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OGH vom 08.10.2015, 16Ok9/15g

OGH vom 08.10.2015, 16Ok9/15g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm und Univ. Prof. Dr. Kodek und die Kommerzialräte Dr. Haas und Dr. Dernoscheg als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin R***** GmbH, *****, vertreten durch Reidlinger Schatzmann Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Antragsgegnerin A***** AG, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Abstellung einer Zuwiderhandlung gemäß § 26 KartG und Feststellung einer Zuwiderhandlung gemäß § 28 KartG, über den Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom , GZ 27 Kt 59, 60/12 102, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst :

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

B e g r ü n d u n g :

I. Unstrittiger Sachverhalt

Nach der auf den vorliegenden Fall noch anzuwendenden Rechtslage vor dem besteht nach dem Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG) für die In Verkehr Setzer von Verpackungen die Verpflichtung, diese in einem bestimmten Ausmaß einem Recyclingsystem zuzuführen. Die Vorgaben des AWG werden durch die Verpackungsverordnung 1996 konkretisiert. Deren Ziel ist es, Umwelt und Deponien von Verpackungsabfällen zu entlasten und sämtliche Verpackungen in eine Kreislaufwirtschaft mit dem Ziel einer größtmöglichen Wiederverwertung zu integrieren. Für die Sammel und Verwertungssysteme, zu denen auch die Parteien dieses Verfahrens zählen, werden die Ziele für die Sammlung, Erfassung und stoffliche Verwertung von Verpackungen in den Genehmigungsbescheiden des Bundesministeriums für Land und Forstwirtschaft, Umwelt- und Wasserwirtschaft vorgegeben. In diesen Bescheiden werden die Bereiche Haushalt und Gewerbe abgegrenzt. Zum Haushaltssystem zählen private Haushalte sowie „Einrichtungen mit jenem privater Haushalte vergleichbaren Verpackungsaufkommen“. Letztere sind gewerbliche oder institutionelle Anfallstellen mit einem Gesamtaufkommen an Verpackungen bis zu 13 mal 1.100 l Sammelvolumen je Sammelfraktion (Leichtverpackungen, Metallverpackungen) bei herkömmlicher Verdichtung in marktüblichen Sammelbehältern oder Sammelsäcken pro Jahr. Zu diesen zählen zB Krankenhäuser, Kantinen, Hotels oder Pensionen.

Mit dem Abschluss eines Entpflichtungsvertrags kann ein Unternehmer seine Verpflichtung, die Verpackungen selbst zurückzunehmen und zu verwerten, an ein Sammel- und Verwertungssystem übertragen. Nach Abschluss einer Entpflichtungs und Lizenzvereinbarung zwischen einem Unternehmer und einem System beauftragt das System Sammler und Entsorger, die Verpackungen zu sammeln und einer Verwertung zuzuführen. Der für die Tarifabgrenzung erforderliche Nachweis, dass auch kleine Verpackungen im Gewerbebereich anfallen, kann im Weg einer Vetriebsschienenanalyse erbracht werden, die vom jeweiligen Unternehmen dem Sammel und Verwertungssystem vorgelegt wird.

Der räumlich relevante Markt ist das Bundesgebiet von Österreich, der sachlich relevante Markt der Markt für die Entpflichtung von gewerblich anfallenden Packstoffen, Papier, Metall und Kunststoff, die von Sammel- und Verwertungssystemen angeboten wird.

Am gab es in Österreich unter Einschluss der beiden Parteien dieses Verfahrens sieben genehmigte Sammel und Verwertungssysteme.

Die Antragstellerin wurde im Jahr 2009 gegründet und ist seit Mai 2010 im Geschäftsfeld der „verordnungskonformen Sammlung und Verwertung von Gewerbeverpackungen inklusive Einweggeschirr und besteck sowie der Übernahme von Pflichten für Verpflichtete gemäß VerpackVO“ tätig. Vom Systemumfang der Antragstellerin sind nur Verpackungen und Warenreste, die in privaten Haushalten oder in Einrichtungen (Unternehmen) anfallen, deren Verpackungen jener private Haushalte nach Art und Menge vergleichbar sind, nicht umfasst.

Die Antragstellerin bietet an, Verkaufsverpackungen „Papier“ und „Kunststoff klein“ zu entpflichten, sofern diese im gewerblichen Bereich anfallen. Hiefür bestehen die Tarife „Packstoffe 1.2.“, der Tarif „Kunststoff klein“ ist im Tarif „Packstoffe 9.1. Kunststoffverpackungen Folien“ und „9.2. Kunststoff-verpackungen Hohlkörper“ enthalten. Die Antragstellerin ist in der Lage, diese Tarife kostendeckend anzubieten.

Kunden der Antragstellerin schließen mit ihr einen Entpflichtungsvertrag oder erteilen der R***** GmbH Vollmacht. Diese schließt sodann mit der Antragstellerin den Entpflichtungsvertrag, um für die Kunden die Entpflichtung möglichst einfach zu halten. Die Antragstellerin hat derzeit etwa 250 Kunden.

Die Antragsgegnerin wurde 1993 im Firmenbuch eingetragen. Sie betreibt ein Sammel und Verwertungssystem für Verpackungen im Sinne des AWG und bietet in und ausländischen Herstellern, Importeuren, Abpackern, Abfüllern und Vertreibern von Verpackungen die Entpflichtung von Verpackungen gemäß VerpackVO an.

Bis zum Inkrafttreten der AWG Novelle 2013 war die Antragsgegnerin die einzige Systembetreiberin, die über eine Genehmigung zum Betrieb eines Sammel und Verwertungssystems nach § 29 AWG zu Entpflichtungs-leistungen im Haushaltsbereich verfügte. Bis dahin gab es im Bereich Haushalt und Kleingewerbe kein Konkurrenzunternehmen, das die dort anfallenden Verpackungen entpflichten durfte.

Aus den Lizenzentgelten und den Altstofferlösen aus dem Verkauf von gesammelten Verpackungen organisiert und finanziert die Antragsgegnerin für sämtliche Verpackungen die Sammlung, Sortierung und Verwertung von Verpackungsabfällen in Österreich durch ein flächendeckendes Recyclingsystem. Im Jahr 2012 nutzten etwa 15.500 Unternehmen das Angebot der Antragsgegnerin.

Hauptaktionär der Antragsgegnerin ist der Verein „A***** Verein“. Seine Mitglieder sind Unternehmen, die Verpackungen herstellen, importieren oder verpackte Waren vertreiben. Der A***** Verein wird von drei Gremien mit jeweils Drittelparität geleitet, die den Ausgleich zwischen den Interessengruppen Verpackungshersteller, Abfüller/Abpacker/Importeure und Handel gewährleisten sollen.

Die Antragsgegnerin bezeichnet sich als Nonprofit Unternehmen. Allfällige ungeplante Unter-deckungen oder Überschüsse aus den Tarifkalkulationen werden wiederum in Tarifkalkulationen der Folgeperioden miteinbezogen. Ihre Lizenztarife werden für jede Tarifkategorie getrennt für den Haushalts und Gewerbebereich kalkuliert. Ausgangspunkt dabei sind die pro Tarifkategorie direkt zurechenbaren operativen Kosten und die anteilig umgelegten Overheadkosten.

Im Jahr 2012 wurden 829.607 t Verpackungs-abfälle durch die Antragsgegnerin erfasst, wovon 62 % den haushaltsnahen Bereich und 38 % Verpackungen aus Gewerbe und Industrie betrafen. Im Jahr 2011 betrug der Entpflichtungsanteil der Antragsgegnerin für den Packstoff Papier 88 %, für den Packstoff Kunststoff 76,3 % und für den Packstoff Metall 72,8 %. Der Entpflichtungsanteil der Antragstellerin betrug für die Verpackungen Papier 1,1 %, für Kunststoff 0,3 % und für Metall 0,1 %.

Die Parteien verwenden unterschiedliche Tarifmodelle. Die Antragsgegnerin geht bei der Differenzierung zwischen Haushalts und Gewerbesammlung vom Erfassungsort der jeweiligen Verpackung aus, die Antragstellerin demgegenüber nach dem Anfallsort.

Bis zum Inkrafttreten von § 13h AWG idF AWG Novelle 2013 am bestanden Auffassungsunterschiede darüber, was unter die Begriffe „Haushaltsverpackung“ und „gewerblich anfallende Verpackung“ zu subsumieren ist. Per änderte die Antragsgegnerin ihre Tarifstruktur dahingehend, dass sie bei der Tarifgruppe „Transportverpackung Papier“ eine Tarifuntergruppe „Verkaufsverpackungen Papier, die nachweislich in Gewerbesystemen erfasst werden“, bei der Tarifgruppe „Ferrometalle ≥ 3 l“ eine Tarifuntergruppe „Ferrometalle klein, die nachweislich in Gewerbesystemen erfasst werden“ sowie bei der Tarifgruppe „Industrie /Gewerbe und große Kunststoffverpackungen“ eine Tarifuntergruppe „Kunststoffe klein, die nachweislich in Gewerbesystemen erfasst werden“ einführte. Für gewerblich anfallende Verpackungen der Packstoffgruppe „Verkaufsverpackungen Papier“ betrug der neue Tarif 0,033 EUR pro Kilogramm, für „Ferrometalle groß ≥ 3 l“ und „Ferrometalle klein, die nachweislich in Gewerbesystemen erfasst werden“, 0,085 EUR pro Kilogramm sowie für „Kunststoffe klein, die nachweislich in Gewerbesystemen erfasst werden“ (in zwei unterschiedlichen Tarifgruppen) jeweils 0,090 EUR pro Kilogramm.

Faktisch bedeutete diese Tarifänderung für die Kunden der Antragsgegnerin im Bereich der gewerblich anfallenden Verpackungen im Vergleich zum Tarif ab eine Preissenkung, und zwar für „Verkaufsverpackungen Papier“ von 0,095 EUR auf 0,033 EUR, also um rund 65 %, für „Kunststoffe klein“ von 0,56 EUR auf 0,09 EUR, also rund 84 %. Mit diesen neu eingeführten gewerblichen Tarifuntergruppen sollte Kunden der Antragsgegnerin, die Verpackungen unterhalb den laut Tarifübersicht quantitativ definierten Einheiten entpflichten müssen, die jedoch nachweislich in Gewerbesystemen erfasst werden, ein entsprechend günstiger Gewerbetarif angeboten werden.

Die Tarifkalkulation der Antragsgegnerin erfolgt mindestens einmal pro Jahr durch eine Hochrechnung des laufenden Jahres, durch die eine möglichst genaue Planung des Folgejahres erreicht werden soll. Da sich die Antragsgegnerin als Nonprofit Unternehmen definiert, geht sie davon aus, dass es sich bei erwirtschafteten Überschüssen um nicht geplante Zufallsgewinne handelt. Diese Zufallsgewinne werden nicht ausgeschüttet, sondern den Kunden der Antragsgegnerin in den Folgejahren durch entsprechende Tarifreduktionen wieder zugeführt. Historische Überschüsse werden von der Antragsgegnerin bilanziell in passiven Rechnungsabgrenzungsposten gesammelt. Für „Tarifanpassungsverpflichtungen“ waren im Jahresabschluss zum ein Betrag von 60.222.745,06 EUR enthalten.

II. Vorbringen der Antragstellerin

Die Antragstellerin begehrte soweit für das Rechtsmittelverfahren relevant , der Antragsgegnerin zu untersagen, die Sammlung und Verwertung von gewerblich anfallenden Verpackungen der Packstoffgruppe „Verkaufsverpackungen Papier“ für 0,033 EUR pro Kilogramm, für „Transportverpackungen Papier“ für 0,033 EUR pro Kilogramm und „Ferrometalle groß“ für 0,085 EUR pro Kilogramm oder einem darunterliegenden Tarif sowie für gewerblich anfallende Verpackungen der Packstoffgruppe „Kunststoffe klein“ für 0,090 EUR pro Kilogramm anzubieten. Außerdem stellte die Antragstellerin eine Reihe weiterer nicht mehr Gegenstand des Rekursverfahrens bildende Haupt- und Eventualanträge.

Die Antragsgegnerin missbrauche ihre marktbeherrschende Stellung, indem sie die Sammlung und Verwertung gewerblich anfallender Packstoffe „Verkaufsverpackungen Papier“, „Kunststoffe klein“, „Transportverpackungen Papier“, „Ferrometalle groß“ und „Kunststoffe groß“ zu nicht kostendeckenden Preisen anbiete. Die Antragsgegnerin habe die Preise gerade für jene Packstoffe selektiv um 67 % bis 85 % gesenkt, deren Entpflichtung auch ihre Wettbewerber, so auch die Antragstellerin, anbieten würden. Die Antragsgegnerin habe eine Monopolstellung bei der Entpflichtung von Verpackungen im Haushaltsbereich. Durch die in diesem Monopolmarkt erwirtschafteten Gewinne habe sie hohe Überschüsse angesammelt. Diese setze sie nunmehr ein, um gezielt niedrigere Preise für die Entpflichtung der verfahrensgegenständlichen Packstoffe anzubieten. Überdies sei zu befürchten, dass die Antragsgegnerin aktuelle Gewinne aus dem Monopolmarkt für im Haushalt anfallende Verpackungen im Wege der Quersubventionierung einsetze. Da die Antragsgegnerin per Ende 2011 über Rücklagen von insgesamt 84,5 Mio EUR verfügt habe, können sie die marktmissbräuchliche Preissetzung lange Zeit durchhalten.

III. Vorbringen der Antragsgegnerin

Die Antragsgegnerin bestritt die Antragslegitimation der Antragstellerin. Außerdem wandte sie ein, sie sei eine Nonprofit Organisation. Ungeplante Überschüsse aus Vorperioden würden nicht an die Eigentümer ausgeschüttet, sondern wiederum dem Kerngeschäft zugute gebracht. Das Nonprofit Prinzip der Antragsgegnerin sei in seiner konkreten Ausgestaltung mit der VerpackVO und dem AWG vereinbar. Eine missbräuchliche Kundenbindung läge nicht vor.

IV. Entscheidung des Erstgerichts

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Erstgericht dem Antrag der Antragstellerin dahingehend statt, dass es der Antragsgegnerin untersagte, die Sammlung und Verwertung von gewerblich anfallenden Verpackungen der Packstoffgruppe „Verkaufsverpackungen Papier“ für 0,033 EUR pro Kilogramm sowie „Transportverpackungen Papier“ für 0,033 EUR pro Kilogramm und „Ferrometalle groß“ für 0,085 EUR pro Kilogramm oder einen darunter liegenden Tarif anzubieten. Die Mehrbegehren sowie die Eventualanträge wies es insoweit unbekämpft ab.

Dabei ging es zusätzlich zu dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt im Wesentlichen von folgenden Feststellungen aus:

Bei der Tätigkeit der Antragsgegnerin als Sammel und Verwertungssystem handelt es sich um eine leitungsnetzgebundene Geschäftstätigkeit. Sie kann als „Netzwerkindustrie“ bezeichnet werden und ist typischerweise durch einen hohen Fixkostenanteil bzw auch durch einen hohen Anteil an „gemeinsamen Kosten“ gekennzeichnet. Gemeinsame Kosten sind Kostenbestandteile, die von mehreren Tarifkategorien gemeinsam verursacht werden, während Einzelkosten den jeweils definierten Kostenträgern direkt zugerechnet werden können. Fixe Kosten sind jener beschäftigungs- und leistungsunabhängige Anteil an den Gesamtkosten, der auch bei variabler Beschäftigungs- und Auftragslage unverändert bleibt. Variable Kosten hingegen verändern sich mit der auszubringenden Leistungsmenge.

Die langfristigen durchschnittlichen Grenzkosten ( long range average incremental costs - LRAIC) stehen für das Mittel aller (variablen und fixen) Kosten, die einem Unternehmen bei der Herstellung eines bestimmten Produkts bzw bei der Erbringung einer bestimmten Dienstleistung entstehen. Die LRAIC kommen in leitungsgebundenen Unternehmensbereichen sowie bei Mehrproduktunternehmen zur Anwendung, die von wesentlichen Verbundeffekten profitieren. Sie beinhalten neben den variablen Kosten auch produktspezifische fixe Kosten, die vor der Zeit, in der das mutmaßlich missbräuchliche Verhalten stattfand, angefallen sind und sind näherungsmäßig den durchschnittlichen Gesamtkosten, korrigiert um echte Gemeinkosten, gleichzusetzen. Wenn das marktbeherrschende Unternehmen seine LRAIC nicht deckt, deutet dies darauf hin, dass es nicht alle zurechenbaren fixen Kosten für die Herstellung der Ware bzw Erbringung der Dienstleistungen deckt und dass ein ebenso effizienter Wettbewerber vom Markt ausgeschlossen werden könnte. Im Fall der Antragsgegnerin decken sich die LRAIC im Wesentlichen mit den durchschnittlichen vermeidbaren Kosten ( average avoidable costs AAC), die Fixkosten nur dann berücksichtigen, wenn sie im jeweils untersuchten Zeitraum angefallen sind, da bei Ermittlung der AAC von den durchschnittlichen Fixkosten der Beobachtungsperiode auszugehen ist und bei der Antragsgegnerin alle wesentlichen Fixkosten vorhanden sind, die bereits in Vorjahren angefallen sind, damit schon abgeschrieben wurden und nicht in die Tariffestsetzung eingeflossen sind. Die LRAIC sind ein tauglicher Maßstab, um die Kostendeckung in den einzelnen Tarifgruppen der Antragsgegnerin darzustellen.

Im Tarifsystem der Antragsgegnerin vom waren bei der Kalkulation des vierten Quartals 2012 für die Untergruppe „Verkaufsverpackungen Papier“ die LRAIC nicht gedeckt; der Deckungsgrad durch den Erlös umfasste 99,2 %. Nach den Ist-Werten für diesen Zeitraum waren die LRAIC jedoch gedeckt. In der Tarifkategorie „1.2. Transportverpackungen Papier“ waren nach der Planung für das vierte Quartal 2012 sowie nach den Ist Werten für die Gesamtjahre 2012 und 2013 zwar die variablen Kosten und die LRAIC, nicht aber die Gesamtkosten gedeckt. Auch in der Tarifkategorie „5.2. Ferrometalle groß“ waren nach der Planung für das vierte Quartal 2012 sowie nach den Ist Werten für das Jahr 2012 zwar die variablen Kosten und die LRAIC, nicht aber die Gesamtkosten gedeckt; nach den Ist Werten des Gesamtjahres 2013 lag Deckung vor.

Der Abgang, der aus der Unterdeckung der Kosten durch die Tarife entstand, wurde aus der Verwendung der passiven Rechnungsabgrenzung abgedeckt. Dies bedeutet, dass historische Überschüsse, die die Antragsgegnerin den einzelnen Sammelgruppen zugeordnet hat, verwendet wurden, um Abgänge abzudecken. Auf Basis der vorgelegten Unterlagen der Antragsgegnerin kann nicht nachvollzogen werden, aus welchen Sammelkategorien die historischen Überschüsse stammen.

Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, dass Art 102 AEUV anzuwenden sei, weil sich der Tätigkeitsbereich der Antragsgegnerin auf das gesamte Bundesgebiet von Österreich erstrecke. Der Marktanteil der Antragsgegnerin für die relevanten, im gewerblichen Bereich anfallenden Verpackungen betrage über 30 %. Damit treffe die Antragsgegnerin iSd § 4 Abs 2 Z 1 KartG die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen für eine marktbeherrschende Stellung iSd § 4 Abs 1 KartG nicht vorlägen. Diesen Beweis habe die Antragsgegnerin nicht erbringen können. Dazu komme, dass es nach der Rechtsprechung keine Rolle spiele, ob der Missbrauch auf dem beherrschten oder dem benachbarten Markt stattfinde. Es müsse nur eine marktbeherrschende Stellung vorhanden sein, die sei es auf dem beherrschten, sei es auf dem benachbarten Markt ein missbräuchliches Verhalten ermögliche. Da der Haushaltsmarkt ein dem Gewerbemarkt benachbarter Markt sei und der Antragsgegnerin auf dem Haushaltsmarkt durch ihre Monopolstellung jedenfalls bis 2015 eine marktbeherrschende Stellung zukomme, könne sie sich nicht auf deren Fehlen berufen.

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs seien Verkaufspreise unterhalb der durchschnittlichen variablen Kosten per se missbräuchlich, wobei eine Verdrängungsabsicht in diesen Fällen vermutet werde. Verkaufspreise oberhalb der variablen Kosten, aber unterhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten seien dann missbräuchlich, wenn sie im Rahmen einer auf Verdrängung gerichteten Gesamtstrategie festgesetzt würden. Entsprechendes gelte, wenn die Verkaufspreise oberhalb der durchschnittlichen inkrementellen Kosten, aber unterhalb der durchschnittlichen Gesamtkosten läge.

Aus Sicht der Europäischen Kommission läge ein verbotenes Kampfpreisverhalten vor, wenn die Preise des Marktbeherrschers unterhalb von dessen LRAIC lägen. Eine Preisstrategie der Quersubventionierung liege dann vor, wenn Kosten, die in einem räumlich oder sachlich relevanten Markt anfielen, auf einen anderen räumlich oder sachlich relevanten Markt abgewälzt würden. Im Fall von Mehrproduktunternehmen dürften Preissenkungen nicht aus Gewinnen finanziert werden, die der Marktbeherrscher auf dritten Märkten erwirtschafte.

Der in § 5 Abs 1 Z 5 KartG geregelte Missbrauchstatbestand des sachlich nicht gerechtfertigten Verkaufs von Waren unter dem Einstandspreis sei zwar in Art 102 AEUV nicht als eigene Fallkonstellation angeführt, aber in ständiger Rechtsprechung als Missbrauchstatbestand anerkannt. Die österreichische Rechtslage unterscheide sich von der europäischen nur insofern, als nach § 5 Abs 2 KartG in solchen Fällen eine Beweislastumkehr zu Lasten des marktbeherrschenden Unternehmers gelte.

Die Preise der Antragsgegnerin seien nicht unter ihren durchschnittlichen variablen Kosten gelegen. Ein missbräuchliches Preisunterbieten könne aber auch dann vorliegen, wenn die Preise unter den durchschnittlichen Gesamtkosten (also Fixkosten + variable Kosten), aber über den durchschnittlichen variablen Kosten lägen. In diesem Fall werde der zusätzliche Nachweis verlangt, dass die Festsetzung der Preise im Rahmen einer Gesamtstrategie dem Plan dienen solle, die Konkurrenz auszuschalten. Dies könne sich aus der Dauer, der Beständigkeit, dem Umfang sowie der Planmäßigkeit der Verluste ergeben.

In der gewerblichen Tarifuntergruppe „Verkaufsverpackungen Papier“ seien in der Kalkulation des vierten Quartals 2012 die LRAIC der Antragsgegnerin nicht gedeckt gewesen. Die Tatsache, dass die Deckung nach den Ist Werten gegeben war, sei nicht auf eine Änderung der Kalkulation durch die Antragsgegnerin und damit auf ein von ihr beeinflusstes oder beeinflussbares Verhalten zurückzuführen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin bei diesem Tarif eine verpönte Verdrängungspreisstrategie verfolgte.

In der Tarifkategorie „Transportverpackungen Papier“ seien nach der Planung für das vierte Quartal 2012 und nach den Ist Werten für die Gesamtjahre 2012 und 2013 zwar die variablen Kosten und die LRAIC, nicht aber die Gesamtkosten gedeckt gewesen. Auch in der Tarifkategorie „Ferrometalle groß“ seien nach der Planung für das vierte Quartal 2012 und nach den Ist Werten für 2012 die variablen Kosten sowie die LRAIC, nicht aber die Gesamtkosten gedeckt gewesen.

Bei diesen Tarifen läge eine auf Verdrängung gerichtete Gesamtstrategie der Antragsgegnerin vor. Die Antragsgegnerin habe gegen § 11 Abs 3 Z 2 VerpackVO und § 29 Abs 2 Z 8 AWG und die sich daraus ergebende Verpflichtung nach kostendeckender Kalkulation verstoßen. Die Antragsgegnerin habe auch gegen das Verbot der Quersubventionierung nach § 32 Abs 3 AWG 2002 verstoßen, da der Abgang, der aus der Unterdeckung der Kosten durch die Tarife entstanden sei, durch die Verwendung historischer Überschüsse gedeckt worden sei. Die eindeutige Zuordnung dieser historischen Überschüsse zu bestimmten Gewerbetarifen sei nicht möglich gewesen, da nicht nachvollziehbar sei, aus welchen Sammelkategorien diese Überschüsse stammten.

Aufgrund ihrer bis bestehenden Monopolstellung im Haushaltsbereich sei die Antragsgegnerin als einziges Sammel und Verwertungssystem in der Lage gewesen, den Kunden eine umfassende Entpflichtung sowohl im Haushalts als auch im Gewerbebereich anzubieten. Es liege auf der Hand, dass für Kunden die Entpflichtung durch einen einzigen Anbieter wesentlich einfacher administrierbar sei. Mitbewerber der Antragsgegnerin müssten daher, solange sie nicht selbst über eine Genehmigung für die Entpflichtung im Haushaltsbereich verfügen, mit deutlich interessanteren Angeboten aufwarten, um Kunden zu gewinnen. Allein aus dieser Konstellation resultiere ein erhöhter Wettbewerbsdruck für die Wettbewerber. Dieser werde durch die Öffnung des Haushaltsmarkts durch die AWG Novelle 2013 und die damit verbundenen notwendigen Investitionen, die nötig seien, um am Haushaltsmarkt als Mitbewerber auftreten zu können, verstärkt. In dieser Situation sei die gezielte Kampfpreispolitik, Preise unter den Gesamtkosten in genau jenen Packstoffbereichen anzubieten, die auch die Mitbewerber anbieten, verbunden mit der Quersubventionierung ein ausreichender Grund, sowohl von einer Verdrängungsabsicht der Antragsgegnerin als auch von einer Verdrängungseignung auszugehen, auch wenn diese Preise nur für einen überschaubaren Zeitraum angewendet worden seien. Die unter ihren Gesamtkosten liegenden Kampfpreise der Antragsgegnerin seien grundsätzlich objektiv geeignet, mittelfristig Wettbewerber vom Markt für die Sammlung und Verwertung von gewerblich anfallenden Verpackungen zu verdrängen.

V. Rekurs

Gegen den antragsstattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Antragsgegnerin aus den Rekursgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im gänzlich antragsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragstellerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

VI. Rechtliche Beurteilung

1. Allgemeines

1.1. Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1.2. Der Oberste Gerichtshof billigt die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts sowohl im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung, sodass uneingeschränkt darauf verwiesen werden kann (§ 60 Abs 2 AußStrG).

2. Zur Tatfrage

2.1. Der Oberste Gerichtshof wird auch als Kartellobergericht im kartellgerichtlichen Verfahren ausschließlich als Rechtsinstanz tätig; zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er damit ebenso wie in allen anderen Verfahrensarten in keinem Fall berufen (RIS Justiz RS0123662).

2.2. Bei der im vorliegenden Fall vom Kartellgericht bejahten Frage, ob ein marktbeherrschendes Unternehmen eine bestimmte Maßnahme im Rahmen einer Gesamtstrategie mit dem Ziel getroffen hat, die Antragstellerin als Konkurrentin auszuschalten, ob es also in geplanter Verdrängungsabsicht gehandelt hat, handelt es sich um eine Tatfrage (16 Ok 43/05).

2.3. Soweit es sich dabei um eine Schlussfolgerung aus Tatsachen handelt, könnte diese im Rekursverfahren nur insoweit überprüft werden, als sie den Denkgesetzen oder allenfalls auch der allgemeinen Lebenserfahrung widerspräche, weil eine derartige Überprüfung in den Bereich der rechtlichen Beurteilung fiele (16 Ok 5/98). Von einem derartigen Verstoß gegen die Denkgesetze oder die allgemeine Lebenserfahrung kann im vorliegenden Fall aber keine Rede sein. Das Kartellgericht nahm vielmehr die bei einer derartigen Prüfung gebotene Gesamtbetrachtung vor und legte dabei nachvollziehbar die Gründe dar, weshalb es eine auf Verdrängung gerichtete Gesamtstrategie der Antragsgegnerin angenommen hat.

2.4. Die dagegen von der Rekurswerberin ins Treffen geführten Argumente vermögen nicht zu überzeugen. Hier ist insbesondere hervorzuheben, dass auch die eigene Kalkulation der Antragsgegnerin für das vierte Quartal 2012 eine wenn auch relativ geringe Unterdeckung ergab. Dass die Eröffnung eines neuen Geschäftsfeldes in der Regel mit Kosten verbunden ist, entspricht schon der allgemeinen Lebenserfahrung. Auch die Antragsgegnerin anerkennt die „Mühen“, die mit dem Abschluss einer Vielzahl neuer Verträge verbunden sind. Nachvollziehbar hat das Erstgericht auch auf den Wettbewerbsvorteil der Antragsgegnerin verwiesen, der vor dem darin bestand, dass ihre Kunden eine „Entpflichtung aus einer Hand“ erreichen konnten.

3. Zu den neuerungsweise vorgelegten Urkunden

3.1. Nach § 49 AußStrG sind neue Tatsachen und Beweismittel im Rekursverfahren nur eingeschränkt zulässig, dies gilt auch für das kartellrechtliche Rekursverfahren. Die von der Rekurswerberin mit dem Rechtsmittel erstmals vorgelegten Urkunden Beilagen ./14 ./17 bedürfen deshalb keiner Stellungnahme durch den Obersten Gerichtshof (16 Ok 5/09).

4. Zu den behaupteten Verfahrensmängeln

4.1. Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erblickt die Antragsgegnerin darin, dass das von ihr beantragte Sachverständigengutachten nicht eingeholt wurde. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Frage, ob zur Gewinnung der erforderlichen Feststellungen noch weitere Beweise notwendig sind, ein nicht der Kognition des Obersten Gerichtshofs unterliegender Akt der Beweiswürdigung ist (16 Ok 8/10; RIS Justiz RS0043414; RS0043320).

4.2. Weiters erblickt die Rekurswerberin einen Verfahrensmangel darin, dass eine unzulässige Überraschungsentscheidung vorliege. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass sowohl die Bestimmung des § 32 AWG als auch die VerpackVO bereits Gegenstand des Sachverständigengutachtens ON 54 im Zusammenhang mit der Beurteilung der Quersubventionierung waren. Schon aus diesem Grund kann eine Bezugnahme auf diese Bestimmungen im angefochtenen Beschluss für die Rekurswerberin nicht überraschend gewesen sein. Dazu kommt, dass die Genehmigung der Kalkulationsrichtlinien wie zu zeigen sein wird rechtlich nicht relevant ist. Zudem lässt die Rekurswerberin offen, welchen konkreten Beweisantrag zur Quersubventionierung sie bei entsprechender Erörterung gestellt hätte, sodass die Mängelrüge insoweit auch nicht gesetzmäßig ausgeführt ist (vgl RIS Justiz RS0037325 [T5] ua).

4.3. Im Übrigen übersieht die Rekurswerberin, dass in der Tagsatzung vom die Vorsitzende alle Parteien ausdrücklich nach allfälligem weiteren Vorbringen oder weiteren Anträgen gefragt hat und diese Frage „von sämtlichen Parteien verneint“ wurde (Band II AS 419 = ON 98 S 16 Mitte).

5. Zum Missbrauch

5.1. Nach § 5 Abs 1 Satz 1 KartG ist der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung verboten. Nach ständiger Rechtsprechung sind für die Beurteilung dieser Generalklausel und der beispielhaft angeführten Missbrauchstatbestände nach dem Kartellgesetz auch Art 102 AEUV und die dazu ergangenen Entscheidungen heranzuziehen (RIS Justiz RS0110382 [T5]).

5.2. Als missbräuchlich werden sämtliche Verhaltensweisen eines Unternehmers in beherrschender Stellung bezeichnet, die die Struktur eines Marktes beeinflussen können, auf dem der Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmers bereits geschwächt ist, und die die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, die von den Mitteln eines normalen Produktwettbewerbs oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen (RIS Justiz RS0063530). Auf die subjektive Seite kommt es beim Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung nach § 5 Abs 1 KartG grundsätzlich nicht an ( Hoffer , KartG 103).

5.3. Die gezielte Kampfpreisunterbietung („ predatory pricing “) mit dem Ziel der Verdrängung von Konkurrenten auf dem schon beherrschten relevanten Markt oder auf dritten Märkten ist ein klassischer Fall des missbräuchlichen Behinderungswettbewerbs. Das marktbeherrschende Unternehmen nutzt seine eigene überlegene Finanzkraft zur Ausschaltung von Wettbewerbern aus, indem es über einen Zeitraum von gewisser Dauer unangemessen niedrige Preise praktiziert, die nicht mehr als Maßnahmen des normalen Leistungswettbewerbs erklärbar sind und deshalb erkennbar dem Ziel der Verdrängung von Wettbewerbern dienen.

5.4. Eine missbräuchliche Preisunterbietung liegt grundsätzlich vor, wenn das marktbeherrschende Unternehmen seine Erzeugnisse zu Preisen anbietet, die unter den eigenen durchschnittlichen variablen Kosten (den Kosten, die je nach produzierten Mengen variieren) liegen. Ein Missbrauch iSd Art 102 AEUV (vormals Art 86 EG) ist aber auch dann gegeben, wenn die Preise unter den durchschnittlichen Gesamtkosten (Fixkosten + variable Kosten), aber über den durchschnittlichen variablen Kosten liegen. In diesem Fall wird jedoch zusätzlich der Nachweis verlangt, dass die Preisfestsetzung im Rahmen einer Gesamtstrategie dem Ziel dienen soll, die Konkurrenz auszuschalten (EuGH 62/86 AKZO Chemie ; RIS Justiz RS0110383; vgl auch RS0114137). Der Europäische Gerichtshof hat in den Folgeentscheidungen C 333/94 Tetra Pak und C 202/07 France Télecom die in der Entscheidung AKZO Chemie entwickelten Grundsätze fortgeschrieben.

5.5. Der Oberste Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung regelmäßig auf die dargestellte Judikatur des EuGH zum predatory pricing Bezug genommen (16 Ok 5/98; 16 Ok 6/00; 16 Ok 11/02).

5.6. In der am ergangenen Entscheidung C 209/10 Post Danmark übernahm der EuGH erstmals den von der nationalen dänischen Wettbewerbsbehörde benutzten Begriff der „inkrementellen Kosten“ (dort in Rn 31 definiert als „Kosten, die kurz oder mittelfristig in drei bis fünf Jahren entfallen, wenn Post Danmark den Zustellungsdienst für Postwurfsendungen einstellt“) und sprach aus, dass eine Niedrigpreispolitik, die ein Unternehmen in beherrschender Stellung gegenüber einigen wichtigen ehemaligen Kunden eines Wettbewerbers betreibt, nicht allein deshalb als eine missbräuchliche Verdrängungspraxis anzusehen ist, weil der von diesem Unternehmen gegenüber einem dieser Kunden angewandte Preis zwar unter den durchschnittlichen Gesamtkosten, jedoch über den durchschnittlichen inkrementellen Kosten der fraglichen Tätigkeit liegt, wie sie in dem dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden Verfahren geschätzt wurden (zur Entwicklung der Rechtsprechung des EuGH im Zusammenhang mit der Niedrigpreispolitik eines marktbeherrschenden Unternehmens vgl Gruber , Predatory Pricing [Kampfpreise] im europäischen Kartellrecht, MR Int 2006, 167; Schuhmacher , Predatory Pricing und Verlustausgleich, wbl 2009, 273; Lewisch in Mayer/Stöger , EUV/AEUV Art 102 Rz 276 ff).

5.7. Die im Anlassfall einschlägigen verwaltungsrechtlichen Bestimmungen enthalten keine Ausnahmen vom kartellrechtlichen Verbot, Preise unter Kosten anzubieten, sondern gehen ganz im Gegenteil vom Erfordernis der Vollkostendeckung aus (vgl § 29 Abs 2 Z 8 AWG, § 11 Abs 3 Z 2 VerpackVO). Demgemäß hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 7 Ob 214/10m auch eine Verpflichtung der Antragsgegnerin zu kostendeckender Kalkulation bejaht. Dass deren Kalkulationsrichtlinien vom zuständigen Ministerium für Land und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft genehmigt wurden, steht dem gerichtlichen Missbrauchsverfahren nicht entgegen (vgl 16 Ok 11/04 TA Minimum Tarif ).

5.8. Am Vorliegen eines unzulässigen predatory pricing kann auch der Umstand nichts ändern, dass ein kleinerer und effizienter Mitbewerber mit den unzulässigen Kampfpreisen kurzfristig mithalten kann bzw dies aus Wettbewerbsgründen tun muss.

6. Zur anzuwendenden Methode

6.1. Der Rekurswerberin ist zuzugestehen, dass die Prioritätenmitteilung der Europäischen Kommission ( Mitteilung der Kommission Erläuterungen zu den Prioritäten der Kommission bei der Anwendung von Art 82 des EG Vertrags auf Fälle von Behinderungsmissbrauch durch marktbeherrschende Unternehmen, 2009/C 45/02, ABl C 45/7), in der langfristige durchschnittliche Grenzkosten (LRAIC) als eigener Kostenbegriff definiert wird, für die Gerichte nicht bindend ist. Die Prioritätenmitteilung weist selbst in Rz 2 und 3 darauf hin, dass damit „keine Aussage über die Rechtslage“ getroffen werden soll. Vielmehr dient diese Mitteilung lediglich der Schaffung eines allgemeinen Prüfungsrahmens für die Kommission. Dies ändert aber nichts daran, dass Gerichte bei ihrer Entscheidungsfindung die Rechtsansicht der Europäischen Kommission berücksichtigen können.

6.2. Lediglich der Vollständigkeit halber ist darauf zu verweisen, dass entgegen den Rekursausführungen die Prioritätenmitteilung der Europäischen Kommission nicht widersprüchlich ist. Die Ausführungen in Rz 63 ff betreffen Kampfpreise von Einproduktunternehmen, Rz 26 behandelt demgegenüber den Fall des marktmissbräuchlichen Mehrproduktunternehmens und sieht in diesem Zusammenhang die LRAIC als richtige Kostenbenchmark vor.

6.3. Im vorliegenden Fall hat der Sachverständige im Rahmen der Gutachtenserörterung ausdrücklich festgehalten, dass die LRAIC ein tauglicher Maßstab sind, um die Kostendeckung in den einzelnen Tarifgruppen bzw Tarifuntergruppen darzustellen.

6.4. Bei der Beweisaufnahme durch Sachverständige ist es deren Aufgabe, aufgrund ihrer einschlägigen Fachkenntnisse jene Methode auszuwählen, die sich zur Klärung der nach dem Gerichtsauftrag jeweils maßgebend strittigen Tatfrage(n) am Besten eignet; andernfalls verhinderte das Gericht, dem es an der notwendigen Fachkunde zur Lösung der durch Sachverständige zu beurteilenden Tatfragen mangelt, die Fruchtbarmachung spezifischen Expertenwissens. Das Gericht hat daher Sachverständigen die im Zuge der Auftragserledigung anzuwendende(n) Methode(n) im Allgemeinen nicht vorzuschreiben, gehört doch die Methodenwahl zum Kern der Sachverständigentätigkeit (RIS Justiz RS0119439). Es ist Aufgabe des Sachverständigen, aufgrund seiner einschlägigen Fachkenntnisse jene Methode auszuwählen, die sich zur Klärung der nach dem Gerichtsauftrag jeweils maßgebenden strittigen Tatfragen am Besten eignet (RIS Justiz RS0119439 [T2]).

6.5. Besteht für die Gutachtenserstattung wie hier keine gesetzlich vorgeschriebene Methode, so unterliegt das von den Tatsacheninstanzen gebilligte Ergebnis eines Gutachtens keiner Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof, weil es um eine Tatfrage geht (RIS Justiz RS0118604).

6.6. Eine Ausnahme bestünde nur dann, wenn eine grundsätzlich inadäquate Methode angewendet wurde (RIS Justiz RS0010087 [T2]). Davon kann im vorliegenden Fall jedoch keine Rede sein.

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom , Rs C 209/10 Post Danmark , Rn 31 ff, die Verwendung der LRAIC als Prüfungsmaßstab durch die dänische Wettbewerbsbehörde unter Umständen wie denen im Ausgangsverfahren ausdrücklich gebilligt. Die Ausführungen des EuGH zeigen zudem, dass unterhalb der LRAIC nicht mehr davon ausgegangen werden kann, dass der Marktbeherrscher noch in der Lage sei, seine Kosten „im Wesentlichen“ zu decken, weshalb unterhalb dieser Schwelle eine Verdrängungseignung des beanstandeten Verhaltens anzunehmen sei.

Die europäische Kommission wendet die LRAIC im Post- und Telekommunikationsbereich regelmäßig zur Beurteilung der - mit Verdrängungspreisen eng verwandten - Kosten-Preis-Scheren an, ohne dass dies vom EuGH bemängelt wurde (vgl P Telefonika/Kommission ).

6.7. Der vom Sachverständigen hier angewendete Maßstab der LRAIC begegnet daher keinen Bedenken, zumal das Kartellgericht auf Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen festgestellt hat, dass die Tätigkeit der Antragsgegnerin als Sammel- und Verwertungssystem ebenso wie in den zuvor angeführten vom EuGH beurteilten Sachverhalten eine leitungsnetzgebundene Geschäfts-tätigkeit ist.

6.8. Im Übrigen ist den Rekursausführungen nicht zu entnehmen, auf welches andere Verfahren anstelle der LRAIC nach Auffassung der Rekurswerberin abzustellen gewesen wäre. Ergänzend ist darauf zu verweisen, dass sich nach den Feststellungen des Kartellgerichts im Fall der Antragsgegnerin die durchschnittlich vermeidbaren Kosten (AAC) im Wesentlichen mit den LRAIC decken. Dass auch die AAC in Fällen einer Kampfpreisunterbietung keinen tauglichen Kostenmaßstab bilden, hat die Antragsgegnerin nicht behauptet.

6.9. Der Sachverständige hat auch eingehend begründet, warum eine vollständige Neukalkulation der LRAIC nach dem „ bottom up Modell“ nur dann erforderlich ist, wenn sich die hypothetischen Kosten eines neuen Netzes nicht aus der bestehenden Kostenstruktur des Marktbeherrschers ableiten lassen. Die Antragsgegnerin lagert die mit dem Betrieb ihres Sammel und Verwertungssystems verbundenen Leistungen zum weitaus überwiegenden Teil an Subunternehmer aus. Die für den Betrieb des Sammel und Verwertungssystems erforderlichen operativen Leistungen werden regelmäßig neu ausgeschrieben. Damit ist die Kostenstruktur der Antragsgegnerin eine hinreichend genaue Abbildung der Kosten eines hypothetisch neu aufzusetzenden Sammel und Verwertungssystems. Der Sachverständige kam daher aufgrund seiner Fachkunde zu dem Ergebnis, dass die Kostenstruktur der Antragsgegnerin eine taugliche Berechnungsgrundlage ist.

6.10. Dass die Kostenstruktur der Antragsgegnerin keine bereits abgeschriebenen Netzwerkkomponenten enthält (in welchem Fall eine bottom up- Analyse erforderlich wäre), ist eine Tatsachenfeststellung, die im Rekursverfahren in Kartellrechtssachen nicht mehr angefochten werden kann.

7. Zur Quersubventionierung

7.1. Nach den Feststellungen hat die Antragsgegnerin aufgrund in der Vergangenheit verrechneter überhöhter Tarife nach dem Jahresabschluss zum Überschüsse in Höhe von 60.222.745,06 EUR ausgewiesen. Nach dem bereits im Firmenbuch erliegenden gerichtsbekannten Jahresabschluss zum sind unter dem Titel „Tarifanpassungsverpflichtung“ ein Betrag von immerhin noch 52,248 Mio EUR, unter dem Titel „Verpflichtung gem § 29f AWG“ weitere 31,44 Mio EUR ausgewiesen, was insgesamt etwa 60 % der Höhe der erzielten Lizenzeinnahmen ausmacht.

7.2. Nach dem Sachverständigengutachten ist eine direkte und eindeutige wirtschaftliche Zuordnung akkumulierter Erlöse im Nachhinein nicht mit ausreichender Sicherheit möglich. Dementsprechend traf das Erstgericht die (Negativ )Feststellung, wonach nicht festgestellt werden kann, aus welchen Sammelkategorien die historischen Überschüsse stammen. Weiters stellte es fest, dass nicht ausgeschlossen werden kann, das Teile der passiven Rechnungsabgrenzung aus dem Haushaltsbereich stammen. Damit ist aber die vom Gesetz geforderte Transparenz der Zahlungs und Leistungsströme zwischen den Geschäftsfeldern nicht gegeben, sodass insoweit ein Verstoß gegen § 32 Abs 3 AWG vorliegt. Dass in den Vorperioden erzielte Überschüsse vom zuständigen Ministerium toleriert wurden, ändert nichts an der wettbewerbsrechtlichen Unzulässigkeit der Vorgangsweise der Antragsgegnerin.

7.3. Das weitere Argument der Rekurswerberin, das Erstgericht habe hinsichtlich der Annahme einer verbotenen Quersubventionierung eine unzulässige Beweislastumkehr zum Nachteil der Antragstellerin angenommen, übersieht, dass § 32 Abs 3 AWG 2002 die Pflicht von haushaltsnahen Sammel und Verwertungssystemen regelt, „durch eine geeignete organisatorische und rechnerische Trennung der Geschäftsfelder die Transparenz der Zahlungs und Leistungsströme zwischen diesen Geschäftsfeldern sicherzustellen“. Genau auf diese Pflicht hat das Kartellgericht in seiner Entscheidung mehrfach Bezug genommen.

7.4. Der Einwand der Rekurswerberin, die Alternative „Stehenlassen der Überschüsse im Haushaltsbereich“ wäre gleichfalls eine unzulässige Quersubventionierung iSv § 32 Abs 3 AWG gewesen, geht ins Leere. Dieses Argument übersieht, dass § 32 Abs 3 AWG zwar ein Verbot der Quersubventionierung des Geschäftsfeldes betreffend gewerblich anfallende Abfälle aus Mitteln des haushaltsnahen Systems vorsieht, nicht aber umgekehrt. Damit hätte es aber zur vom Erstgericht angenommenen Quersubventionierung der neuen Tarife gesetzeskonforme Alternativen gegeben.

7.5. In diesem Zusammenhang wies das Kartellgericht nachvollziehbar darauf hin, dass die Antragsgegnerin ihre Tarifänderungen vom bewusst in einer Marktphase umgesetzt hat, die für die Weiterentwicklung des Wettbewerbs besondere Bedeutung hatte, weil die „Öffnung“ des Markts für die Sammlung und Verwertung haushaltsnah anfallender Verpackungen bereits absehbar war und sich die Mitbewerber der Antragsgegnerin darauf vorbereiteten.

8. Zur Spürbarkeit

8.1. Auf die „Spürbarkeit“ kommt es im vorliegenden Fall nicht an, handelt es sich dabei doch um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal nur von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen iSv § 1 KartG bzw Art 101 AEUV (vgl Reidlinger/Hartung , Das österreichische Kartellrecht³ 43 ff; Wollmann in Mayer/Stöger , EUV/AEUV Art 101 AEUV Rz 58 ff).

8.2. Die im Rekurs als „gefestigt“ zitierte Rechtsprechung, wonach missbräuchliches Verhalten eine bestimmte Erheblichkeitsschwelle überschreiten müsse, um verboten zu sein, bezieht sich in Wahrheit auf völlig andere Fallgruppen als Kampfpreise. So muss beim Fordern unangemessen hoher Preise iSd § 5 Abs 1 Z 1a KartG notwendigerweise ein gewisser „Abstand“ zu Marktpreisen vorliegen, um den Tatbestand der Missbräuchlichkeit zu erfüllen. In diesem Sinne hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 16 Ok 13/13 Linz Strom unter Hinweis auf deutsche Lehre und Rechtsprechung ausgesprochen, dass die Überschreitung des wettbewerbsanalogen Preises für sich genommen noch nicht die Annahme eines missbräuchlichen Preises begründet; ein solcher sei nur gegeben, wenn eine erhebliche Überschreitung vorliegt.

8.3. Die Entscheidung 16 Ok 7/12 Taxi-App betrifft Ausschließlichkeitsbindungen, für die die Dauer der Bindung an den Marktbeherrscher ein wesentliches Tatbestandskriterium für das Vorliegen einer wettbewerbsrechtlich verpönten Abschottungswirkung ist. Deshalb hat der Senat in der Entscheidung 16 Ok 7/12 darauf hingewiesen, dass nicht ersichtlich sei, dass die kurzfristigen und ohne Einschränkungen lösbaren Bindungen geeignet seien, einen Wechsel eines Taxis zu einem Wettbewerber unmöglich zu machen oder zu erschweren, sodass der Markt abgeschottet werde.

8.4. Bei der hier vorzunehmenden Prüfung missbräuchlicher Kampfpreise im Rahmen einer auf Verdrängung oder Vernichtung des Mitbewerbers gerichteten Gesamtstrategie ist demgegenüber eine derartige Spürbarkeitsprüfung nicht vorzunehmen; dies zeigt schon der Wortlaut des § 5 Abs 1 Z 5 KartG, der jede Veräußerung von Waren unter dem Einstandspreis verbietet.

9. Ergebnis

9.1. Zusammenfassend erweist sich der angefochtene Beschluss daher als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0160OK00009.15G.1008.000