VfGH vom 25.06.1998, B3949/96

VfGH vom 25.06.1998, B3949/96

Sammlungsnummer

15228

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch die Inanspruchnahme der Zuständigkeit durch das Bundesvergabeamt; Wegfall der gesetzlichen Grundlage für die Kontrolltätigkeit des Bundesvergabeamtes durch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der entsprechenden Bestimmung des BundesvergabeG durch den Verfassungsgerichtshof

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten) ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. a) Am schrieb die Tiroler Flughafenbetriebsgesellschaft mbH - ein öffentliches Unternehmen, dessen Gesellschaftsanteile zu 50 % dem Bund und zu je 25 % dem Land Tirol und der Stadt Innsbruck gehören - die Lieferung und Installation der gesamten Kühlwasserverrohrung vom Tiefbrunnen bis zum Rückgabebrunnen beschränkt aus, indem eine bestimmte Anzahl von Unternehmen schriftlich zur Abgabe von Angeboten eingeladen wurde. Das Verfahren führte zur Abgabe mehrerer Offerte, wurde aber formell nicht beendet. Noch vor Abschluß der Angebotsprüfung schrieb der Auftraggeber die Leistungen nochmals beschränkt aus. Auch diese Ausschreibung führte weder zu einem Zuschlag für eines der eingelangten Angebote noch wurde sie aufgehoben.

Dessen ungeachtet schrieb der Auftraggeber die Leistungen nochmals aus und zwar nunmehr "öffentlich"; diese öffentliche Ausschreibung wurde im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom (und möglicherweise (genau läßt sich das aus dem Akt nicht rekonstruieren) auch im Boten von Tirol) kundgemacht. Alle diese Ausschreibungen stützten sich - wie sich aus dem Verwaltungsakt und der in den Ausschreibungen verwendeten Terminologie (insb. "öffentliche Ausschreibung") ergibt - offenkundig auf die - zum Zeitpunkt der Ausschreibung nicht mehr aktuelle - ÖNORM A 2050 (Ausgabe 1957).

b) Nachdem der Zuschlag einem anderen Unternehmen erteilt worden war, wandte sich ein nicht zum Zug gekommener Bieter mit einem Nachprüfungsantrag zum einen an das Landesvergabeamt beim Amt der Tiroler Landesregierung (im folgenden: TVA) und zum anderen mit einem Antrag nach § 91 Abs 3 BVergG an das Bundesvergabeamt (im folgenden: BVA). Das TVA wies den Antrag im Hinblick darauf, daß 50 % der Geschäftsanteile der ausschreibenden Gesellschaft vom Bund gehalten werden (vgl. § 1 Abs 1 litd Tiroler VergabeG, LGBl. 87/1994, und § 6 Abs 1 Z 3 Bundesvergabegesetz (BVergG) in der damals maßgeblichen Stammfassung, BGBl. 462/1993, (alle folgenden Zitate dieses Gesetzes beziehen sich auf diese für die Beurteilung des Falles maßgebliche Fassung des BVergG)) wegen Unzuständigkeit zurück.

Das BVA führte ein Verfahren durch und entschied mit Bescheid vom folgendermaßen:

"1. Dem Antrag der ... (im Bescheid namentlich genannten) Gesellschaft m.b.H. & Co.KG vom auf Feststellung, daß in dem gegenständlichen Vergabeverfahren der Zuschlag wegen eines Verstoßes gegen das Bundesvergabegesetz oder die hiezu ergangenen Verordnungen nicht dem Bestbieter erteilt wurde, wird stattgegeben.

2. Der Antrag der Tiroler Flughafenbetriebsgesellschaft m. b.H., den Antrag der ... (oben namentlich genannten) Gesellschaft m.b.H. & Co.KG mangels Anwendbarkeit des Bundesvergabegesetzes zurückzuweisen, wird abgewiesen.

3. Der Eventualantrag der Tiroler Flughafenbetriebsgesellschaft m.b.H. festzustellen, daß von Seiten der Tiroler Flughafenbetriebsgesellschaft m.b.H. im gegenständlichen Vergabeverfahren keine Verletzung des Bundesvergabegesetzes oder der hiezu ergangenen Verordnungen begangen wurde, wird abgewiesen.

4. Der Antrag der Tiroler Flughafenbetriebsgesellschaft m.b.H. festzustellen, daß der ... (oben namentlich genannten) Gesellschaft m.b.H. & Co.KG auch bei Einhaltung der Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes und der hiezu ergangenen Verordnungen der Zuschlag nicht erteilt worden wäre, wird abgewiesen."

In der Begründung dieses Bescheides legte das BVA zunächst dar, daß es sich für zuständig hält, über den Antrag meritorisch zu entscheiden: Es liege gemäß § 67 BVergG ein sogenannter Sektorenauftrag vor, für den die Vorschriften des 4. Hauptstückes des 3. Teils des BVergG gelten; die ausgeschriebenen Leistungen seien Teil eines Bauauftrages, der insgesamt den Schwellenwert für Bauaufträge gemäß § 4 Abs 2 iVm § 3 BVergG übersteige; zwar nehme das BVergG durch den zweiten Satz des § 7 Abs 2 Vergabeverfahren im Sektorenbereich von der Kontrolle durch das BVA aus, doch sei diese Bestimmung infolge ihres Widerspruchs zur Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorung sowie im Telekommunikationssektor, ABl. L 076/1992, S 14, (im folgenden: Rechtsmittel-RL Sektoren), mit deren Umsetzung der Bund seit in Verzug gewesen sei, nicht anzuwenden.

In der Sache ging das BVA davon aus, daß die vergebende Stelle mehrfach gegen Vorschriften des BVergG verstoßen habe. Aufgrund der vorliegenden Fehler könne nachträglich nicht mehr ermittelt werden, wer bei Einhaltung der Bestimmungen des BVergG im ersten Vergabeverfahren als Bestbieter hervorgegangen wäre. Diesen Umstand habe der Auftraggeber durch die Gestaltung der Ausschreibung allein zu verantworten.

2. a) Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz sowie eine Rechtsverletzung wegen Anwendung einzelner im Hinblick auf Art 18 B-VG für verfassungswidrig erachteter Bestimmungen des BVergG behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

Die teilweise unklare Beschwerde wirft der belangten Behörde im Ergebnis sub titulo Art 7 B-VG vor, sie wäre zur Erlassung des bekämpften Bescheides nicht zuständig gewesen. Gleichheitswidrig sei auch, daß sich die belangte Behörde ungeachtet der Regelung des § 7 Abs 2 BVergG als zur Nachprüfung zuständig erachtet habe.

b) Die belangte Behörde hat Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige (vgl. VfSlg. 14390/1995, ) - Beschwerde erwogen:

1. a) Hinsichtlich seiner Zuständigkeit ging das BVA von der im Verfahren unbestritten gebliebenen Annahme aus, daß es sich bei der zur Überprüfung stehenden Vergabe um eine solche im Sektorenbereich handelt; nach dem zweiten Satz des § 7 Abs 2 BVergG sei aber auf derartige Vergaben der 4. Teil des BVergG, der die Regelungen über den Rechtsschutz enthält und auch die Zuständigkeit des BVA regelt, nicht anzuwenden. Das BVA ließ diese Bestimmung jedoch wegen eines von ihm angenommenen Widerspruchs gegen unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht unangewendet. Dies hat sich als verfehlt erwiesen:

In seinem Urteil vom , Rs C-54/96, Dorsch Consult (WBl. 1997, 471), hat der EuGH zu Recht erkannt, daß sich aus den Richtlinien für die Überwachung der Vergabe von öffentlichen Aufträgen (im zit. Urteil des EuGH ging es um Dienstleistungsaufträge; die dort angestellten Überlegungen des EuGH lassen sich aber auf die hier zur Entscheidung stehende Frage der Klärung der Zuständigkeit zur Kontrolle von Vergaben im Sektorenbereich übertragen) nicht ergebe,

"daß mangels Umsetzung dieser Richtlinie innerhalb der hierzu vorgesehenen Frist die zur Nachprüfung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau- und Lieferaufträge zuständigen Instanzen der Mitgliedstaaten auch zur Nachprüfung von Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge befugt sind. Die Erfordernisse einer der Richtlinie 92/50 entsprechenden Auslegung des nationalen Rechts und eines effektiven Schutzes der Rechte des einzelnen gebieten es dem nationalen Gericht jedoch, zu prüfen, ob dem einzelnen aufgrund der einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts ein Anspruch auf Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge zuerkannt werden kann. Unter Umständen wie denen des vorliegenden Falles hat das nationale Gericht insbesondere zu prüfen, ob dieser Anspruch auf Nachprüfung vor denselben Instanzen geltend gemacht werden kann, die auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge vorgesehen sind".

Ausdrücklich meinte der EuGH, es sei Sache der Mitgliedstaaten zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zuständig ist, wobei die Mitgliedstaaten jedoch für den wirksamen Schutz jener Rechte verantwortlich seien, die sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben. Die Mitgliedstaaten seien zwar verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um eine wirksame Nachprüfung auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge sicherzustellen, die maßgebliche Richtlinienbestimmung gebe "jedoch nicht an, welche nationalen Instanzen zuständig sein müssen".

Angesichts dessen wäre das BVA gehalten gewesen, seine Zuständigkeit unter Heranziehung des zweiten Satzes des § 7 Abs 2 BVergG zu beurteilen. Diese Bestimmung hat den in der Folge wiedergegebenen Wortlaut und steht in folgendem Zusammenhang:

Das BVergG enthält (im 4. Hauptstück seines 3. Teiles) besondere Regelungen für Auftragsvergaben im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor. Dazu zählt gemäß § 67 Abs 2 Z 2 litb BVergG auch die "Nutzung eines geographisch abgegrenzten Gebietes zum Zwecke der ... Versorgung von Beförderungsunternehmen im Luft-, See- oder Binnenschiffsverkehr mit Flughäfen, Häfen oder anderen Verkehrsendeinrichtungen". Für Auftragsvergaben im Bereich dieser sogenannten geschützten Sektoren ordnete § 7 Abs 2 BVergG folgendes an:

"Im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor findet dieses Bundesgesetz nur Anwendung, soweit sich dies aus dem 4. Hauptstück des 3. Teiles ergibt. Auf Vergaben in diesen Bereichen finden die Bestimmungen des 4. Teiles keine Anwendung."

Der 4. Teil des BVergG enthält Bestimmungen über den Rechtsschutz, unter anderem auch solche über die Zuständigkeiten des BVA. Dieses ist gemäß § 91 Abs 2 leg.cit. bis zum Zeitpunkt des erfolgten Zuschlags zur Erlassung einstweiliger Verfügungen und zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen der vergebenden Stelle und gemäß § 91 Abs 3 leg.cit. nach Erteilung des Zuschlags zur Feststellung zuständig, ob wegen eines Gesetzesverstoßes der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. (Auf diese zuletzt genannte Bestimmung war der Antrag des übergangenen Bieters gestützt; vgl. oben Pkt. I.1.b))

b) Aus Anlaß der Behandlung der vorliegenden Beschwerde hatte der Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes des § 7 Abs 2 BVergG. In dem deshalb eingeleiteten amtswegigen Prüfungsverfahren sprach der Gerichtshof mit Erkenntnis vom , G22/98, aus, daß die in Prüfung genommene Bestimmung verfassungswidrig war.

Der vorliegende Anlaßfall ist daher so zu beurteilen, als hätte die aufgehobene Bestimmung nicht bestanden. Genau das hat aber - wenn auch aus anderen Gründen - das BVA getan, als es bei Klärung seiner Zuständigkeit die - nunmehr als verfassungswidrig erkannte - Bestimmung unangewendet ließ.

c) Dennoch bejahte das BVA seine Zuständigkeit. Lasse man nämlich § 7 Abs 2 BVergG unangewendet, so bestünde die Möglichkeit, daß das BVA seine Kontrolltätigkeit auch auf den Bereich der Sektorenaufträge ausdehne. Mit dieser Auffassung ist die belangte Behörde nicht im Recht:

Der Verfassungsgerichtshof hat schon in seiner Entscheidung G450/97 vom dargetan, daß die Kompetenz zur Feststellung, ob der Zuschlag an den Bestbieter erteilt wurde oder nicht, "nach den Vergabegesetzen systematisch gesehen nur ein Element einer schadenersatzrechtlichen Sanktion für das Fehlverhalten öffentlicher Auftraggeber bei Zuschlagserteilung darstellt", die mangels ausdrücklicher abweichender gesetzlicher Zuständigkeitszuweisung bei den ordentlichen Gerichten verbleibt (vgl. § 1 JN). (Der Gerichtshof hat in dieser Entscheidung dargelegt, daß weder dagegen noch auch gegen eine Übertragung dieser Kompetenz an besondere Vergabekontrolleinrichtungen unter den Gesichtspunkten des Rechtsstaatsprinzips und des Gleichheitsgrundsatzes verfassungsrechtliche Bedenken bestünden, sofern diese Behörden als Tribunale im Sinne des Art 6 EMRK eingerichtet sind, und daß es dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen auch nicht verwehrt sei, diese Kompetenz in Fällen bestimmter Konstellation einer besonderen Behörde (etwa dem BVA) zuzuweisen und im übrigen in der Zuständigkeit der Gerichte zu belassen.) In seiner oben zitierten Entscheidung in dem aus Anlaß dieses Verfahrens eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren hat der Gerichtshof die Auffassung ausdrücklich bestätigt.

Angesichts dessen bestand im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hinsichtlich von Sektorenaufträgen keine Zuständigkeit des BVA zur Feststellung, ob der Zuschlag dem Bestbieter erteilt wurde. Da weder § 7 Abs 2 erster Satz BVergG id Stammfassung noch eine andere innerstaatliche, noch eine unmittelbar anwendbare gemeinschaftsrechtliche Rechtsvorschrift (vgl. die oben zitierte Entscheidung des EuGH in der Rs Dorsch Consult) dem BVA eine solche Kompetenz ausdrücklich zuwies, lag sie in dem für die Beurteilung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Zeitpunkt bei den ordentlichen Gerichten.

Indem die belangte Behörde dies verkannte und ihre Zuständigkeit als gegeben erachtete, nahm sie eine Zuständigkeit in Anspruch, die ihr nach dem Gesetz nicht zukam und verletzte nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa VfSlg. 9696/1983, 11405/1987) dadurch die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem durch Art 83 Abs 2 B-VG gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 88 VerfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4 erster Satz VerfGG ohne vorangehende mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.