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OGH vom 27.03.2020, 10ObS25/20d

OGH vom 27.03.2020, 10ObS25/20d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter (Senat gemäß § 11a Abs 3 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag. A*****, vertreten durch Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Leistung von 5.280 EUR aus dem Unterstützungsfonds, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Rs 117/19s-6, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger beantragte mit Schreiben vom einen Zuschuss aus Mitteln des Unterstützungsfonds der Beklagten für von ihm getragene Kosten einer Verhaltenstherapie von 5.280 EUR. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit formlosen Schreiben vom ab und erließ entgegen dem Antrag des Klägers keinen Bescheid über die Ablehnung der beantragten Unterstützungsleistung.

Die wiesen die vom Kläger eingebrachte Säumnisklage mangels Zulässigkeit des Rechtswegs zurück. Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht wegen Fehlens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO nicht zu.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts richtet sich der des Klägers, mit dem er die inhaltliche Behandlung seiner Klage anstrebt.

Der Kläger macht in seinem Rechtsmittel geltend, dass Rechtsprechung zu den hier zu behandelnden Fragen fehle. Auch bei freiwilligen Leistungen aus dem Unterstützungsfonds müsse der Versicherungsträger einen Bescheid erlassen; die Ausübung des Ermessens durch den Versicherungsträger müsse gerichtlich nachprüfbar sein, weil es sonst an einem iSd Art 6 EMRK ausreichenden Rechtsschutz fehle.

Der Kläger zeigt damit im Hinblick auf die eindeutigen gesetzlichen Regelungen keine erheblicher Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 528 Abs 1 ZPO auf (RS0042656):

Rechtliche Beurteilung

1.1 Eine Säumnisklage ist – vorbehaltlich des § 68 ASGG – gemäß § 67 Abs 1 Z 2 ASGG nur in einer Leistungssache nach § 65 Abs 1 Z 1, 4 und 6 bis 8 ASGG sowie über die Kostenersatzpflicht eines Versicherungsträgers nach § 65 Abs 1 Z 5 ASGG zulässig.

1.2 Gemäß § 65 Abs 1 Z 1 ASGG sind Sozialrechtssachen Rechtsstreitigkeiten über den Bestand, den Umfang oder das Ruhen eines Anspruchs auf Versicherungs- oder Pflegegeldleistungen, soweit dabei nicht die Versicherungszugehörigkeit, die Versicherungszuständigkeit, die Leistungszugehörigkeit oder die Leistungszuständigkeit in Frage stehen. Ausdrücklich verweist § 65 Abs 1 Z 1 ASGG auf § 354 Z 1 ASVG.

1.3 Leistungssachen sind gemäß § 354 Z 1 ASVG Angelegenheiten, in denen es sich um die Feststellung des Bestandes, des Umfanges oder des Ruhens eines Anspruchs auf eine Versicherungsleistung einschließlich einer Feststellung nach § 367 Abs 1 ASVG handelt, soweit nicht dabei die Versicherungszugehörigkeit (§§ 13 bis 15 ASVG), die Versicherungszuständigkeit (§§ 26 bis 29a ASVG), die Leistungszugehörigkeit (§ 245 ASVG) oder die Leistungszuständigkeit (§ 246 ASVG) in Frage steht.

2.1 Gemäß § 367 Abs 1 ASVG ist ein Bescheid ua über den Antrag auf Zuerkennung einer Leistung aus der Krankenversicherung zu erlassen, wenn die beantragte Leistung ganz oder teilweise abgelehnt wird und der Anspruchswerber ausdrücklich einen Bescheid verlangt (Z 2).

2.2 Die Leistungen der Krankenversicherung werden nach dem in § 117 ASVG enthaltenen Leistungskatalog gewährt. Dieser Leistungskatalog umfasst für den Versicherungsfall der Krankheit ua die Krankenbehandlung gemäß den § 133 bis 137 ASVG (§ 117 Z 2 ASVG). Nicht im Leistungskatalog des § 117 ASVG enthalten sind Leistungen aus einem Unterstützungsfonds eines Trägers der Krankenversicherung gemäß § 84 ASVG.

2.3 Die Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung werden entweder als Pflichtleistungen (§ 121 Abs 1 Z 1 ASVG) oder als freiwillige Leistungen gewährt (§ 121 Abs 1 Z 2 ASVG). Pflichtleistungen sind gemäß § 121 Abs 2 ASVG Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Freiwillige Leistungen sind nach dieser Bestimmung hingegen Leistungen, die auf Grund gesetzlicher oder satzungsmäßiger Vorschriften gewährt werden können, ohne dass auf sie ein Rechtsanspruch besteht.

2.4 Es entspricht der vom Rekursgericht dargestellten Rechtsprechung, dass bei Pflichtleistungen ohne individuellen Rechtsanspruch in Ansehung dieser Leistungen gegen eine Ermessensentscheidung des Versicherungsträgers beim Arbeits und Sozialgericht Klage wegen gesetzwidriger Ermessensübung erhoben werden kann (RS0117386; vgl zu Pflichtleistungen ohne individuellen Rechtsanspruch in der Krankenversicherung 10 ObS 7/05k SSVNF 19/34; in der Unfallversicherung 10 ObS 138/10g SSVNF 24/81).

2.5 Richtig weist der Revisionsrekurswerber darauf hin, dass auch über die Nichtgewährung freiwilliger Leistungen aus der Krankenversicherung mit Bescheid zu entscheiden ist, weil auch in diesem Zusammenhang der einzelne ein Recht auf die Ausübung des fehlerfreien Gebrauchs des Ermessens im Sinn des Gesetzes hat (ausführlich zur Pflichtaufgabe der Gewährung medizinischer Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation in der Krankenversicherung nach § 154a ASVG:10 ObS 258/02t SSVNF 17/17; RS00083922 [T1]).

3.1§ 84 Abs 1 ASVG ermöglicht den Versicherungsträgern die Einrichtung eines Unterstützungsfonds. § 84 Abs 2 bis 5 ASVG regelt die Dotierung des Unterstützungsfonds durch die jeweiligen Versicherungsträger. Gemäß § 84 Abs 6 ASVG können die Mittel des Unterstützungsfonds in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen verwendet werden, insbesondere in Berücksichtigung der Familien, Einkommens und Vermögensverhältnisse des zu Unterstützenden.

3.2 Bei den Leistungen aus einem Unterstützungsfonds eines Trägers der Krankenversicherung handelt es sich um eine Leistung aus der Krankenversicherung im Sinn der § 117, 121 ASVG. Dies ergibt sich schon aus der systematischen Stellung des § 84 ASVG in Abschnitt V des Ersten Teils des ASVG („Mittel der Krankenversicherung“), während die Leistungen der Krankenversicherung im Zweiten Teil des ASVG geregelt sind. § 84 ASVG bietet die gesetzliche Grundlage für finanzielle Unterstützungsmaßnahmen der Sozialversicherungsträger, die in den allgemeinen beitrags- und leistungsrechtlichen Vorgaben vorgesehen sind. Auch in § 116 ASVG findet sich kein Hinweis darauf, dass Leistungen aus dem Unterstützungsfonds gemäß § 84 ASVG eine Pflichtaufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung wären (anders als etwa die Zahnbehandlung, die zwar nicht in § 117 ASVG, wohl aber in § 116 Abs 1 Z 3 ASVG genannt wird: Windisch-Graetz in SVKomm [164. Lfg] § 117 ASVG Rz 2 mwH).

3.3 Der Antrag auf Gewährung einer freiwilligen Leistung aus dem Unterstützungsfonds ist daher keine Leistungssache im Sinn des § 354 ASVG, weil er nicht auf die Feststellung des Bestandes, des Umfangs oder des Ruhens eines Anspruchs auf eine leistung oder eine Feststellung nach § 367 Abs 1 ASVG gerichtet ist. Nach der Generalklausel des § 355 ASVG gehören alle nicht gemäß § 354 ASVG als Leistungssachen geltenden Angelegenheiten, für die nach § 352 ASVG die verfahrensrechtlichen Bestimmungen der § 352 bis 356 ASVG gelten, zu den Verwaltungssachen nach § 355 ASVG.§ 352 ASVG weist die Durchführung der und damit aller Bestimmungen des ASVG den Verwaltungssachen zu, soweit nicht eine der dortigen Ausnahmen eingreift (8 Ob 55/18y). Eine der in § 352 ASVG genannten Ausnahmen liegt im vorliegenden Fall nicht vor.

3.4 Die Pflicht der Versicherungsträger, in Verwaltungssachen einen Bescheid zu erlassen, richtet sich nicht nach § 367 ASVG, sondern nach § 410 ASVG. Entscheidungen des Versicherungsträgers im Zusammenhang mit der Gewährung von Leistungen aus einem Unterstützungsfonds sind entgegen der Rechtsansicht des Revisionsrekurswerbers daher sehr wohl einer Überprüfung zugänglich, und zwar im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl § 414 ASVG; zur Gewährung einer Leistung aus den Mitteln des Unterstützungsfonds der Pensionsversicherungsanstalt vgl VwGH 2013/08/0029).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00025.20D.0327.000

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