OGH vom 28.05.2020, 17Ob2/20y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Musger, Mag. Malesich, Dr. Kodek und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. R***** P*****, als Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen der F***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Paulus Heinzl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** AG, *****, vertreten durch die Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 556.666,67 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom , GZ 3 R 59/19x-29, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der Kläger ficht als Insolvenzverwalter nach § 28 Z 2 und Z 3, § 30 Abs 1 Z 3 und § 31 Abs 1 Z 2 IO Zahlungen der Schuldnerin an, die diese als Generalunternehmerin eines Bauvorhabens an das beklagte Bauunternehmen geleistet hat. Unstrittig sind materielle Insolvenz sowie Begünstigungs- und Benachteiligungsabsicht. Das bejahte zu allen Tatbeständen fahrlässige Unkenntnis der Beklagten und gab der Klage daher statt.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen diese Entscheidung gerichtete zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf und ist daher .
1. Die Frage, ob dem Anfechtungsgegner fahrlässige Unkenntnis zur Last fällt, ist nach den ihm im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung zu Gebote stehenden Auskunftsmitteln, dem Maß ihrer ihm vernunftgemäß zuzumutenden Heranziehung und der Ordnungsmäßigkeit ihrer Bewertung zu beantworten (RISJustiz RS0064794; König, Anfechtung5 Rz 11/25 mwN). Die Anzeichen einer wirtschaftlichen Krise müssen Anlass sein, mit zumutbaren Mitteln Erkundigungen einzuziehen (RS0064794 [T2]). Ob das zutrifft, ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls (RS0042837).
2. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht seinen insofern bestehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten:
2.1. Im Zeitraum der angefochtenen Zahlungen hatte die Beklagte aus früheren Bauprojekten gegen die Schuldnerin eine offene Forderung von rund 900.000 EUR, die die Schuldnerin trotz längst eingetretener Fälligkeit nicht bezahlt hatte. Dieser massive Insolvenzindikator hätte die Beklagte zu eingehenden Nachforschungen verpflichtet (3 Ob 99/10w), deren Unterbleiben ihr zur Last fällt (3 Ob 99/10w, 3 Ob 181/14k). Allein die Einsicht in die Jahresabschlüsse 2013 und 2014 hätte das Bestehen von „Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen“ – also zwar nicht unbedingt fällige, aber jedenfalls bestehende Forderungen von Subunternehmen und Lieferanten – von rund 1,4 bzw 1,7 Mio EUR ergeben. Damit wären Zahlungsunfähigkeit und (in Bezug auf die der Beklagten geleisteten Zahlungen) Begünstigungsabsicht indiziert gewesen.
2.2. Unter diesen Umständen hätte die Beklagte die Schuldnerin auffordern müssen, unter Vorlage geeigneter Belege die Höhe der fälligen Schulden bekanntzugeben und darzulegen, wie diese im Sinne der Entscheidung 3 Ob 99/10w binnen drei Monaten beglichen werden könnten. Angesichts der seit Ende 2013 bestehenden materiellen Insolvenz kann nicht unterstellt werden, die Schuldnerin hätte im Jahr 2015 das Vorliegen einer bloßen Zahlungsstockung plausibel machen können (vgl 3 Ob 181/14k). Die Beklagte kann sich weder auf die „faktische Unmöglichkeit“ der Einsicht in die Buchhaltung der Schuldnerin noch darauf berufen, dass ein Befragen des Geschäftsführers zu einem „Vertrauensverlust“ geführt hätte. Hätte der Geschäftsführer die Einsicht in die Buchhaltung verweigert, wäre der massive Insolvenzindikator nicht entkräftet worden. Einen „Vertrauensverlust“ hätte die Beklagte angesichts ihrer offenen Forderung von 900.000 EUR und des akuten Insolvenzverdachts hinnehmen müssen. Auf die von ihr im März 2014 eingeholte Bonitätsauskunft durfte sich die Beklagte im zweiten Halbjahr 2015 schon deshalb nicht verlassen, weil diese offenkundig falsch war. Denn trotz der hohen fälligen Forderung der Beklagten und anderer Gläubiger hieß es darin, dass Zahlungen „im Rahmen der Fristen und Konditionen“ erfolgten und „Zahlungsanstände nicht bekannt“ seien.
3. Soweit die Beklagte mit fehlender Nachteiligkeit der angefochtenen Zahlungen argumentiert, übersieht sie, dass eine Deckungsanfechtung vorliegt. Angefochten wird hier nicht das Rechtsgeschäft, sondern die Zahlung der offenen Forderung. Diese verminderte, da die Gegenleistung schon erfolgt war, jedenfalls die Quote und benachteiligte daher unabhängig vom Wert der Gegenleistung die Gläubiger. Der von der Beklagten insofern genannte § 41 IO steht dem nicht entgegen, da bei der Deckungsanfechtung nur eine Insolvenzforderung entsteht und die Gegenleistung
– anders als bei Anfechtung (auch) des Titelgeschäfts – gerade nicht herausverlangt werden kann (Bollenberger in KLS § 41 Rz 1; König, Anfechtung5 Rz 16/22 ff).
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0170OB00002.20Y.0528.000 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.