OGH vom 09.01.1996, 10ObS262/95

OGH vom 09.01.1996, 10ObS262/95

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Wolf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Werner Fendrich (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Land *****, vertreten durch Dr.Jörg Lindpaintner, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Tiroler Gebietskrankenkasse, 6020 Innsbruck, Clara-Pölt-Weg 2, vertreten durch Dr.Hans Peter Ullmann und Dr.Stefan Geiler, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 104.991,87 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 5 Rs 67/95-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 47 Cgs 59/95w-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Aus Anlaß der Revision werden das angefochtene Urteil und das Urteil des Erstgerichtes, soweit es das Klagebegehren abweist (Punkt 2. des Urteilsspruches), sowie das diesen Entscheidungen zugrunde liegende Verfahren als nichtig aufgehoben.

Die auf Zahlung eines restlichen Betrages von S 104.151,87 samt 4 % Zinsen seit gerichtete Klage wird zurückgewiesen.

Die Prozeßkosten des nichtigen Verfahrens und des Revisionsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Begründung:

Der am geborene Siegfried E*****erhält seit aus Mitteln der Sozialhilfe einen laufenden Pensionsvorschuß sowie Leistungen für Krankenhilfe nach den Tarifen der Tiroler Gebietskrankenkasse. Am legte er die Bescheinigung über die vorläufige Krankenversicherung gemäß § 10 Abs 7 ASVG ausgestellt von der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter über die vorläufige Krankenversicherung ab der Bezirkshauptmannschaft K*****vor. Diese teilte der beklagten Gebietskrankenkasse mit Schreiben vom mit, daß Siegfried E*****mit die vorläufige Krankenversicherung zuerkannt wurde. Gleichzeitig ersuchte sie um Überweisung der Rückvergütung der bereits bezahlten Krankenhilfe im Ausmaß von S 107.518,36. Die beklagte Gebietskrankenkasse teilte hierauf mit Schreiben vom mit, daß von dieser Forderung nur ein Betrag von S 2.604,85 anerkannt werden könne, da die übrigen Leistungen der Verfallsfrist von sechs Monaten im Sinne des § 330 Abs 1 ASVG unterliegen und daher nicht mehr anerkannt werden könnten. In Antwort auf dieses Ablehnungsschreiben wiederholte die Bezirkshauptmannschaft K*****mit Schreiben vom unter Ablehnung des Rechtsstandpunktes der beklagten Partei ihre Forderung. Die Bezirkshauptmannschaft K*****hatte für Siegfried E*****im Zeitraum vom bis Leistungen im Gesamtausmaß von S 107.518,36 erbracht. Die Beklagte zahlte nur den anerkannten Betrag von S 2.604,85. Nach dem leistete die Bezirkshauptmannschaft Kufstein Zahlungen von insgesamt S 3.366,49. Die übrigen Zahlungen betreffen den Zeitraum vor dem .

Mit der am beim Erstgericht überreichten Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung eines Betrages von S 104.913,51 samt 4 % Zinsen ab Klagstag. Sie berief sich dabei auf den bereits eingangs dargelegten Sachverhalt und behauptete, daß ihr die von der Beklagten abgelehnten Ersätze für die an Siegfried E*****geleisteten Krankenhilfeleistungen gebührten.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und berief sich auf die Verfallsfrist des § 330 Abs 1 ASVG. Da seitens der Klägerin Leistungen für ärztliche Hilfe, Anstaltspflege, Transportkosten, Arzneien und Sauerstoff erbracht worden seien und da diese Leistungen als Sachleistungen zu qualifizieren seien, hätte die Klägerin den Ersatz dieser Leistungen innerhalb der Präklusivfrist von sechs Monaten bei der Beklagten geltend machen müssen.

Unbestritten ist, daß die Bezirkshauptmannschaft K*****für Siegfried E*****ausschließlich Sachleistungen erbracht hat.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von S 761,64 samt 4 % Zinsen seit . Das Mehrbegehren von S 104.151,87 sA wurde abgewiesen. In seiner rechtlichen Beurteilung schloß sich das Erstgericht der Rechtsansicht der Beklagten an. Mit Rücksicht auf die Präklusivfrist des § 330 Abs 1 ASVG sei der Ersatzanspruch der Klägerin für alle von ihr erbrachten Leistungen seit deren Erbringung bis zur Geltendmachung gegenüber der Beklagten insoweit untergegangen, als sie außerhalb der sechsmonatigen Verfallsfrist nach der Geltendmachung gelegen wären. Zusätzlich zu dem bereits anerkannten und bezahlten Betrag stehe der Klägerin nur noch ein weiterer Betrag von S 761,64 zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Der Gesetzeswortlaut des § 330 Abs 1 ASVG, wonach der Ersatzanspruch des Trägers der Sozialhilfe für Sachleistungen ausgeschlossen ist, wenn er nicht spätestens sechs Monate nach Ablauf der Leistung der Sozialhilfe beim Versicherungsträger geltend gemacht wird, lasse keine andere Auslegung zu als jene des Erstgerichtes. Bei Sachleistungen bestehe die Leistung der Sozialhilfe darin, daß die entsprechende Sachleistung (z.B. eine Arztrechnung) für den Versicherten bezahlt werde und mit dieser Bezahlung diese Leistung der Sozialversicherung abgelaufen sei. Mit der Bezahlung werde somit auch für jede einzelne Sachleistung der Beginn der Verfallsfrist hinaufgesetzt, der hier vom Schreiben der Klägerin vom sechs Monate zurückzurechnen sei. Nur die in diesem Zeitraum erbrachten Leistungen der Klägerin könnten somit im Wege des Rückersatzes von der Beklagten begehrt werden.

Das Berufungsgericht sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hiezu fehle.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Es wird beantragt, in Abänderung der angefochtenen Entscheidung dem Klagebegehren vollinhaltlich stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 46 Abs 1 ASVG zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zum Problem des Verfalls von Ersatzansprüchen des Trägers der Sozialhilfe für Sachleistungen nach § 330 Abs 1 ASVG eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliegt.

Aus Anlaß der zulässigen Revision hat der Senat jedoch folgendes erwogen:

Die vorliegende Sozialrechtssache betrifft eine Rechtsstreitigkeit über Ersatzansprüche eines Trägers der Sozialhilfe im Sinne des § 354 Z 3 ASVG und somit eine Sozialrechtssache nach § 65 Abs 1 Z 3 ASGG. Diese Ersatzansprüche werden im Abschnitt II des fünften Teiles des ASVG geregelt. Dem Träger der Sozialhilfe steht demnach grundsätzlich ein Ersatzanspruch für Sachleistungen in dem Ausmaß zu, in welchem dem Versicherungsträger selbst Kosten entstanden wären; bei Geldleistungen des Trägers der Sozialhilfe besteht der Ersatzanspruch nur, wenn die Sozialhilfeleistung während des Leistungsfeststellungsverfahrens der Sozialversicherung oder bei nicht rechtzeitiger Auszahlung der zuerkannten Sozialversicherungsleistung erbracht wurde (§ 324 ASVG). Die Aussage, daß es sich dabei um eine Sozialrechtssache im Sinn des § 65 Abs 1 Z 3 ASGG handelt, ist insoweit von Bedeutung, als für diese Sache § 67 ASGG nicht anzuwenden ist, dieser gilt nach seinem Wortlaut nur für Leistungssachen nach § 65 Abs 1 Z 1, 4 und 6 bis 8 sowie über die Kostenersatzpflicht eines Versicherungsträgers nach § 65 Abs 1 Z 5 ASGG. Während im allgemeinen ein Versicherungsträger über den in der Klage geltend gemachten Anspruch mit Bescheid entschieden haben muß (§ 67 Abs 1 Z 1 ASGG), tritt bei Klagen zur Durchsetzung von Ersatzansprüchen der Träger der Sozialhilfe an die Stelle des ablehnenden Bescheides die schriftliche Mitteilung des Versicherungsträgers, daß er den Ersatzanspruch ganz oder teilweise ablehnt: nach § 70 Abs 1 Z 1 ASGG darf in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 3 ASGG eine Klage nur erhoben werden, wenn der Versicherungsträger einen vom Träger der Sozialhilfe geltend gemachten Ersatzanspruch bereits ganz oder teilweise schriftlich abgelehnt hat (vgl dazu auch Fasching-Klicka in Tomandl, SV-System

7. Ergänzungslieferung 736; Kuderna ASGG 379 Erl. 1 zu § 70). Nach § 70 Abs 2 ASGG muß die Klage in dem genannten Fall bei sonstigem Verlust der Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs innerhalb der unerstreckbaren Frist von vier Wochen nach Zustellung der Ablehnung erhoben werden. Die Tage des Postlaufes werden in die Frist nicht eingerechnet. Eine nach Fristablauf erhobene Klage ist wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges in jeder Lage des Verfahrens gemäß § 73 ASGG zurückzuweisen (Kuderna aaO 380 Erl. 3 zu § 70; vgl auch 10 ObS 308/92 =SSV-NF 6/152=EvBl 1993/103 mwN).

Im vorliegenden Fall wurde nach den Feststellungen der Ersatzanspruch der Klägerin für Sachleistungen bereits mit Schreiben der Beklagten vom (Beilage 3) abgelehnt. Dieses Schreiben stellt die schriftliche Ablehnung des Ersatzanspruches im Sinne des § 70 ASGG dar. Da die Bezirkshauptmannschaft Kufstein dieses Schreiben bereits am beantwortete, war es ihr spätestens an diesem Tag zugestellt worden. Die unerstreckbare Frist von vier Wochen für die Einbringung der Klage (§ 70 Abs 2 ASGG) endete daher am (einem Donnerstag). Die erst am verfaßte und an diesem Tag beim Erstgericht überreichte Klage ist daher verfristet. Im Sinne der obigen Ausführungen hat dies zur Folge, daß die Klage in jeder Lage des Verfahrens wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückzuweisen und das gesamte Verfahren für nichtig zu erklären ist, allerdings nur insoweit, als nicht bereits ein rechtskräftiger Zuspruch erfolgte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 2 ZPO. Es könnte zwar der Klägerin zum Verschulden zugerechnet werden, daß das Verfahren trotz des vorhandenen Nichtigkeitsgrundes eingeleitet wurde, doch hat auch die Beklagte in keinem Verfahrensstadium auf die Verspätung der Klage hingewiesen. Daß die Kostenbestimmung des § 77 ASGG im vorliegenden Fall unanwendbar ist, ergibt sich daraus, daß es sich nicht um eine Rechtsstreitigkeit zwischen einem Versicherungsträger und einem Versicherten handelt. Es gelten daher die allgemeinen Kostenersatzbestimmungen der ZPO (ebenso Kuderna aaO 411 Erl. 2 zu § 77; Feitzinger-Tades ASGG Anm 3 zu § 77).