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OGH vom 18.10.2011, 12Os95/11d

OGH vom 18.10.2011, 12Os95/11d

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und Dr. Michel-Kwapinski als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Bilinska als Schriftführerin in der Strafsache gegen Tarkan Y***** wegen des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 erster Fall StGB über den Antrag des Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO in Bezug auf die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 143 Hv 165/09x-24, und des Oberlandesgerichts Wien vom , AZ 21 Bs 323/10v, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom , GZ 143 Hv 165/09x-24, wurde Tarkan Y***** - soweit für das Erneuerungsverfahren von Bedeutung - des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 erster Fall StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten verurteilt, deren Vollzug gemäß § 43 Abs 1 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Inhaltlich des Schuldspruchs hat Tarkan Y***** am in Wien einen Beamten mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht, indem er Erwin B***** bei der Durchführung der Überstellung der Sabine D***** nach § 9 UbG einen Stoß gegen die Brust und einen Fußtritt gegen das Schienbein versetzte und schrie „ich muss meine Freundin befreien“.

Der dagegen erhobenen Berufung des Genannten wegen Nichtigkeit sowie wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom , AZ 21 Bs 323/10v (GZ 143 Hv 165/09x-31), nicht Folge. Dem Einwand der Verletzung des Doppelbestrafungsverbots (inhaltlich § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO) zuwider hindere die bereits erfolgte Sanktionierung des Tarkan Y***** wegen zugleich gesetzter Verwaltungsübertretungen nach § 81 Abs 1 SPG und § 1 Z 2 WLSG nicht dessen gerichtliche Verurteilung wegen des - mittels Gewaltanwendung verwirklichten - Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt (§§ 15 Abs 1, 269 Abs 1 erster Fall StGB). Soweit sich die Berufung unter Hinweis auf die Unschuldsvermutung gegen die erstrichterliche Beweiswürdigung wende, sei ihr angesichts der schlüssigen, sorgfältigen und überzeugenden erstrichterlichen Abwägung der Verfahrensergebnisse ebenfalls ein Erfolg zu versagen.

Mit seinem am beim Obersten Gerichtshof eingebrachten Antrag begehrt der Verurteilte zulässig (RIS-Justiz RS0122228) und fristgerecht die Verfahrenserneuerung nach § 363a StPO und behauptet (erneut) eine Verletzung des Art 4 des 7. ZPMRK sowie des Art 6 Abs 2 MRK.

Das Verbot mehrfacher Strafverfolgung des Art 4 Abs 1 des 7. ZPMRK findet nur bei tateinheitlicher Verwirklichung mehrerer strafbarer Handlungen (hier: verwaltungsbehördlich zu ahndender Tatbestände und gerichtlich strafbarer Handlungen) Anwendung (RIS Justiz RS0124160; Ratz , WK-StPO § 281 Rz 639).

Dies ist vorliegend - wie aus den insoweit übereinstimmenden Feststellungen von Ersturteil und Berufungsentscheidung hervorgeht - nicht der Fall: Danach wurde der Antragsteller mit Strafverfügung des Polizeikommissariats Favoriten vom , AZ S 172217/F/09, bestraft, weil er „durch Lärmerregung, Beschimpfungen und wildes Gestikulieren, wobei es zu einer Ansammlung von ca. 20 bis 30 Personen auf dem Gehsteig kam und Fahrzeuglenker aufgrund seines aggressiven und lautstarken Verhaltens mit ihren Fahrzeugen stehen blieben, die Ordnung an einem öffentlichen Ort in rücksichtsloser Weise störte, welches Ärgernis erregte und durch lautes Schreien und Schimpfen ungebührlicher Weise störenden Lärm verursachte, welcher vermeidbar gewesen wäre.“ Das solcherart (sachverhaltsmäßig) umschriebene Verhalten wurde § 81 Abs 1 SPG und § 1 Wiener Landes-SicherheitsG (WLSG) subsumiert. Der im gerichtlichen Strafverfahren gegenständliche Vorwurf des Widerstands gegen die Staatsgewalt wurde hingegen durch erst im Anschluss an das zuvor beschriebene Geschehen (ausschließlich) mittels gezielter (von deliktsspezifischem Vorsatz getragener) Gewaltausübung gegen einen Polizeibeamten verwirklicht (US 7 ff des Ersturteils, US 4 ff des Berufungsurteils).

Im Übrigen läge selbst im Fall tateinheitlicher Begehung nach der gefestigten, auf der Lehre von den Scheinkonkurrenzen basierenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (RIS-Justiz RS0124159; 12 Os 26/04, EvBl 2005/45, 191) kein Verstoß gegen das in Art 4 Abs 1 des 7. ZPMRK normierte Verbot vor.

Die hier in Rede stehenden Verwaltungsübertretungen der Störung der öffentlichen Ordnung nach § 81 Abs 1 SPG sowie der Lärmerregung nach § 1 Abs 1 Z 2 WLSG (welche die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des örtlichen Gemeinschaftslebens vor Augen haben, während § 269 StGB als Sonderfall der Nötigung dem Schutz der Durchführung des Staatswillens dient, vgl Danek in WK² § 269 Rz 1, und durch „wildes Gestikulieren, Schreien und Schimpfen“ verwirklicht wurden, siehe Strafverfügung ON 19 S 17) unterscheiden sich - wie das Berufungsgericht bereits umfassend darlegte - in ihren wesentlichen Merkmalen grundlegend vom (hier durch einen Stoß und einen Tritt, sohin mit Gewalt verwirklichten) gerichtlich strafbaren Verhalten nach § 269 Abs 1 StGB.

Solcherart gelangte das Oberlandesgericht Wien zutreffend zur Auffassung, dass in der gerichtlichen Aburteilung des Erneuerungswerbers keine Verletzung des Doppelbestrafungsverbots liegt.

Daran ändert die vom Antragsteller ins Treffen geführte Rechtsprechung des EGMR nichts. Denn ungeachtet der in der Beschwerdesache Zolotukhin gg Russland (U [Große Kammer], Nr 14939/03 [Z 78 ff]) eingeleiteten begrifflichen Neuausrichtung stellt der EGMR auch in seiner aktuellen Rechtsprechung im Ergebnis nicht bloß auf einen prozessualen (also rein tatsächlichen) Tatbegriff ab, sondern bezieht die jeweils in Rede stehenden Tatbestände (strafbaren Handlungen) insofern in die Betrachtung ein, als er die Prüfung einer Übereinstimmung der Sachverhalte danach vornimmt, ob diese jeweils das wesentliche Element der (in beiden Verfahren tatsächlich vorgenommenen) Subsumtion bilden ( Zolotukhin gg Russland, Z 95 ff; vgl auch U , Tsonyo Tsonev gg Bulgarien, Nr 2376/03, Z 52). Bezugspunkt der Prüfung ist demnach nicht der historische Lebenssachverhalt allein, sondern das „sachverhaltsmäßig festgestellte Subsumtionsmaterial“ („facts of the two offences“; so treffend, wenngleich aus kritischer Position: Lewisch , WK-StPO Vor §§ 352-363 Rz 103). Für den Obersten Gerichtshof besteht daher kein Anlass, von der im Ergebnis übereinstimmenden Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte (vgl , und , B 343/10, sowie ) abzugehen (vgl zum Ganzen: Grabenwarter , EMRK 4 § 24 Rz 145; Birklbauer , WK-StPO § 17 Rz 32 ff; Nordmeyer , WK-StPO § 190 Rz 28 ff).

Soweit sich der Erneuerungsantrag unter dem Aspekt des Art 6 Abs 2 MRK auf die weitgehende Wiederholung der Berufungsaussführungen beschränkt, vernachlässigt er, dass das Gericht auf Basis der Verfahrensergebnisse in ihrer Gesamtheit und in freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) zu den der Verurteilung zu Grunde liegenden und vom Oberlandesgericht als unbedenklich eingestuften Feststellungen gelangte. Indem der Erneuerungswerber bloß eine andere Interpretation der Verfahrensergebnisse des Erkenntnisverfahrens fordert, bekämpft er in unzulässiger Weise (§§ 479 iVm § 489 Abs 1 zweiter Satz StPO) inhaltlich bloß die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts, ohne eine Verletzung des Art 6 Abs 2 MRK aufzuzeigen.

Der Erneuerungsantrag war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 1 und Abs 2 Z 3 StPO).