OGH vom 13.12.2011, 14Os141/11h (14Os147/11s)

OGH vom 13.12.2011, 14Os141/11h (14Os147/11s)

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Steinbichler als Schriftführerin in der Strafsache gegen Xhemajli T***** wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Landesgerichts Linz vom , GZ 22 Hv 8/11h 20, und einen in diesem Verfahren gefassten Beschluss erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Erster Generalanwalt Dr. Weiß zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 22 Hv 8/11h des Landesgerichts Linz verletzen das Gesetz

1. das Urteil vom (ON 20) in seinem Strafausspruch § 43a Abs 3 erster Satz StGB;

2. der Beschluss vom (ON 27) §§ 381 Abs 1 Z 9, 395 StPO oder § 391 Abs 2 StPO.

Dieser Beschluss wird ersatzlos aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit gekürzt ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts Linz vom , GZ 22 Hv 8/11h 20, wurde Xhemajli T***** des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB schuldig erkannt, zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, wovon ein Teil von fünf Monaten „gem § 43a Abs 3 StGB“ unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde, und nach § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verpflichtet. Bei der Strafbemessung wertete das Gericht eine einschlägige Vorstrafe als erschwerend (ON 20 S 7).

Mit sogleich nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelverzicht des anwaltlich vertretenen Angeklagten sowie der Staatsanwaltschaft gefasstem Beschluss wurden die Kosten des Strafverfahrens unter Hinweis auf die Einkommenslosigkeit des Xhemajli T***** nach § 391 Abs 2 StPO für uneinbringlich erklärt. Auch dieser Beschluss erwuchs sofort in Rechtskraft (ON 20 S 7).

Nachdem das Gewaltschutzzentrum Österreichs dem Gericht die voraussichtlichen Kosten für die Prozessbegleitung des Tatopfers Sanije T***** „zum Zweck der Kostenbestimmung im Sinn des § 381 Abs 5a iVm Abs 1 Z 9 StPO“ mit Schreiben vom bekanntgegeben und „um Berücksichtigung bei einer allfälligen Bestimmung zum Kostenersatz“ ersucht hatte (ON 26), bestimmte die Einzelrichterin mit Beschluss vom „die Kosten der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung des Opfers … gem. § 81 Abs 1 Z 9 iVm § 395 StPO mit 100 Euro“ und erklärte den Verurteilten für „schuldig, die Kosten in diesem Ausmaß zu bezahlen“. In der Begründung bezog sie sich auf einen Antrag der genannten Einrichtung auf Bestimmung der „Prozessbegleitungskosten“ und kam nach einem Referat des bisherigen Verfahrensablaufs, allgemeinen Erläuterungen zum Anspruch des Tatopfers auf Gewährung psychosozialer und juristischer Prozessbegleitung unter teilweiser Wiedergabe des Gesetzestextes der §§ 66 Abs 2, 381 Abs 1 Z 9 und Abs 5a StPO sowie Feststellung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Xhemajli T***** zum Zeitpunkt der Urteilsfällung zum Schluss, dass „unter der Berücksichtigung der finanziellen Situation des Verurteilten die Kosten … pauschal mit 100 Euro bestimmt“ werden (ON 27).

Eine dagegen erhobene Beschwerde des Xhemajli T***** wies das Oberlandesgericht Linz mit Beschluss vom , AZ 9 Bs 73/11s, als verspätet zurück.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen das Urteil des Landesgerichts Linz vom , GZ 22 Hv 8/11h 20, in seinem Strafausspruch sowie der Beschluss dieses Gerichts vom , GZ 22 Hv 8/11h-27, mit dem Gesetz nicht in Einklang:

1. Gemäß § 43a Abs 3 erster Satz StGB ist, wenn auf eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten, aber nicht mehr als zwei Jahren erkannt wird und, insbesondere im Hinblick auf frühere Verurteilungen des Rechtsbrechers, weder die ganze Strafe bedingt nachgesehen noch nach § 43 Abs 2 StGB vorgegangen werden kann, unter den Voraussetzungen des § 43 StGB ein Teil der Strafe bedingt nachzusehen. Eine analoge Anwendung des § 43a Abs 1 StGB, der für die bedingte Nachsicht eines Teils einer Geldstrafe keine Untergrenze vorsieht, auf sechs Monate nicht übersteigende Freiheitsstrafen kommt mangels einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht (RIS-Justiz RS0092022, RS0091973, RS0110756; Jerabek in WK 2 § 43a Rz 4).

Das Landesgericht Linz hat im vorliegenden Fall nicht auf eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten erkannt, weshalb durch die Gewährung der teilbedingten Strafnachsicht § 43a Abs 3 erster Satz StGB verletzt wurde. Da das Gericht die Voraussetzungen für eine bedingte Nachsicht der gesamten Strafe ersichtlich für nicht gegeben erachtete, hat es insoweit mit der Feststellung der den Angeklagten im Ergebnis begünstigenden Gesetzes-verletzung sein Bewenden (RIS Justiz RS0110756 [T2]).

2. Die Kosten der psychosozialen und juristischen Prozessbegleitung, auf deren kostenlose Gewährung das Opfer (unabhängig von seinen wirtschaftlichen Verhältnissen) bei darauf gerichteter Antragstellung und Vorliegen der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen Anspruch hat (§ 66 Abs 2 StPO), werden grundsätzlich (vorerst) nach den entsprechenden (Förderungs )Verträgen vom Bundesministerium für Justiz vorgeschossen beziehungsweise abgegolten (vgl zum Ganzen Kier , WK-StPO § 66 Rz 6 ff sowie JME über die Vertretungsbefugnis der juristischen Prozessbegleitung BMJ 578.023/0001-II 3/2007).

Zu den von der kostenpflichtigen Partei (hier: dem Verurteilten) zu ersetzenden Kosten des Strafverfahrens, die das Gericht für den Fall, dass die Voraussetzungen, diese gleich bei Schöpfung des Erkenntnisses für uneinbringlich zu erklären (§ 391 Abs 2 StPO), nicht gegeben sind nach Rechtskraft der grundsätzlichen Verpflichtung zum Kostenersatz im Einzelnen mit gesondertem Beschluss zu bestimmen hat (vgl dazu Fabrizy , StPO 11 § 391 Rz 3), zählt nach § 381 Abs 1 Z 9 StPO auch ein Pauschalbetrag als Anteil der Kosten der Prozessbegleitung (§ 66 Abs 2 StPO) bis zu 1.000 Euro. Dieser ist nach Maßgabe der Belastung der mit der Prozessbegleitung beauftragten Einrichtung und des Ausmaßes ihrer Aufwendungen sowie der in Abs 5 dieser Bestimmung bezeichneten Umstände der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Ersatzpflichtigen zu bemessen (§ 381 Abs 5a StPO).

Eine Bestimmung der gesamten Kosten der Prozessbegleitung nach § 395 StPO wie sie dem Erstgericht (auch aus der Bezugnahme auf diese Gesetzesstelle im Tenor und auf einen entsprechenden Antrag der Opferschutzeinrichtung in der Begründung des Beschlusses ersichtlich) offenbar vorschwebt ist im Gesetz nicht vorgesehen. Ein solcher nach dem Vorgesagten aber hier in dieser Form gar nicht gestellter Antrag wäre vielmehr zurückzuweisen, weil § 395 StPO ausschließlich die Bestimmung der Höhe des Kostenersatzes für die Vertretung der obsiegenden Partei (Abs 1, 2 und 4) sowie der Entlohnung des Amtsverteidigers (Abs 3) durch das Strafgericht regelt (wobei ein solcher Kostenbestimmungsbeschluss anders als bei den in § 381 Abs 1 Z 1 bis 7 und 9 StPO angeführten Kosten, die von Amts wegen eingebracht werden [§ 1 GEG] einen Exekutionstitel im Sinn des § 1 Z 8 EO bildet), der Prozessbegleiter aber keinen Honoraranspruch gegen seinen Klienten hat (vgl Lendl , WK-StPO § 381 Rz 42a; OLG Linz 8 Bs 204/08v sowie erneut JME über die Vertretungsbefugnis der juristischen Prozessbegleitung BMJ 578.023/0001-II 3/2007 zur soweit hier wesentlich unveränderten Rechtslage vor BGBl I 2007/93).

Wie die Generalprokuratur ebenfalls zutreffend ausführt, steht der angefochtene Beschluss aber auch für den Fall, dass damit nach der Intention des Erstgerichts der vom Zahlungspflichtigen zu ersetzende Pauschalbetrag als Anteil der Kosten der Prozessbegleitung nach der (in der Begründung wiedergegebenen) Bestimmung des § 381 Abs 1 Z 9 und Abs 5a StPO bemessen werden sollte, mit dem Gesetz nicht im Einklang, weil die Kosten des Strafverfahrens mit dem oben angesprochenen Beschluss vom nach § 391 Abs 2 StPO für uneinbringlich erklärt wurden (ON 20 S 7) und eine grundsätzlich innerhalb der fünfjährigen Frist des § 8 Abs 1 GEG jederzeit mögliche Aufhebung dieses Beschlusses nur dann in Frage kommt, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kostenpflichtigen ändern (§ 391 Abs 2 zweiter Satz StPO), wovon das Gericht aber in der Beschlussbegründung gerade nicht ausging.

Da die aufgezeigte Gesetzesverletzung insoweit zum Nachteil des Verurteilten wirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO) und den Beschluss des Landesgerichts Linz vom , GZ 22 Hv 8/11h 27, im Hinblick auf den Beschluss vom , mit dem die Kosten nach § 391 Abs 2 StPO für uneinbringlich erklärt wurden (ON 20 S 7), ersatzlos aufzuheben.