OGH vom 27.02.2018, 9ObA152/17v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker und Werner Krachler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei N***** O*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Poganitsch, Fejan & Ragger Rechtsanwälte GmbH in Wolfsberg, wegen 840,18 EUR netto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 32/17f-21, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 36 Cga 113/16i-16, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 335,64 EUR (darin 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger war beim beklagten Arbeitskräfteüberlassungsunternehmen vom bis beschäftigt und durchgehend an (nur) ein Beschäftigerunternehmen überlassen. Auf das Dienstverhältnis war der Kollektivvertrag für das Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) anzuwenden.
Im schriftlichen Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien ua, dass die An- und Abreise des Klägers auf die Baustelle mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erfolgen hat und bei Benutzung eines Privat-PKW keine Kilometergelder vergütet werden. In der am selben Tag von beiden Parteien unterfertigten Überlassungsmitteilung ist hingegen unter anderem festgehalten, dass der Kläger „Kilometergeld sf 0,11 € wöchentlich pro KM“ erhält.
Der Kläger arbeitete im Beschäftigerbetrieb abwechselnd in der Frühschicht (6:00–14:00 Uhr) und in der Nachmittagsschicht (14:00–22:00 Uhr).
Für die Anreise am Beginn der Arbeitswoche sowie die Heimreise am Ende der Arbeitswoche legte der Kläger im Zeitraum Februar bis Mai 2016 insgesamt 2.678 km zurück. Die Beklagte bezahlte dem Kläger dafür ein Kilometergeld von 0,11 EUR/km.
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätte der Kläger bereits am Sonntag Abend anreisen müssen, um am Montag seine Arbeit um 6:00 Uhr antreten zu können. Endete die Schicht am Freitag um 22:00 Uhr bestand mit öffentlichen Verkehrsmitteln die erste Rückreisemöglichkeit an seinen Wohnort erst am darauffolgenden Samstag Nachmittag. Die Anreise am Montag zur Nachmittagsschicht sowie die Heimreise am Freitag nach der Frühschicht wäre für den Kläger mit öffentlichen Verkehrsmitteln noch am jeweils gleichen Tag möglich gewesen.
Das Berufungsgericht gab dem Klagebegehren mit 830,18 EUR netto sA an Kilometergelddifferenz statt. Nach Abschnitt VIII Punkt 14 KVAÜ habe der Arbeitnehmer Anspruch auf Vergütung des Kilometergeldes in Höhe von 0,42 EUR, wenn der Arbeitgeber die Verwendung des PrivatPKW angeordnet habe. Die Anordnung des Arbeitgebers iSd Abschnitts VIII Punkt 14 KVAÜ könne nicht nur ausdrücklich, sondern auch schlüssig erfolgen. In der Überlassungsmitteilung sei die Beklagte von der dienstvertraglichen Anordnung der An und Abreise mit öffentlichen Verkehrsmittel wieder abgegangen. Die rechtzeitige wöchentliche Anreise zum und Abreise vom Beschäftigerbetrieb sei dem Kläger unter Einhaltung der ihm vorgegebenen Arbeitszeiten bei gleichzeitiger Einhaltung der kollektivvertraglichen Bestimmungen faktisch nicht möglich gewesen. Nach Abschnitt VIII Punkt 12 KVAÜ könne für die Wochen(end)ruhe keine Nächtigung angeordnet werden und die Heimreise sei am letzten Arbeitstag der Woche zu ermöglichen. Dies könnte nur durch die Verwendung eines PKW gewährleistet werden. Der Kläger habe damit Anspruch auf das kollektivvertragliche Kilometergeld für sein Wochenpendeln, weil aus dem von der Beklagten verfügten Einsatz des Klägers im Beschäftigerbetrieb unter Bedachtnahme auf die konkret einzuhaltenden Arbeitszeiten die schlüssige Anordnung der Verwendung des Privat-PKW des Klägers abzuleiten sei.
Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht zur Auslegung des Abschnitts VIII Punkt 14 KVAÜ für zulässig.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen diesem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision nicht zulässig.
Im Revisionsverfahren ist zwischen den Parteien nicht die Auslegung des anzuwendenden Kollektivvertrags strittig, sondern ausschließlich, ob der Kläger aufgrund schlüssiger Anordnung der Beklagten für seine wöchentliche Anreise vom Wohnort zum 106 km entfernten Beschäftigerbetrieb und seine Heimreise lediglich das in der Überlassungsmitteilung festgelegte Kilometergeld von 0,11 EUR bezahlt erhält oder gemäß Abschnitt VIII Punkt 14 KVAÜ Anspruch auf Kilometergeld in Höhe von 0,42 EUR hat. Die Beurteilung der Konkludenz einer Willenserklärung bzw der Schlüssigkeit eines Verhaltens hat regelmäßig keine über die besonderen Umstände des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung, es sei denn, es läge eine krasse Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen vor, die im Interesse der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit wahrgenommen werden müsste (RIS-Justiz RS0043253 [T8, T 18]). Dies ist hier nicht der Fall.
Der Senat teilt zunächst die vom Berufungsgericht und im Schrifttum vertretene Auffassung, dass eine Anordnung iSd Abschnitts VIII Punkt 14 KVAÜ nicht nur ausdrücklich, sondern auch schlüssig erteilt werden kann (Rothe, Arbeiter- und AngestelltenKV Arbeitskräfteüberlassung3 [2017] Abschnitt VIII Rz 113; Schindler, ArbeitskräfteüberlassungsKV 2017 Abschnitt VIII Erl 46). Gegenteiliges lässt sich weder dem für die Auslegung maßgeblichen Text des Kollektivvertrags (vgl RISJustiz RS0010088) noch der Absicht der Kollektivvertragsparteien (vgl RISJustiz RS0010089) entnehmen. Diese Rechtsansicht wird auch in der Revision nicht in Frage gestellt.
Die Revision zeigt mit ihren dargelegten Bedenken gegen die Annahme der schlüssigen Anordnung der Beklagten auch keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts auf. Weder aus der (richtigen) Qualifikation der Fahrtkosten für das Wochenpendeln als Aufwandsentschädigung und nicht Entgelt (8 ObA 44/15a) noch aus dem Revisionsargument, es wäre dem Kläger möglich gewesen, den Zeitaufwand für die An- und Abreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln einzukalkulieren und allenfalls von der Begründung eines Arbeitsverhältnisses abzusehen, lässt sich für den Standpunkt der Beklagten etwas gewinnen. Soweit die Revision darauf pocht, dass in der von beiden Parteien unterfertigten Überlassungsmitteilung ein rechtswirksam vereinbarter fiktiver Fahrtkostenersatz für die wöchentliche An und Abreise in Höhe von 0,11 EUR/km liegt, übersieht sie, dass eine derartige einzelvertragliche Vereinbarung gegen die zwingende normative Bestimmung des Abschnitts VIII Punkt 14 KVAÜ verstoßen würde (vgl § 3 Abs 1 ArbVG).
Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RISJustiz RS0035979 [T16]).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:009OBA00152.17V.0227.000 |
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