OGH vom 03.05.2022, 11Os29/22g (11Os30/22d)

OGH vom 03.05.2022, 11Os29/22g (11Os30/22d)

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. BachnerForegger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fischer als Schriftführerin in der Strafsache gegen * K* wegen des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB, AZ 2 U 90/09d des Bezirksgerichts Irdning, über die von der Generalprokuratur gegen Vorgänge in jenem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 2 U 90/09d des Bezirksgerichts Irdning verletzen

(1) die Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten § 427 Abs 1 StPO und

(2) die in der Hauptverhandlung erfolgte Verlesung einer Zeugenaussage § 252 Abs 1 StPO iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO.

Das Urteil des Bezirksgerichts Idrning vom (ON 18 der UAkten) wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Bezirksgericht Liezen verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit Strafantrag vom , AZ 76 BAZ 737/09z (ON 4 der U-Akten), legte die Staatsanwaltschaft * K* ein im Juli 2009 begangenes, als Vergehen des Betruges nach § 146 StGB beurteiltes Verhalten zur Last.

[2] Im Ermittlungsverfahren war der Genannte bloß informell (und zumindest teilweise telefonisch) von der Kriminalpolizei befragt worden (ON 2 S 6 f, 11). Eine förmliche Vernehmung gemäß §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf hatte nicht stattgefunden.

[3] Im (daraufhin eingeleiteten) Verfahren AZ 2 U 90/09d des Bezirksgerichts Irdning wurde die Hauptverhandlung am in Abwesenheit des Angeklagten, der trotz ausgewiesener Zustellung der Ladung (ON 15) nicht erschienen war, durchgeführt (ON 17).

[4] In der Hauptverhandlung wurde (unter anderem) der Abschlussbericht der Polizeiinspektion Irdning vom (ON 2) „nach § 252 Abs 2 StPO“ verlesen (ON 17 S 3). Dieser enthält (unter anderem) das Protokoll über die Vernehmung einer Zeugin (ON 2 S 13 f).

[5] Mit Abwesenheitsurteil vom (ON 18 der U-Akten) wurde * K* sodann anklagekonform des Vergehens des Betruges nach § 146 StGB schuldig erkannt.

[6] Der Angeklagte, dem das Abwesenheitsurteil in schriftlicher Ausfertigung mit Rechtsbelehrung zugestellt wurde (ON 1, ON 19), hat dagegen weder Rechtsbehelf noch Rechtsmittel erhoben.

[7] Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, verletzen die angesprochenen Vorgänge das Gesetz:

Rechtliche Beurteilung

[8] (1) Gemäß § 427 Abs 1 StPO setzen die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils in Abwesenheit des Angeklagten (unter anderem) zwingend voraus, dass dieser bereits „gemäß §§ 164 oder 165“ StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde (RIS-Justiz RS0130532; näher Bauer,WK-StPO § 427 Rz 8; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 243).

[9] Eine – hier nach Lage der Akten ausschließlich erfolgte – bloß informative Befragung ohne vorhergehende Information über den Tatvorwurf und Belehrung über die entsprechenden Rechte und Pflichten als Beschuldigter (§ 164 Abs 1, Abs 2 StPO) stellt keine förmliche Vernehmung (§ 151 Z 2 StPO) des Beschuldigten, sondern bloß eine Erkundigung im Sinn des § 152 Abs 1 StPO dar. Deren Ergebnis – das in einem Amtsvermerk festzuhalten ist (§ 152 Abs 3 StPO) – erfüllt die angesprochene Voraussetzung des § 427 Abs 1 StPO nicht (14 Os 86/18f, 87/18b, 88/18z, 89/18x mwN).

[10] (2) Gemäß § 252 Abs 1 StPO (hier iVm §§ 447, 458 zweiter Satz StPO) dürfen Protokolle über die Vernehmung von Zeugen in der Hauptverhandlung nur in den in Z 1 bis 4 leg cit genannten Fällen verlesen werden. Aus dem Nichterscheinen des Angeklagten zur Hauptverhandlung kann dessen Einverständnis (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) mit einer Verlesung nicht abgeleitet werden (RIS-Justiz RS0117012). In Bezug auf das oben erwähnte Vernehmungsprotokoll lag
– nach dem Akteninhalt (vgl Ratz, WK-StPO § 292 Rz 6) – auch sonst keiner der Fälle des § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO vor.

[11] Da nicht auszuschließen ist, dass die aufgezeigten Gesetzesverletzungen zum Nachteil des Verurteilten wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2022:0110OS00029.22G.0503.000

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