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OGH vom 22.07.2010, 8ObA45/10s

OGH vom 22.07.2010, 8ObA45/10s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A***** M*****, Angestellter, *****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwaltskommandit-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Peter Sommerer Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 12.790,87 EUR brutto sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 24/10s 14, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 34 Cga 127/09h 10, zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte Entgelt und Beendigungsansprüche aus einem Dienstverhältnis zur Beklagten. Gegen den vom Erstgericht antragsgemäß erlassenen Zahlungsbefehl erhob die Beklagte fristgerecht Einspruch. Kurz vor Beginn der vorbereitenden Tagsatzung rief der Geschäftsführer der Beklagten in der Gerichtskanzlei an und teilte mit, er könne wegen einer Erkrankung nicht zur Verhandlung kommen.

In der vorbereitenden Tagsatzung, zu der für die Beklagte niemand erschienen war, fasste das Erstgericht den Beschluss, dem Geschäftsführer die Vorlage einer Krankenstandsbestätigung einschließlich einer Stellungnahme zur Ausgehfähigkeit innerhalb einer Frist von drei Tagen aufzutragen. Der Kläger beantragte daraufhin „für den Fall der nicht bzw nicht rechtzeitigen Vorlage bzw Vorlage einer Bestätigung nicht in der geforderten Qualität“ die Erlassung eines Versäumungsurteils.

Das Erstgericht behielt sich die Erlassung des Versäumungsurteils zunächst bis vor und erließ dieses schließlich am . In ihrer dagegen erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens führte die Beklagte aus, ihr Geschäftsführer habe die geforderte Krankenstandsbestätigung fristgerecht an das Erstgericht gefaxt. Für den Fall, dass der Berufung nicht Folge gegeben werden sollte, stellte die Beklagte einen Wiedereinsetzungsantrag und erhob hilfsweise auch Widerspruch gegen das Versäumungsurteil.

Das Berufungsgericht wies die Berufung als unzulässig zurück. Der Kläger habe einen bloß bedingten Antrag auf Erlassung eines Versäumungsurteils gestellt und dadurch zu erkennen gegeben, dass er die Erkrankung des Geschäftsführers der Beklagten entgegen § 402 Abs 1 Z 2 ZPO als Hinderungsgrund für dessen Erlassung akzeptiere. Der unzulässig bedingte Antrag gelte als nicht gestellt, sodass nach § 398 Abs 1 ZPO Ruhen des Verfahrens eingetreten sei. Das Versäumungsurteil sei in Missachtung der Unterbrechungswirkungen des Ruhens ergangen und daher grundsätzlich nichtig. Da der Beklagte aber den Verstoß gegen die Unterbrechungswirkung in seiner Berufung nicht releviert habe, sei auch sein Rechtsmittel unzulässig, was ein amtswegiges Aufgreifen der Nichtigkeit hindere.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Zurückweisungsbeschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht eine Sachentscheidung über die Berufung der Beklagten aufzutragen, hilfsweise das Versäumungsurteil des Erstgerichts zu bestätigen.

Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Der Rekurs ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen hat. In einem solchen Fall ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs ohne Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und ohne Rücksicht auf die Höhe des Streitwerts zulässig (RIS Justiz RS0043893; RS0098745). Das Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof ist nach der bereits anzuwendenden Zivilverfahrensnovelle 2009 (vgl Art XIV Abs 2 ZVN 2009) zweiseitig (RIS-Justiz RS0098745 [T21] = 3 Ob 45/10d).

1.2 Auch die Beschwer des Klägers ist wegen potenzieller prozessualer Nachteile zu bejahen (vgl RIS Justiz RS0041758). Der Kläger erwirkte im erstinstanzlichen Verfahren zu seinen Gunsten eine Sachentscheidung. Durch die Zurückweisung der Berufung der Beklagten aus formalen Gründen ohne Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils, die hier das Verfahren nicht beendet, ist das Interesse des Klägers an einer das Verfahren beendenden Sachentscheidung verletzt (1 Ob 68/04p; 3 Ob 163/05z). Der Kläger weist im Rekurs auch zutreffend darauf hin, dass das Berufungsgericht an sich von der Nichtigkeit des von ihm erwirkten Versäumungsurteils ausgegangen ist (vgl dazu RIS-Justiz RS0064476).

2.1 Das Berufungsgericht steht auf dem Standpunkt, dass der bloß bedingte Antrag auf Erlassung des Versäumungsurteils als nicht gestellt gelte, daher in der vorbereitenden Tagsatzung Ruhen des Verfahrens mit Unterbrechungswirkung eingetreten sei, während der Unterbrechungswirkung ein Rechtsmittel nur wegen Verstoßes gegen die Unterbrechungswirkung erhoben werden könne, aus diesem Grund ein zulässiges Rechtsmittel nicht vorliege und die Nichtigkeit des Versäumungsurteils daher nicht aufgegriffen werden könne. Maßgebend für den Zurückweisungsbeschluss des Berufungsgerichts ist somit die Qualifikation des Antrags auf Erlassung des Versäumungsurteils als unzulässige bedingte Prozesshandlung. Dieser Beurteilung kann nicht beigetreten werden.

2.2 Der Kläger weist in seinem Rekurs zutreffend darauf hin, dass bei der Auslegung von Prozesshandlungen nach deren objektivem Erklärungsinhalt jener Variante der Vorzug zu geben ist, die es erlaubt, eine prozessuale Willenserklärung als wirksame Prozesshandlung anzusehen (RIS-Justiz RS0106326; 10 Ob 101/07m). Bedingte Prozesshandlungen werden nach der Rechtsprechung allerdings nur dann für unzulässig angesehen, wenn sie an ein außerprozessuales Ereignis geknüpft werden. Bedingungen, die an innerprozessuale Tatsachen und Vorgänge geknüpft werden, sind hingegen zulässig, sofern dadurch nicht die Vorhersehbarkeit des weiteren Prozessablaufs in unerträglicher Weise beeinträchtigt wird (RIS-Justiz RS0037502; RS0006441). In diesem Sinn erlaubt etwa § 261 Abs 6 ZPO dem Kläger einen Überweisungsantrag an das von ihm namhaft gemachte Gericht für den Fall, dass das angerufene Gericht der vom Beklagten erhobenen Einrede der Unzuständigkeit stattgibt, auch sind Prozesshandlungen, die ein gemäß § 38 ZPO vorläufig zugelassener Vertreter vornimmt, bedingt wirksam (RIS-Justiz RS0120145 = 9 Ob 36/05t).

Auch im vorliegenden Fall hing die vom Kläger formulierte Einschränkung seines Urteilsantrags nur von einer davor angekündigten Entscheidung des Gerichts, also einem innerprozessualen Vorgang, ab. Der Kläger hat nicht von sich aus eine Bedingung gestellt, sondern das Gericht hat zu erkennen gegeben, dass es seine Entscheidung über den weiteren Fortgang des Verfahrens von der Vorlage der aufgetragenen Bestätigung abhängig machen werde (vgl dazu auch Deixler Hübner in Fasching/Konecny ² § 402 ZPO Rz 2; 10 Ob 101/07m). Die vom Kläger formulierte Bedingung konnte aus diesem Grund auch keinen Einfluss auf den Fortgang des Verfahrens haben. Eine allenfalls in diesem Punkt unzutreffende Beurteilung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen durch das Erstgericht kann nicht einer Partei angelastet werden.

Nach seinem objektiven Erklärungswert war der Antrag des Klägers ohne Zweifel auf Erlassung eines Versäumungsurteils bei Vorliegen der - allein vom Gericht zu prüfenden - gesetzlichen Voraussetzungen gerichtet.

2.3 Die Rechtsfolgen des § 398 Abs 2 ZPO sind daher nicht eingetreten, die mit einem Ruhen des Verfahrens begründete Zurückweisung der Berufung der Beklagten durch das Gericht zweiter Instanz erweist sich als verfehlt.

Die Überlegungen des Berufungsgerichts zur Erlassung eines (vorbehaltenen) Versäumungsurteils bei behaupteten subjektiven Verhinderungsgründen betreffen die inhaltliche Behandlung der Berufung der Beklagten.

Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben und dem Berufungsgericht die Entscheidung über die Berufung der Beklagten unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO (vgl 3 Ob 45/10d für die Rechtslage nach der ZVN 2009).