VfGH vom 16.06.1984, B410/83
Sammlungsnummer
10050
Leitsatz
GewO 1973; Beschränkung der Aufstellung von bestimmten Automaten an näher bezeichneten Orten zum Schutz unmündiger Minderjähriger gemäß § 52 Abs 4 und der hierauf gestützten V des Bürgermeisters der Marktgemeinde Lustenau vom
Keine Bedenken gegen diese Regelung im Hinblick auf Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG, Art 7 Abs 1 und Art 6 StGG; Wesensgehalt der Grundrechte; V nicht gesetzwidrig; keine denkunmögliche oder willkürliche Gesetzesanwendung
Spruch
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. Mit der auf § 52 Abs 4 der Gewerbeordnung 1973 idF der Gewerbeordnungs-Nov. 1981, BGBl. 619, (künftig: GewO) gestützten V des Bürgermeisters der Marktgemeinde Lustenau vom wurde "zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben ... die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Zuckerl, Süßwaren-, Kaugummi-, Spielzeug- und sonstiger Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind", im Umkreis von 150 m von näher bezeichneten Schulen und von 40 m von näher bezeichneten Omnibus-Haltestellen und Sportplätzen untersagt.
2. H M betreibt (6) Warenautomaten an Standorten, an denen nach der V die Ausübung derartiger gewerblicher Tätigkeiten verboten ist.
3.1. Mit Straferk. der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn vom wurde H M zufolge dieser verbotswidrigen gewerblichen Betätigungen wegen Übertretung nach § 367 Z 15 und § 52 Abs 4 GewO iVm der V des Bürgermeisters der Marktgemeinde Lustenau vom 27. JuUli 1982 mit einer Geldstrafe von 3000 S, im Falle der Uneinbringlichkeit einer Arreststrafe von 9 Tagen, bestraft.
3.2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde vom Landeshauptmann von Vbg. mit Bescheid vom , Z VIbB-205/46-1983, abgewiesen.
4.1. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf freie Gewerbeausübung, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und auf Unversehrtheit des Eigentums, die Verfassungswidrigkeit des § 52 Abs 4 GewO sowie die Gesetzwidrigkeit der angewendeten V behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
4.2. Die bel. Beh. hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
5. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
5.1. Zunächst ist der Frage nachzugehen, ob § 52 Abs 4 aus den von der Bf. behaupteten oder sonstigen Gründen Anlaß zu verfassungsrechtlichen Bedenken bietet. Diese Bestimmung lautet:
"(4) Soweit dies zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben erforderlich ist, kann die Gemeinde durch Verordnung die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind,
1. im näheren Umkreis von Schulen, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden,
2. bei Aufnahmestellen des öffentlichen Verkehrs, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden,
3. bei Schulbushaltestellen, die von unmündigen Minderjährigen benützt werden,
4. auf Plätzen oder in Räumen, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen besucht werden, oder
5. im näheren Umkreis der in Z 4 angeführten Plätze und Räume
untersagen."
5.1.1. Die Bf. vermeint, daß es sich bei der wiedergegebenen Regelung um "eine Art von Jugendschutz" handle und damit um einen Regelungsbereich, der in die Zuständigkeit des Landesgesetzgebers falle; § 52 Abs 4 GewO sei somit kompetenzwidrig erlassen.
Der VfGH hegt keine derartigen verfassungsrechtlichen Bedenken. Unter den Kompetenztatbestand "Angelegenheiten des Gewerbes" nach Art 10 Abs 1 Z 8 B-VG fallen nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (vgl. VfSlg. 2500/1953, 2670/1954, 2918/1955, 4117/1961, 4227/1962, 5024/1965) alle Vorschriften, die nach dem Stand und der Systematik der einfach-rechtlichen Gesetzgebung am als gewerbe-rechtliche Vorschriften anzusehen waren. Hiebei handelt es sich insoweit um "Angelegenheiten des Gewerbes", als sie sich nach ihrer inhaltlichen Regelung als solche Maßnahmen darstellen (VfSlg. 4117/1961).
Bei der in Frage stehenden Regelung handelt es sich um eine Beschränkung der Gewerbeausübung mittels Automaten zum Zwecke des Schutzes unmündiger Minderjähriger vor unüberlegten Geldausgaben. Vergleichbare Beschränkungen der gewerblichen Betätigung waren der Gewerbeordnung im sogenannten "Versteinerungszeitpunkt" keineswegs fremd. So war insbesondere mit BG vom , BGBl. 448, (außer Kraft getreten mit gemäß § 374 Abs 1 Z 46 GewO 1973) die Verabreichung geistiger Getränke an Jugendliche in Schankstätten oder an anderen Orten, wo geistige Getränke verkauft werden, bei Strafe untersagt, ja bei wiederholtem Verstoß die Gewerbebehörde zur Entziehung der Gewerbeberechtigung ermächtigt. Unter "Verabreichung" war auch der Vertrieb durch Automaten zu verstehen, da Warenautomaten, die sich außerhalb von Betriebsräumlichkeiten befanden, wie sich aus der V "der Ministerien des Handels, des Inneren und der Finanzen vom 23. 6. 1892, RGBl. Nr. 98, betreffend die Evidenthaltung der automatischen Wagen (alte Schreibweise für Waagen) und Verkaufsapparate" ergibt, als "dislozierte Betriebsmittel" gewertet wurden (vgl. Kaltenbrunner, Die gewerberechtliche Behandlung der Warenautomaten, JBl. 1960, S. 600).
Die - in ihrer Intention vergleichbare - Regelung des § 52 Abs 4 GewO ist also durchaus im Rahmen einer Beschränkung gewerblicher Betätigung, wie sie bereits am zu finden war.
Der VfGH ist daher der Ansicht, daß § 52 Abs 4 GewO der Materie "Angelegenheiten des Gewerbes", die gemäß Art 10 Abs 1 Z 8 Bundessache in Gesetzgebung und Vollziehung ist, zu unterstellen ist.
Zum gleichen Ergebnis - wenn auch aufgrund anderer Überlegungen - führen auch die Ausführungen der Erl. zur RV der GewO-Nov. 1981 (798 BlgNr XV. GP).
Die von der Bf. aufgeworfenen kompetenzrechtlichen Bedenken treffen somit nicht zu.
5.1.2. Die Bf. erachtet § 52 Abs 4 GewO jedoch auch aus einem weiteren Grund für verfassungswidrig. Nach den Bestimmungen des ABGB seien unmündige Minderjährige berechtigt, ohne Zustimmung der Erziehungsberechtigten Verpflichtungsgeschäfte im Ausmaß ihres Taschengeldes einzugehen. Diese Verpflichtungsfähigkeit werde in unzulässiger Weise eingeschränkt.
Diese Vorbringen ist schon vom Ansatz her verfehlt, da die in Frage stehende Regelung eine Beschränkung der Handlungsfähigkeit nicht verfügt.
5.1.3. Weiters erhebt die Bf. den Vorwurf der Verfassungwidrigkeit der in Frage stehenden Bestimmung der Gewerbeordnung, weil die von der Regelung betroffenen Automatenaufsteller mit den jeweiligen Grundeigentümern Aufstellvereinbarungen getroffen hätten, in welche durch - auf § 52 Abs 4 GewO gestützte - Verordnungen ähnlich wie bei einer Enteignung und damit unzulässigerweise eingegriffen werde.
Auch dies ist schon vom Ansatz her verfehlt. Beschränkt werden betroffene Automatenaufsteller nur hinsichtlich der Ausübung der ihnen zustehenden gewerberechtlichen Befugnisse. Auf zivilrechtliche Vereinbarungen mag dies Auswirkungen haben, in diese wird aber in keiner Weise eingegriffen. Umso weniger kann von einer Enteignung die Rede sein.
5.1.4. Die Bf. vermeint weiters, die in Frage stehende gesetzliche Regelung verstoße gegen das Gleicheitsgebot, da nach der bekämpften Rechtslage trotz einschlägiger V gleichartige Waren in jedem Lebensmittelgeschäft und auf Märkten, ja selbst in Schulen uneingeschränkt angeboten werden dürften; ausgenommen sei lediglich der Automatenvertrieb, die Maßnahme richte sich daher nur gegen Automatenaufsteller.
Der VfGH kann nicht finden, daß dem Gesetzgeber der Vorwurf gemacht werden kann, unsachlich vorgegangen zu sein, weil er Verkaufsbeschränkungen für Automaten in bestimmten Fällen verfügt. Wenn der Gesetzgeber offenbar davon ausgeht, daß bei allen Verkaufsformen, die eine Verkaufsabwicklung von Person zu Person verlangen, das Risiko unüberlegter Geldausgaben durch unmündige Minderjährige geringer ist als bei Automaten, die eine von Erwachsenen unbeobachtete Warenbezahlung und -entnahme erlauben und deshalb der von Automaten ausgehende psychologische Anreiz, gleichsam spielerisch Waren zu erstehen, unmündige Minderjährige in erhöhtem Maße anspräche, kann ihm jedenfalls nicht der Vorwurf der Unsachlichkeit gemacht werden, zumal die zugrunde liegende Zielsetzung bei Automaten wegen ihrer spezifischen Betriebsform - vom sonstigen Verkaufsgeschehen abweichender - besonderer Ausübungsregelungen zu ihrer Verwirklichung bedarf.
Die unter Berufung auf den Gleichheitssatz geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken werden vom VfGH demnach ebenfalls nicht geteilt.
5.1.5. Die Beschwerdeausführungen, daß als Folge einschlägiger V die Ausübung der gewerberechtlichen Tätigkeit mit von der Regelung betroffenen Automaten praktisch überhaupt unmöglich gemacht werde, laufen schließlich auf den Vorwurf einer Verfassungswidrigkeit wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit hinaus.
Wie der VfGH bereits wiederholt dargelegt hat, steht dem Gesetzgeber gemäß Art 6 StGG das Recht zu, die Ausübung der Berufe dergestalt zu regeln, daß sie unter gewissen Voraussetzungen erlaubt oder unter gewissen Umständen verboten ist; der Gesetzgeber ist dabei - außer an die sonstigen Vorschriften der Bundesverfassung (s. auch VfSlg. 5871/1968) - dem Wesensgehalt des Grundrechtes entsprechend an die in der Natur der zu regelnden Materie liegenden Grenzen, also an die sachlichen Grenzen der Materie gebunden (VfSlg. 4011/1961, 4163/1962, 7304/1974, 8813/1980, 9233/1981). Im vorliegenden Fall kann von einem Eingriff in den Wesensgehalt des Grundrechtes auf Erwerbsfreiheit im Hinblick auf die Beschränkung der Ermächtigung auf die für den Regelungszweck erforderlichen Einschränkungen (§52 Abs 4 GewO) nicht die Rede sein.
5.1.6. Da aus der Sicht des Beschwerdefalles auch sonst keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 52 Abs 4 GewO entstanden sind, sieht sich der VfGH nicht veranlaßt, ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten.
5.2. Die Bf. vermeint weiters, in ihren Rechten durch Anwendung der als gesetzwidrig erachteten V des Bürgermeisters der Marktgemeinde Lustenau vom verletzt worden zu sein.
Mit dieser V wurde zum Schutz von unmündigen Minderjährigen vor unüberlegten Geldausgaben die Ausübung gewerblicher Tätigkeiten mittels Zuckerl-, Süßwaren-, Kaugummi-, Spielzeug- und sonstiger Automaten, die erfahrungsgemäß besonders auf die Inanspruchnahme durch unmündige Minderjährige ausgerichtet sind, an folgenden Orten untersagt:
"1. Im Umkreis von 150 m von den Volksschulen Kirchdorf, Rheindorf, Hasenfeld, Rotkreuz, den Hauptschulen Kirchdorf und Rheindorf und der Sonderschule Lustenau, die von unmündigen Minderjährigen besucht werden. Die Entfernung ist bei einem eingefriedeten Schulareal von den straßenseitigen Zugängen zu diesem Areal, ansonsten von den Eingängen des Schulgebäudes zu messen.
2. Im Umreis von 40 m von den Autobushaltestellen Lustenau-Binsenfeld, Lustenau-Gasthaus Engel, Lustenau-Kirchplatz, Lustenau-Gasthaus Austria, Lustenau-Gasthaus Bräuhaus, Lustenau-Gasthaus Linde, Gasthaus Lustenauerhof, Gasthaus Schäfle und Lustenau-Bahnhof, die erfahrungsgemäß viel von unmündigen Minderjährigen auf dem Wege zur oder von der Schule benützt werden. Die Entfernung ist von den Aufstellungsorten der Haltestellentafeln zu messen.
3. Bei den Sportplätzen FC-Stadion, Reichshofstadion, Sportplatz Wiesenrain, Parkbad und Eishalle im selben Umkreis wie zu Punkt 2."
5.2.1. Die Bf. vermeint, Gesetzwidrigkeit läge vor, weil "im einzelnen nicht nachgewiesen (sei), daß tatsächlich ... in den in der Verordnung genannten Bereichen Gefährdungen unmündiger Minderjähriger eintreten, bzw. eintreten können". Im Hinblick auf den Verkaufspreis für die in Frage stehenden Automatenwaren von nur 1 S, gegenüber üblichen Taschengeldbeträgen von 50 S bis 100 S, erscheine auch die "Annahme einer Gefährdung durch derartige Automaten tatsächlich" widerlegt. Schließlich werde durch die V "praktisch im gesamten Gemeindebereich jedwede Gewerbeausübung durch Automatenaufstellung unmöglich".
Der VfGH hegt aufgrund der erhobenen Vorwürfe, soweit sie überhaupt substanziiert sind, jedoch keine Bedenken, daß die in Frage stehende V gesetzwidrig ist, da nicht hervorgekommen ist, daß die V nicht iS des Einleitungssatzes des § 52 Abs 4 GewO "erforderlich" wäre. Die Behauptung, daß durch die Verbotsbereiche "praktisch" das gesamte Gemeindegebiet erfaßt würde, trifft schon vom Tatsächlichen her nicht zu; die in der V enthaltene Umschreibung von Verbotszonen schließt eine solche Annahme vorweg aus.
5.2.2. Der VfGH hegt somit aufgrund der vorgetragenen Ausführungen keine Bedenken, daß die in Frage stehende V gesetzwidrig wäre.
5.3. Bei der Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsgrundlagen - gegen sonstige Bestimmungen sind weder Bedenken vorgebracht worden noch entstanden - könnte die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur vorliegen, wenn die Behörde Willkür geübt hätte. Eine Verletzung des Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums und auf freie Berufsausübung käme nur bei einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung in Frage.
Von all dem kann aber keine Rede sein.
Soweit die Bf. der Sache nach eine denkunmögliche Gesetzesanwendung geltend macht, weil weder § 52 Abs 4 GewO noch die V eine "Rückwirkungsklausel" enthalte, sodaß das nach der V bestehende Verbot nur neu aufgestellte Automaten betreffen könne, verkennt sie die Rechtslage; das hier maßgebliche Verbot bezieht sich nämlich auf die Ausübung des Automatengewerbes, was nichts damit zu tun hat, wann die Automaten aufgestellt wurden; schon deshalb erübrigt sich eine weitere Auseinandersetzung mit dem Vorbringen. Wenn die Bf. sich weiters zu ihrer Rechtfertigung auf einen Gesetzesirrtum beruft, da ihr nicht zumutbar sei, daß sie erkennen hätte müssen "ob hier gesetzeswidrige und verfassungswidrige Bestimmungen vorliegen, die der Beachtlichkeit entsprechend eingeschränkt sind", so behauptet sie offensichtlich nur eine unrichtige Gesetzesanwendung; gleiches gilt für den Vorwurf, der angefochtene Bescheid entbehre "jedweder Grundlage für die Angemessenheit der verhängten Geldstrafe".
Das Vorbringen schließlich, es sei nicht geprüft worden, "wie weit tatsächlich noch eine gewerberechtliche Ausübung durch die vorliegenden Automaten vorgenommen wurde", zielt offenkundig auf eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ab; Willkür wird aber damit nicht dargetan.
Auch die behaupteten Verletzungen verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte liegen somit nicht vor. Zur Prüfung der Frage, ob das Gesetz (die V) richtig angewendet wurde, ist der VwGH gerufen, dem die Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten staatlichen Verwaltung vorbehalten ist.
5.4. Das Verfahren hat letztlich auch nicht ergeben, daß die Bf. in von ihr nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
5 Die Beschwerde war daher abzuweisen.