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OGH vom 13.06.1990, 9ObA146/90

OGH vom 13.06.1990, 9ObA146/90

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Monika Angelberger und Franz Eckner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Gerhard W***, Angestellter, Wien 12., Rauchgasse 37/3/14, vertreten durch Dr. Georg Grießer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei A*** DER M*** A***

Gesellschaft mbH, Wien 13., Amalienstraße 59-61, vertreten durch Mag.DDr.Ingeborg Schäfer-Guhswald, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 31.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 33 Ra 128/89-38, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 23 Cga 1010/88-33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.292,80 (darin S 548,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit bei der M*** A***

Gesellschaft mbH als Schulungsleiter angestellt. Diese Gesellschaft führt getrennte Unternehmenszweige für den Vertrieb von Kopierern und Textverarbeitungssystemen (BED) sowie für den Vertrieb von Kameras. Diese beiden Unternehmensbereiche werden selbständig geführt; sie sind räumlich getrennt und nicht verflochten. Der Kläger war im sogenannten BED-Bereich tätig. Dieser Bereich weist sowohl eine Stab- als auch eine Linienorganisation auf. Während etwa Buchhaltung, Personalverrechnung, Werbung, Marketing, Einkauf und Behördenbetreuung zentral durchgeführt werden, obliegt der Verkauf selbständigen Filialen. Die Filialen sind eigene "Profit-Center", die direkt an die Kunden verkaufen. Sie haben die Kosten für die rund 60 Arbeitnehmer der Zentrale als Gemeinkosten mitzutragen. Die Höhe der Verkaufspreise ist grundsätzlich festgelegt. Es gibt jedoch einen generell vorgegebenen Rahmen für Preisnachlässe, innerhalb dessen die Filialen selbständig vorgehen können. Die Filialleiter, die zwar keine Prokura haben, aber in ihrem Bereich selbständig sind, schließen die jeweiligen Kaufverträge ab und sind mit der Personalführung sowohl in fachlicher als auch in disziplinärer Hinsicht betraut. Wenn sie den Rahmen für Preisnachlässe überschreiten wollen, müssen sie mit der Geschäftsleitung Rücksprache halten; das ist jedoch nur zwei- bis dreimal jährlich erforderlich. Die Filialleiter erstellen mit der Zentrale nur einen generellen Postenplan; die jeweiligen Arbeitsverhältnisse mit den Arbeitnehmern in den Filialen können sie selbständig begründen und beenden. Mit Ausnahme der Ablage der Arbeitsverträge obliegen ihnen auch alle weiteren Agenden im Bereich der Personalverwaltung. Jede Filiale hat ein eigenes Lager, das etwa dem Volumen eines Monatsumsatzes entspricht. Daneben gibt es noch ein Zentrallager im Umfang eines Umsatzes von etwa 6 bis 8 Wochen. Bis Dezember 1988 wurde mit Ausnahme der Filialen in Wien und Linz noch in der Zentrale fakturiert. Nunmehr fakturieren alle Filialen selbständig. In der Filiale Vorarlberg sind 19, in Linz 36, in Kärnten 7 bis 8, in Tirol 25 und in Graz 13 Arbeitnehmer tätig. Die Wiener Filiale, die auch Niederösterreich und das Burgenland mitbetreut, hat in der Zentrale 50 Mitarbeiter und am Hietzinger Kai 42.

Am wurde der Kläger vom Dienst freigestellt und die M*** A*** Gesellschaft mbH brachte am eine Klage auf Zustimmung zur Entlassung ein.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit, in eventu Ungültigerklärung der Betriebsratswahl vom . Er sei Vorsitzender des Betriebsrats gewesen; dieser Betriebsrat sei jedoch über Betreiben der Geschäftsleitung aufgelöst worden. Durch ein bei seiner Dienstfreistellung ausgesprochenes Hausverbot sei er von der M*** A*** Gesellschaft mbH willkürlich an einer neuerlichen Kandidatur und am Sammeln von Unterstützungsunterschriften für den Wahlvorschlag gehindert worden. Diese Gesellschaft habe ein gewisses Interesse an der Betriebsratswahl gehabt und habe Arbeitnehmern, die nicht wählen wollten, mit der Kündigung gedroht. Bei der Wahl des beklagten Betriebsrats seien mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen ungültig gewesen, eine große Anzahl habe auf den Kläger gelautet oder sei manipuliert worden. Der Wahlvorstand habe den Wahlkartenwählern den Wahlvorschlag nicht zur Kenntnis gebracht. Es seien durchscheinende Kuverts verwendet und die Wahlkarten den Wahlkartenwählern nicht direkt zugesandt worden. Aus zwei Filialen seien die Sammelkuverts mit den Wahlkarten erst zwei Tage nach dem Wahltag beim Wahlvorstand eingelangt. Überdies seien die Filialen in den Bundesländern als selbständige Betriebe anzusehen, für die eigene Betriebsratswahlen durchgeführt hätten werden müssen. Der beklagte Betriebsrat beantragte die Zurück- bzw. Abweisung des Klagebegehrens. Da das Wahlergebnis spätestens am kundgemacht worden sei, sei das erst am erhobene Rechtsgestaltungsbegehren verspätet. Im übrigen sei die Betriebsratswahl ordnungsgemäß erfolgt und es seien dabei keine Verfahrensfehler unterlaufen. Die Filialen der M*** A*** Gesellschaft mbH seien keine eigenen Betriebe, sondern nur Betriebsteile. Die Wahl sei weder nichtig noch lägen die Voraussetzungen für eine Anfechtung vor.

Das Erstgericht gab dem Hauptbegehren statt. Es traf im wesentlichen noch folgende Feststellungen:

Anfang des Jahres 1987 traten einige Mitarbeiter an den Kläger mit dem Vorschlag heran, er möge eine Betriebsratswahl organisieren. Der Kläger erkundigte sich deshalb bei der Gewerkschaft der Privatangestellten, wo er vom zuständigen Fachgruppensekretär erfuhr, daß bereits einmal ein Angestellter versucht habe, in diesem Betrieb, in dem seit 10 Jahren kein Betriebsrat mehr bestehe, eine Betriebsratswahl zu organisieren. Die Geschäftsleitung habe der Gewerkschaft damals schriftlich mitgeteilt, daß sie an einem Betriebsrat nicht interessiert sei. Der betreffende Angestellte sei von seiner Idee abgebracht worden.

Der Kläger informierte sich dennoch über die Vorgangsweise bei einer Betriebsratswahl. Er berief gemeinsam mit anderen Mitarbeitern eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes ein. Bei dieser wurde er zum Vorsitzenden des Wahlvorstandes gewählt. Er trat auch als Wahlwerber in einer Liste mit anderen Arbeitnehmern auf. Es wurde auch noch ein zweiter Wahlvorschlag erstellt, in dem der Vorgesetzte des Klägers an erster Stelle kandidierte. Der Geschäftsführer Roland S*** rief daraufhin den Kläger zu sich und fragte ihn, ob er sich die Sache nicht noch einmal überlegen wolle. Außerdem warf er ihm vor, daß er keine Wahlwerbung für die zweite Liste betreibe.

Bei der Betriebsratswahl im April 1987 waren 256 Arbeitnehmer wahlberechtigt, davon 107 zur brieflichen Stimmabgabe (vorwiegend aus den Filialen). Von den 185 abgegebenen Stimmen entfielen 92 auf die Liste des Klägers und 83 auf die zweite Liste. 10 Stimmzettel waren ungültig. Von den Wahlkartenwählern gaben 66 ihre Stimme mit und 17 Wahlkarten ab. Eine Stimmabgabe erfolgte zu spät. Nachdem der Kläger zum Vorsitzenden des Betriebsrats gewählt worden war, wurde ihm sein Spesenpauschale entzogen. Es kam mit dem Geschäftsführer S*** zu heftigen Auseinandersetzungen etwa über die Aufstellung eines Cola-Automaten in den Betriebsräumlichkeiten, die Spesenabrechnung des Geschäftsführers, eine Prämie, die der Geschäftsführer in Höhe von einer halben Million Schilling bezog, die Versicherung der Außendienstmitarbeiter und über eine verlangte Abtretung von Befugnissen des Betriebsrats an die Geschäftsleitung. Die Streitigkeiten eskalierten und es wurden sowohl die Konzernspitze der Firma M*** als auch die Spitzen der österreichischen Sozialpartner eingeschaltet.

Die Mitglieder des Betriebsrats S*** und P***, die der zweiten Liste angehörten, fuhren auf Unternehmenskosten zu den einzelnen Filialen, um Unterschriften für den Antrag auf Anberaumung einer Betriebsversammlung zur Abwahl des Betriebsrats zu sammeln; am wurde eine darauf abzielende Klage eingebracht. Die Klage ging jedoch ins Leere, da bereits am sämtliche Mitglieder des Betriebsrats mit Ausnahme des Klägers und der Leiterin der Einsatzzentrale, Gertrud K***, zurücktraten. Der Betriebsrat wurde dadurch funktionsunfähig und seine Tätigkeitsdauer war beendet (§ 62 Z 2 ArbVG). Mit dem Kläger wurden seitens der Geschäftsleitung in der Folge verschiedene Gespräche über die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses geführt.

Am beriefen der Leiter der Marketingabteilung, Dieter S***, und einige andere Arbeitnehmer für den eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes für eine Betriebsratswahl ein. Der Leiter der Filiale Klagenfurt erstattete den Wahlvorschlag für den Wahlvorstand, für den er den Leiter der Marketingabteilung und verschiedene andere Arbeitnehmer namhaft machte. Der vorgeschlagene Wahlvorstand wurde gewählt und Dieter S*** wurde Vorsitzender des Wahlvorstandes.

Der Kläger, der erneut versucht hatte, Unterstützungsunterschriften für einen Wahlvorschlag zu erhalten, wurde am dienstfrei gestellt. Die Geschäftsführung verhängte über ihn, offenbar im Bestreben, die Erstellung eines Wahlvorschlags zu verhindern, ein Hausverbot, das auch am Schwarzen Brett in der Zentrale angeschlagen wurde. Der am Vortag gewählte Wahlvorstand schrieb am die Betriebsratswahl für den aus und setzte das Ende der Frist für die Einbringung der Wahlvorschläge mit fest. Der Kläger versuchte trotz des über ihn verhängten Hausverbots, den Betrieb zu betreten, um weitere Unterschriften für seinen Wahlvorschlag zu sammeln. Dies war auch dem Wahlvorstand bekannt. Der Geschäftsführer S*** drohte jedoch mit dem Einsatz der Funkstreife, wenn der Kläger das Betriebsgelände nicht verlasse. Daraufhin kam der Kläger dieser Aufforderung nach, da er keine weiteren Schwierigkeiten haben wollte. Dem Kläger gelang es auch nicht, mit den Arbeitnehmern telefonisch in Kontakt zu kommen, da die Gespräche zum Teil unterbrochen wurden.

Bei der zweiten Betriebsratswahl gab es nur einen einzigen Wahlvorschlag mit Günter S*** als Listenführer, der in der Zentrale und in den Filialen kundgemacht wurde. An die Wahlkartenwähler erging keine Verständigung. Die Wahlkarten mit Stimmzettel, Stimmkuverts und Überkuverts wurden nicht an die Arbeitnehmer in den Filialen geschickt, sondern in Sammelkuverts an die Filialleiter. Diese hatten die Überkuverts wieder einzusammeln und in einem Sammelkuvert an den Wahlvorstand zu senden. Der Kläger erhielt die Wahlunterlagen auf dem Postweg zugesandt. Er hörte von einem Arbeitnehmer, daß in einer Filiale die Arbeitnehmer dazu verhalten worden seien, die Stimmzettel vor dem Filialleiter auszufüllen. Eine Kontrolle darüber, ob die Stimmzettel tatsächlich von den Wählern ausgefüllt wurden, hatte der Wahlvorstand nicht. Wenn es sich auch nicht generell feststellen läßt, steht doch fest, daß auf die Arbeitnehmer in den Filialen, falls diese überhaupt selbst gewählt haben, von den Filialleitern zumindest teilweise ein erheblicher Druck ausgeübt wurde, daß sie ihre Stimme abgeben. Die Sammelkuverts wurden von den Filialleitern per Post an den Wahlvorstand gesandt, bei dem sie am Dienstag bzw. Mittwoch vor dem Wahltag einlangten. In den Wiener Abteilungen wurde den Arbeitnehmern nahegelegt, daß sie zur Wahl gehen sollen. Die Betriebsratswahl fand am von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr statt. Im Wahllokal befanden sich die sechs Mitglieder des Wahlvorstandes und der Leiter des Personalbüros, Dr. Erich H***. Während der Wahl wurden die aus den Bundesländerfilialen eingetroffenen Sammelkuverts geöffnet, die Wahlkarten überprüft und die Stimmkuverts in die Urnen eingeworfen. Für die Wahl wurden insgesamt nicht völlig undurchsichtige Kuverts verwendet. Von den 262 Wahlberechtigten hatten 188 gewählt. Der Wahlvorstand zählte der "Liste S***" insgesamt 138 Stimmen zu, darunter auch 14 Stimmzettel, die auf "Liste 1" lauteten, und 3 Stimmzettel, auf denen andere Mitglieder der "Liste S***" aufschienen. 90 der 95 Wahlkartenwähler stammten aus den Bundesländerfilialen; es gab 91 abgegebene Wahlkartenstimmen. Während bei der ersten Betriebsratswahl ca. drei Viertel der Angestellten wählten und dabei auch etwa drei Viertel der Wahlkartenwähler ihre Stimmen abgaben, wählten bei der angefochtenen Betriebsratswahl wiederum etwa drei Viertel der Wahlberechtigten, aber praktisch 98 % der Wahlkartenwähler, da abgesehen vom Kläger und Gertrud K*** nur zwei Arbeitnehmer in den Filialen nicht gewählt haben. Von den 80 Arbeitnehmern in Wien, die bei der ersten Betriebsratswahl gewählt hatten, und bei der zweiten Betriebsratswahl noch wahlberechtigt waren, übten nur 53 ihr Stimmrecht aus. Die Wahlkundmachung erfolgte in Wien am und in den Bundesländerfilialen spätestens am . Vorsitzender des Betriebsrats wurde der Listenführer Günter S***. Dieser war bei der M*** A*** Gesellschaft mbH nur vorübergehend beschäftigt, weil er schon vorher wegen Alkoholproblemen aus dem Betrieb ausgeschieden war. Als S*** sein Arbeitsverhältnis einvernehmlich löste, war kein anderes Ersatzmitglied des Betriebsrats bereit, nachzurücken. Schließlich übernahm Emmerich W*** als das auf der kandidierenden Liste zuletzt gereihte Ersatzmitglied den Vorsitz. Er öffnete die Wahlakten und entnahm dem ersten Wahlakt verschiedene, seiner Meinung nach nicht dahingehörende Unterlagen. Im Akt über die zweite Wahl wurden die Kuverts, mit denen die Wahlkarten eingelangt sind, nicht aufbewahrt.

Im ersten Jahr seiner Funktionsperiode wurde der beklagte Betriebsrat von sechs beabsichtigten Kündigungen verständigt. Er gab bei drei Kündigungen keine Stellungnahme ab und stimmte drei Kündigungen, darunter auch der des Klägers, ausdrücklich zu. Der Kläger hat seine Kündigung zu 23 Cga 1023/88 des Erstgerichts angefochten. Dieses Verfahren ist bis zur rechtskräftigen Entscheidung der vorliegenden Arbeitsrechtssache unterbrochen. Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Kläger ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung schon deshalb zugebilligt werden müsse, weil der beklagte Betriebsrat seiner Kündigung zugestimmt habe. Bezüglich der Wahl der beklagten Partei seien elementare Grundsätze einer Wahl im allgemeinen und einer Betriebsratswahl im besonderen verletzt worden. Da die einzelnen Filialen der M*** A*** Gesellschaft mbH als eigene "Profit-Center" abgeschlossene organisatorische Einheiten bildeten, die in selbständiger Verwaltung ihrer Personalangelegenheiten auch den Vertrieb der Kopiergeräte und Textverarbeitungssysteme völlig selbständig durchführten, sei jede dieser Filialen als Betrieb im Sinne des § 34 ArbVG zu beurteilen. Die Betriebsratswahl hätte daher nicht für den gesamten Unternehmensbereich gemeinsam durchgeführt werden dürfen.

Der Kläger sei in grober Weise in der Ausübung seines passiven Wahlrechts eingeschränkt worden und von seiten der Unternehmensleitung sei in bedenklicher Weise auf die Bestellung ihres "Verhandlungspartners" Einfluß genommen worden. Dem Wahlvorstand sei bekannt gewesen, daß der Kläger aus dem Betrieb ausgesperrt gewesen sei. Er hätte daher bei dieser Obliegenheitsverletzung durch den Arbeitgeber (§ 37 Abs. 1 ArbVG) Maßnahmen ergreifen müssen, die es dem Kläger ermöglicht hätten, sein passives Wahlrecht bei der Betriebsratswahl auszuüben. Das Übersenden der Unterlagen für die briefliche Stimmabgabe in Sammelkuverts an die Filialleiter habe gegen die Bestimmung des § 22 Abs. 5 BRWO verstoßen, wonach die Übermittlung mittels eingeschriebenen Briefes unmittelbar an die Wahlberechtigten zu erfolgen habe. Überdies sei die Rücksendung der Wahlunterlagen in Verletzung der Anordnungen des § 25 Abs. 1 BRWO wiederum durch die Filialleiter erfolgt. Da die briefliche Stimmabgabe in § 51 ArbVG geregelt sei, sei eine Verletzung dieser Vorschriften als Verletzung eines leitenden Grundsatzes des Wahlrechts anzusehen. Die Tatsache, daß die Arbeitnehmer in den Filialen entweder gar nicht selbst gewählt hätten oder daß auf sie ein erheblicher Druck ausgeübt worden sei, verstoße gegen den vom Gesetzgeber vorausgesetzten Grundsatz des freien Wahlrechts. Auch diesen Mangel habe sich der Wahlvorstand zurechnen zu lassen. Dazu komme, daß bei der Betriebsratswahl nicht völlig undurchsichtige Kuverts verwendet worden seien.

Einen weiteren Verfahrensmangel bilde der Umstand, daß für eine "Liste 1" abgegebenen Stimmen ebenfalls der beklagten Partei zugerechnet worden seien (§ 24 Abs. 6 BRWO), da bei der ersten Betriebsratswahl der Kläger die erste Liste angeführt habe. Auch wenn dieser Mangel an der absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen nichts ändere, müsse im konkreten Fall berücksichtigt werden, daß nur ein Wahlvorschlag eingebracht und der Kläger an der Einbringung eines weiteren Wahlvorschlags gehindert worden sei. Insofern sei auch beachtlich, daß die Anzahl von 124 Stimmen nicht einmal mehr die Hälfte der insgesamt zur Wahl berechtigten 262 Arbeitnehmer betrage.

Der Vorsitzende des Betriebsrats sei nicht berechtigt gewesen, den versiegelten Wahlakt zu öffnen, da die Wahlunterlagen von erheblicher Bedeutung für das Zustandekommen der Wahl seien und auch für die Feststellung der allfälligen Nichtigkeit heranzuziehen seien. Die nicht den Betriebsstrukturen entsprechende und vom Betriebsinhaber beeinflußte Betriebsratswahl habe in ihrer Gesamtheit zu einer Verletzung elementarster Grundsätze des geheimen und freien Wahlrechts geführt. Die Arbeitnehmer hätten bei der Stimmabgabe vor den Filialleitern keinerlei Gewähr gehabt, daß ihr Stimmverhalten geheim bleibe. Es sei nicht anzunehmen, daß durch dieses "Zerrbild" einer Wahl ein Ergebnis erzielt worden sei, das vom Willen der Belegschaft getragen werde. Die Wahl sei daher als nichtig anzusehen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, S 50.000 übersteige. Es führte ergänzend aus, daß das Gesamtbild der gegenständlichen Wahl derart "verzerrt" sei, daß nicht mehr von einer bloß anfechtbaren Wahl gesprochen werden könne. Die Stichhaltigkeit der einzelnen Mängel sei zwar unterschiedlich, doch seien die festgestellten Wahlbeeinflussungen mit den unverzichtbaren Regeln einer demokratischen Wahl nicht mehr vereinbar. Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem sinngemäßen Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern. Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gemäß § 60 ArbVG kann die Nichtigkeit der Wahl des Betriebsrats bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses jederzeit auch durch Klage auf Feststellung bei Gericht geltend gemacht werden. Auch wenn der Kläger bereits gekündigt und damit sein Arbeitsverhältnis schwebend wirksam beendet wurde, ergibt sich sein Feststellungsinteresse entgegen der Ansicht des Revisionswerbers daraus, daß das durch die ausdrückliche Zustimmung zur Kündigung ausgeübte Sperrecht der beklagten Partei (§ 105 Abs. 3 ArbVG) und sohin die Wirksamkeit der vom Kläger angefochtenen Kündigung präjudiziell von der Wirksamkeit des zu ihrer Bestellung führenden Wahlvorganges abhängt.

Den Ausführungen des Revisionswerbers, daß der Unterschied zwischen der Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl nach § 59 ArbVG und der Feststellung der Nichtigkeit nach § 60 ArbVG darin zu erblicken sei, daß zwischen zwei Phasen der Wahl unterschieden werden müsse, so daß zufolge Verstreichens der Monatsfrist die Wahl der Betriebsratsmitglieder an sich als präkludiert nicht mehr anfechtbar sei und es hinsichtlich der Wahl der Organe in der konstituierenden Sitzung keine Nichtigkeitsgründe gebe, kann nicht gefolgt werden. Gegenstand der Feststellungsklage ist die Wahl des Kollegialorgans Angestelltenbetriebsrat und nicht die Wahl der Organe des Betriebsrats in der konstituierenden Sitzung. Richtig ist, daß der Gesetzgeber Nichtigkeitsgründe, die die Wahl absolut unwirksam machen, im Gegensatz zu den Anfechtungsgründen nicht nennt. Die EB zur RV (840 BlgNR 13.GP 75) des ArbVG führen zum Verhältnis zwischen Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründen folgendes aus:

"Da die Anfechtungsgründe sehr umfassend konzipiert wurden, um auch schwerste Verstöße gegen die Bestimmungen über das Wahlverfahren nach Ablauf der Anfechtungsfrist im Interesse der Rechtssicherheit möglichst zu sanieren, bleibt für die Geltendmachung der Nichtigkeit nur mehr ein sehr kleiner Bereich. Es fallen darunter insbesondere jene Fälle, in denen die elementarsten Grundsätze einer Wahl außer Acht gelassen wurden."

Die Regelung der BRG-Nov. 1971 und des ArbVG ist, wie Floretta (KommzArbVG 340) überzeugend ausgeführt hat, nicht als Korrektur der bisherigen Rechtsprechung anzusehen; es wurde vielmehr im wesentlichen die bisherige Praxis festgeschrieben. Da das ArbVG die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl (§ 60) neben der (bloßen) Anfechtbarkeit einer solchen Wahl wegen Verletzung wesentlicher Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitender Grundsätze des Wahlrechts (§ 59 Abs 1) erwähnt, kann nicht jede derartige Gesetzesverletzung die "absolute Nichtigkeit" der Wahl begründen; eine solche kann vielmehr nur dann angenommen werden, wenn bei dem von den Beteiligten als "Betriebsratswahl" bezeichneten Sachverhalt - über die Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen oder leitender Wahlrechtsgrundsätze hinaus - die elementarsten Grundsätze einer Wahl im allgemeinen oder einer Betriebsratswahl im besonderen außer Acht gelassen wurden (im gleichen Sinn schon vor der BRG-Nov. 1971: Arb. 7656; SZ 39/203 = Arb. 8322 = ZAS 1967, 179 ÄStrasserÜ; SZ 40/13 = Arb. 8347; Floretta-Strasser, BRG 143 f; ebenso zur Neufassung des § 9 Abs. 8 und 9 BRG bzw. jetzt zu §§ 59, 60 ArbVG Floretta-Strasser, BRG2 169 ff; Floretta aaO 340 f; Cerny, ArbVG9 229 f; SZ 45/129 = Arb. 9068; Arb. 9411; insbes. Arb. 10.273; ferner Arb. 9762 ÄEA InnsbruckÜ), der betreffende Vorgang also "nicht einmal die Merkmale einer Wahl aufweist" (so wörtlich die EB zur BRG-Nov. 1971, 428 BlgNR 12.GP 6) und deshalb nur als "Zerrbild" einer Wahl bezeichnet werden kann (Floretta aaO 340). Bei der Annahme einer solchen - rechtsunwirksamen - "Nichtwahl" ist aber zumindest seit der BRG-Nov 1971 allerdings Vorsicht geboten, wenn anders nicht die vom Gesetzgeber mit der Neufassung des § 9 Abs. 8 und 9 BRG (jetzt: §§ 59, 60 ArbVG) verfolgte Absicht vereitelt werden soll, durch eine umfassendere Regelung der Anfechtbarkeit einer Betriebsratswahl dem Bereich der (absoluten) Nichtigkeit einer solchen Wahl nach Möglichkeit einzuschränken (SZ 45/129 = Arb. 9068; Arb. 9411). Wendet man diese Abgrenzungskriterien auf den vorliegenden Fall an, ist der Ansicht der Vorinstanzen, daß bei der angefochtenen Betriebsratswahl - über die Verletzung wesentlicher Bestimmungen des Wahlverfahrens oder leitender Grundsätze des Wahlrechts (§ 59 Abs. 1 ArbVG) hinaus - die elementarsten Grundsätze einer Wahl außer Acht gelassen worden seien, zuzustimmen. Mögen auch einzelne vom Erstgericht festgestellte Verstöße wie die Wahl eines "Sammelbetriebsrats" (vgl. Arb. 8545; Arb. 9095; WBl. 1988, 307), die Abwicklung der Briefwahl oder etwa die Zurechnung von Stimmen auf die Einheitsliste für sich allein noch nicht das Gewicht einer Nichtigkeit erreichen, ist eine solche jedoch aus dem Gesamtbild des "Wahlvorganges" anzunehmen, aus dem das Bestreben, einen bestimmten Erfolg zu erzielen, hinreichend zu erkennen ist.

Der erst im April 1987 zum Vorsitzenden des Betriebsrats gewählte Kläger wurde nach dem Eintritt der Funktionsunfähigkeit des Betriebsrats bereits am Tag nach der Bestellung eines Wahlvorstandes zur Wahl eines neuen Betriebsrats vom Dienst suspendiert und aus dem Betriebsgelände ausgesperrt. Damit wurde es ihm unmöglich gemacht, neuerlich für den Betriebsrat zu kandidieren. Einen anderen Grund für das Hausverbot hatte die Geschäftsführung nicht. Wie das Erstgericht darlegte, wurde weder ein konkretes Vorbringen zu allfälligen Entlassungsgründen erstattet noch sonst ein dieses Verbot rechtfertigender Sachverhalt bewiesen. Es ist vielmehr der Eindruck entstanden, daß das Hausverbot nur deshalb verhängt wurde, weil sich der Kläger erneut um ein Mandat im Betriebsrat beworben hat. Im Zusammenhang mit der Tatsache, daß der Kläger mit seiner Liste noch im April 1987 92 Stimmen erhalten hatte und dem Umstand, daß Betriebsratsmitglieder der zweiten Liste auf Unternehmenskosten herumreisten, um für die Abwahl des eben gewählten Betriebsrats zu werben, kommt der Aussperrung des Klägers schon in diesem Stadium der Wahlvorbereitung die Bedeutung einer gezielten Wahlbehinderung und erkennbaren Wahlbeeinflussung zu (vgl. Schaub, Arbeitsrecht Handbuch6 1402 f). Da der Wahlvorstand diese Maßnahmen kannte und trotzdem keinerlei Versuch unternahm, auch dem Kläger die Ausübung des passiven Wahlrechts zu gewährleisten (§ 53 Abs. 1 ArbVG), fällt auch ihm diese gezielte Wahlbehinderung zur Last (vgl. VwGHSlg. 12.147 A).

Diese Tendenzhaltung setzt sich in den Vorgängen um die briefliche Stimmabgabe (§ 51 Abs. 1 ArbVG; Arb. 10.566) nahtlos fort. Um eine freie, gleiche und geheime Wahl zu sichern, hat der Wahlvorstand gemäß § 22 Abs. 5 BRWO den zur brieflichen Stimmabgabe Berechtigten mittels eingeschriebenen Briefes die auf deren Namen lautende Wahlkarte zu übermitteln. Der Wahlkarte ist ein leerer Stimmzettel, ferner ein wie für die übrigen Wähler aufliegender leerer Umschlag, der undurchsichtig sein muß (§ 24 Abs. 3 BRWO), sowie ein bereits freigemachter (frankierter) und mit der Adresse des Wahlvorstandes versehener zweiter Umschlag (Briefumschlag) beizufügen. Eine solche Vorgangsweise wurde aber nicht eingehalten, da die Unterlagen für die Betriebsratswahl einschließlich nicht völlig undurchsichtiger Wahlkuverts in Sammelkuverts direkt an die Filialleiter übermittelt wurden (vgl. Arb. 9095), welche die Unterlagen wiederum gesammelt an den Wahlvorstand zurücksandten. Damit wurde aber schon von vornherein eine gewisse Kontrolle des (gewünschten) Wahlverhaltens durch die Filialleiter ermöglicht, zu der es nach den Feststellungen der Vorinstanzen auch tatsächlich gekommen ist (vgl. Waas in FS Floretta Ä1983Ü 655 ff, 677 ff; Arb. 8347). Die Arbeitnehmer in den Filialen haben nach diesen Feststellungen entweder gar nicht selbst gewählt oder es wurde auf sie erheblicher Druck ausgeübt, wenngleich auch nicht festgestellt werden konnte, auf welche Weise dieser Druck ausgeübt wurde. In diesem Zusammenhang ist es auch bezeichnend, daß Listenführer der Einheitsliste ein schon wegen Alkoholproblemen ausgeschiedener Arbeitnehmer war, der nur vorübergehend beschäftigt wurde. Den Vorinstanzen ist auch darin beizupflichten, daß die für eine "Liste 1" abgegebenen Stimmen im Sinne des § 24 Abs. 6 BRWO nicht ohne weiteres der Einheitsliste zugerechnet hätten werden dürfen, da es bei dieser Wahl keine "Liste 2" gab und der Kläger bei der nur 8 Monate vorher erfolgten Betriebsratswahl für die erste Liste kandidiert hatte.

Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, daß bei der gegenständlichen Betriebsratswahl eine Fülle derart gravierender Verfahrensmängel unterlaufen ist, daß dieser Vorgang im wesentlichen nicht einmal die Merkmale der Ausübung des freien, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlrechts durch die Wahlberechtigten aufweist (vgl. auch Strasser im ZAS 1967, 182). Die Verfahrensverstöße bewirken somit in ihrer Schwere und Gesamtheit (Arb. 9068) die absolute Nichtigkeit des Wahlvorganges. Die Kostenentscheidung ist in § 58 Abs. 1 ASGG sowie in den §§ 50 und 41 ZPO begründet.