OGH vom 18.08.1998, 10ObS261/98z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Hon.Prof.Dr.Danzl als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Fritz Miklau (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Johann Scharinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Melitta M*****, vertreten durch Mag.Doris Steinhausen, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension bei Arbeitslosigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 231/97p-10 womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom , GZ 31 Cgs 109/97x-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am geborene Klägerin stellte am bei der Außenstelle der beklagten Partei in Klagenfurt einen Antrag auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit gemäß § 253a ASVG. Vom bis bezog die Klägerin Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Ihr Versicherungslauf vom November 1957 bis November 1996 weist 333 Versicherungsmonate, davon 210 Monate Pflichtversicherung auf. In der Zeit von November 1973 bis Jänner 1974 liegen drei neutrale Monate.
Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, daß die Wartezeit gemäß § 236 ASVG nicht erfüllt sei.
Mit ihrer gegen diesen Bescheid gerichteten Klage stellte die Klägerin das Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit im gesetzlichen Ausmaß ab zu gewähren.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es beurteilte den eingangs zusammengefaßt wiedergegebenen Sachverhalt rechtlich dahin, daß zufolge der Antragstellung der Klägerin am als Stichtag gemäß § 223 Abs 2 ASVG der zum Tragen komme. Zwar sei nach der Übergangsbestimmung des § 563 Abs 20 ASVG idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996 BGBl 201 bei Versicherungsfällen mit einem Stichtag vom 1.9. bis § 551 Abs 8 ASVG idF BGBl 1993/335 mit der Maßgabe weiter anwendbar, daß an die Stelle der für die Bemessung der Pension maßgeblichen Bestimmungen, die ab galten, jene Bestimmungen treten, die am gemäß dem Strukturanpassungsgesetz 1996 in Kraft treten; diese Übergangsbestimmung betreffe jedoch lediglich die Höhe der Pension, nicht hingegen die durch das Strukturanpassungsgesetz geänderte Fassung des § 236 ASVG über die am Stichtag erforderliche Mindestanzahl von 240 Versicherungsmonaten innerhalb der letzten 360 Kalendermonate vor dem Stichtag. Da in diesen letzten 360 Kalendermonaten vor dem Stichtag bei der Klägerin drei neutrale Monate gelegen seien, erstrecke sich der Beobachtungszeitraum bei ihr auf 363 Monate, also vom bis . Anstelle der geforderten 240 Versicherungsmonate weise die Klägerin in diesem Beobachtungszeitraum nur 235 Versicherungsmonate auf. Auch die "ewige Anwartschaft" sei nicht erfüllt, weil anstelle der hiefür erforderlichen 240 Beitragsmonate der Pflichtversicherung lediglich 210 vorlägen. Die gesetzliche Wartezeit im Sinne des § 236 ASVG sei daher in keiner der denkbaren Varianten erfüllt, weshalb die beklagte Partei zutreffend das Pensionsbegehren der Klägerin bescheidmäßig abgelehnt habe.
Das Berufungsgericht gab der von der Klägerin erhobenen und lediglich auf den Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützten Berufung nicht Folge. Es schloß sich der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes mit ausführlicher Begründung an und erachtete (die Klägerin machte in ihrer Berufung entsprechende Bedenken geltend) auch die Bestimmung des § 236 Abs 1 Z 2 lit c ASVG neu als weder gesetz- noch verfassungswidrig noch mit Art 119 EGV in Widerspruch stehend.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der Klägerin mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinne abzuändern; des weiteren regt die Klägerin an, der Oberste Gerichtshof wolle gemäß Art 140 B-VG den Verfassungsgerichtshof zwecks Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit des § 236 Abs 1 Z 2 lit c und Abs 4 Z 2 ASVG idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996 anrufen, bzw die Frage, ob diese genannten Gesetzesstellen mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art 119 EG-Vertrag vereinbar seien, dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen.
Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Die Revision ist gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG auch ohne Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des Abs 1 leg cit zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision wiederholt im wesentlichen nur ihre Argumente, welche sie bereits in ihrer Berufung vorgetragen hatte, denen jedoch das Berufungsgericht nicht gefolgt war. Die Ausführungen des Berufungsgerichtes rechtlicher Art erachtet der Oberste Gerichtshof dabei als zutreffend (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Der Senat hatte sich knapp nach Fällung des hier angefochtenen berufungsgerichtlichen Urteiles bereits mit einem gleichgelagerten Fall der Ablehnung der Zuerkennung einer vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit wegen Nichterfüllung der Wartezeit nach der Rechtslage durch das insoweit am in Kraft getretene Strukturanpassungsgesetz 1996 BGBl 201 bei einer am geborenen Klägerin mit Stichtag zu befassen (10 ObS 88/98h vom ). Diese Entscheidung befaßte sich ausführlich sowohl mit dem Fehlen entsprechender Übergangsbestimmungen als auch mit den (auch hier von der Klägerin relevierten) Bedenken verfassungsrechtlicher Natur gegen die Anhebung der Wartezeitvoraussetzungen im § 236 Abs 1 und Abs 4 ASVG neu; beides wurde vom Obersten Gerichtshof jedoch nicht beanstandet. Da diese Entscheidung zwischenzeitlich bloß in der Judikaturbeilage der ZAS (Heft 4/Juli 1998, S 28) einer kurzen und zusammenfassenden Veröffentlichung zugeführt, im übrigen jedoch bisher noch nicht publiziert worden ist, sollen im folgenden zunächst die Gründe dieser Entscheidung wiedergegeben werden, weil sie nach dem Vorgesagten auch auf den hier zur Beurteilung anstehenden Fall zutreffen. Der Oberste Gerichtshof hatte der Klägerin in dieser Vorentscheidung folgende Argumente entgegengehalten:
"Eine der Voraussetzungen für die Zuerkennung der vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit nach § 253a ASVG war seit Einführung dieser Leistung die Erfüllung der Wartezeit im Sinne des § 236 ASVG. Nach § 236 Abs 1 Z 2 lit a ASVG in der vor dem geltenden Fassung war die Wartezeit für die hier in Frage kommende Pensionsleistung erfüllt, wenn am Stichtag mindestens 180 Versicherungsmonate im Sinne des § 235 Abs 2 ASVG vorlagen, also Versicherungsmonate aller Zweige der Pensionsversicherung, ausgenommen Zeit einer Selbstversicherung nach § 16a ASVG. Durch Art 34 Z 76 des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl 1996/201 wurde mit Wirksamkeit ab die Wartezeit von 180 Versicherungsmonaten auf 240 Versicherungsmonate angehoben. Eines der Ziele des Strukturanpassungsgesetzes 1996 war die grundsätzliche Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen für alle vorzeitigen Alterspensionen (so RV 72 BlgNR 20.GP, 244; SozSi 1996, 476). In den Materialien (aaO 247) wurde dazu ausgeführt:
'Die vorgeschlagenen Verschärfungen der Anspruchsvoraussetzungen für die Inanspruchnahme der vorzeitigen Alterspension bei Arbeitslosigkeit (Verlängerung der Wartezeit von 180 auf 240 Versicherungsmonate; Vorliegen von 180 Beitragsmonaten der Pflichtversicherung am Stichtag; spezifische ewige Anwartschaft), für die Inanspruchnahme der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer (Verlängerung der Wartezeit von 180 auf 240 Versicherungsmonate; Vorliegen von 450 zu berücksichtigenden Versicherungsmonaten am Stichtag, wobei die Heranführung der langen Versicherungdauer von 420 auf 450 Versicherungsmonate stufenweise erfolgen und erst im Jahre 2001 voll wirksam werden soll; Abschaffung der Zweidritteldeckung; spezifische ewige Anwartschaft) sowie für die Inanspruchnahme der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit bzw Erwerbsunfähigkeit (Anhebung des Pensionsanfallsalters bei Männern; Verlängerung der Wartezeit von 120 Versicherungsmonaten auf 180 Beitragsmonate der Pflichtversicherung innerhalb der letzten 360 Kalendermonate vor dem Stichtag; spezifische ewige Anwartschaft) sind als Maßnahmen zu sehen, die (neben arbeitsmarktpolitischen Aktivitäten) einen späteren Pensionsantritt sicherstellen sollen.'
Die zitierten Materialien zeigen insbesondere, daß dem Gesetzgeber das Prinzip einer stufenweisen Anhebung von Versicherungsmonaten durchaus bewußt war, er allerdings bei Verlängerung der Wartezeit von 180 auf 240 Versicherungsmonaten von einer solchen Übergangsregelung bewußt Abstand nahm. Daher kann der Auffassung der Revisionswerberin, insoweit sei das Strukturanpassungsgesetzes 1996 wegen Fehlens einer Übergangsregelung lückenhaft, nicht gefolgt werden. Eine Rechtslücke ist dann gegeben, wenn die Regelung eines Sachbereiches keine Bestimmung für eine Frage enthält, die im Zusammenhang mit dieser Regelung an sich geregelt werden müßte; wenn das Gesetz also, gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie, unvollständig, das heißt ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht. Die bloße Meinung des Rechtsanwenders, eine Regelung sei wünschenswert, rechtfertigt die Annahme einer Gesetzeslücke noch nicht (Koziol/Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts10 I 23 mwN; SSV-NF 6/60; 2/82; SZ 57/194 uva). Hiefür läßt sich aber kein ausreichender Anhaltspunkt finden. Die Anhebung der Wartezeit von 180 auf 240 Versicherungsmonate greift nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs auch nicht unangemessen in den Vertrauensschutz ein, weshalb keine Veranlassung besteht, beim Verfassungsgerichtshof eine Gesetzprüfung des § 236 Abs 1 Z 2 lit c ASVG idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996 zu beantragen. Gerade mit Rücksicht auf die für Langzeitarbeitslose bestehende Möglichkeit, in Form der Notstandshilfe Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zu erhalten, widerspricht die dargestellte Verschärfung der Anspruchsvoraussetzungen für die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit auch nicht dem Ermessensspielraum des Gesetzgebers bei Änderung von Ansprüchen aus der Sozialversicherung."
Abweichung von dieser Vorentscheidung besteht hier darin, daß Stichtag der Klägerin dieses Verfahrens bereits der (dort: ) ist, sodaß bei ihr die Übergangsbestimmung des § 562 Abs 20 ASVG idF des Strukturanpassungsgesetzes 1996 zur Anwendung kommt. Hiezu hat jedoch bereits das Berufungsgericht zutreffend auf den Wortlaut (§ 6 ABGB) der Bestimmung hingewiesen, wonach sich diese lediglich auf die Bemessung(shöhe) der Pension bezieht, die neue Wartezeitregelung des § 236 ASVG hievon jedoch - mangels eigenständiger Übergangsregelung - nicht berührt wird. Auf die Begründung des Berufungsgerichtes kann, zumal dieser in der Revision auch nichts grundsätzlich stichhaltig Neues entgegengehalten wird, als zutreffend verwiesen werden (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO).
Die von der Klägerin relevierten Bedenken gegen die Verfassungskonformität der neuen Regelungen hat der Senat bereits in der zitierten Vorentscheidung 10 ObS 88/98h für nicht gegeben erachtet. Diese Auffassung bleibt aufrecht. Dabei darf auch nicht übersehen werden, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, der auch der Oberste Gerichtshof stets gefolgt ist, bei der Beurteilung einer Norm (speziell des Sozialversicherungsrechtes) unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes (der Gleichbehandlung) von einer Durchschnittsbetrachtung auszugehen ist; daß sich vereinzelt Härtefälle ergeben können, muß hiebei grundsätzlich unberücksichtigt bleiben (ZAS 1988, 208/29, SSV-NF 4/153, 10 ObS 216/93 uam).
Soweit in den Ausführungen betreffend (angeblichen) Verstoß gegen die Richtlinie 79/7/EWG (und damit die Anrufung des Europäischen Gerichtshofes durch Vorabentscheidung) Verletzung von EU-Recht geltend gemacht wird, vermag dem der Senat ebenfalls nicht zu folgen. Da die Wartezeitvoraussetzungen geschlechtsneutral für Männer wie Frauen gleichermaßen angehoben wurden, wurde der Grundsatz der Gleichbehandlung vom Gesetzgeber jedenfalls beachtet. Daß Frauen durch den ihnen vom Gesetzgeber nach wie vor eingeräumten Vorteil eines grundsätzlich niedrigeren Pensionsanfallalters einen "Rückstand von 5 Jahren" zur Erfüllung der Wartezeit hätten, mag im Einzelfall zutreffen, begründet jedoch keinen Richtlinienverstoß im Sinne einer unzulässigen Geschlechterdiskriminierung. Gleiches gilt für die hiezu von der Revisionswerberin behaupteten Statistiken, wonach die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit rund neunmal öfter von Frauen als von Männern beantragt werde; eine solche rein faktische Gegebenheit in Abhängigkeit des Arbeitsmarktes würde durch eine vom Gesetzgeber (wie von der Klägerin offenbar gewünscht) unterschiedliche Wartezeitenregelung (zugunsten der Berufsgruppe der Frauen) wohl nur noch verschärft und die Zahl von Anspruchswerberinnen gegenüber Anspruchswerbern noch weiter auseinanderklaffen; ein Verstoß gegen anzuwendendes EU-Recht ist jedenfalls daraus nicht abzuleiten.
Der Revision war daher aus allen diesen Erwägungen ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 1 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch aus Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.