OGH vom 04.06.2003, 9ObA3/03m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Walter Zeiler und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Angestelltenbetriebsrat der M*****GmbH & Co KG, ***** , vertreten durch Dr. Georg Grießer ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagten Parteien 1.) M*****GmbH & Co KG, 2.) V*****GmbH, 3.) M***** C***** C*****GmbH, 4.) K***** GmbH, alle *****, 5.) M***** GmbH, *****, sämtliche vertreten durch Hon. Prof. Dr. Gottfried Korn ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Verschaffung des Zuganges auf ein Personalverrechnungsprogramm (Streitwert EUR 3.706,31), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 96/02z-20, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 14 Cga 111/01x-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit EUR 468,44 (darin EUR 78,07 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei vertritt die ca. 1400 Angestellten, welche in dem von den beklagten Parteien gemeinsam geführten Betrieb beschäftigt sind. Die Personalverrechnung erfolgt über EDV mit dem Programm „W*****". Davon sind unter anderem relevante Daten der Angestellten, wie Eintrittsdatum, KollV-Einstufung, Gehaltslisten mit Stammbezügen, monatliche Abrechnungsbelege, Jahreslohnkonten und Überstundenaufzeichnungen erfasst. Die klagende Partei erhält über das Personalbüro der beklagten Parteien monatlich Ausdrucke der Gehaltslisten. Vom Eintritt neuer Angestellter wird der klagende Betriebsrat - unter Anschluss einer Kopie des Dienstzettels - genauso unverzüglich verständigt wie von der Beendigung eines Dienstverhältnisses.
Der Vorsitzende des klagenden Betriebsrates hat sein Büro in Wien 7., sein Stellvertreter in Wien 19.
Mit seiner Klage begehrt der Angestelltenbetriebsrat, die beklagten Arbeitgebergesellschaften für schuldig zu erkennen, ihm sowohl auf dem PC im Betriebsratsbüro L*****gasse ***** als auch auf dem PC im Betriebsratsbüro M*****gasse ***** hinsichtlich sämtlicher von ihm vertretener ArbeitnehmerInnen Zugriff auf das Personalverrechnungsprogramm „W*****" dergestalt einzuräumen, dass der Betriebsrat in die in diesem Programm enthaltenen Aufzeichnungen über die Bezüge der von ihm vertretenen Angestellten, die zur Berechnung dieser Bezüge erforderlichen Unterlagen sowie andere diese Angestellten betreffenden Aufzeichnungen, deren Führung durch Rechtsvorschriften vorgesehen ist, Einsicht nehmen und diese Aufzeichnungen auch ausdrucken kann; weiters, dem klagenden Betriebsrat Zugriff auf die Berechtigungsstufe 1 (= Ansehen der Datensätze) des „W*****"-Programms, sowie auf die im Programm „W*****" enthaltene Schnittstelle zum EXCEL-Programm einzuräumen. Dieser direkte Zugriff sei erforderlich, damit der Betriebsrat seinen Kontrollrechten iSd § 89 Z 1 ArbVG ohne unverhältnismäßigen Aufwand nachkommen könne. Es stelle sowohl für das Personalbüro der beklagten Parteien als auch für den klagenden Betriebsrat eine unnötige Mehrbelastung dar, stößeweise Listen auszudrucken bzw. durchzusehen. Es sei einfacher, übersichtlicher und kostensparender, dem Betriebsrat den direkten Zugriff auf das Personalverrechnungsprogramm zu gewähren. Insbesondere müssten bei Kontrolle der Überstundenaufzeichnungen viele Ordner durchgesehen und Aufzeichnungen händisch gemacht werden.
Datenschutzrechtliche Bedenken bestünden keine. Einerseits lasse § 9 Z 11 DSG 2000 die Kontrollrechte des Betriebsrates uneingeschränkt bestehen. Andererseits liege es an den beklagten Parteien, technisch mögliche und zumutbare Maßnahmen zu setzen, um den Zugriff der klagenden Partei, deren Mitglieder der Verschwiegenheitspflicht des § 115 Abs 4 ArbVG unterlägen, auf den gesetzlich zulässigen Umfang zu begrenzen. Die Bereitstellung der technischen Zugriffsmöglichkeit stelle ein Sacherfordernis iSd § 72 ArbVG dar.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens.
Durch die Vorgangsweise der beklagten Parteien sei die Kontrollmöglichkeit der klagenden Partei ausreichend gewährleistet. Der Einräumung eines direkten Zugriffs auf die EDV-Personalverrechnung stünde insbesondere auch der im DSG 2000 (§ 1 Abs 2, § 6, § 7 Abs 3) festgelegte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zulässiger Eingriffe entgegen. Die Zurverfügungstellung der Ausdrucke folge dem Gebot, Beschränkungen des Eingriffs in das Grundrecht auf Datenschutz nur in der gelindesten, zum Ziel führenden Art vorzunehmen.
Darüber hinaus sei der Kostenaufwand, welcher den beklagten Parteien durch weitere Wartungskosten (ATS 24.000 jährlich) sowie durch zusätzliche Lizenzgebühren (ATS 11.170 und ATS 2.150 je weiterer Zugangsberechtigung) entstehe, nicht von § 72 ArbVG gedeckt. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Personalverrechnung durch EDV mache es bei der gegebenen Betriebsgröße erforderlich, dass dem Betriebsrat sein Einsichtsrecht (§ 89 Z 1 ArbVG) in die vom Arbeitgeber geführten Aufzeichnungen dergestalt ermöglicht werde, dass er direkt auf das Programm zugreifen und auch selbst Ausdrucke machen könne. Gemäß § 72 ArbVG habe der Arbeitgeber die Zugangsmöglichkeit unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Es schloss sich in seiner Begründung im wesentlichen den Argumenten der Berufungswerberinnen an, wonach kein Anspruch des Betriebsrates auf direkten Zugang zum Personalverrechnungsprogramm des Arbeitgebers bestehe. Durch das Beistellen von Ausdrucken seitens des Arbeitgebers werde insbesondere die Missbrauchsgefahr begrenzt, welche bei der Möglichkeit beliebiger Zugriffe und Kopienanfertigungen bestehe. Entgegen der Auffassung des Erstgerichtes seien auch die von den beklagten Parteien aufgezeigten datenschutzrechtlichen Bedenken zu teilen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagten Parteien beantragten, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Gemäß § 89 ArbVG hat der Betriebsrat das Recht, die Einhaltung der die Arbeitnehmer des Betriebes betreffenden Rechtsvorschriften zu überwachen. Insbesondere steht ihm nach Z 1 leg cit die Befugnis zu, in die vom Betrieb geführten Aufzeichnungen über die Bezüge der Arbeitnehmer und die zur Berechnung dieser Bezüge erforderlichen Unterlagen Einsicht zu nehmen, sie zu überprüfen und die Auszahlung zu kontrollieren.
Der klagende Betriebsrat vertritt die Ansicht, seinem Überwachungsrecht nur dann ausreichend nachkommen zu können, wenn ihm der ständige direkte Zugriff auf die automationsunterstützt angelegten Daten der Personalverrechnung ermöglicht werde, was auch die Zurverfügungstellung des entsprechenden Programms bedinge. Zur - zumindest, was die Methode der Einsichtnahme betrifft - vergleichbaren deutschen Rechtslage des § 80 Abs 2 BetrVG wird im Schrifttum (Blanke/Buschmann in Däubler/Kittner/Klebe/Schneider BetrVG, Kommentar für die Praxis4 Rn 44 zu § 80; Kraft in GK-BetrVG 5 § 80 Anm 79; Fitting § 80 Rn 65 f) überwiegend die Meinung vertreten, dass zwar auch Datenträger "Listen über die Bruttolöhne und -gehälter" sind, doch wird diesfalls für die Einsicht nicht der direkte Zugriff auf die EDV, sondern nur gefordert, dass der Arbeitgeber schriftliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen hat. Nach der Judikatur des BAG, welches sich, soweit überblickbar, mit dem Verlangen nach direktem Zugriff auf EDV-Daten noch nicht auseinanderzusetzen hatte, sind auch Datenträger als "Unterlagen bzw Listen" zu beurteilen (BAGE 42, 113, BAGE 52, 317). Zur erforderlichen Einsichtnahme des Betriebsrats iSd § 80 Abs 2 BetrVG wird dem Arbeitgeber diesbezüglich die Verpflichtung zum Ausdruck dieser Daten aufgetragen (BAGE 42, 113).
Korrespondierend mit der zitierten deutschen Lehre und Rechtsprechung werden im österreichischen Schrifttum (Strasser/Jabornegg ArbVG3 § 89 Anm 13; Cerny ArbVG III2 Erl 4 zu § 89; Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht9 839) auch Datenträger als "Aufzeichnungen" iSd § 89 Z 1 ArbVG verstanden.
Nach Cerny (aao) ist das Einsichtsrecht des Betriebsrates im Falle automationsunterstützter Lohn(Gehalts)verrechnung dann gewährleistet, wenn dem Betriebsrat die EDV-Aufzeichnungen so vorgelegt werden, dass er die Richtigkeit der Lohn(Gehalts)höhe sowie der Abzüge bei jedem Arbeitnehmer überprüfen kann. Computerausdrucke müssten daher leserlich und verständlich sein. Wenn der Autor dann im Anschluss fordert, dass die Software für die Lohn- und Gehaltsverrechnung so gestaltet sein müsse, dass dem Betriebsrat alle für die Ausübung seines Überwachungsrechts erforderlichen Informationen zur Verfügung stehen, ist damit - aus dem Zusammenhang verständlich - nicht die Einräumung des direkten Datenzugriffs, sondern offenbar gemeint, dass die Auswertung der Ausdrucke auch ohne Beiziehung von EDV-Experten möglich sein muss.
Schwarz/Löschnigg (aaO) sehen die Methode der Einsichtnahme iSd § 89 Z 1 ArbVG als Frage der Zumutbarkeit auf Seiten des Arbeitgebers bzw. der Zweckmäßigkeit und Notwendigkeit auf Seiten des Betriebsrates und kommen bei einer Abwicklung der Personalverwaltung über die unternehmenseigene EDV zum Schluss, dass dann dem Betriebsrat ein entsprechender EDV-Ausdruck zur Verfügung zu stellen ist. Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass die Arbeitgebergesellschaften dem Betriebsrat monatlich die aktuellen Gehaltslisten in Form eines EDV-Ausdruckes zur Verfügung stellen und überdies laufend Kopien der Dienstzettel neu eintretender Angestellter übermitteln. Seitens der klagenden Partei wurde nicht einmal behauptet, dass diese Unterlagen nicht nachvollziehbar oder unvollständig seien (- die erstmals in der Berufungsbeantwortung geäußerten Zweifel sind als unzulässige Neuerung unbeachtlich -), bzw., dass weiter erforderliche Unterlagen (wie zB. Überstundenaufzeichnungen) nicht zur Verfügung gestellt oder erforderliche Auskünfte nicht erteilt würden.
Schon unter dem Blickwinkel des von Schwarz/Löschnigg (aaO) aufgezeigten und auch aus § 39 Abs 3 ArbVG abzuleitenden Interessenausgleichs muss das in § 89 Z 1 ArbVG geregelte Einsichtsrecht jedenfalls solange als ausreichend gewährleistet angesehen werden, als, wie im vorliegenden Fall, die als Datenträger vorhandenen, vom Einsichtsrecht umfassten Aufzeichnungen als - mit den Originaldaten völlig übereinstimmende - Ausdrucke zur Verfügung gestellt werden. Die dagegen im Verfahren erster Instanz nur wenig differenziert vorgebrachten Argumente der Einfachheit, Übersichtlichkeit und Kostenersparnis (letztere gemeint: beim Arbeitgeber) vermögen hingegen nicht von der Notwendigkeit eines direkten Programmzugriffs zu überzeugen.
Es braucht daher nicht mehr auf das weitere Argument eingegangen werden, ob auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 1 Abs 2 letzter Satz DSG 2000 einem direkten Zugriff des Betriebsrates auf Datenträger des Arbeitgebers, wo auch sensible Daten der Arbeitnehmer gespeichert sind, entgegensteht.