OGH 29.08.2019, 8ObA44/18f
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Johanna Biereder und Werner Krachler in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E***** G*****, vertreten durch Dr. Martin Riedl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17–19, wegen 7.891,67 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 128/17t-12, mit dem das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 41 Cga 15/17v-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:
Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 7.891,67 EUR brutto samt Anhang zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.419,08 EUR bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, die mit 2.155,90 EUR (darin 1.143 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.125,90 EUR (darin 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist seit bei der Beklagten (Bundesministerium für Landesverteidigung) gemäß § 36 VBG mit einem Sondervertrag als Pilot und Kommandant einer Hubschrauberstaffel beschäftigt. Sein Dienstort ist der Militärflughafen Langenlebarn. Die Strecke zwischen seinem Wohnort im Waldviertel und seiner Dienststelle legt der Kläger mit dem Privat-Pkw zurück und benötigt dafür eine Fahrtzeit zwischen 1 h 25 min bis 1 h 30 min. Neben Zeiten des Normdienstes und dienstfreien Zeiten hat der Kläger auch Zeiten einer Rufbereitschaft.
Mit Befehl des Kommandos Luftunterstützung vom wurde die Neufassung der Einsatzbereitschaft Luftunterstützung angeordnet. Aufgrund dieser Regelung („Readiness Status 180“) hat sich der Kläger, wenn er zur Bereitschaft eingeteilt ist, erreichbar zu halten und muss er für den Fall, dass er alarmiert wird, innerhalb von drei Stunden (180 min) in der Lage sein, mit dem Hubschrauber vom Militärflughafen Langenlebarn abzuheben. Der Kläger hat seinen Aufenthaltsort während der Rufbereitschaft so zu wählen, dass er ab Alarmierung innerhalb der genannten Zeitspanne sowohl die Dienststelle erreichen, als auch noch alle für den Flug erforderlichen vorbereitenden Maßnahmen abschließen kann, die ab Eintreffen an der Dienststelle noch eine bis eineinhalb Stunden in Anspruch nehmen. Um rechtzeitig abheben zu können, muss der Kläger die Dienststelle daher innerhalb von eineinhalb Stunden erreichen können.
Der Kläger hielt sich während seiner klagsgegenständlichen Rufbereitschaften (zwischen April 2015 und Juni 2016) immer zu Hause auf, weil er befürchtete, dass er dann, wenn er sich zu weit von seinem Wohnort entfernt, nicht mehr rechtzeitig an der Dienststelle eintreffen könnte. Zu einer tatsächlichen Alarmierung des Klägers kam es im strittigen Zeitraum nicht.
Während der Rufbereitschaft hatte der Kläger von sich aus täglich einmal eine Überblickswetteranfrage einzuholen und einen Rundruf innerhalb der Crew zu starten, ob alles in Ordnung ist. Er hatte jedoch nicht selbstständig Umstände zu beobachten, um bei deren Eintritt selbstständig den Dienst aufzunehmen. Erst im Fall einer Alarmierung hätte er sofort dienstliche Maßnahmen setzen müssen, nämlich seine Crew verständigen und mit dem Bedarfsträger oder dem diensthabenden System den Einsatz betreffend Kontakt aufnehmen müssen. Ab diesem Zeitpunkt hätte er sich „normal“ im Dienst befunden und wäre für die Dienststunden mit einer Assistenzeinsatzgebühr entlohnt worden.
Unstrittig gelangen auf das Vertragsbedienstetenverhältnis des Klägers die Regelungen zur Bereitschaftsentschädigung nach § 17b Abs 1 bis 3 Gehaltsgesetz 1956 (GehG) sinngemäß zur Anwendung, die folgenden Wortlaut haben:
„Bereitschaftsentschädigung
(1) Dem Beamten, der sich außerhalb der im Dienstplan vorgeschriebenen Dienststunden auf Anordnung in einer Dienststelle oder an einem bestimmten anderen Ort aufzuhalten hat, um bei Bedarf auf der Stelle seine dienstliche Tätigkeit aufnehmen zu können, gebührt hiefür (…) eine Bereitschaftsentschädigung, bei deren Bemessung auf die Dauer der Bereitschaft Bedacht zu nehmen ist.
(2) Dem Beamten, der sich außerhalb der im Dienstplan vorgeschriebenen Dienststunden sowohl in seiner Wohnung erreichbar zu halten, als auch von sich aus bei Eintritt von ihm zu beobachtender Umstände seine dienstliche Tätigkeit aufzunehmen hat, gebührt hiefür (…) eine Bereitschaftsentschädigung, bei deren Bemessung auf die Dauer der Bereitschaft und die Häufigkeit allenfalls vorgeschriebener Beobachtungen Bedacht zu nehmen ist.
(3) Dem Beamten, der sich außerhalb der im Dienstplan vorgeschriebenen Dienststunden erreichbar zu halten hat (Rufbereitschaft), gebührt hiefür (…) eine Bereitschaftsentschädigung, deren Höhe nach der Dauer der Bereitschaft zu bemessen ist.“
Der Kläger begehrt die Abgeltung seiner im Zeitraum von April 2015 bis Juni 2016 geleisteten Bereitschaftszeiten mit einer Entschädigung für „Dienststellen- und Wohnungsbereitschaft“ nach § 17b Abs 1 bzw Abs 2 GehG. Die Beklagte habe ihm zu Unrecht lediglich eine Entschädigung für Rufbereitschaft nach § 17b Abs 3 GehG bezahlt.
Die Beklagte wandte ein, die dem Kläger angeordneten Bereitschaftsdienste hätten nicht den Kriterien der von ihm herangezogenen Bestimmungen entsprochen. Insbesondere sei keine Anordnung ergangen, dass er sich zur Sicherstellung des Bereitschaftsbefehls generell oder zu bestimmten Zeiten innerhalb der Dienststelle oder an seinem Wohnort aufzuhalten gehabt hätte.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren in der Hauptsache statt. Die Bereitschaftsdienste des Klägers entsprächen einer „Dienststellenbereitschaft“ im Sinne des § 17b Abs 1 GehG. Der Kläger hätte bei Alarmierung „auf der Stelle“ dienstliche Maßnahmen setzen müssen. Zumindest im Ergebnis sei aber auch eine Aufenthaltspflicht angeordnet gewesen. Der Kläger sei im Wesentlichen auf den Verbleib an seinem Wohnort beschränkt gewesen, weil er sonst mit der durchschnittlichen Anfahrtsdauer und den vorbereitenden Maßnahmen den zur Verfügung stehenden Rahmen von 180 Minuten überschritten hätte. Es wäre ihm keine Zeit geblieben, erst von einem anderen Ort an seinen Wohnort zurückzukehren und dann zur Dienststelle zu fahren. Eine direkte Anfahrt zum Flugplatz von einem anderen Aufenthaltsort innerhalb eines entsprechenden Umkreises wäre theoretisch möglich gewesen, der Kläger hätte aber im Fall einer Alarmierung erst die ihn begleitenden Personen, insbesondere Familienangehörige, gesondert nach Hause bringen müssen, weil er den Privat-Pkw für die Fahrt zur Dienststelle benötigt hätte.
Das Berufungsgericht gab dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittel der Beklagten keine Folge und erklärte die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO für zulässig, weil einer Entscheidung über die Bereitschaftsentschädigung nach § 17b GehG über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Für eine Dienststellenbereitschaft nach § 17b Abs 1 GehG seien einerseits die Aufenthaltspflicht an einem bestimmten Ort und andererseits die Verpflichtung zur sofortigen Aufnahme der dienstlichen Tätigkeit charakteristisch. Dies unterscheide die Dienststellenbereitschaft von der Rufbereitschaft nach § 17b Abs 3 GehG, die lediglich eine Erreichbarkeit und den Antritt des Dienstes binnen kürzester Zeit erfordere.
Eine Aufenthaltspflicht liege nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zu § 17b Abs 1 GehG auch dann vor, wenn der Aufenthalt nicht auf einen Ort, sondern auf einen bestimmten größeren Bereich, wie einen politischen Bezirk, beschränkt werde.
Da der Kläger unmittelbar nach einer Alarmierung mit den aufgetragenen telefonischen Kontaktaufnahmen verantwortungsvolle dienstliche Tätigkeiten hätte verrichten müssen, sei seine Freizeitgestaltung eingeschränkt gewesen. Er hätte während eines solchen Bereitschaftsdienstes nicht mehr an geselligen Zusammenkünften, kulturellen oder sportlichen Veranstaltungen teilnehmen können. Es sei dem Erstgericht auch beizupflichten, dass die räumliche Einschränkung auf einen Umkreis von eineinhalb Stunden Entfernung von der Dienststelle eine Aufenthaltsbeschränkung im Sinne des § 17b Abs 1 GehG darstelle. Zwar gehöre die Wahl des Wohnorts zum privaten Lebensbereich des Bediensteten, es hätten sich aber auch bei einem näher zur Dienststelle gelegenen Wohnort keine erheblich geringeren Beschränkungen bezüglich Aufenthalt und Freizeitaktivitäten ergeben.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom Kläger beantwortete Revision der Beklagten, die aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen zulässig ist. Die Revision ist auch berechtigt.
1. Bei den Bereitschaftsentschädigungen nach § 17b GehG handelt es sich um eine Vergütung für die Kürzung der Freizeit, die je nach Stärke des Eingriffs in die „persönliche Freizügigkeit“ abgestuft sein soll (EB 323 BlgNR XIII. GP, 9). Einen Anspruch auf Entschädigung nach § 17b Abs 1 GehG begründet eine Anordnung nur dann, wenn aus ihr zwei außerhalb der „Normdienstzeit“ zu erfüllende Verpflichtungen abzuleiten sind, nämlich die Verpflichtung zum Aufenthalt an einem bestimmten Ort, zu der die Verpflichtung hinzutreten muss, bei Bedarf auf der Stelle einen bestimmten Dienst aufzunehmen (Bereitschaftspflicht im engeren Sinn). Zwischen beiden Verpflichtungen besteht ein Zusammenhang (VwGH 86/12/0054 = VwSlg 13444 A/1991). Eine Aufenthaltspflicht nach § 17b Abs 1 GehG dient („um zu“) dem Zweck, die Aufnahme des Dienstes auf der Stelle zu gewährleisten. Sie ist im Sinne des § 17b Abs 1 GehG deswegen sofort möglich, weil der Bedienstete sich schon an dem vorgegebenen Ort befindet.
2. Dem Kläger war während der Bereitschaftszeit kein bestimmter Aufenthaltsort vorgegeben. Indirekt ergibt sich, wovon die Vorinstanzen zutreffend ausgegangen sind, zwar eine räumliche Beschränkung durch die Notwendigkeit, innerhalb von längstens eineinhalb Stunden zum Dienstort Langenlebarn anreisen zu können, darüber hinaus bestanden aber nach den Feststellungen keine weiteren Vorgaben.
Der erkennende Senat vermag die Auffassung, dass es sich bei einem derart großen Gebiet, das die Bundeshauptstadt Wien, fast das gesamte Bundesland Niederösterreich und das nördliche Burgenland umfasst, um einen „bestimmten anderen Ort“ im Sinne des § 17b Abs 1 GehG handelt, nicht zu teilen.
Die Revision argumentiert zutreffend, dass die Qualifikation einer angeordneten Bereitschaft im Sinne der Absätze 1 bis 3 des § 17b GehG nur nach objektiven Kriterien beurteilt werden kann, die für alle davon betroffenen Bediensteten gleichermaßen gelten, unabhängig von ihrem privaten Wohnort oder der von ihnen persönlich bevorzugten Freizeitgestaltung. Die Überlegung der Vorinstanzen, dass der Kläger sich während der Bereitschaft deswegen nicht innerhalb des gesamten theoretisch möglichen Umkreises vom Dienstort bewegen hätte können, weil er im Alarmfall zunächst seine Begleiter bzw Familienmitglieder nach Hause bringen hätte müssen, vermag nicht zu überzeugen.
Der Umstand, dass der Kläger seinen Wohnort im nördlichen Waldviertel gewählt hat und regelmäßig eine besonders lange Anfahrtszeit zum Dienstort in Kauf nimmt, ist seinem privaten Lebensbereich zuzuordnen. Aus dieser Entscheidung, mag sie auch schon vor der Einführung des „Readiness Status 180“ getroffen worden sein, kann er keinen Anspruch auf bevorzugte Abgeltung der Bereitschaftsdienste gegenüber anderen Piloten ableiten, die näher am Dienstort wohnen.
Im Übrigen wurden die vielfältigen Möglichkeiten, sich zur Freizeitgestaltung alleine vom Wohnort wegzubewegen, von den Vorinstanzen ebenso ausgeblendet wie die naheliegende Option, für Begleitpersonen eine gesonderte Rückfahrmöglichkeit einzuplanen, falls es zu einer – nach den Feststellungen ohnehin nicht wahrscheinlichen, da im mehr als einjährigen Beobachtungszeitraum nie eingetretenen – Alarmierung gekommen wäre. Der Wohnort des Klägers verfügt darüber hinaus notorisch über einen Bahnhof, der zumindest im Zweistundentakt von Wien aus direkt angefahren wird. Bei einem Aufenthalt innerhalb des möglichen Entfernungsradius wäre dem Kläger auf dem kürzeren Weg zum Dienstort auch Zeit geblieben, Begleitpersonen zum nächsten Bahnhof zu bringen.
Es besteht kein Zweifel, dass auch diese von den Vorinstanzen in ihren Überlegungen nicht näher einbezogenen Varianten immer noch eine Einschränkung der Freizeitmöglichkeiten bedeuten. Diese ist aber eine dem Grunde nach notwendige Voraussetzung dafür, dass überhaupt eine Abgeltung gemäß § 17b GehG gebührt. Nach den Feststellungen ging diese Beschränkung im vorliegenden Fall nicht über eine Rufbereitschaft im Sinne des § 17b Abs 3 GehG hinaus. Auch diese ist, wie das Berufungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, immer mit einem gewissen Ausmaß der örtlichen Fremdbestimmung des Bediensteten verbunden. Es trifft ihn nicht nur die Verpflichtung, sich auf solche Aufenthaltsorte zu beschränken, an denen er über ein ständig betriebs- und empfangsbereites Kommunikationsgerät erreicht werden kann. Außerdem muss er sein Verhalten während der Rufbereitschaft darauf einrichten, im Fall eines Anrufs seine Pflichten in zumutbarer Zeit und unbeeinträchtigt (zB durch Alkoholgenuss) wahrnehmen zu können (Heilegger in Gasteiger/Heilegger/Klein, Arbeitszeitgesetz5, § 20a Rz 1;9 ObA 71/04p mwN).
Die als Voraussetzung für die Abgeltung der Bereitschaft nach § 17b Abs 1 GehG normierte Verpflichtung, sich an einem „bestimmten Ort“ aufzuhalten, ist nur dann von der auch einer Rufbereitschaft immanenten „unverzüglichen“ Einsatzbereitschaft abgrenzbar, wenn der Begriff nicht allzu weit ausgelegt wird. Eine Gebietsbeschränkung, die wie hier über immerhin mehrere Bundesländer reicht, respektive eine Zeitspanne von eineinhalb Stunden für die Anreise zum Dienstort, ist darunter nicht mehr subsumierbar.
Fehlt es bereits an der ersten für die Abgeltung nach § 17b Abs 1 GehG normierten Verpflichtung, sich an einem „bestimmten Ort“ aufzuhalten, kommt es nicht mehr darauf an, ob die Dienstverrichtung nach erfolgter Alarmierung „an Ort und Stelle“ aufgenommen werden musste.
Die im Alarmierungsfall sofort zu erledigenden Maßnahmen bestanden zudem hier in der Erledigung von einigen Telefonaten, die – etwas Abweichendes ist den Feststellungen nicht zu entnehmen – von jedem beliebigen Ort mit Mobiltelefonempfang geführt werden konnten.
Der berechtigten Revision der beklagten Partei war daher Folge zu geben.
Die abgeänderte Kostenentscheidung gründet sich auf § 2 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2019:008OBA00044.18F.0829.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
XAAAD-99057