VfGH vom 01.07.1983, B413/82
Sammlungsnummer
9751
Leitsatz
Art139 und 140 B-VG; zur Prozeßvoraussetzung der Präjudizialität bei der amtswegigen Einleitung eines Normenprüfungsverfahrens; in einem Bauverfahren haben die Verwaltungsbehörden nicht jene Vorschriften anzuwenden, die die Gemeindegrenzen festlegen
Ktn. Bauordnung 1969; keine Bedenken gegen § 1 Abs 1 und § 3; kein Entzug des gesetzlichen Richters; keine Gleichheitsverletzung
Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Bürgermeister der Gemeinde Weitensfeld-Flattnitz/Bezirk St. Veit an der Glan/Ktn. hat mit Bescheid vom dem Beteiligten dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens, H. Z., die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Nebengebäudes auf bestimmten Grundstücken der Katastralgemeinde Deutsch-Griffen erteilt.
Der Berufung des Anrainers (des Beschwerdeführers dieses verfassungsgerichtlichen Verfahrens) wurde mit Beschluß des Vorstandes der Gemeinde Weitensfeld-Flattnitz vom (ausgefertigt mit Bescheid vom ) keine Folge gegeben.
Die Ktn. Landesregierung wies die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Vorstellung mit Bescheid vom gemäß § 95 der Allgemeinen Gemeindeordnung 1982, LGBl. für Ktn. Nr. 8/1982 (im folgenden kurz: AGO 1982), als unbegründet ab.
2. a) Gegen diesen Vorstellungsbescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den VfGH, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird. Es wird angeregt, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen des § 23 Abs 1 und 2 des Ktn. Gemeindestruktur-Verbesserungsgesetzes, LGBl. 63/1972 (GStrVG), einzuleiten und die Worte "die Gemeinde Deutsch-Griffen" in § 23 Abs 1 sowie die Worte "Gemeinde Deutsch-Griffen" in § 23 Abs 2 leg. cit. als verfassungswidrig aufzuheben.
b) Der Beschwerdeführer begründet seine Behauptung, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden zu sein, ausschließlich damit, daß die örtliche Zuständigkeit der in erster und zweiter Instanz eingeschrittenen Gemeindebehörden auf einem verfassungswidrigen, dem Gleichheitsgrundsatz widersprechenden Gesetz beruhe, nämlich auf dem § 23 Abs 1 und 2 GStrVG.
Der Beschwerdeführer führt die Bedenken, die seiner Ansicht nach gegen die Sachlichkeit dieser Gesetzesbestimmungen sprechen, näher aus.
3. a) Die Ktn. Landesregierung als belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
Sie tritt der Meinung des Beschwerdeführers entgegen, daß Bestimmungen des GStrVG in diesem Verfahren präjudiziell seien. Dieses Gesetz sei im Bauverfahren weder angewendet worden noch sei es anzuwenden gewesen. Der einem Bauverfahren zugrundeliegende Sachverhalt sei einer Norm, die zum Entstehen einer Gemeinde, zum Untergang einer Gemeinde oder zu Grenzveränderungen führt, nicht subsumierbar. Die örtlichen und sachlichen Zuständigkeiten der Baubehörden und der Vorstellungsbehörde seien nicht im GStrVG geregelt, sondern hätten ihre Grundlage vielmehr in der AGO 1982 und in der Ktn. Bauordnung.
b) Darauf hat der Beschwerdeführer mit Äußerung vom repliziert, auf die die belangte Behörde mit Schriftsatz vom 3. Feber 1982 erwidert hat.
II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Das GStrVG ordnet die Struktur der Ktn. Gemeinden neu. Die Gemeinde Weitensfeld-Flattnitz wurde gemäß § 23 Abs 1 als neue Rechtsperson geschaffen. Sie ist dem § 23 Abs 2 zufolge Rechtsnachfolgerin der früheren Gemeinden Weitensfeld, Deutsch-Griffen und Glödnitz.
Der Beschwerdeführer meint, daß die zitierten Bestimmungen für die Entscheidung des VfGH über die vorliegende Beschwerde präjudiziell seien, weil ohne diese Vorschriften als Baubehörde erster und zweiter Instanz nicht Organe der (neuen) Gemeinde Weitensfeld-Flattnitz einschreiten hätten dürfen, sondern der Bürgermeister und der Vorstand der Gemeinde Deutsch-Griffen. Der VfGH habe also nach Ansicht des Beschwerdeführers bei Beurteilung der Frage, ob auf Gemeindeebene die zuständigen Behörden gehandelt haben, unter anderem § 23 Abs 1 und 2 GStrVG anzuwenden.
2. a) Zunächst ist die Frage zu lösen, ob der VfGH § 23 Abs 1 und 2 GStrVG in dieser Beschwerdesache iS des Art 140 Abs 1 erster Satz B-VG "anzuwenden" hat. Nur in diesem Fall wäre er berechtigt, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit dieser landesgesetzlichen Vorschriften einzuleiten.
b) Die Prozeßvoraussetzung der Präjudizialität ist bei der amtswegigen Einleitung eines Verordnungs- und Gesetzesprüfungsverfahrens auch nach der durch die B-VG Nov. BGBl. 302/1975 geschaffenen Verfassungsrechtslage in gleicher Weise zu beurteilen wie nach der früheren Fassung der Art 139 und 140 B-VG (vgl. VfSlg. 7949/1976, S 436), wonach es darauf ankam, ob die generelle Norm "Voraussetzung" für die Entscheidung des VfGH in einer bei ihm anhängigen Rechtssache war.
Es ist offenkundig, daß die Art 139 Abs 1 und 140 Abs 1 B-VG den VfGH nicht dazu ermächtigen, jede generelle Norm von Amts wegen zu prüfen, die für seine Entscheidung auch nur irgendwie von Bedeutung sein kann; denn irgendwie bedeutsam kann letztlich jede Norm, dh. die gesamte Rechtsordnung sein. Der Sinn dieser bundesverfassungsgesetzlichen Vorschriften ist es vielmehr, den Umfang jener genereller Normen, die zu prüfen der VfGH befugt ist, einzugrenzen.
Diese Schranken lassen sich nicht allgemein umschreiben. Vielmehr hat der VfGH unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des jeweiligen Falles zu entscheiden, wo die Grenze zu ziehen ist (vgl. Kelsen - Fröhlich - Merkl, Die Bundesverfassung vom , Wien und Leipzig 1922, S 254).
c) Bei Entscheidung über die vorliegende Beschwerde hat der VfGH - wie dem Beschwerdeführer beizupflichten ist - nicht bloß die materiellen Rechtsvorschriften (insbesondere jene der Ktn. Bauordnung, LGBl. 48/1969 (BO), und des Ktn.
Gemeindeplanungsgesetzes, LGBl. 1/1970) sowie die das Verfahren (im engeren Sinn) regelnden Vorschriften (insbesondere das AVG 1950) anzuwenden, sondern auch jene Bestimmungen, aus denen die Zuständigkeit der Ktn. Landesregierung zur Erlassung des bekämpften Vorstellungsbescheides (§95 AGO 1982) sowie die Kompetenz der in erster und zweiter Instanz eingeschrittenen Gemeindebehörden abzuleiten ist. Eine allenfalls mangelnde Zuständigkeit der Gemeindebehörden wäre nämlich von der Ktn. Landesregierung als Gemeindeaufsichtsbehörde im Vorstellungsverfahren wahrzunehmen gewesen (vgl. zB VfSlg. 8229/1977, 9026/1981).
Um zu beurteilen, ob im Bauverfahren die örtlich und sachlich zuständigen Behörden eingeschritten sind, hatte die belangte Behörde als Gemeindeaufsichtsbehörde § 1 Abs 1 und § 3 BO iVm § 58 Abs 3 AGO 1966 bzw. § 69 Abs 3 AGO 1982 und § 83 Abs 1 AGO 1966 bzw. § 94 Abs 1 AGO 1982, diese Bestimmungen wieder iVm § 3 lita AVG 1950 anzuwenden. Auch der VfGH hat sie in diesem Beschwerdeverfahren anzuwenden; sie sind präjudiziell.
Es ist aber offenkundig, daß in einem Bauverfahren, in dem die Situierung des Bauwerkes innerhalb des Gemeindegebietes außer Frage steht, die Verwaltungsbehörden ihre Entscheidung nicht (auch) auf jene Vorschriften zu stützen haben, die die Gemeindegrenzen festlegen.
Daraus folgt, daß auch der VfGH in einem darauf bezüglichen Verfahren Bestimmungen, aus denen sich die Grenzen von Gemeinden - also von Rechtsträgern, die durch die Bundesverfassung selbst eindeutig konstituiert sind - ergeben, nicht iS des Art 140 Abs 1 B-VG "anzuwenden" hat. Für die Entscheidung über die vorliegende, gegen einen in einer Bausache ergangenen (Vorstellungs-)Bescheid gerichtete Beschwerde sind daher die Bestimmungen des GStrVG nicht präjudiziell.
Dem VfGH ist es somit nicht möglich, sich mit der Verfassungsmäßigkeit des GStrVG auseinanderzusetzen.
3. Gegen die tatsächlich präjudiziellen Rechtsvorschriften (II.2.c) hegt der VfGH keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
4. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (vgl. zB VfSlg. 8828/1980), etwa, indem sie zu Unrecht ihre Sachentscheidung verweigert (vgl. zB VfSlg. 9105/1981).
Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird auch dann verletzt, wenn die Gemeindeaufsichtsbehörde im Vorstellungsbescheid die Nichtzuständigkeit der Gemeindebehörde nicht wahrgenommen hat (vgl. VfSlg. 8229/1977, 9026/1981).
Wie sich aus den oben unter II.2.c zitierten Rechtsvorschriften ergibt, waren die Gemeindebehörden erster und zweiter Instanz zur Erlassung des Baubescheides und die Ktn. Landesregierung zur Erlassung des beim VfGH bekämpften Vorstellungsbescheides zuständig.
Art83 Abs 2 B-VG gewährleistet nicht die Gesetzmäßigkeit des Inhaltes des angefochtenen Verwaltungsaktes; vielmehr wird die Zuständigkeit der Behörde und damit das Recht auf das Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch eine unrichtige behördliche Entscheidung allein nicht berührt (VfSlg. 8828/1980, ).
Der Beschwerdeführer ist sohin durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter nicht verletzt worden.
5. Im Hinblick auf die Unbedenklichkeit der den bekämpften Bescheid tragenden Rechtsvorschriften (s.o. II.3.) könnte der Beschwerdeführer im Gleichheitsrecht nur durch eine willkürliche Gesetzesanwendung verletzt worden sein.
Anhaltspunkte für ein derartiges Verhalten haben sich jedoch nicht ergeben. Auch der Beschwerdeführer bringt in dieser Hinsicht nichts vor.
6. Das Verfahren hat auch nicht erbracht, daß der Beschwerdeführer in sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
Fundstelle(n):
TAAAD-99015