VfGH vom 27.02.1981, B376/79
Sammlungsnummer
9020
Leitsatz
LebensmittelG 1975; keine Bedenken gegen § 39; gesetzlose Entnahme von Warenproben
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch die am um 17.00 Uhr in seinem Betrieb in 1190 Wien, S-platz Nr. 2, von einem Aufsichtsorgan des Bürgermeisters der Bundeshauptstadt Wien als Landeshauptmann durchgeführte Entnahme von Warenproben sowie gleicher Wareneinheiten als Gegenproben, und zwar von insgesamt zwölf Hühnern, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Am um 15,45 Uhr entnahm ein Revisionsbeamter des Magistrates der Stadt Wien im Betrieb des Fleischhauermeisters J.J. jun. in 1190 Wien, S-platz Nr. 2, einem aus einer Lieferung vom stammenden Vorrat an insgesamt vierzehn Hühnern mit Berufung auf das LMG 1975 - unter Probenzeichen Fo 240/79 - ein Huhn als Probe und leitete es unverzüglich an die Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung und -forschung in Wien zur amtlichen Untersuchung weiter, nachdem er eine gleiche Wareneinheit als Gegenprobe versiegelt im Unternehmen zurückgelassen hatte. Die entnommene Probe wurde in dem sogleich erstatteten Gutachten der Untersuchungsanstalt als gesundheitsschädlich beurteilt. Der Revisionsbeamte begab sich daraufhin noch am selben Tag in die Fleischhauerei zurück, nahm dort um 17,00 Uhr - unter Probenzeichen Fo 241/79 - eine weitere Probe von sechs Hühnern zur Abgabe in der Untersuchungsanstalt und versiegelte die verbliebenen restlichen sechs als Gegenprobe, womit der gesamte Warenvorrat aus der einleitend erwähnten Anlieferung vom in die Probenentnahme einbezogen war.
1.2. J.J. jun. bekämpft mit der vorliegenden, auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützten Beschwerde an den VfGH der Sache nach nur die am um 17,00 Uhr zum Probenzeichen Fo 241/79 stattgefundene Entnahme von Waren als Probe und Gegenprobe. Der Beschwerdeführer behauptet, durch diesen angefochtenen Verwaltungsakt im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) verletzt worden zu sein.
In der Beschwerdeschrift wird dazu - auf das Wesentliche zusammengefaßt - ausgeführt:
Der Revisionsbeamte habe - am gegen 17,00 Uhr zum zweiten Male an diesem Tag im Betrieb des Beschwerdeführers erscheinend - erklärt, daß er den gesamten Hühnervorrat beschlagnahmen wolle, aber zur freiwilligen Vernichtung rate, doch sei vom Beschwerdeführer sowohl die Beibringung eines Beschlagnahmebeschlusses als auch eine grobsinnliche Prüfung des Warenvorrates verlangt worden. Der Beamte habe hierauf von einer Beschlagnahme abgesehen, aber den verbliebenen Hühnervorrat ohne jedwede gesetzliche Grundlage zur Gänze in Probe gezogen, was im Ergebnis einer Beschlagnahme des Gesamtbestandes gleichgekommen sei.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1.1. Die Beschwerde richtet sich gegen eine von einem Beamten des Magistrates der Stadt Wien auf Grund des Lebensmittelgesetzes 1975 - LMG 1975, BGBl. 86/1975, verfügte sogenannte Probenentnahme, demnach gegen eine in Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gegen eine bestimmte Person durchgeführte Amtshandlung, wie sie Art 144 Abs 1 B-VG idF BGBl. 302/1975 voraussetzt (vgl. VfSlg. 8471/1978).
Da die bekämpfte Amtshandlung einer Anfechtung im Instanzenzug nicht unterliegt und auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist die Beschwerde zulässig.
2.1.2. Die im § 39 LMG 1975 geregelte Entnahme von Proben durch Aufsichtsorgane ist eine der Maßnahmen zur Überwachung des Verkehrs mit allen von diesem Gesetz erfaßten Waren, die gemäß § 35 LMG 1975 dem Landeshauptmann obliegt. Die angefochtene Probenentnahme ist darum dem Bürgermeister der Bundeshauptstadt Wien als Landeshauptmann zuzurechnen (VfSlg. 8471/1978).
2.2. Rechtsgrundlage für die Entnahme von Warenproben durch behördliche Aufsichtsorgane bildet § 39 LMG 1975, der in dem hier maßgebenden Umfang lautet:
"(1) Die Aufsichtsorgane sind befugt, Proben von Waren, die diesem Bundesgesetz unterliegen, zu entnehmen. Die im § 38 genannten Personen haben die Entnahme von Proben zu dulden.
(2) Die entnommene Probe ist, soweit dies ihrer Natur nach möglich ist und hiedurch nicht ihre einwandfreie Beurteilung bei der Untersuchung vereitelt wird, in zwei gleiche Teile zu teilen; hernach ist jeder Teil der Probe zweckentsprechend zu verpacken und amtlich zu verschließen. Der eine Teil ist der amtlichen Untersuchung zuzuführen, der andere der Partei zu Beweiszwecken zurückzulassen. Die Partei ist berechtigt, im Beisein des Aufsichtsorgans auf jeder Verpackung der beiden Teile Angaben über die Unternehmung (Firmenstempel u.dgl.) anzubringen.
(3) Ist eine Teilung der entnommenen Probe ihrer Natur nach nicht möglich oder deshalb nicht durchführbar, weil durch die Teilung ihre einwandfreie Beurteilung bei der Untersuchung vereitelt würde, hat das Aufsichtsorgan die Probe ohne vorherige Teilung der amtlichen Untersuchung zuzuführen. Sind noch augenscheinlich gleiche Wareneinheiten vorhanden, hat das Aufsichtsorgan hievon eine Wareneinheit zu entnehmen und der Partei zurückzulassen. Im übrigen gilt der Abs 2 sinngemäß.
(4) Die entnommene Probe ist der in Betracht kommenden Untersuchungsanstalt (§42 und § 49) zu übermitteln ..."
2.3.1. Die Entnahme von Warenproben greift in das Eigentum ein (vgl. VfSlg. 8471/1978). Dieser Eingriff wäre dann verfassungswidrig, wenn er auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei der Amtshandlung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann zuträfe, wenn der Behörde ein so schwerer Fehler zur Last fiele, daß er mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist (s. VfSlg. 7409/1974, 7917/1976 ua.).
2.3.2. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, daß die dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrundeliegenden Rechtsvorschriften, insbesondere jene des § 39 Abs 4 LMG 1975, verfassungswidrig seien. Auch der VfGH hegt - unter dem Blickwinkel dieses Beschwerdefalls - keine derartigen Bedenken (s. auch VfSlg. 8466/1978).
2.3.3. Demgemäß hätte die vom Beschwerdeführer behauptete Eigentumsverletzung nur dann stattgefunden, wenn der Behörde ein der Gesetzlosigkeit gleichkommendes Verhalten anzulasten wäre.
Dies ist der Fall.
Wie der VfGH mit Erk. VfSlg. 8471/1978 aussprach, ist eine von einem Aufsichtsorgan in Durchführung seiner Überwachungsaufgaben entnommene Probe der in Betracht kommenden Untersuchungsanstalt zu übermitteln (§39 Abs 4 LMG 1975), sodaß dem Gesetz kein anderer Inhalt beigemessen werden kann, als daß Art und Ausmaß der Warenproben im Hinblick auf die vorzunehmende Untersuchung zu bestimmen sind, daß also insbesondere die Warenproben nur ein solches Ausmaß haben dürfen, aber auch haben müssen, das eine an den Zwecken der Überwachung orientierte Untersuchung nach den hiefür gebotenen Untersuchungsmethoden ermöglicht.
Angesichts des Umstandes, daß es sich hier - wie dargetan - erklärter- und unbestrittenermaßen nur um eine Probenziehung handelte - eine vorläufige Beschlagnahme mit anschließender Einholung eines förmlichen Beschlagnahmebeschlusses (Beschlagnahmebescheides) nach § 40 LMG 1975 fand nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien nicht statt -, sowie mit Rücksicht auf die Herkunft der gesamten vom Beschwerdeführer (am ) vorrätig gehaltenen und von beiden Amtshandlungen betroffenen Hühnermenge aus ein und derselben Lieferung (vom ) war das für eine sachgerechte Untersuchung notwendige Probenausmaß bereits mit der - nicht in Beschwerde gezogenen - Entnahme um 15,45 Uhr des (zum Probenzeichen Fo 240/1979) gesichert, wie vor allem das Ergebnis der auf Grund dieser (ersten) Entnahme sofort veranlaßten und durchgeführten gutachtlichen Untersuchung des Probenmaterials zeigt. Dementsprechend vertritt der VfGH die Auffassung, daß die der bekämpften Gesetzeshandhabung zugrunde gelegte behördliche Würdigung des maßgeblichen Sachverhaltes in der Richtung, es sei trotz dieser erfolgreich abgeschlossenen Untersuchung einer dem Vorrat vom entnommenen Probe - und zwar in unmittelbarer zeitlicher Abfolge - die Inanspruchnahme der gesamten weiteren (restlichen) Lagermenge und damit des gesamten Warenbestandes aus der einzigen in Rede stehenden Lieferung vom überhaupt zum Zweck der Probenziehung erforderlich, unter den obwaltenden Verhältnissen schlechthin ausgeschlossen und damit einer in die Verfassungssphäre reichenden Gesetzlosigkeit gleichzuhalten ist.
2.3.4. Aus diesen Erwägungen wurde der Beschwerdeführer durch die im Spruch näher bezeichnete Amtshandlung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
Es mußte somit spruchgemäß entschieden werden.