OGH vom 02.06.2015, 11Os29/15x (11Os30/15v)

OGH vom 02.06.2015, 11Os29/15x (11Os30/15v)

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger, Dr. Michel Kwapinski und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Ableidinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Herbert G***** wegen Verbrechen der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach § 209 StGB idF

BGBl 1988/599, AZ 13 Vr 1309/93 des Landesgerichts Leoben über dessen gemäß § 363a StPO gestellten Antrag auf Erneuerung des Verfahrens, das zum Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 11 Os 132/06f führte, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom , GZ 13 Vr 1309/93 13, wurde Herbert G***** des Verbrechens der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Personen unter 18 Jahren nach §§ 15, 209 StGB schuldig erkannt.

Die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wies der Oberste Gerichtshof ebenso wie die „Berufung wegen Schuld“ mit Beschluss vom , AZ 11 Os 125, 126/94, zurück; das Oberlandesgericht Graz gab am weder der Berufung wegen des Strafausspruchs noch der gegen einen gemäß § 494a StPO gefassten Beschluss Folge.

Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom , AZ G 6/02, wurde § 209 StGB unter Fristsetzung bis als verfassungswidrig aufgehoben. Mit dem Strafrechtsänderungsgesetz 2002, BGBl I 2002/134, wurde mit Ablauf des (Art 49 Abs 1 B VG in der Fassung BGBl 1996/659 iVm Art IX BGBl I 2002/134) die Strafbestimmung des § 209 StGB durch jene des § 207b StGB ersetzt.

Gestützt auf eine Reihe von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, mit welchen, beginnend mit dem Erkenntnis vom (39392/98 und 39829/98 L V/ Österreich ÖJZ 2003/19, 394), der Gerichtshof eine Verletzung des Art 14 iVm Art 8 MRK durch die diesen das gegenständliche Strafverfahren nicht betreffenden Beschwerdefällen zu Grunde gelegenen Verurteilungen nach § 209 StGB festgestellt hatte, beantragte der Verurteilte Herbert G***** zur zuvor genannten Verurteilung und der entsprechenden Strafregistereintragung daraufhin gemäß § 363a StPO die Erneuerung des Strafverfahrens.

Diesen Antrag wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom , AZ 11 Os 132/06f, infolge Nichteinhaltung der nach Art 35 Abs 1 MRK gebotenen sechsmonatigen Antragsfrist zurück.

Mit (auch) über die im Jahr 2007 erhobene Beschwerde des Herbert G***** („Mr H. G. [the second applicant]“) ergangenem Erkenntnis vom (31913/07, 38357/07, 48098/07, 48777/07 und 48779/07 E. B. ua/ Österreich; Rz 16 ff, 24 ff) stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Ansehung der unverändert bestehenden Eintragung der genannten Verurteilung des Beschwerdeführers wegen § 209 StGB im österreichischen Strafregister Verletzungen sowohl des Art 14 iVm Art 8 MRK als auch hier von Bedeutung des Art 13 MRK fest. Weder zur Löschung des entsprechenden Eintrags aus dem Strafregister noch zur Beseitigung der diesem zugrunde liegenden Verurteilung sei ihm eine wirksame Beschwerde zu Gebote gestanden. Eine solche habe in der zuletzt genannten Hinsicht insbesondere der (mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 13 Os 135/06m, entwickelte [siehe RIS Justiz RS0122228]) Rechtsbehelf des Antrags auf Erneuerung des Strafverfahrens in analoger Anwendung des § 363a StPO (fallbezogen) nicht eröffnet. Denn diese Bestimmung sei zum Zeitpunkt der Verurteilung des Beschwerdeführers noch nicht in Geltung gestanden, sodass es diesem gar nicht möglich gewesen wäre, die angeführte Sechs Monats Frist einzuhalten (Rz 91 bis 93 des Erkenntnisses).

Mit am beim Obersten Gerichtshof eingebrachtem Schriftsatz beantragte Herbert G***** mit Beziehung auf das eingangs genannte Strafverfahren (und das Verfahren AZ 19 E Vr 341/89 des Kreisgerichts Leoben) ein weiteres Mal die Verfahrenserneuerung gemäß § 363a StPO.

Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 13 Os 38/14h (13 Os 17/15x), zurückgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

In seiner auch als „Antragserweiterung“ bezeichneten, am eingebrachten Äußerung zur von der Generalprokuratur zu diesem Erneuerungsantrag erstatteten Stellungnahme hatte Herbert G***** erstmals darüber hinaus beantragt, den Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 11 Os 132/06f, „aufzuheben“.

Mit der Behauptung, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe festgestellt, dass dieser Beschluss den Antragsteller in seinem Recht auf wirksame Beschwerde nach Art 13 MRK verletzt habe, wird dieses Begehren ausdrücklich auf § 363a StPO gestützt. Es ist daher nach seiner inhaltlichen Zielrichtung (nicht als schon als solche unbeachtliche [RIS Justiz RS0123231] nachträgliche Ausdehnung des Antragsvorbringens, sondern) als eigenständiger Antrag auf Erneuerung des Verfahrens aufzufassen, das zum bezeichneten Beschluss des Obersten Gerichtshofs geführt hat.

Voraussetzung für ein erfolgversprechendes Begehren um Verfahrenserneuerung nach § 363a StPO (aufgrund vorangegangenen Erkenntnisses des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) ist die Verletzung eines Grundrechts durch eine Entscheidung oder Verfügung eines Strafgerichts . Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte trifft aus der Art der ihm obliegenden Grundrechtskontrolle (nämlich der Feststellung einer Staatenverantwortlichkeit überhaupt) resultierend regelmäßig (so auch im vorliegenden Fall) keine ausdrücklichen Feststellungen dazu, welche Staatsgewalt und welches konkrete Staatsorgan (auch innerhalb einer Staatsgewalt) die staatliche Verantwortlichkeit ausgelöst hat. Das führt per se nicht zur Versagung der Erneuerung des Strafverfahrens, solange sich aus dem Urteil insgesamt ergibt, dass die Verletzung der Menschenrechtskonvention der Strafgerichtsbarkeit zuzurechnen ist.

Gerade dies aber liegt hier der Antragsbehauptung zuwider nicht vor. Zum Zeitpunkt der gerichtlichen Verurteilung des Antragstellers fehlte nämlich eine vom Gesetzgeber eingeräumte, § 363a StPO entsprechende Beschwerdemöglichkeit. Die vorliegend angegriffene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs bewirkte daher unter Zugrundelegung der Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Rz 92 f des Erkenntnisses) nicht die festgestellte Verletzung des Art 13 MRK.

Der Antrag war demnach in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß § 363b Abs 1 und Abs 2 Z 3 StPO zurückzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00029.15X.0602.000