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OGH vom 22.03.2011, 8ObA36/10t

OGH vom 22.03.2011, 8ObA36/10t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofräte Hon. Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und Wolfgang Birbamer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei L***** W*****, vertreten durch Barnert Egermann Illigasch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Freimüller/Obereder/Pilz Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 22.487,95 EUR brutto sA und Feststellung (Streitwert: 119.058,07 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Ra 16/10t 36, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Die Klägerin bezog vom Beklagten auf Grundlage einer Pensionszuschussordnung (PZO) monatliche Pensionszuschüsse. Unstrittig handelt es sich dabei um eine vor dem Inkrafttreten des BPG geschlossene „Altvereinbarung“ (9 ObA 38/09t). Der Beklagte stellte die Zahlung der Pensionszuschüsse per ein. Er vertrat den Rechtsstandpunkt, dazu infolge eines in der PZO enthaltenen Widerrufsvorbehalts berechtigt zu sein, weil andernfalls seine wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre. Er unterbreitete der Klägerin ein (letztlich verbessertes) „Außergerichtliches Vergleichsanbot“, das die Klägerin am annahm. Danach sollte die Klägerin eine einmalige Zahlung aus dem Titel des Pensionszuschusses vom Beklagten erhalten. Dadurch sollten alle gegenseitigen Rechte und Pflichten zwischen den Streitteilen aus der Pensionszuschussordnung (PZO) abgegolten sein. Die Klägerin erklärte, auf die Geltendmachung von Ansprüchen aus der PZO zu verzichten. Der Beklagte hatte das von ihm behauptete Recht zur Einstellung der Pensionszahlungen und sein Vergleichsangebot, das er auch zahlreichen anderen Pensionsbeziehern unterbreitet hatte, mit schweren finanziellen Schwierigkeiten und Konkursgefahr begründet. Die Klägerin hatte zwar im Zuge von Informationsveranstaltungen erfahren, dass namhafte Juristen Zweifel sowohl an einem Widerrufsrecht der Klägerin als auch am Ausmaß der finanziellen Schwierigkeiten hegte; sie entschloss sich aber dennoch, das Angebot des Beklagten anzunehmen, weil ihr „das Ganze zu unsicher“ war und sie sich auf einen Prozess nicht einlassen wollte.

2. Die rechtliche Beurteilung der Vorinstanzen, die Abfindungsvereinbarung sei als Vergleich zu beurteilen, ist keineswegs unvertretbar. Mit den dagegen vorgebrachten Einwänden zeigt die Revisionswerberin keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die strittig gewordenen Ansprüche der Klägerin auf Zahlung eines Pensionszuschusses wurden in Form einer umfassenden Bereinigung durch Festlegung einer einmaligen Abfindungssumme durch wechselseitiges Nachgeben geklärt (RIS Justiz RS0032567; RS0032681; RS0028337), weil die Klägerin auf weitergehende Pensionszuschusszahlungen verzichtete und umgekehrt der Beklagte auf das ihm nach seiner Ansicht zustehende Recht auf sofortigen Widerruf der Zusage nach der PZO. Die Ausführungen, mit denen die Revisionswerberin die Bereinigungswirkung dieser Vereinbarung in Frage stelle, können in keiner Weise überzeugen.

3. Die Revisionswerberin gesteht selbst zu, dass die Anfechtung eines Vergleichs arglistige Irreführung ausgenommen die Geltendmachung eines Irrtums über wesentliche Umstände voraussetzt, die die Parteien beim Abschluss des Vertrags als feststehend, unzweifelhaft und unstrittig angenommen haben (RIS Justiz RS0032543). Sie weicht allerdings von den Sachverhaltsfeststellungen ab, wenn sie ausführt, dass die Frage der Vermögenssituation des Beklagten zwischen den Streitteilen nicht strittig gewesen sei. Dies ergibt sich schon aus den Feststellungen über den Verlauf der Informationsveranstaltungen und insbesondere etwa auch aus der unangefochtenen Feststellung, dass die Klägerin im März 2007 in einem Telefonat mit der Vertreterin der Interessengemeinschaft der Pensionszuschussbezieher des Beklagten (IGP) hauptsächlich darüber gesprochen hat, ob der Beklagte noch Vermögen besitzt oder nicht. Insgesamt lässt sich den Feststellungen der Vorinstanzen jedenfalls entnehmen, dass die Widerrufsberechtigung des Beklagten und insbesondere dessen Angaben über seine finanzielle Situation im Vorfeld des Abschlusses der Vereinbarung sehr wohl bezweifelt und diskutiert wurden und dass die insoweit bestehende erhebliche Unsicherheit durch den Abschluss der Vereinbarung bereinigt werden sollte. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass diesbezüglich keine sekundäre Mangelhaftigkeit des Verfahrens vorliege, ist nicht zu beanstanden.

4. Wurde ein Irrtum einer Vergleichspartei vom andern Teil arglistig hervorgerufen, ist der Vergleich auch dann anfechtbar, wenn der Irrtum einen Vergleichspunkt betroffen hat ( Ertl in Rummel ³ § 1385 Rz 2). Das Berufungsgericht ist ohnehin von der Rechtsprechung ausgegangen, wonach Arglist beim Vergleich bereits dann gegeben ist, wenn ein Teil über entscheidende Tatsachen Gewissheit hat und dies dem anderen verheimlicht. Arglist kann auch in einer Verschweigung liegen, wenn dadurch eine Aufklärungspflicht verletzt wird (RIS Justiz RS0014809). Die Frage, ob ein Vergleichspartner im vorgenannten Sinn arglistig gehandelt hat, ist immer nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und stellt somit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar.

4.1. Die Revisionswerberin wirft dem Beklagten zentral vor, dass die Ankündigung der Einstellung der Pensionszuschusszahlungen und deren Verwirklichung arglistig erfolgt sei, weil er der Klägerin vermittelt habe, seine Vorgehensweise sei rechtskonform. Das Berufungsgericht hat dies allerdings vertretbar mit der Begründung verneint, dass dem festgestellten Sachverhalt gerade nicht zu entnehmen sei, dass der Beklagte (auch nur bedingt) vorsätzlich einen unrichtigen Standpunkt über seine Widerrufsberechtigung vertreten bzw falsche Angaben über seine Vermögenssituation gemacht habe. Dass nachträglich die Rechtsprechung (9 ObA 38/09t ua) den Rechtsstandpunkt des Beklagten über seine Widerrufsberechtigung nicht gebilligt hat, kann für sich allein den Schluss auf die vorsätzliche Einnahme eines unrichtigen Standpunkts nicht rechtfertigen. Ebenso wenig kann aus der Entscheidung 9 ObA 38/09t und den dieser folgenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs abgeleitet werden, dass der vom Beklagten eingenommene Rechtsstandpunkt von vornherein als unvertretbar erscheinen musste. Dass die finanzielle Situation des Beklagten zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung überaus schlecht und zudem in ihren Konsequenzen schwierig einzuschätzen war, steht außer Zweifel, zumal auch die Rechtsvertreter bzw Rechtsberater der Pensionsbezieher trotz der damals gewährten Einsicht in die Bilanzen von einer erheblichen Unsicherheit ausgingen. Auch insofern fehlt für die Annahme, der Beklagte habe vorsätzlich falsche Angaben über seine Vermögensverhältnisse gemacht (und mache dies nach wie vor), in den Verfahrensergebnissen eine rechtfertigende Grundlage. Auch die Ausführungen des Berufungsgerichts, mit denen es die Abweisung der die damalige finanzielle Situation des Beklagten betreffenden Beweisanträge durch das Erstgericht gebilligt hat, sind unbedenklich. Das Berufungsgericht verweist darauf, dass selbst dann, wenn aufgrund der beantragten Gutachten hervorkäme, dass aus heutiger Sicht die finanzielle Situation des Beklagten damals weniger schlecht war, als vom Beklagten dargestellt, damit nicht erwiesen wäre, dass der Beklagte damals vorsätzlich falsche Angaben gemacht habe. Diese Auffassung ist unter den im konkreten Fall gegebenen Umständen nicht zu beanstanden. Aus den tatsächlich getroffenen Feststellungen sind jedenfalls Anhaltspunkte für vorsätzliche Falschangaben nicht abzuleiten.

4.2. Im Übrigen ist auch in diesem Zusammenhang zu betonen, dass die Klägerin insofern nicht getäuscht wurde, da sie bei Annahme des Vergleichsangebots genau darüber Bescheid wusste (dies unter anderem auch infolge einer Beratung durch den nunmehrigen Klagevertreter), dass sowohl erhebliche Zweifel an der wahren Vermögenssituation des Beklagten als auch an der Berechtigung seines betreffend den Widerruf eingenommenen Rechtsstandpunkts bestanden. Diese Informationen waren der Klägerin vor allem auch deshalb zugänglich, weil der Beklagte von sich aus gegenüber der IGP und einem für diese auftretenden Wirtschaftstreuhänder Bilanzeinsicht gewährte. Aber auch die Klägerin selbst wurde im Rahmen von Informationsveranstaltungen darüber informiert, dass weiteres Vermögen (Liechtensteiner Stiftungen, „Streikfonds“) vorhanden sei, auf das der Beklagte jedoch aus unterschiedlichen Gründen nicht zugreifen wolle. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach dem Beklagten im konkreten Fall Arglist nicht vorzuwerfen ist, nicht korrekturbedürftig. Auch die in diesem Zusammenhang behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

5. Zur Behauptung der Revisionswerberin, das Verhalten des Beklagten sei als Drohung iSd § 870 ABGB zu qualifizieren, kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Da nicht erwiesen ist, dass der Beklagte wusste, dass das von ihm behauptete Widerrufsrecht nicht besteht, kann dessen Geltendmachung von vornherein nicht als rechtswidrige Drohung gewertet werden ( Rummel in Rummel , ABGB³ § 870 Rz 12).

6. Zutreffend hat das Berufungsgericht die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dargestellt, wonach der Arbeitgeber gegenüber seinen (ehemaligen) Arbeitnehmern im Zusammenhang mit Vorschlägen, die auf eine Befreiung des Arbeitgebers von direkten Leistungsverpflichtungen aus einer Pensionsvereinbarung hinauslaufen, zur umfassenden Aufklärung verpflichtet ist (9 ObA 140/09t; RIS Justiz RS0017049 ua). Allgemein gültige Kriterien, welche Informationen ein Arbeitgeber konkret bieten muss, um seiner Aufklärungspflicht zu entsprechen, können allerdings nicht aufgestellt werden (9 ObA 66/08h ua). Eine allgemeine Aufklärungspflicht über alle Umstände, die den Vertragsgegner vom Vertragsabschluss abhalten könnten, besteht nicht (RIS Justiz RS0014820). Die Frage, ob der Arbeitgeber seine Aufklärungspflicht erfüllt habe, hängt immer von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab und begründet daher im Regelfall keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (9 ObA 47/07p; 9 ObA 179/08a ua).

6.1. Die Auffassung der zweiten Instanz, der Beklagte sei hier seiner Aufklärungspflicht nachgekommen, ist unter den gegebenen Umständen keineswegs unvertretbar. In der Tat wurden umfangreiche Aktivitäten gesetzt und die Klägerin vor allem aber der „Interessengemeinschaft der Pensionsbezieher“ (IGP) in mannigfaltiger Weise umfassend informiert. Dass die Klägerin von der IGP nicht vertreten wurde, schadet schon deshalb nicht, weil ihr sämtliche Informationen der IGP vor ihrer Entscheidung tatsächlich zur Verfügung standen. Ein von der Revisionswerberin behauptetes treu- und rechtswidriges Verhalten des Beklagten zu seinem Vorteil hat sich aus den Verfahrensergebnissen gerade nicht ergeben, sodass aus der Entscheidung 9 ObA 1/03t für sie nichts zu gewinnen ist. Dass das Berufungsgericht vor dem Hintergrund der besonderen Umstände des Einzelfalls zur Rechtsansicht gelangt, dass der Beklagte nicht in sittenwidriger Weise Umstände verschwiegen hat, über die er der Klägerin nach Treu und Glauben Mitteilung hätte machen müssen (RIS Justiz RS0014820), ist nicht zu beanstanden. Auch die damit im Zusammenhang behaupteten Mangelhaftigkeiten des Berufungsverfahrens liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

7. Die Revisionswerberin wendet sich unter Berufung auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und auf § 18 BPG gegen eine unsachliche Bevorzugung jener Pensionisten, die nach einem erfolgreichen Prozess gegen den Beklagten (vgl 9 ObA 38/09t) eine im Vergleich zu ihr höhere Abfindung mit diesem vereinbarten. Sie lässt aber damit unbeachtet, dass der Beklagte hier keine willkürliche Differenzierung vorgenommen, sondern nur lange Zeit nach Abschluss der hier zu beurteilenden Abfindungsvereinbarung die Konsequenz daraus gezogen hat, dass einzelne Pensionsempfänger keinen Vergleich mit ihm geschlossen sondern stattdessen das Risiko auf sich genommen und erfolgreich gegen den Beklagten prozessiert haben.