OGH 15.05.2019, 9ObA27/19i
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Bernhard Gruber und ADir. Gabriele Svirak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei T***** Z*****, vertreten durch Schmidberger-Kassmannhuber-Schwager Rechtsanwalts-Partnerschaft in Steyr, gegen die beklagte Partei T***** GmbH, *****, vertreten durch Haas, Frank, Schilchegger-Silber & Rabl, Rechtsanwälte in Wels, wegen 9.466,23 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei (Revisionsstreitwert: 7.195,26 EUR sA), gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 62/18v-18, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Der Auslegung einer Kollektivvertragsbestimmung kommt nach der Rechtsprechung dann keine erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu, wenn die relevante Rechtsfrage in der Rechtsprechung des Höchstgerichts bereits geklärt oder die Auslegung klar und eindeutig ist (RS0109942 [T1, T6]). Letzteres ist hier der Fall.
2. Der auf das zwischen den Parteien bestandene Arbeitsverhältnis anzuwendende Kollektivvertrag für ArbeiterInnen im Gewerbe der Arbeitskräfteüberlassung (KVAÜ) sieht in seinem Abschnitt VIII Regelungen für auswärtige Arbeiten vor. Kapitel A betrifft Regelungen für auswärtige Arbeiten „bei Entsendung durch den Beschäftiger“ und Kapitel B solche „bei Entsendung durch den Überlasser in weit entfernte Beschäftigerbetriebe“. Wird der Arbeitnehmer ins Ausland überlassen, sehen die Punkte 7 bis 10 des Abschnitts VIII Kapitel A KVAÜ unter der Überschrift „Entsendung durch den Beschäftiger ins Ausland“ eigene Bestimmungen vor. Wird der Arbeitnehmer vom Überlasser ins Ausland überlassen, bestimmt Abschnitt VIII Kapitel B Punkt 12 letzter Satz KVAÜ, dass die Punkte 7 bis 10 sinngemäß gelten.
3.1. Der Kollektivvertrag sieht nach seinem Wortlaut zwischen einer Überlassung von Arbeitnehmern durch den Überlasser ins Ausland und einer Entsendung durch den Beschäftiger ins Ausland daher keinen Unterschied (Rothe, Arbeiter- und Angestellten-KV Arbeitskräfteüberlassung3 Abschnitt VIII Rz 77; Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV 20184 Abschnitt VIII Erl 41).
3.2. Nach Abschnitt VIII Kapitel A Punkt 8 KVAÜ besteht Anspruch auf Taggeld und Nächtigungsgeld in Höhe der Gebührenstufe 3 der Bundesbediensteten sowie auf Ersatz bestimmter mit der Entsendung verbundener Spesen. Nach Abschnitt VIII Kapitel A Punkt 9 KVAÜ gebührt für die effektive Reisezeit außerhalb der Normalarbeitszeit der Stundenlohn (Akkord- bzw Prämiendurchschnittslohn) ohne Zulagen und Zuschläge. Diese „Wegzeitvergütung“ betrifft Reisezeiten nur am ersten Anreise- und am letzten Abreisetag und nicht Wochenendheimreisen, weil Abschnitt VIII Kapitel A Punkt 2 letzter Satz KVAÜ, wonach die Heimreise am letzten Arbeitstag der Arbeitswoche zu ermöglichen ist, mangels Verweises in Abschnitt VIII Kapitel A Punkt 9 KVAÜ für Fälle der Entsendung durch den Beschäftiger ins Ausland (ausdrücklich) nicht gilt (Rothe, Arbeiter- und Angestellten-KV Arbeitskräfteüberlassung3 Abschnitt VIII Rz 83 f).
3.3. Auch Abschnitt VIII Kapitel B Punkt 12 dritter Satz KVAÜ, der ebenfalls festhält, dass die Heimreise am letzten Arbeitstag der Arbeitswoche zu ermöglichen ist, ist nicht auf den von der Beklagten ins Ausland überlassenen Kläger anzuwenden. Die Punkte 11 und 12 des Abschnitts VIII Kapitel B KVAÜ bestimmen den Fahrtkostenersatz und – bei entsprechender Entfernung des Beschäftigerbetriebs vom Wohnort des Arbeitnehmers – das Tag- und das Nächtigungsgeld bei Entsendung durch den Überlasser in weit entfernte Beschäftigerbetriebe. Da solche Ansprüche für die Sonderfälle der Überlassung ins Ausland zufolge des Verweises durch den letzten Satz des Abschnitts VIII Kapitel B Punkt 12 KVAÜ auf die Punkte 8 und 9 des Abschnitts VIII Kapitel A KVAÜ aber ebenfalls und abweichend von den Punkten 11 und 12 des Abschnitts VIII Kapitel B KVAÜ geregelt sind, lässt sich dem Text des KVAÜ klar entnehmen, dass die Kollektivvertragsparteien Abschnitt VIII Kapitel A Punkt 12 letzter Satz KVAÜ nicht als Ergänzung zu den übrigen Regelungen in Abschnitt VIII Kapitel A Punkt 11 und 12 KVAÜ sehen, sondern für die Fälle der Entsendung des Arbeitnehmers ins Ausland eine eigene Regelung schaffen wollten (Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV 20184 Abschnitt VIII Erl 29).
4. Eine durch diese Regelungen gegen den Gleichheitssatz und gegen unionsrechtliche Grundsätze verstoßende Benachteiligung der ins Ausland überlassenen gegenüber den im Inland überlassenen Arbeitnehmern ist nicht erkennbar. Zum einen ist eine Überlassung ins Ausland nur mit Zustimmung des Arbeitnehmers möglich, sodass der Arbeitnehmer auch eine stärkere Verhandlungsposition hat, etwa um ein höheres Entgelt auszuhandeln (Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV 20184 Abschnitt VIII Erl 26, 29; Rothe, Arbeiter- und Angestellten-KV Arbeitskräfteüberlassung3 Abschnitt VIII Rz 83), zum anderen sind die vom Kläger beanstandeten Regelungen auch nicht sachlich ungerechtfertigt. Die Kollektivvertragsparteien gehen offensichtlich davon aus, dass Auslandseinsätze doch weiter entfernt stattfinden, sodass wöchentliche Heimfahrtsansprüche weder persönlich sinnvoll noch finanziell zumutbar sind (Rothe, Arbeiter- und Angestellten-KV Arbeitskräfteüberlassung3 Abschnitt VIII Rz 84) und überdies Kosten von Auslandsreisen mitunter stark variieren und daher schwer abschätzbar sind (Schindler, Arbeitskräfteüberlassungs-KV 20184 Abschnitt VIII Erl 41).
5. Da das Berufungsgericht den vom Kläger in der Berufung geltend gemachten Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung in Bezug auf die vom Erstgericht als zu Recht bestehend angesehene Gegenforderung (vgl RS0043338 [T21]) als nicht gesetzmäßig ausgeführt erachtete, dieser Umstand in der Revision aber nicht als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens gemäß § 503 Z 2 ZPO bekämpft wurde (vgl RS0043231), ist dem Obersten Gerichtshof die inhaltliche Überprüfung über die Gegenforderung verwehrt (9 ObA 129/17m mwN; RS0043231).
Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2019:009OBA00027.19I.0515.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
ZAAAD-98161