OGH vom 29.01.1998, 8ObA340/97a

OGH vom 29.01.1998, 8ObA340/97a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Rohrer und Dr.Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr.Walter Zeiler und Sekr. Peter Scherz in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ludwig U*****, Kaufmann, ***** vertreten durch Dr.Ulrich Brandstetter ua Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Rudolf S***** und 2. Josefine U*****, beide *****, beide vertreten durch Dr.Lambert, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 195.168,-- sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 161/97y-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 19 Cga 530/96s-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 10.890,-- bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.815,-- USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Arbeitsverhältnis des Klägers zur erstbeklagten Partei endete durch Arbeitgeberkündigung am . Der Kläger ist als Kommanditist an der erstbeklagten Partei beteiligt, deren persönlich haftende Gesellschafterin, die zweitbeklagte Partei, die Mutter des Klägers ist. Die Abfertigungsforderung des Klägers wurde in den Bilanzen der erstbeklagten Partei in den Jahren 1985 bis 1995 als Verbindlichkeit ausgewiesen. Der Kläger überreichte seine Klage zur Geltendmachung der Abfertigungsforderung am bei Gericht.

Rechtliche Beurteilung

Die Begründung der Berufungsentscheidung, durch die Rückstellung in den Bilanzen werde auch nicht ein deklaratives Anerkenntnis bewirkt, sodaß die dreijährige Verjährungsfrist (§ 1486 Z 5 ABGB) im Zeitpunkt der Klagseinbringung schon abgelaufen war, ist zutreffend (§ 510 Abs 3 ZPO idF WGN 1997).

Den Revisionsausführungen ist zu entgegnen:

Die Aufnahme des Abfertigungsanspruches des Klägers in die Bilanz der erstbeklagten Partei ist nur eine Wissenserklärung. Durch die Buchung dieses Anspruches als Verbindlichkeit wurde unter Berücksichtigung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung kundgetan, daß dieser Anspruch in der angegebenen Höhe besteht (zur Abgrenzung zwischen Willens- und Wissenserklärung siehe Rummel in Rummel2, Rz 4 zu § 863).

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Kläger war die erstbeklagte Partei zur Verbuchung des Anspruches des Klägers als Verbindlichkeit verpflichtet, da nunmehr eine dem Grunde und der Höhe nach gewisse und rechtlich durchsetzbare Leistungspflicht bestand (Geist in Jabornegg, Komm zum HGB, Rz 17 zu § 196) und nicht mehr eine bloß ungewisse Verbindlichkeit, die als Rückstellung auszuweisen gewesen wäre, vorlag (Gassner ua in Straube II/RLG, Rz 35 zu § 211).

Aus der bloßen Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Bilanzierungspflicht kann mangels darüber hinausgehender Erklärungen keine dem Kläger günstige Rechtsfolge abgeleitet werden. Insbesondere kann aus der innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist (§ 1486 Z 5 ABGB, vgl Arb 10.683) erfolgten Aufnahme in die Bilanz weder auf eine Unterbrechung der Verjährungsfrist noch auf einen Verzicht auf den bereits abgelaufenen Teil der Verjährungsfrist (§ 1501 ABGB) geschlossen werden. Die nach bereits erfolgter Verjährung vorgenommene weitere Buchung als Verbindlichkeit könnte nur dann als anspruchsbegründend angesehen werden, wenn dieser Wissenserklärung Erfüllungswirkung zukäme. Eine solche wird unter Berufung auf die grundlegenden Ausführungen von Bydlinski, Willens- und Wissenserklärungen im Arbeitsrecht, ZAS 1976, 83 ff und 126 ff (134) in der jüngeren Rechtsprechung im Arbeitsrecht dann bejaht, wenn eine Wissenserklärung über die Rechtslage als Vertrauenstatbestand vorliegt, diese dem Arbeitgeber zuzurechnen ist, der Arbeitnehmer in gutem Glauben ist und in Anbetracht dieser Erklärung eine nachhaltige Vertrauensdisposition setzt (DRdA 1986/2, 40 ff [Kerschner]; DRdA 1989/27, 403 ff [Kerschner]; zu einer zugunsten des Arbeitgebers wirkenden Wissenserklärung eines Betriebsrats-Vorsitzenden siehe DRdA 1992, 468; zuletzt zu dieser Problematik Iro zu in ÖBA 1996/567, 642 ff).

Im vorliegenden Fall mangelt es schon an der Voraussetzung eines Vertrauenstatbestandes. Die Bewertung einer Verbindlichkeit hat sowohl im Steuerrecht als auch im Handelsrecht nach dem Rückzahlungsbetrag zu erfolgen (§ 6 Z 3 in Verbindung mit Z 2 lit a EStG bzw § 211 Abs 1 HGB; siehe dazu Quantschnigg/Schuch, EStG 1988, Rz 166 zu § 6; Gassner ua in Straube II/RLG, Rz 10 zu § 211; siehe auch Jung in Heymann, HGB, Rz 270 zu § 253). Eine Passivierung einer Verbindlichkeit hat zu unterbleiben, wenn mit ihr keine wirtschaftliche Belastung verbunden ist (Nowotny in Straube II/RLG, Rz 16 zu § 196). Da eine wirtschaftliche Betrachtungsweise anzustellen ist, ist eine Verbindlichkeit auch dann einzubuchen, wenn sie zwar rechtlich nur mehr als Naturalobligation besteht, ihre Erfüllung aber aus faktischen Gründen nicht abgelehnt werden kann (Nowotny, aaO, Rz 13 zu § 196). So ist eine bereits verjährte Verbindlichkeit weiterhin in die Bilanz aufzunehmen, wenn der Steuerpflichtige annimmt, er werde sich auf die Verjährungseinrede nicht berufen (Quantschnigg/Schuch, aaO, Rz 160 zu § 6). Die fortlaufende Aufnahme der Abfertigung des Klägers als Verbindlichkeit konnte somit auch bloß die Bedeutung haben, daß wegen der familiären Nahebeziehung zwischen dem Kläger und der Zweitbeklagten die - später fallengelassene - Absicht bestand, sich auf die Einrede der Verjährung nicht zu berufen. Auch wenn diese Absicht nicht bestand, hatte die erstbeklagte Partei hinsichtlich der Bewertung ihrer Verbindlichkeiten den Grundsatz der Bilanzvorsicht (§ 211 Abs 1 HGB in Verbindung mit § 201 Abs 1 Z 4 HGB) zu beachten. Die weitere Verbuchung des Abfertigungsanspruches des Klägers kann somit auch aus der Unsicherheit oder unrichtigen Rechtsansicht über die bereits eingetretene Verjährung erfolgt sein, um dem Gebot der vollständigen Berücksichtigung einer - wenn auch nur vermeintlich bestehenden - Schuld zu entsprechen. Zweck der weiteren Bilanzierung konnte aber auch die - wenn auch den Bilanzvorschriften zuwiderlaufende - Absicht sein, zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt, etwa bei schlechterer wirtschaftlicher Lage, die bereits verjährte Verbindlichkeit als außerordentlichen Ertrag realisieren zu können.

Auch daraus, daß dem Kläger die Bilanzen der erstbeklagten Partei zur Einsicht zugekommen sind, kann nicht der von ihm vermeinte Erklärungswert bezüglich seines arbeitsrechtlichen Anspruches auf Abfertigung abgeleitet werden, da ihm hiedurch nur das in § 166 Abs 1 HGB verankerte Recht des Kommanditisten auf Kenntniserlangung und Überprüfung des Jahresabschlusses gewährt wurde. Das bloße Fortschreiben in den Büchern (Bilanz) bewirkt keine Verjährungsunterbrechung (vgl RdW 1992, 307), lediglich im Verhältnis von persönlich haftenden Gesellschaftern kann die Feststellung der Bilanz Ausdruck eines rechtsgeschäftlichen Willens (ergänze wohl: hinsichtlich gesellschaftsrechtlicher Forderungen) sein (GesRZ 1973, 118 mit Anm Frotz/Baumann); zu diesem Personenkreis gehört der Kläger als Arbeitnehmer (und auch als Kommanditist) jedoch nicht. Die von ihm behauptete Vertrauenslage kann sich auch nicht auf das Anerkenntnis vom - hinsichtlich der Wirkung nach dem März 1988 - stützen, da es im Zusammenhang mit einer Ausschließungsklage erfolgte, ein vorangegangener Streit über den Abfertigungsanspruch des Klägers nicht einmal behauptet wurde und durch dieses bloß deklarative Anerkenntnis eine Vertrauenslage hinsichtlich der Leistungsbereitschaft der beklagten Parteien über einen Zeitraum von drei Jahren hinaus nicht geschaffen wurde.

Aus den angeführten Gründen fehlt es somit an einem Vertrauenstatbestand, auf den sich der Kläger gutgläubig verlassen durfte. Auch Bydlinski, aaO, 134, räumt ein, daß die bloße Veranlassung eines Vertrauenstatbestandes durch einen Fehler in der Sphäre des Arbeitgebers schwach und nur ausnahmsweise ausreichend ist, um einen Anspruch des Arbeitnehmers zu begründen. Zwar kann im Sinne des beweglichen Systems das "Minus" der Wissenserklärung als Vertrauenstatbestand durch entsprechend stärkere Intensität der anderen Kriterien ausgeglichen werden (Bydlinski, aaO, 134; DRdA 1986/2, 40 [Kerschner]), im vorliegenden Fall mangelt es jedoch schon an einem hinreichenden Vertrauenstatbestand, aus dem auf ein deklaratives Anerkenntnis geschlossen werden könnte, da der Kläger aus der bloßen Bilanzierung seines Abfertigungsanspruches im Sinne des analog anzuwendenden § 863 ABGB (Rummel in Rummel2, Rz 4 zu § 863, vgl SZ 43/183) nicht auf ein solches schließen durfte, sodaß es an einem Schutzbedürfnis des Klägers mangelt.

Dieses kann auch nicht mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers begründet werden (zu dieser Spielbüchler in Floretta ua, Individualarbeitsrecht3, 235 ff). Zwar wirkt diese Fürsorgepflicht auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fort (Floretta in Floretta ua, aaO, 325; Pirker, Herausgabe von Arbeitspapieren, RZ 1990/5, 106 [109]; Krejci in Rummel2, Rz 8 und 38 zu § 1157), sodaß der Arbeitgeber Belange des Arbeitnehmers in gewissem Rahmen weiter zu berücksichtigen hat. Sie würde jedoch hinsichtlich der hier relevanten Wahrung der materiellen Interessen des Klägers weit überspannt, müßte der Kläger vor Ablauf der Verjährung bezüglich dieser gewarnt werden. Ein besonderer Vertrauensschutz des Arbeitnehmers, wie er bei aufrechtem Arbeitsverhältnis in Hinblick auf die weitere Abwicklung des Dauerschuldverhältnisses geboten ist (DRdA 1994/13, 149 [Kerschner]), bestand beim Kläger nicht. Ein Hinweis an den Kläger nach Ablauf der Verjährungsfrist hätte diesem ohnedies nicht mehr genutzt.

Der Berufung auf Treu und Glauben sowie auf eine vermeintliche Hinweisobliegenheit ist auch zu entgegnen, daß es an einer Vertrauensbasis für den Kläger, auf deren Grundlage die Geltendmachung des Anspruches hinausgeschoben hätte werden können, auch in Hinblick auf die gegen ihn zu 21 Cg 784/86 des Handelsgerichtes Wien angestrengte Ausschlußklage, mangelte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.