit g BAG eingeräumten Lösungsmöglichkeit Gebrauch gemacht und das Lehrverhältnis per formgerecht wirksam beendet. „Auch wenn ein Austrittsgrund nach § 15 Abs 4 BAG selbst nach Klagsprämissen nicht gegeben war", sei die Beendigung rechtswirksam, weil auch die unberechtigte Auflösung das Lehrverhältnis beende.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Die Auflösungserklärung des Klägers sei ab ihrem Zugang an die Beklagte nicht mehr widerrufbar gewesen und habe mit Ablauf des ihre volle rechtliche Wirkung entfaltet.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Nach Ablauf der in § 15 Abs 1 BAG geregelten Probezeit sei eine vorzeitige (rechtsgeschäftliche) Beendigung eines Lehrverhältnisses - vom Fall einer einvernehmlichen Beendigung abgesehen - gemäß § 15 Abs 1 BAG nur aus den in § 15 Abs 3 und 4 BAG taxativ angeführten Gründen zulässig. Nach § 15 Abs 4 lit g BAG sei der Lehrling zum Austritt berechtigt, wenn er den Lehrberuf aufgibt. Da der Gesetzgeber den Lehrling nicht gegen seinen Willen für die gesamte Dauer des Lehrverhältnisses habe binden wollen, habe er ihm mit § 15 Abs 4 lit g BAG eine ebenso wie die Kündigung auf einem freien und nicht näher zu begründenden Willensentschluss beruhende Lösungsmöglichkeit eingeräumt. Es genüge die bloße schriftliche Erklärung des Lehrlings gegenüber dem Lehrberechtigten, dass er seinen Lehrberuf aufgibt; zur Erbringung eines Nachweises sei der Lehrling nicht verpflichtet.

Die mündlich abgegebene Erklärung des Klägers, das Lehrverhältnis nicht mehr fortsetzen, sondern beenden zu wollen, sei in Zusammenhang mit dem weiteren Umstand, dass er zugleich eine mit „Lehrvertragslösung" überschriebene Urkunde im Bereich der vorgedruckten Möglichkeit „Auflösung durch den Lehrling" unterschrieben habe, als Auflösungserklärung iSd § 15 Abs 4 lit g BAG zu beurteilen. Dass der Kläger die Urkunde unter Zwang oder Druck unterfertigt habe, sei nicht erwiesen. Das Schriftformgebot des § 15 Abs 2 BAG sei erfüllt.

Eine (nach § 15 Abs 5 BAG mögliche) einvernehmliche Auflösung des Lehrverhältnisses sei nach dem Sachverhalt nicht erfolgt, sodass aus dem Fehlen einer gemäß § 15 Abs 5 BAG unerlässlichen Belehrungsbescheinigung nichts zu gewinnen sei. Dass der Kläger bis zur Beendigung des Lehrverhältnisses noch seinen Urlaub verbrauchen und ca 14 Tage arbeiten sollte, ändere an der Art der Beendigung des Lehrverhältnisses nichts. Die wirksame Auflösungserklärung könne vom Erklärenden nicht einseitig widerrufen oder abgeändert werden. Das Lehrverhältnis habe daher mit geendet.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil es an gesicherter Rechtsprechung zu § 15 Abs 4 BAG fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers.

Die Beklagte beantragte, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, zulässig; sie ist auch berechtigt.

Das Lehrverhältnis kann - soweit hier von Interesse - rechtswirksam nur bei Vorliegen einer der in § 15 BAG normierten Voraussetzungen vorzeitig aufgelöst werden (9 ObA 198/91 [= Arb 10.988]; Reissner in ZellKomm § 15 BAG Rz 2). Der Austritt eines Lehrlings kann daher nur aufgrund eines der in § 15 Abs 4 BAG taxativ aufgezählten Gründe erfolgen. Wird ein vorzeitiger Austritt ohne Vorliegen eines solchen Grundes erklärt, ist er unwirksam, sodass er das Lehrverhältnis nicht beendet (Berger/Fida/Gruber, BAG § 15 Rz 95; Reissner in ZellKomm § 15 BAG Rz 54).

Richtig ist, dass der Lehrling nach § 15 Abs 4 lit g BAG zum vorzeitigen Austritt berechtigt ist, wenn er seinen Lehrberuf aufgibt. Diese Lösungsmöglichkeit ergibt sich aus der Besonderheit des Lehrverhältnisses als ex lege befristetes Dauerschuldverhältnis, für das eine vorzeitige Beendigung durch Kündigung nicht vorgesehen ist. Da der Gesetzgeber den Lehrling nicht gegen seinen Willen für die gesamte Dauer des Lehrverhältnisses binden wollte, räumte er ihm mit § 15 Abs 4 lit g BAG eine ebenso wie die Kündigung auf einem freien, nicht näher zu begründenden Willensentschluss beruhende Lösungsmöglichkeit ein. Der Lehrling muss seinen Entschluss, den Lehrberuf aufzugeben, nicht begründen und muss auch nicht nachweisen, dass er den Lehrberuf tatsächlich aufgibt (9 ObA 287/93; Berger/Fida/Gruber, BAG § 15 Rz 118; Reissner in ZellKomm § 15 BAG Rz 65). Vielmehr genügt die bloße schriftliche Erklärung des Lehrlings gegenüber dem Lehrberechtigten, dass er seinen Lehrberuf aufgibt (Berger/Fida/Gruber, BAG § 15 Rz 118; Reissner in ZellKomm § 15 BAG Rz 65). Dass der Lehrling seine Absicht, den Lehrberuf aufzugeben, kurze Zeit nach der Auflösungserklärung wieder ändert und wieder einen Lehrvertrag im selben Lehrberuf abschließt, ändert an der Wirksamkeit der Auflösung nichts (9 ObA 287/93; Berger/Fida/Gruber, BAG § 15 Rz 118). Steht aber fest, dass der Lehrling seinen Lehrberuf nie aufgeben wollte bzw die Absicht, ihn aufzugeben, nur vorgetäuscht war - etwa, wenn der Lehrling bereits zum Zeitpunkt der Auflösungserklärung einen Lehrvertrag im selben Lehrberuf mit einem anderen Lehrberechtigten abgeschlossen hat - ist der Austrittsgrund nicht verwirklicht (Berger/Fida/Gruber, BAG § 15 Rz 118; Reissner in ZellKomm § 15 BAG Rz 66).

Hier ist in keiner Weise hervorgekommen, dass der Kläger damals beabsichtigte, seinen Lehrberuf aufzugeben. Derartiges wurde nicht festgestellt und auch von niemandem behauptet. Der Kläger hat auch keine entsprechende Erklärung gegenüber der Beklagten abgegeben, sondern nach den Feststellungen nur erklärt, sein Lehrverhältnis beenden zu wollen. Die ihm zur Unterfertigung vorgelegte Auflösungserklärung nimmt weder auf § 15 Abs 4 lit g BAG noch auf die Absicht, den Lehrberuf aufzugeben, Bezug. Auch im vorliegenden Verfahren war es nur die Beklagte, die sich auf § 15 Abs 4 lit g BAG berufen hat, die aber gleichzeitig eingeräumt hat, dass „ein Austrittsgrund nach § 15 Abs 4 BAG selbst nach Klagsprämissen nicht gegeben war und vom Kläger auch nie releviert wurde". Ihre Auffassung, dass das Lehrverhältnis dennoch durch die in keiner Weise begründete Auflösungserklärung beendet worden sei, begründet sie mit ihrer Rechtsauffassung, dass auch die nicht berechtigte Auflösungserklärung das Lehrverhältnis beende. Diese Auffassung ist aber - wie schon oben ausgeführt - unzutreffend.

Dem Revisionswerber ist daher beizupflichten, dass die vom Kläger am unterfertigte Auflösungserklärung in Ermangelung eines gesetzlichen Auflösungsgrundes nicht wirksam ist und daher das Lehrverhältnis nicht beendet hat.

Damit erweist sich aber das Verfahren als ergänzungsbedürftig, weil sich die Vorinstanzen - ausgehend von ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsauffassung - nicht mit der (von der Beklagten bestrittenen) Höhe des Klagebegehrens auseinandergesetzt haben.

Die Arbeitsrechtssache ist daher zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.