OGH vom 11.03.1986, 11Os28/86
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Schneider, Dr. Lachner und Dr. Felzmann als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Breycha als Schriftführer, in der Strafsache gegen Emmerich S*** sen und Emmerich S*** jun wegen des Vergehens nach dem § 26 Abs. 2 ViehwirtschaftsG 1976 über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom , GZ 1 U 28/84-15, das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom , AZ 1 c Bl 140/84, und die Strafverfügung des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom , GZ 1 U 28/84-4, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Generalanwaltes Dr. Tschulik als Vertreter der Generalprokuratur und des Verteidigers Dr. Fodor, jedoch in Abwesenheit der Angeklagten zu Recht erkannt:
Spruch
Das Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom , GZ 1 U 28/84-15, mit dem Emmerich S*** sen des Vergehens nach dem § 26 Abs. 2 ViehwirtschaftsG 1976 schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt wurde,
das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom , AZ 1 c Bl 140/84, mit dem die gegen das vorgenannte Urteil erhobene Berufung des Emmerich S*** sen als unbegründet zurückgewiesen wurde, und
die Strafverfügung des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom , GZ 1 U 28/84-4, mit der Emmerich S*** jun des Vergehens nach dem § 26 Abs. 2 ViehwirtschaftsG 1976 schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt wurde,
verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 27 Abs. 2 ViehwirtschaftsG 1983.
Die beiden Urteile sowie alle darauf beruhenden richterlichen Verfügungen werden aufgehoben, und die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Emmerich S*** jun betreffende Strafverfügung vom sowie die auf ihr beruhenden richterlichen Verfügungen werden gleichfalls aufgehoben und es wird dem Bezirksgericht für Strafsachen Graz aufgetragen, gegen Emmerich S*** jun das gesetzliche Verfahren einzuleiten.
Text
Gründe:
Aus dem Akt 1 U 28/84 des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz ergibt sich folgender Sachverhalt:
Auf Grund einer Anzeige des Zollamtes Graz als Finanzstrafbehörde erster Instanz und nach Erhebungen des Landesgendarmeriekommandos für Steiermark beantragte die Staatsanwaltschaft am beim Bezirksgericht für Strafsachen Graz die Bestrafung des am geborenen Vieh- und Fleischhändlers Emmerich S*** sen und des am geborenen Fleischhauermeisters Emmerich S*** jun wegen Vergehens nach dem § 26 Abs. 2 Viehwirtschaftsgesetz 1976. In der Folge erließ das Bezirksgericht für Strafsachen Graz am - obwohl eine nicht in Tagessätzen bestehende Geldstrafe ausgesprochen werden sollte und das Mandatsverfahren daher an sich gemäß dem § 460 Abs. 1 StPO unzulässig war (Foregger-Serini, StPO 4 , Anm zu § 460 StPO) - zwei Strafverfügungen, mit welchen die Genannten jeweils des Vergehens nach dem § 26 Abs. 2 Viehwirtschaftsgesetz 1976 schuldig erkannt wurden, weil sie Ende April/Anfang Mai 1983 in Graz dadurch, daß sie 43 Stück geschlachtete Kälber im "Grenzwert" von 304.783,56 S gegen die Bestimmungen des § 6 Abs. 9 lit e ViehwirtschaftsG 1976 (Art 1 und 2 des Accordino-Abkommens) außerhalb Tirols und Vorarlbergs, nämlich in Graz an die Firma Hans S*** OHG verkauften, Waren im Wert von über 100.000 S im Zollinland verbracht haben. Hiefür wurden über Emmerich S*** sen eine Geldstrafe von 40.000 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit 40 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und über Emmerich S*** jun eine Geldstrafe von 30.000 S, für den Fall der Uneinbringlichkeit 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verhängt (vgl ON 3 und 4 d.A). Während die gegen Emmerich S*** jun ergangene Strafverfügung in Rechtskraft erwuchs, erhob Emmerich S*** sen gegen die ihn betreffende Strafverfügung Einspruch. Mit Urteil vom , GZ 1 U 28/84-15, erkannte das Bezirksgericht für Strafsachen Graz nach Durchführung einer Hauptverhandlung Emmerich S*** sen (abermals) des Vergehens nach dem § 26 Abs. 2 ViehwirtschaftsG 1976 schuldig und verhängte über ihn nach der genannten Gesetzesstelle unter Anwendung des Art 7 Strafrechtsanpassungsgesetz 1974 eine Geldstrafe von 40.000 S, im Fall der Uneinbringlichkeit 40 Tage Ersatzfreiheitsstrafe. Laut den wesentlichen Urteilsfeststellungen hatte Emmerich S*** sen, der in Preding, Grötsch Nr 4 (Steiermark) und in Debant (Osttirol) einen Vieh- und Fleischhandel betrieb, eine Lizenz für den Import und Export von Schlachttieren im Rahmen des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Italien über die Regelung des erleichterten Warenaustausches zwischen den österreichischen Bundesländern Tirol und Vorarlberg und der italienischen Region Trentino-Alto Adige vom , BGBl Nr 125/1957, dem sogenannten Accordino-Abkommen. Nachdem zwei Fleischhandelsunternehmen in Feldkirch und Innsbruck zwischen dem
20. und größere Mengen Kalbfleisch bestellt hatten, erteilte Emmerich S*** sen über die Filiale Debant einem südtiroler Unternehmen den Auftrag zur Lieferung von 49 "Teilen Kalbfleisch". Als die österreichischen Auftraggeber wegen der Einfuhr billigeren holländischen Fleisches von der Bestellung zurücktraten, versuchte Emmerich S*** jun, der Leiter der Filiale Debant, am den Lieferauftrag beim südtiroler Geschäftspartner zu stornieren. Weil ihm dies nicht gelang, führte er (am ) die 49 Stück geschlachteter Kälber nach bescheidmäßiger Bewilligung durch das Amt der Tiroler Landesregierung zollfrei nach Österreich ein und brachte sie in den Zweigbetrieb nach Debant. "Ende April (wahrscheinlich am )" teilte er seinem Vater mit, daß er den Großteil der aus Südtirol importierten Kälber in Tirol und Vorarlberg nicht absetzen könne. Daraufhin ordnete Emmerich S*** sen, der aus Kostengründen das Einfrieren des importierten Fleisches und dessen Lagerung in Kühlhäusern ablehnte, den Weitertransport von 43 Stück geschlachteter Kälber in seinen Betrieb in Grötsch an und verkaufte das Fleisch kurz danach an die Firma Hans S*** OHG in Graz. Zur subjektiven Tatseite traf das Erstgericht die Feststellung, daß dem Angeklagten Emmerich S*** sen infolge langjähriger Handhabung des Accordino-Abkommens, sowie auf Grund der auf dem Bewilligungsbescheid befindlichen Stempelabdrücke, wonach die Bewilligung unter der - jedem nachfolgenden Erwerber bis zum Detailisten mitzuteilenden - Auflage erteilt wurde, daß die Ware in Tirol und Vorarlberg verbraucht wird, und die gewährte Zollfreiheit nur für den Gebrauch in Tirol und Vorarlberg gelten sollte, bekannt gewesen sei, daß nach dem Accordino-Abkommen das Verbringen von importiertem Fleisch in andere Bundesländer nicht statthaft ist. Die von Emmerich S*** sen gegen dieses Urteil erhobene Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe wurde vom Landesgericht für Strafsachen Graz mit Entscheidung vom , AZ 1 c Bl 140/84 (ON 21 d.A), (als unbegründet) zurückgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Die Emmerich S*** sen betreffenden Urteile des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom und des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom , sowie die Emmerich S*** jun betreffende Strafverfügung des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang.
Der Ansicht des Erstgerichtes und des Berufungsgerichtes ist insofern beizupflichten, als die Verbringung des aus Südtirol importierten Kalbfleisches in die Steiermark gegen das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Italien über die Regelung des erleichterten Warenaustausches zwischen den österreichischen Bundesländern Tirol und Vorarlberg und der italienischen Region Trentino-Alto Adige vom , BGBl Nr 125/1957, verstieß. Ziel dieses Abkommens ist der erleichterte und eingangsabgabenfreie "lokale" Austausch genau festgelegter Mengen bestimmter charakteristischer Waren zwischen den Bundesländern Tirol und Vorarlberg einerseits und der italienischen Region Trentino-Alto Adige anderseits. Die Begünstigung betrifft den grenzüberschreitenden Verkehr zwischen den Bundesländern Tirol und Vorarlberg in den durch die österreichische Bundesverfassung festgelegten Grenzen und der Region Trentino-Alto Adige in den durch die italienische Staatsordnung festgesetzten Grenzen (Art 1), und setzt schon begrifflich voraus, daß die ausgetauschten Waren in den in Betracht kommenden Gebieten verbleiben und dort zum Verkauf abgesetzt werden. Jede andere Auslegung würde eine Import- und Exporterleichterung für bestimmte Güter für das ganze Staatsgebiet der Republik Österreich und der Republik Italien bedeuten und das sogenannte Accordino-Abkommen seines regionalen Begünstigungscharakters entkleiden. Zudem wurde die Einfuhrbewilligung nach diesem Abkommen der Fa Emmerich S*** seitens des Amtes der Tiroler Landesregierung ausdrücklich unter der Auflage erteilt, daß die Ware nur in Tirol oder Vorarlberg verbraucht wird. Eine eingangsabgabenfreie Einfuhr ohne Bewilligung der Vieh- und Fleischkommission des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft (§ 5 Abs. 9 Z 1 lit e VWG 1983 aF bzw § 5 Abs. 9 Z 1 VWG 1983 idF der VWG-Novelle 1984 BGBl Nr 264) war daher nur unter der Voraussetzung gestattet, daß die aus Südtirol importierte Ware innerhalb der begünstigten Regionen verbleibt; um diese auch in anderen Bundesländern absetzen zu können, wären eine Einfuhrbewilligung der Kommission (§ 5 Abs. 1 VWG 1983) erforderlich und (anstelle des Zolles) ein Importausgleich (§ 10 Abs. 1 VWG 1983) sowie Einfuhrumsatzsteuer zu entrichten gewesen.
Vorweg ist zunächst festzuhalten, daß von den Gerichten der Schuld- und Strafausspruch verfehlt auf den § 26 Abs. 2 des VWG 1976 gestützt wurde, weil durch Kundmachung des Bundeskanzlers und des Bundersministers für Land- und Forstwirtschaft vom , BGBl Nr 621, das VWG 1976 wiederverlautbart wurde (Viehwirtschaftsgesetz 1983) und zum Zeitpunkt der Urteilsfällung in erster Instanz die Strafbestimmung des § 27 Abs. 2 VWG 1983 idF der mit in Kraft getretenen VWG-Novelle 1984, BGBl Nr 264, galt. Dieser Vorgang gereichte den Angeklagten Emmerich S*** sen und Emmerich S*** jun allerdings nicht zum Nachteil, weil der § 27 Abs. 2 VWG 1983 von der zur Anwendung gelangten Bestimmung des § 26 Abs. 2 VWG 1976 lediglich insofern abweicht, als durch die (allerdings nur bezüglich Emmerich S*** sen anwendbar gewesene) VWG-Novelle 1984 die Untergrenze für die gerichtliche Zuständigkeit von 100.000 S auf 200.000 S erhöht worden ist; im übrigen sind die beiden Strafvorschriften (abgesehen von den Paragraphenzitaten) ihrem Wortlaut nach identisch. Im Hinblick auf den festgestellten Wert der eingeführten Ware von 304.783,56 S bleibt aber die gerichtliche Strafbarkeit der Tat unberührt.
Nach dem § 27 Abs. 2 VWG 1983 in der nunmehr geltenden Fassung ist gerichtlich strafbar, wer entgegen den §§ 5 oder 6 dieses Gesetzes Waren im Wert von mehr als 200.000 S in das Zollinland oder das Zollausland, wenn auch nur fahrlässig verbringt. Maßgeblicher Zeitpunkt der Tatbegehung ist die Überschreitung der österreichischen Zollgrenze. Demnach fällt eine - wenngleich den Bestimmungen des Accordino-Abkommens zuwider
stattfindende - Verbringung im Zollinland nicht (ohne weiteres) unter den Tatbestand, es sei denn, daß schon der Import der Ware unter Umständen erfolgte, die zumindest Fahrlässigkeit bei der letztlich widerrechtlichen Inanspruchnahme einer Begünstigung nach dem § 5 VWG 1983 erkennen lassen. Denn nur unter dieser Voraussetzung verbringt der Täter Waren, für die es schon nach der im Zeitpunkt des Grenzübertritts gegebenen Sachlage einer Einfuhrbewilligung der Vieh- und Fleischkommission beim Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft bedurft hätte und die nicht unter die Befreiung des § 5 Abs. 9 Z 1 lit e VWG 1983 aF bzw des § 5 Abs. 9 Z 1 VWG 1983 idF der VWG-Novelle 1984 BGBl Nr 264 fielen, in das österreichische Zollgebiet.
Unter diesem Aspekt erweisen sich die Schuldsprüche, die einerseits auf eine (nachträgliche) Verbringung im Zollinland abstellen, denen aber andererseits keine konkreten Feststellungen über jenen Zeitpunkt zugrunde liegen, zu welchem von den Angeklagten der Entschluß gefaßt wurde, das am in das österreichische Zollgebiet eingebrachte Kalbfleisch nicht im Zweigbetrieb in Debant zu belassen, sondern außerhalb der begünstigten Region zu verkaufen und es zu diesem Zweck in die Steiermark zu schaffen, als verfehlt. Wenngleich von der Annahme ausgegangen worden ist, daß Emmerich S*** jun seinen Vater wahrscheinlich erst am davo in Kenntnis setzte, daß er bereits eine LKW-Ladung mit Kalbfleisch aus Südtirol importiert habe und diese Kälber nicht absetzen könne, wären dennoch nähere Konstatierungen über den Zeitpunkt des Deliktsentschlusses erforderlich gewesen, zumal Emmerich S*** sen nach der Aktenlage den Verkauf der 43 Stück Kälber unmittelbar nach dem Anruf seines Sohnes veranlaßt haben will (S 22 d.A), laut Aussage des Leopold S*** jedoch schon ungefähr eine Woche vor dieser Lieferung eine diesbezügliche Kontaktaufnahme mit der Fa Hans S*** OHG erfolgt sein soll (vgl S 49 d.A). Da sohin Verfahrensergebnisse vorliegen, nach denen nicht ausgeschlossen werden kann, daß von Emmerich S*** sen und von Emmerich S*** jun oder doch von einem der Genannten schon bei der Wareneinfuhr geplant war, das innerhalb von Tirol und Vorarlberg voraussichtlich nicht absetzbare Kalbfleisch in der Steiermark weiterzuverkaufen, und im übrigen - wie erwähnt - auch schon eine fahrlässige Verbringung der Waren in das Zollinland entgegen dem § 5 VWG zur Tatbestandserfüllung ausreichen würde, sind eine Verfahrenserneuerung bezüglich Emmerich S*** sen und die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens gegen Emmerich S*** jun unvermeidlich.
Der von der Generalprokuratur gemäß dem § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war daher Folge zu geben und gemäß dem § 292 StPO spruchgemäß zu erkennen.