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VfGH vom 06.06.2006, B367/06

VfGH vom 06.06.2006, B367/06

Sammlungsnummer

17824

Leitsatz

Kein Entzug des gesetzlichen Richters durch die Zurückweisung der Berufung einer Bewerberin um die Besetzung einer Vertragsarztplanstelle; keine Parteistellung des einzelnen Arztes im Verfahren zur Auswahl der Vertragsärzte und zum Abschluss von Einzelverträgen; unmittelbare Rechtswirkungen nur zwischen den Vertragsparteien des Gesamtvertrages, ds Ärztekammer und Krankenversicherungsträger

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. In der Gemeinde L wurde mit eine Vertragsarztplanstelle für einen Facharzt für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde zur Nachbesetzung ausgeschrieben. Um diese Planstelle bewarben sich ua. die Beschwerdeführerin und Dr. N K. Zwischen der Ärztekammer für Oberösterreich, die sich für die Beschwerdeführerin aussprach, und der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse, die sich für Dr. N K aussprach, konnte keine Einigung über die Stellenbesetzung erzielt werden.

Daraufhin beantragte die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse bei der Landesschiedskommission für das Land Oberösterreich, für die in Rede stehende Vertragsarztstelle Dr. N K auszuwählen. Die Ärztekammer für Oberösterreich beantragte die Abweisung dieses Antrages und stellte ihrerseits den Antrag, für diese Stelle die Beschwerdeführerin auszuwählen.

Mit Bescheid vom gab die Landesschiedskommission dem Antrag der Gebietskrankenkasse statt. Gegen diesen Bescheid erhoben sowohl die Ärztekammer als auch die Beschwerdeführerin Berufung an die Bundesschiedskommission. Im Verfahren vor dieser Behörde stellte die nach dem erstinstanzlichen Bescheid zum Zuge gekommene Bewerberin Dr. N K einen Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung.

2. Mit Bescheid der Bundesschiedskommission vom , R 3-BSK/05-14 (der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters zugestellt am ), wurde die Berufung der Beschwerdeführerin mangels Parteistellung zurückgewiesen und weiters festgestellt, dass auch Dr. N K keine Parteistellung in dem Verfahren zukomme. Die Berufung der Ärztekammer für Oberösterreich wurde abgewiesen, da Dr. N K nach der anzuwendenden Reihungskriterien-Verordnung eine höhere Punktezahl als die Beschwerdeführerin erreiche.

Zur Zurückweisung der Berufung der Beschwerdeführerin führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die Auswahl der Vertragsärzte und der Abschluss von Einzelverträgen gemäß § 343 Abs 1 ASVG nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer erfolge, die entsprechenden Bestimmungen des Gesamtvertrages unmittelbare Rechtswirkungen jedoch nur zwischen den Vertragsparteien des Gesamtvertrages (Ärztekammer und Krankenversicherungsträger) erzeugten. In einem Verfahren vor der Landes- bzw. Bundesschiedskommission über die Vergabe einer Facharztstelle komme den Bewerberinnen daher keine Parteistellung zu.

3. Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden (§346 Abs 7 ASVG) - Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs 2 B-VG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen. Die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse hat als beteiligte Partei eine schriftliche Äußerung erstattet, in der sie beantragt, der Beschwerde keine Folge zu geben.

4. Wie die Gebietskrankenkasse in ihrer schriftlichen Äußerung mitgeteilt hat, wurde mit Dr. N K mit Wirkung vom ein Einzelvertrag hinsichtlich der in Rede stehenden Planstelle abgeschlossen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

Die Beschwerdeführerin sieht sich in diesem Recht dadurch verletzt, dass ihr durch die Zurückweisung ihrer Berufung zu Unrecht eine Sachentscheidung und damit die Parteistellung in dem Verfahren betreffend die Auswahl für den Abschluss eines Einzelvertrages verweigert worden sei.

2.1. Gemäß § 345a Abs 2 Z 1 ASVG entscheidet die Landesschiedskommission (ebenso wie die ihr im Instanzenzug übergeordnete Bundesschiedskommission) über Streitigkeiten zwischen den Parteien eines Gesamtvertrages über die Auslegung oder die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages.

Parteien eines Gesamtvertrages sind die Ärztekammern und die Träger der Krankenversicherung (VfSlg. 8692/1979; ). Somit war die Landesschiedskommission jedenfalls zuständig, über die Anträge der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse und der Ärztekammer für Oberösterreich in der Sache zu entscheiden.

In Ermangelung einer besonderen gesetzlichen Regelung über die Parteistellung in einem derartigen Verfahren ist im Sinne des § 8 AVG (iVm § 347 Abs 4 ASVG) nach den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften (siehe zu diesem Begriff ArtVI Abs 2 EGVG) zu untersuchen, ob und inwieweit die Beschwerdeführerin am Auswahlverfahren für Vertragsärzte vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses im Sinne der zitierten Bestimmung beteiligt ist (vgl. zB VfSlg. 6257/1970, 6908/1972; hinsichtlich des Verfahrens vor der Paritätischen Schiedskommission VfSlg. 17.201/2004).

Parteistellung iS des § 8 AVG kommt jedoch nur solchen Personen zu, deren subjektive Rechtssphäre im Verfahren unmittelbar berührt wird (vgl. VfSlg. 8232/1978). Wirtschaftliche Interessen ohne eine durch die Rechtsordnung begründete persönliche Beziehung zu einer Verwaltungsangelegenheit vermitteln daher keine Parteistellung im Verwaltungsverfahren (zB VwSlg. 7662 A/1969 mwN; ebenso VfSlg. 9000/1980).

2.2. Gemäß § 341 Abs 1 ASVG sind die Beziehungen der Träger der Krankenversicherung zu den freiberuflich tätigen Ärzten (Gruppenpraxen) durch Gesamtverträge geregelt, die für die Träger der Krankenversicherung - mit deren Zustimmung - durch den Hauptverband mit den örtlich zuständigen Ärztekammern abzuschließen sind. Die Gesamtverträge haben ua. die Zahl und die örtliche Verteilung der Vertragsärzte (Vertrags-Gruppenpraxen) festzulegen (§342 Abs 1 Z 1 ASVG) und Bestimmungen über die Auswahl der Vertragsärzte (Vertrags-Gruppenpraxen) sowie über den Abschluss und die Lösung der mit diesen zu treffenden Abmachungen (Einzelverträge) zu enthalten (§342 Abs 1 Z 2 ASVG).

Gemäß § 343 Abs 1 ASVG haben die Auswahl der Vertragsärzte und der Abschluss der Einzelverträge zwischen dem zuständigen Träger der sozialen Krankenversicherung und dem Arzt (siehe dazu auch § 341 Abs 3 ASVG) nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages und im Einvernehmen mit der zuständigen Ärztekammer zu erfolgen. Zu diesem Zweck sind auf Vorschlag der Österreichischen Ärztekammer durch Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen verbindliche Kriterien für die Reihung der Bewerber (Bewerberinnen) um Einzelverträge festzulegen (Reihungskriterien). Dabei sind auch die fachliche Eignung der Bewerber (Bewerberinnen) und die zeitliche Reihenfolge der Bewerbungen um Einzelverträge zu berücksichtigen; die Reihungskriterien haben jedenfalls dem Gleichheitsgebot, der Erwerbsausübungs- und Niederlassungsfreiheit sowie den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention, BGBl. Nr. 210/1958, zu entsprechen.

Nach § 1 der Reihungskriterien-Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen, BGBl. II Nr. 487/2002, hat die Auswahl der Vertragsärztinnen/Vertragsärzte und der Vertrags-Gruppenpraxen im Sinne des § 343 Abs 1 erster Satz ASVG nach den in dieser Verordnung genannten Reihungskriterien zu erfolgen. Gemäß § 3 Abs 2 leg. cit. können "[d]er Krankenversicherungsträger und die Ärztekammer ... gemeinsam die Invertragnahme der/des Erstgereihten mit Begründung ablehnen, wenn erhebliche Bedenken bestehen, dass der mit dem Einzelvertrag verbundene Versorgungsauftrag durch diese Bewerberin/diesen Bewerber nicht erfüllt werden kann." Gemäß § 5 leg. cit. ist die Entscheidung zu Gunsten einer Bewerberin/eines Bewerbers nach erfolgter Beschlussfassung durch den Krankenversicherungsträger und die Drztekammer im Mitteilungsblatt der Landesärztekammer und im Internet zu veröffentlichen.

Die sonach geschlossenen Einzelverträge sind für alle Gebiets- und Betriebskrankenkassen sowie für die Versicherungsanstalt des österreichischen Bergbaues und für die Sozialversicherungsanstalt der Bauern wirksam. Einzelverträge, die nicht im Rahmen der im Gesamtvertrag vereinbarten Zahl und örtlichen Verteilung abgeschlossen werden, bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung des Hauptverbandes und der zuständigen Ärztekammer, bei Nichteinigung der Zustimmung des Hauptverbandes und der Österreichischen Ärztekammer (§343 Abs 1 vorletzter Satz ASVG).

Das Vertragsverhältnis kann von beiden Teilen unter Einhaltung einer einmonatigen Frist zum Ende eines Kalendervierteljahres gekündigt werden (§343 Abs 4 erster Satz ASVG). Die vom Träger der sozialen Krankenversicherung ausgesprochene Kündigung ist schriftlich zu begründen (§343 Abs 4 zweiter Satz ASVG); der gekündigte Arzt kann gegen die Kündigung binnen zwei Wochen bei der Landesschiedskommission Einspruch erheben (§343 Abs 4 dritter Satz ASVG).

2.3. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht finden, dass die belangte Behörde die Parteistellung der Beschwerdeführerin zu Unrecht verneint hätte:

2.3.1. § 343 Abs 1 ASVG bestimmt hinsichtlich der Auswahl der Vertragsärzte lediglich, dass diese nach den Bestimmungen des Gesamtvertrages zu erfolgen hat, und dass darüber das Einvernehmen zwischen dem - den Einzelvertrag abschließenden - Krankenversicherungsträger und der zuständigen Ärztekammer herzustellen ist. Soweit der Gesamtvertrag die Auswahl der Vertragsärzte regelt (vgl. § 342 Abs 1 Z 2 ASVG), haben diese Regelungen der Reihungskriterien-Verordnung zu entsprechen. Wie die belangte Behörde der Sache nach zutreffend ausführt, sind die Bestimmungen des Gesamtvertrages, welche die Vorgangsweise der Vertragspartner bei der Auswahl von Vertrags(zahn)ärzten regeln, solche schuldrechtlicher Natur; sie schaffen demnach Rechte und Pflichten zwischen den Vertragsparteien, nicht aber solche von Bewerberinnen um eine Vertragsarztstelle. Auch das Gesetz und die Reihungskriterien-Verordnung räumen einer Bewerberin keinen Rechtsanspruch auf den Abschluss eines Einzelvertrages ein (vgl. zu einer früheren, bloß eine gesamtvertragliche Reihungsvereinbarung vorsehenden Rechtslage VfSlg. 15.414/1999; vgl. ferner die übereinstimmende Lehre, wiedergegeben bei Mosler, Auswahl der Vertragsärzte und Ärztegesamtvertrag, in Grillberger/Mosler [Hrsg], Europäisches Wirtschaftsrecht und soziale Krankenversicherung [2003] 397 [416 mwN in FN 57]); dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus '343a Abs 2 ASVG, der als Ausnahme von diesem Grundsatz einen Rechtsanspruch auf Abschluss eines Einzelvertrages für Jugendlichen- und Vorsorge(Gesunden)untersuchungen vorsieht.

2.3.2. Daher kommt einer Bewerberin auch keine Parteistellung im Verfahren vor der Landesschiedskommission über die Auswahl eines Vertragsarztes zu (vgl. auch Mosler, Probleme bei der "Vergabe" von Kassenverträgen an Ärzte/Ärztinnen, DRdA 1996, 430 [437]). Dem entspricht auch die Konzeption des § 345a Abs 2 Z 1 ASVG, wonach die Landesschiedskommission nur zur Schlichtung und Entscheidung von Streitigkeiten, die zwischen den Parteien eines Gesamtvertrags über die Auslegung oder die Anwendung eines bestehenden Gesamtvertrages entstanden sind, berufen ist. Parteien des Gesamtvertrages sind aber lediglich die Träger der Krankenversicherung und die Ärztekammern.

2.3.3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus jener von der Beschwerdeführerin bezogenen Rechtsprechung, wonach einem Bewerber, der in einen verbindlichen Besetzungsvorschlag aufgenommen wird, Parteistellung im Ernennungsverfahren zukommt (zB VfSlg. 12.102/1989, 12.782/1991 hinsichtlich schulfester Stellen; VfSlg. 15.365/1998 hinsichtlich eines Ordentlichen Universitätsprofessors; VfSlg. 17.184/2004 hinsichtlich eines Amtsdirektors eines Landesschulrates), weil das Gesetz einen solchen verbindlichen Besetzungsvorschlag gar nicht vorsieht.

3. Die behauptete Verletzung der Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter liegt daher nicht vor. Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass der angefochtene Bescheid die Beschwerdeführerin in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt hätte.

Die Beschwerdeführerin ist somit durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Dies konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).