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VfGH vom 05.03.1981, B389/80

VfGH vom 05.03.1981, B389/80

Sammlungsnummer

9046

Leitsatz

VStG 1950; Aufforderung zum Strafantritt iS des § 53 Abs 1 kein Bescheid; Abweisung eines Individualantrages auf Aufhebung einiger Worte in § 53 Abs 4

Spruch

1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

2. Der Antrag auf Aufhebung von Bestimmungen des § 5 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes 1950 wird zurückgewiesen.

3. Der Antrag auf Aufhebung der Worte "oder ist dies mit Grund anzunehmen" im § 53 Abs 4 des Verwaltungsstrafgesetzes 1950 wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Bundespolizeidirektion Wien hat an den Beschwerdeführer - unter Verwendung von Formularen 43/I der Verwaltungsformularverordnung 1951 - vier Aufforderungen zum Antritt von Ersatzarreststrafen gerichtet.

Gegen diese vier Aufforderungen wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die Aufhebung der Aufforderungen beantragt wird.

2. Zu dieser Beschwerde hat der VfGH erwogen:

Der VfGH hat in ständiger Judikatur (vgl. zB und die dort zitierte Vorjudikatur) ausgesprochen, daß die in § 53 Abs 1 VStG 1950 vorgesehene Aufforderung zum Strafantritt kein Bescheid, sondern lediglich die nachdrückliche Erinnerung an einen bereits im Strafbescheid enthaltenen Befehl ist.

Mit dem zitierten Beschluß hat der VfGH weiters dargetan, daß derartige Aufforderungen auch keine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sind.

Der VfGH sieht sich aus Anlaß der vorliegenden (auf die dargestellte Rechtsprechung übrigens nicht bezugnehmende) Beschwerde nicht veranlaßt, von seiner Auffassung über die Unzulässigkeit von Beschwerden gegen Aufforderungen iS des § 53 Abs 1 VStG 1950 abzugehen.

Die Beschwerde war sohin zurückzuweisen.

Dies konnte gemäß § 19 Abs 3 Z 1 lita VerfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden, da die Nichtzuständigkeit des VfGH offenbar ist.

II.1.a) Mit derselben Eingabe stellt der Einschreiter den auf Art 140 Abs 1 letzter Satz B-VG idF der Novelle BGBl. 302/1975 gestützten Antrag,

"1. auf Aufhebung der Textstelle 'oder ist dies mit Grund anzunehmen' im Text des § 53 (4) VStG wegen Verfassungswidrigkeit,

2. auf Aufhebung von Bestimmungen des VVG (§5), soweit sie in ihrer Problematik zum bloßen Verdacht der Uneinbringlichkeit des geringeren, auf Geldzahlung lautenden Zwangsmittels dieselbe Verfassungswidrigkeit wie die zu 1. angefochtene Textstelle des § 53

(4) VStG bewirken können."

b) § 53 Abs 4 VStG 1950 lautet:

"Ist eine Geldstrafe ganz oder zum Teil uneinbringlich oder ist dies mit Grund anzunehmen, so ist die für den Fall der Uneinbringlichkeit verhängte Freiheitsstrafe oder der dem uneinbringlichen Betrag der Geldstrafe entsprechende Teil der Freiheitsstrafe in Vollzug zu setzen."

§5 VVG 1950 regelt die Vollstreckung von Verpflichtungen zu einer Duldung oder Unterlassung oder zu einer Handlung, die wegen ihrer eigentümlichen Beschaffenheit sich durch einen Dritten nicht bewerkstelligen läßt.

c) Der Beschwerdeführer behauptet, unmittelbar durch die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Gesetzesbestimmungen in seinen Rechten verletzt zu sein. Er begründet dies im wesentlichen damit, daß gegen ihn Ersatzarreststrafen verhängt wurden, zu deren Antritt er aufgefordert wurde, ohne daß überprüft worden sei, ob die diesbezüglichen Voraussetzungen - insbesondere die Uneinbringlichkeit der Geldstrafe - vorlägen. Tatsächlich seien diese Voraussetzungen nicht gegeben gewesen.

Sodann heißt es im Antrag wörtlich:

"Betreffend die Voraussetzungen zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe bzw. das Vorliegen der vom Gesetz geforderten Uneinbringlichkeit ist mir keine bescheidmäßige Erledigung zugegangen und war ich im ordentlichen Verwaltungsverfahren damit außerstande gesetzt, meine Rechte zu wahren und ein Rechtsmittel, nämlich eine Berufung gegen einen Verwaltungsbescheid zu ergreifen.

In diesem Vorgehen, welches der ständigen Praxis entspricht, erachte ich mich in meinen Rechten laut Gesetz vom 27. Oktober 1862 Reichsgesetzblatt Nr 87 zum Schutz der persönlichen Freiheit beschwert: ..."

d) Im Antrag werden die gegen die Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Gesetzesbestimmung sprechenden Bedenken dargelegt (s.u. II.3.c).

2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie primär begehrt, den Individualantrag mangels Antragslegitimation zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.

Sie begründet den Zurückweisungsantrag im wesentlichen damit, daß gegen den Beschwerdeführer Ersatzarreststrafen nicht vollzogen worden seien. Der Beschwerdeführer könne nicht behaupten, daß die angefochtenen Regelungen für ihn eine direkte Wirksamkeit iS des Art 140 Abs 1 B-VG entfaltet haben.

Der Antragsteller sei überdies der Verpflichtung nach § 62 Abs 1 VerfGG nicht nachgekommen, darzutun, inwieweit das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für ihn wirksam geworden ist. Für den Antragsteller seien nicht die angefochtenen Gesetzesbestimmungen unmittelbar wirksam geworden, sondern allenfalls die in der Aufforderung zum Antritt der Ersatzarreststrafe gelegene nachdrückliche Erinnerung an den bereits im Strafbescheid enthaltenen Befehl.

Die Bundesregierung legt weiters dar, weshalb ihrer Ansicht nach die angefochtenen Gesetzesbestimmungen verfassungsmäßig seien.

3. Zu diesem Individualantrag hat der VfGH erwogen:

a) Gemäß § 62 Abs 1 erster Satz VerfGG muß ein Individualantrag begehren, daß entweder das Gesetz seinem ganzen Inhalte nach oder daß bestimmte Stellen des Gesetzes als verfassungswidrig aufgehoben werden.

Der oben unter II.1.a wörtlich wiedergegebene Antrag bezeichnet nun entgegen dieser Vorschrift nicht jene bestimmten Stellen des § 5 VVG 1950, deren Aufhebung begehrt wird. Schon aus diesem Grund war der gegen (nicht näher bezeichnete) Bestimmungen des § 5 VVG 1950 gerichtete Antrag zurückzuweisen (vgl. VfSlg. 8550/1979).

b) Dieser Mangel haftet dem Antrag, soweit er sich auf Teile des § 53 Abs 4 VStG 1950 bezieht, nicht an. Hier wird die bestimmte Stelle, deren Aufhebung beantragt wird, genannt (nämlich die Worte "oder ist dies mit Grund anzunehmen").

Der Antragsteller behauptet, er sei unmittelbar durch die angefochtene Stelle des § 53 Abs 4 VStG 1950 - im Hinblick auf deren Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden.

Mit den oben unter II.1.c wiedergegebenen Ausführungen wird - dem § 62 Abs 1 letzter Satz VerfGG - entsprechend dargetan, inwieweit nach Meinung des Antragstellers das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für ihn wirksam geworden sei. Er macht dem Sinne nach geltend, daß ihm unmittelbar aufgrund des § 53 Abs 4 VStG 1950 ohne Dazwischentreten eines Bescheides (eine gerichtliche Entscheidung kommt von vornherein hier nicht in Betracht) die Vollziehung von Ersatzarreststrafen angedroht worden sei. Gegen die angedrohte Vollziehung der Ersatzarreststrafen habe er sich rechtlich nicht zur Wehr setzen können.

Wie der VfGH in ständiger Judikatur - beginnend mit VfSlg. 8009/1977 - ausgeführt hat, ist Voraussetzung der Antragslegitimation nicht nur, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, sondern auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das angefochtene Gesetz die Rechtssphäre der betreffenden Person berührt und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsberechtigung zu; es ist auch erforderlich, daß der Eingriff in die Rechtssphäre der betreffenden Person unmittelbar durch das Gesetz selbst - tatsächlich - erfolgt ist. Ein unmittelbar durch das Gesetz erfolgter und (deswegen) die Antragslegitimation begründender Eingriff in die Rechtssphäre einer Person ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist und die (rechtlich geschützten) Interessen der betreffenden Person nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt. Der durch Art 140 Abs 1 letzter Satz B-VG eingeführte Individualantrag ist dazu bestimmt, Rechtsschutz gegen rechtswidrige Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht.

Alle diese Voraussetzungen sind hier gegeben:

Auch wenn den dem VfGH vorgelegten Verwaltungsakten zufolge die angedrohten Ersatzarreststrafen bisher nicht vollzogen worden sind, sind doch Aufforderungen nach § 53 Abs 1 VStG 1950 an den Antragsteller ergangen; seine rechtlich geschützten Interessen wurden aktuell (auch) durch § 53 Abs 4 VStG 1950 beeinträchtigt. Diese Gesetzesbestimmung erlaubt es der Vollstreckungsbehörde - obgleich nicht durch Bescheid - festzustellen, daß die Voraussetzungen dafür vorliegen, anstelle der von der erkennenden Strafbehörde verhängten Geldstrafe die gleichfalls von dieser verhängte Ersatzarreststrafe zu vollstrecken. Die Rechtsfolge dieser in Form der Aufforderung zum Antritt der Ersatzarreststrafe nach außen in Erscheinung tretenden Feststellung ist, daß - unter der Voraussetzung, daß sie zutrifft - nunmehr die Arreststrafe vollzogen werden darf. Zwischen die bescheidmäßige Verhängung einer Geldstrafe und einer Ersatzarreststrafe durch die erkennende Behörde einerseits und die Vollstreckung der Ersatzarreststrafe durch die Vollstreckungsbehörde andererseits tritt kein Bescheid. Insbesondere ist die Aufforderung zum Antritt der Ersatzarreststrafe nicht als Bescheid zu qualifizieren (s.o. I.2). Es kann dahingestellt bleiben, ob schon allein aus diesem Umstand abzuleiten ist, daß die angefochtene Gesetzesbestimmung unmittelbar in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreift. Auch wenn diese Auffassung nicht zuträfe, wäre nämlich der Eingriff deshalb unmittelbar, weil es dem Antragsteller nicht zumutbar wäre, sich zwangsweise zum Antritt der Ersatzarreststrafe vorführen zu lassen, um sodann im Wege der Bekämpfung dieses Verwaltungsaktes durch Beschwerde gemäß Art 144 Abs 1 vorletzter Satz B-VG die amtswegige Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der bekämpften Stelle des § 53 Abs 4 VStG 1950 anzuregen. Dem Antragsteller steht also jedenfalls kein (zumutbarer) Rechtsweg offen, um anders als durch einen Individualantrag die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Stellen des § 53 Abs 4 VStG 1950 zu bewirken.

Der Individualantrag ist, soweit er sich auf eine Stelle des § 53 Abs 4 VStG 1950 bezieht, sohin zulässig.

c) aa) Der Antragsteller erachtet die angefochtene Stelle des § 53 Abs 4 VStG 1950 aus folgenden Gründen für verfassungswidrig:

Diese Bestimmung erlaube es der Vollstreckungsbehörde, ohne Verfahren, in dem Parteiengehör zu gewähren wäre, und ohne Erlassung eines Bescheides festzustellen, daß die verhängte Geldstrafe uneinbringlich ist. § 53 Abs 4 VStG 1950 ermögliche es (in Widerspruch zu § 16 VStG 1950), die verhängte Ersatzarreststrafe nicht nur dann zu vollstrecken, wenn die verhängte Geldstrafe tatsächlich uneinbringlich ist, sondern auch dann, wenn die Uneinbringlichkeit "mit Grund anzunehmen ist". Daher könne die Vollstreckungsbehörde - in Abweichung vom Spruch des Strafbescheides der erkennenden Behörde - die Vollstreckung einer Arreststrafe verfügen, wenn sie bloß den Verdacht der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe habe. Die bekämpfte Gesetzesstelle erweitere den gesetzlichen Strafrahmen und biete der Vollstreckungsbehörde die Möglichkeit, eine Ersatzfreiheitsstrafe nicht zwecks Sühne anzuordnen, sondern als Erzwingungshaft, um dem als zahlungsunfähigen Schuldner bloß Verdächtigten das Einbekenntnis seiner Zahlungsmöglichkeit abzunötigen. All dies stehe in Widerspruch zu dem auf Verfassungsstufe stehenden Gesetz vom 27. Oktober 1862, RGBl. 87, zum Schutze der persönlichen Freiheit, sowie auch zu Art 83 Abs 2 B-VG, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf.

bb) All diese vorgebrachten Bedenken treffen nicht zu:

§16 VStG 1950 schreibt vor, daß dann, wenn auf eine Geldstrafe erkannt wird, zugleich die im Falle ihrer Uneinbringlichkeit an ihre Stelle tretende Freiheitsstrafe festzusetzen ist. In § 53 Abs 4 VStG 1950 wird (nicht in Widerspruch zu § 16, sondern ergänzend hiezu) ausgeführt, unter welchen Voraussetzungen anstelle der verhängten Geldstrafe die verhängte Ersatzarreststrafe zu vollstrecken ist. Wie der VfGH in seinen Erk. VfSlg. 8642/1979 und 8679/1979 dargetan hat, liegt es keineswegs im Belieben der Vollstreckungsbehörde, anstelle der Geldstrafe die Ersatzarreststrafe zu vollstrecken. Vielmehr hat diese Behörde, ehe sie die Ersatzarreststrafe in Vollzug setzt, entweder ein Vollstreckungsverfahren durchzuführen oder aber Erhebungen zu pflegen, deren Ergebnis die Annahme zu rechtfertigen vermag, die verhängte Geldstrafe sei mit hoher Wahrscheinlichkeit uneinbringlich.

Bei diesem - vom Antragsteller offenbar verkannten - Inhalt des § 53 Abs 4 VStG 1950 ist es unverständlich, wieso die angefochtene Gesetzesbestimmung den vom Antragsteller angeführten Verfassungsvorschriften widersprechen soll. Insbesondere gebieten diese Verfassungsbestimmungen nicht, die Feststellung, die Geldstrafe sei uneinbringlich oder die Uneinbringlichkeit sei mit Grund anzunehmen, in Form eines Bescheides nach Durchführung eines den Verwaltungsverfahrensgesetzen entsprechenden Verfahrens zu treffen.