OGH vom 29.08.2019, 8ObA45/18b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. TarmannPrentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Johanna Biereder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Krachler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. H***** J*****, vertreten durch Dr. Michael Battlogg, Rechtsanwalt in Schruns, gegen die beklagte Partei Land Vorarlberg, *****, vertreten durch Advokaturbüro Pitschmann Santner Anwaltspartnerschaft in Feldkirch, wegen 10.743,60 EUR brutto sA (Revisionsinteresse), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 14/18y24, mit dem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 35 Cga 164/15m25, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich seiner Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.849,92 EUR (darin 308,32 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.291,58 EUR (darin 143,43 EUR USt und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war vom bis in einem von der Beklagten betriebenen Landeskrankenhaus als Fachärztin beschäftigt. Das Dienstverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung. Ab dem war die Klägerin unwiderruflich vom Dienst freigestellt. Auf das Dienstverhältnis waren die Bestimmungen des Vbg LandesbedienstetenG 2000 anzuwenden. Zwischen den Streitteilen war ursprünglich eine monatliche Überstundenpauschale in Höhe von 20 % des Grundgehalts vereinbart, mit der 24 Überstunden abgegolten wurden. Die Entlohnung von Nachtdiensten erfolgte davon unabhängig mit einem Nachtdienstpauschale.
Mit trat § 4 Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz (KAAZG) idF BGBl I 76/2014 in Kraft. Dies hat eine gegenüber der bisherigen Rechtslage weitergehende Beschränkung der durchschnittlichen Wochenarbeitszeit der in Krankenanstalten beschäftigten Dienstnehmer zur Folge. Nach § 4 Abs 4b KAAZG kann aber durch Betriebsvereinbarung oder im Einvernehmen mit der Personalvertretung zugelassen werden, dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit bis zum 60 Stunden und bis zum 55 Stunden betragen kann, wenn auch die einzelnen Dienstnehmer im Vorhinein schriftlich zugestimmt haben.
Die Beklagte teilte den in ihrem Bereich betroffenen Ärzten und Ärztinnen mit, dass eine Beibehaltung der bisherigen Arbeitszeiten nur mehr möglich sei, wenn sie eine ausdrückliche schriftliche Zustimmung gemäß § 4 Abs 4b KA-AZG erklären. Andernfalls sei zur Einhaltung des Gesetzes eine Reduktion der Arbeitszeiten und damit auch der Überstundenpauschalen erforderlich. Die Klägerin erteilte die Zustimmung nicht.
Um die neuen Arbeitszeithöchstgrenzen einhalten zu können, wies die Beklagte der Klägerin daraufhin ab nur mehr Dienste im Ausmaß von 100 % der Vollbeschäftigung zu und das Überstundenpauschale entfalle. Dennoch anfallende Überstunden rechne die Beklagte einzeln ab.
Im Juli 2015 erklärte die Klägerin, der Anwendung der Übergangsbestimmungen befristet bis zuzustimmen. Da ihr Zeitkonto damals einen Minussaldo aufwies, antwortete die Beklagte, dass eine Änderung erst nach dessen Einarbeitung möglich sei.
Die begehrte die Nachzahlung von Überstundenentgelt und – nur dieser Anspruch ist noch Gegenstand des Revisionsverfahrens – die Weiterzahlung des Überstundenpauschales für die Monate Jänner bis Oktober 2015. Die Einstellung des Pauschales habe gegen das in § 4 Abs 1c KA-AZG ausdrücklich normierte Verbot einer Benachteiligung jener Dienstnehmer verstoßen, die während der Übergangsfrist keine Einwilligung zu längeren Arbeitszeiten erteilen.
Die wandte ein, sie sei aufgrund der Gesetzesänderung gezwungen gewesen, die regelmäßigen Arbeitszeiten der Klägerin herabzusetzen. Die erfolgte Umstellung auf Einzelverrechnung anfallender Überstunden sei deshalb sachlich gerechtfertigt. Die Klägerin habe bei Beendigung des Dienstverhältnisses auch kein offenes Zeitguthaben aufgewiesen.
Das wies das Klagebegehren zur Gänze ab.
Das gab dem Rechtsmittel der Klägerin teilweise Folge, erkannte das strittige Überstundenpauschale zu und bestätigte die Abweisung des Mehrbegehrens.
Bei einem Überstundenpauschale handle es sich um einen grundsätzlich nicht einseitig widerrufbaren Entgeltbestandteil. Eine zulässige Ausnahme liege nicht vor, weil sich die Beklagte weder auf einen vertraglich vereinbarten Änderungsvorbehalt gestützt habe, noch das Landesgesetz einen solchen normiere. Es wäre der Beklagten auch möglich gewesen, die Klägerin ohne Überschreitung der Arbeitszeithöchstgrenze weiterhin zu einer vom Pauschale gedeckten Anzahl von Überstunden heranzuziehen, wenn sie dafür zu entsprechend weniger Nachtdiensten eingeteilt worden wäre.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung erhobene, von der Klägerin beantwortete der Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht nicht alle in Betracht kommenden Rechtsgrundlagen einbezogen hat. Die Revision ist auch berechtigt.
1. Die Klägerin verfolgt den von den Vorinstanzen übereinstimmend verneinten Anspruchsgrund eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot § 4 Abs 1c KA-AZG in der Revisionsbeantwortung nicht mehr, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.
2. Die Revision argumentiert, die Klägerin habe im erstinstanzlichen Verfahren gar nicht vorgebracht, dass das strittige Überstundenpauschale (auch) mangels eines gesetzlichen oder vertraglichen Änderungsvorbehalts unwiderruflich zu gewähren sei. Sie habe ihr Begehren ausschließlich auf die Behauptung einer gesetzwidrigen Diskriminierung gestützt. Die Beklagte habe daher auch kein Vorbringen zur Rechtsgrundlage des in Anspruch genommenen Widerrufsrechts erstatten müssen. Das Berufungsgericht sei erstmals und ohne Erörterung dieses Themas von einer Unwiderruflichkeit des Pauschales ausgegangen und habe die Beklagte mit dieser Rechtsansicht überrascht.
Die Rechtsgrundlage für den Entzug des Pauschales liege in § 15 Abs 5 der Verordnung der Landesregierung über die Gewährung von Nebenbezügen an die Landesbediensteten (LBedG-NebenbezügeVO), welcher offenbar übersehen worden sei.
3. Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.
Nach § 15 Abs 1 der in Ausführung des § 69 Abs 2 LBedG ergangenen LBedG-NebenbezügeVO, LGBl 14/1980 (vgl zu den Übergangsbestimmungen § 112 Abs 7 lit b LandesbedienstetenG 2000), können Nebenbezüge wie die im § 1 der VO geregelte Überstundenvergütung pauschaliert werden, wenn die den Anspruch und das Ausmaß begründenden Tatsachen voraussichtlich für längere Zeit gegeben sein werden.
Gemäß § 15 Abs 5 LBedG-NebenbezügeVO sind Nebenbezüge „neu zu bemessen, wenn wesentliche Änderungen in den für die Bemessung maßgebenden Tatsachen eintreten“.
Eine Verordnung ist eine von einer Verwaltungsbehörde, hier der Vorarlberger Landesregierung, aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung erlassene, generelle Rechtsnorm. Die Ermittlung und Anwendung von Rechtsnormen durch das Berufungsgericht gehört nicht dem Tatsachenbereich an, sondern ist Teil der rechtlichen Beurteilung.
Entgegen der in der Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht hindert der Umstand, dass die Beklagte in erster Instanz nicht auf § 15 Abs 5 LBedG-NebenbezügeVO hingewiesen hat, zumal das Klagsvorbringen dazu auch keinen Anlass gab, die Geltendmachung einer aus der Nichtbeachtung dieser Bestimmung resultierenden unrichtigen rechtlichen Beurteilung in der Revision nicht.
4. Auch laut Absatz 3 des Dienstvertrags der Klägerin (Beilage ./A), sind auf ihr Dienstverhältnis das LBedG und die zu seiner Durchführung erlassenen Verordnungen, jeweils in der geltenden Fassung, anzuwenden. Dieser Verweis gilt auch für § 15 Abs 5 LBedGNebenbezügeVO.
Auch bei einem sonst wirksam vereinbarten Überstundenpauschale besteht die Möglichkeit zu vereinbaren, dass dieses vom Arbeitgeber widerrufen oder unter bestimmten Umständen auf Einzelverrechnung übergegangen werden kann (RISJustiz RS0051758). Der Oberste Gerichtshof hat im Zusammenhang mit § 15 Abs 6 erster Satz GehG 1956, der inhaltlich dem § 15 Abs 5 LBedGNebenbezügeVO entspricht, bereits entschieden, dass ein Verweis auf die sinngemäße Anwendung dieser Regelung in einem Arbeitsvertrag als wirksame Vereinbarung der Möglichkeit eines Widerrufs eines Überstundenpauschales oder des Übergangs auf Einzelverrechnung bei Eintritt bestimmter Umstände anzusehen ist (8 ObA 65/07b).
Es ist hier nur noch zu prüfen, ob die Beklagte vom Widerrufsvorbehalt aus dem von dieser Bestimmung gedeckten wichtigen Grund Gebrauch gemacht hat, also ob sich die für die Bemessung des Überstundenpauschales maßgebenden Tatsachen wesentlich geändert haben.
Dies ist nach den Feststellungen der Fall. Auch die Revisionsbeantwortung der Klägerin beschränkt sich darauf, mit prozessrechtlichen Argumenten gegen die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 15 Abs 5 LBedGNebengebührenVO zu argumentieren. Sie stellt aber nicht in Frage, dass dann, wenn die Verordnung anzuwenden ist, auch die inhaltlichen Voraussetzungen erfüllt sind.
Für die Beklagte gab es aufgrund der zwingenden gesetzlichen Vorgabe keine Alternative zur dauerhaften Verkürzung der Arbeitszeit der betroffenen Bediensteten. Es war damit die Grundlage für die Bemessung des Überstundenpauschales weggefallen. Nur die Klägerin selbst hätte durch schriftliche Option für die Übergangsregelung die befristete Beibehaltung der bisherigen Arbeitszeiten ermöglichen und dadurch die Voraussetzungen für die vorläufige Beibehaltung des Pauschales schaffen können. Für den von der Klägerin erhobenen – gegenüber ihren Kollegen eine Privilegierung bedeutenden – Anspruch auf Freistellung von Nachtdiensten, um statt dessen weiterhin mehr Überstunden leisten zu können, bestand keine Rechtsgrundlage.
Der Revision war daher Folge zu geben und die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG iVm § 41 und 50 ZPO. Vom Kostenverzeichnis der beklagten Partei war insofern abzugehen, als gemäß § 23 Abs 3 RATG im Revisionsverfahren bei einem 10.170 EUR übersteigenden Streitwert nur 50 % Einheitssatz zusteht und die Gebühr für elektronische Folgeeingaben 2,10 EUR beträgt.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00045.18B.0829.000 |
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