OGH vom 29.11.2013, 8Ob26/13a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner sowie die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1) A*****, 2) S*****, beide vertreten durch Ferner Hornung Partner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei Ing. M***** S*****, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 12.805,16 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 139/12t 18, mit dem über Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 2 Cg 153/11s 13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision der klagenden Parteien wird zurückgewiesen.
Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.230 EUR (darin enthalten 205,16 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
I.1. Der Beklagte beauftragte eine Baugesellschaft mit Abriss- und Sanierungsarbeiten an einem ihm gehörigen Gebäude. Diese Baugesellschaft wurde auch als Bauführerin und Bauausführende gemeldet. Weder der Beklagte noch die Baugesellschaft erstellten einen Sicherheits und Gesundheitsschutzplan. Sie bestellten auch keinen Sicherheits- und Baustellenkoordinator; ebenso wenig erfolgte eine Vorankündigung gemäß § 6 des Bauarbeitenkoordinationsgesetzes (BauKG).
Die Baugesellschaft war zunächst die einzige Beauftragte und sollte die Abbrucharbeiten durchführen sowie Decken und Wände neu errichten. Bis zum Zeitpunkt des den Gegenstand des Verfahrens bildenden Arbeitsunfalls waren nur Arbeitnehmer dieser Baugesellschaft auf der Baustelle beschäftigt. Erst nach Fertigstellung der beauftragten Arbeiten wurde ein anderes Unternehmen mit der Errichtung des Daches und danach ein Installationsunternehmen mit der Herstellung der Heizung, der Sanitäranlagen und der Strominstallationen beauftragt. Die einzelnen Unternehmen waren nie gleichzeitig auf der Baustelle tätig, sondern nacheinander.
Noch im Zuge der Abrissarbeiten waren am drei Arbeitnehmer der Baugesellschaft für Abbrucharbeiten eingeteilt. Einem Arbeitnehmer wurde der Auftrag erteilt, die noch aus fünf Balken bestehenden Reste einer Geschossdecke zu entfernen. Er ging dabei so vor, dass er quer über diese fünf Balken einen Pfosten legte, um so zunächst die drei mittleren Balken von oben mit der Motorsäge abschneiden zu können. Nachdem er die drei mittleren Balken herausgeschnitten hatte, konnte jedoch einer der beiden am Rand liegenden Balken das Gewicht nicht mehr tragen, weil er morsch war. Der Balken brach und der Arbeitnehmer stürzte 2,5 m auf den darunter liegenden Boden. Dabei zog er sich Verletzungen zu.
I.2. Die klagenden Parteien begehren den Ersatz der von ihnen im Rahmen der Unfall bzw der Krankenversicherung erbrachten sozialversicherungs-rechtlichen Leistungen (medizinische Behandlung, Krankengeld etc) im Umfang des Schadenersatzanspruchs des verunglückten Arbeitnehmers gegen den Beklagten. Dessen Schadenersatzansprüche seien gemäß § 332 ASVG auf die Klägerinnen übergegangen. Der Beklagte hafte für die Unfallsfolgen, weil die als Auflage verwendeten Balken nicht auf ihre Tragfähigkeit untersucht worden seien, weil es keine schriftliche Abbruchanweisung gegeben habe, weil keine Baustellenevaluierung durchgeführt worden sei, weil keine Vorankündigung iSd § 6 BauKG erfolgt sei, weil kein Sicherheits und Gesundheitsschutzplan erstellt worden sei und weil kein Planungs und Baustellenkoordinator bestellt worden sei. Letzterer hätte die Gefahren erkennen und entsprechende Maßnahmen vorschreiben können. Darüber hinaus entfalte der Werkvertrag zwischen dem Beklagten und der Baugesellschaft Schutzwirkungen zugunsten des Arbeitnehmers. Gegen seine daraus resultierenden Vertragspflichten zum Schutz des Mitarbeiters der Baugesellschaft habe der Beklagte verstoßen.
Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Auf der Baustelle sei nur das Bauunternehmen beschäftigt gewesen, sodass keine Verpflichtung zu Koordinationsmaßnahmen, insbesondere zur Bestellung eines Baustellenkoordinators, bestanden habe. Auch die Voraussetzungen für die Erstellung einer Vorankündigung seien nicht vorgelegen. Ebenso wenig habe sich der Beklagte einer Pflichtverletzung als Bauherr schuldig gemacht. Jedenfalls stehe der Unfall in keinem Rechtswidrigkeitszusammenhang mit allfälligen Verstößen gegen das BauKG. Der verletzte Arbeitnehmer habe sich nicht an die ihm erteilten Arbeitsanweisungen (Aufstellen eines Gerüstes unterhalb des Balkens) und Schutzanordnungen (Tragen eines Helms) gehalten. Insoweit treffe ihn das überwiegende Verschulden.
I.3. Die Vorinstanzen haben übereinstimmend das Klagebegehren abgewiesen. Es sei weder ein Baustellenkoordinator zu bestellen noch ein Sicherheits und Gesundheitsschutzplan zu erstellen gewesen. Die verschiedenen Unternehmen hätten ihre Tätigkeiten nacheinander und nicht gleichzeitig auf der Baustelle verrichtet. Es habe sich jeweils um in sich geschlossene Tätigkeitsbereiche gehandelt, die einander nicht beeinflusst hätten. Die Voraussetzungen nach § 7 Abs 1 BauKG seien daher nicht erfüllt gewesen. Die Klägerinnen hätten sich nicht auf Umstände berufen, die eine besondere Gefahr im Sinne des BauKG begründen würden. Der Beklagte habe auch nicht seine Fürsorgepflicht verletzt. Die Fürsorgepflicht des Bestellers finde jedenfalls dort ihre Grenze, wo sich der fachkundige Unternehmer und seine Erfüllungsgehilfen in eine offensichtliche oder nach ihren Fachkenntnissen erkennbare Gefahr begeben, statt deren Beseitigung zu veranlassen oder ihr sonst aus dem Weg zu gehen. Wie eine alte Holztramdecke angesichts ihrer Bauweise und ihres Erhaltungszustands am geeignetsten und am sichersten abzutragen sei, könne ein Bauunternehmen, das derartige Abbrucharbeiten übernehme, aufgrund seiner Fachkenntnisse weit besser beurteilen als ein Auftraggeber und Bauherr. Auch hier sei nicht ersichtlich, inwiefern es zur Beurteilung der Tragfähigkeit des erst im Zuge der Abrissarbeiten freigelegten Balkens eines Einschreitens des Beklagten bedurft hätte.
II. Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht mit der Begründung zugelassen, dass es an Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, unter welchen Voraussetzungen bei einem aufeinanderfolgenden Tätigwerden der Arbeitnehmer verschiedener Arbeitgeber eine Verpflichtung zur Bestellung eines Baukoordinators bestehe.
Der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision beantragt, weil keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten sei.
Rechtliche Beurteilung
III. Der Oberste Gerichtshof ist bei Prüfung der Zulässigkeit an den Ausspruch nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 500a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.
Die Entscheidung einer derartigen Frage ist im vorliegenden Fall jedoch nicht erforderlich.
Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
IV.1.1. Die Revision der Klägerinnen macht vor allem geltend, dass nach dem klaren Wortlaut des § 3 Abs 1 BauKG ein Baustellenkoordinator zu bestellen sei, wenn auf der Baustelle gleichzeitig oder aufeinanderfolgend Arbeitnehmer mehrerer Arbeitgeber tätig seien. Diese Voraussetzung sei auch dann erfüllt, wenn die Tätigkeitsbereiche der verschiedenen Arbeitgeber in sich abgeschlossen seien. § 3 Abs 1 BauKG stelle sich als Umsetzung der Richtlinie 92/57/EWG dar und lasse keine derartige Ausnahme von der Verpflichtung zur Bestellung von Koordinatoren für Sicherheits und Gesundheitsschutz zu. Im Übrigen stelle der Abriss von Geschossdecken und die Errichtung neuer Decken einen massiven Eingriff in die Statik des Gebäudes dar, sodass die Arbeit des Bauunternehmens sehr wohl die Arbeit der nachfolgenden Arbeitgeber beeinflusst habe.
IV.1.2. Die vom Berufungsgericht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO qualifizierte Frage, ob unter den hier gegebenen Voraussetzungen iSd § 3 Abs 1 BauKG „aufeinanderfolgend Arbeitnehmer mehrerer Arbeitgeber“ auf der Baustelle tätig waren und daher ein Baustellenkoordinator zu bestellen war, bedarf hier aber aus folgenden Überlegungen keiner Klärung:
Bestellt der Bauherr entgegen seinen Verpflichtungen keinen Baustellenkoordinator, trifft den Bauherrn selbst die Verantwortung für die dem Baustellenkoordinator vom Gesetz zugewiesenen Aufgaben (vgl etwa 7 Ob 17/09i; RIS Justiz RS0015253). Entscheidend ist daher hier die Frage, ob einem Baustellenkoordinator im vorliegenden Fall eine Verletzung des Pflichtenkatalogs des BauKG als Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmer iSd § 1311 ABGB (RIS Justiz RS0119450) vorzuwerfen wäre.
Dazu wurde aber im erstgerichtlichen Verfahren kein konkretes Vorbringen erstattet. Die Klägerinnen haben im Wesentlichen nur vorgebracht, dass ein Baustellenkoordinator die Gefahren erkennen und „entsprechende Maßnahmen“ hätte vorschreiben können. Dass die hier vom Verletzten gewählte Vorgangsweise, zur Entfernung der erst im Zuge der Abrissarbeiten freigelegten Balken nicht ein Gerüst zu verwenden (wie ihm jedenfalls nach dem Vorbringen der Beklagten aufgetragen wurde), sondern einen Pfosten über die Balken zu legen und von diesem aus die innen liegenden Balken mit der Motorsäge abzuschneiden, ein angeordneter und geplanter Arbeitsvorgang gewesen wäre, behaupten auch die Klägerinnen nicht. Nur ausgehend davon könnte aber der einzige konkret in diesem Zusammenhang im erstgerichtlichen Verfahren erhobene Vorwurf, dass das Auflager der abzureissenden Balken vor deren Abriss noch zu prüfen gewesen wäre, relevant sein. Dem Baustellenkoordinator obliegt nicht die laufende Überprüfung der einzelnen Arbeitnehmer im täglichen Arbeitsablauf; vielmehr hat er auf die Baustelle selbst, auf die Baustelleneinrichtung und auf die Koordination und Zusammenarbeit der einzelnen Unternehmen zu achten sowie sicherzustellen, dass die relevanten ArbeitnehmerInnenschutzvorschriften eingehalten werden (zu den Pflichten des Baustellenkoordinators siehe im Detail 1 Ob 233/03a).
Welche konkreten Maßnahmen ein Baustellenkoordinator nach dem BauKG im Rahmen seines Pflichtenkreises hier hätte treffen müssen, deren Unterlassung für den Unfall kausal war (vgl zur Behauptungs- und Beweislast des Geschädigten etwa 7 Ob 17/09i), wurde hier nicht behauptet und ist auch aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ersichtlich. Damit kommt aber der Frage, ob überhaupt ein Baustellenkoordinator zu bestellen gewesen wäre, keine entscheidende Bedeutung zu.
IV.2. Zur behaupteten Verletzung des § 7 Abs 1 BauKG betreffend einen Sicherheits und Gesundheitsplan, ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass im erstgerichtlichen Verfahren kein ausreichendes Vorbringen zur Anwendbarkeit dieser Bestimmung erstattet wurde. Die Interpretation des Parteienvorbringens und die Beurteilung, ob zu einer konkreten Frage ausreichendes Vorbringen erstattet wurde, ist regelmäßig eine Frage des Einzelfalls und stellt dementsprechend grundsätzlich keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar. Eine unvertretbare Beurteilung des Vorbringens der Klägerinnen zu den Voraussetzungen des § 7 Abs 1 BauKG vermag die Revision nicht aufzuzeigen:
Der Anwendungsbereich des § 7 Abs 1 BauKG umfasst soweit hier noch von Interesse Baustellen, auf denen Arbeiten zu verrichten sind, die mit besonderen Gefahren für Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer verbunden sind. Richtig ist, dass § 7 Abs 2 Z 1 BauKG in diesem Zusammenhang unter anderem auf die „Gefahr des Absturzes“ abstellt, „wenn diese Gefahr durch die Art der Tätigkeit, die angewandten Arbeitsverfahren oder die Umgebungsbedingungen auf der Baustelle erhöht wird, wie Arbeiten im Verkehrsbereich oder in der Nähe von Gasleitungen“. Die bloße Tatsache, dass an der Baustelle Absturzgefährdung besteht dies ist bei den meisten Baustellen der Fall reicht daher nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung nicht aus. Die Rechtsauffassung, zu den Voraussetzungen des § 7 BauKG fehle es an ausreichendem Vorbringen der Klägerin, stellt keine unvertretbare, vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar. Aus dem in der Revision hervorgehobenen Umstand, dass die Vorgangsweise des Verletzten gefährlich war, kann jedenfalls für sich allein nicht auf das Vorliegen der in § 7 Abs 2 Z 1 BauKG genannten qualifizierten Arbeitsverfahren oder Umgebungsbedingungen geschlossen werden.
IV.3. Letztlich wendet sich die Revision gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass der Beklagte seine Fürsorgepflichten als Werkbesteller nicht verletzt habe.
Die dazu angestellten ausführlichen Überlegungen des Berufungsgerichts stellen die maßgebende Rechtslage und die dazu ergangene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vollständig und zutreffend dar. Die Anwendung dieser Grundsätze auf den jeweiligen Einzelfall verwirklicht von Fällen krasser Fehlbeurteilung abgesehen keine die Zulässigkeit der Revision rechtfertigende erhebliche Rechtsfrage. Eine unvertretbare Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht zeigt die Revision nicht ansatzweise auf: Zwar trifft es zu, dass auch der Besteller verpflichtet ist, den Unternehmer auf Gefahrenmomente hinzuweisen, wenn diese für den Unternehmer schwer zu erkennen sind (RIS Justiz RS0021799). Der Umfang dieser Fürsorgepflicht richtet sich danach, wie weit sich der Unternehmer in einen der Sphäre des Bestellers zuzuordnenden Bereich begibt, in dem er gefährdet ist. Der Werkunternehmer, der aufgrund seiner Sachkenntnis wissen muss, dass die Arbeitsstätte gefährlich ist, muss sich vor Beginn der Arbeit selbst von den Sicherungsvorkehrungen überzeugen (RIS Justiz RS0021812; RS0021799; 8 Ob 40/10f mwN). Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass die für den Abbruch von im Zuge von Abrissarbeiten freigelegten Balken zu wählende Vorgangsweise vom Bauunternehmer viel besser beurteilt werden kann, als vom Bauherrn, ist alles andere als unvertretbar. Unvertretbar ist vielmehr die Auffassung, der Bauherr müsse das Fachunternehmen in einem derartigen Fall vor möglichen Gefahren warnen und zu sicherer Vorgangsweise anleiten.
IV.4. Insgesamt zeigt die Revision jedenfalls keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
Die Revision war daher zurückzuweisen.
V. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50 und 41 ZPO.