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OGH vom 16.12.2005, 9ObA23/05f

OGH vom 16.12.2005, 9ObA23/05f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Miroljub N*****, Dreher, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Miller, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. ***** KG, *****, vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 6.738,65 brutto sA und EUR 94,15 netto sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse EUR 4.906,72 brutto und EUR 94,15 netto) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 105/04a-35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 20 Cga 266/01k-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 399,74 (darin EUR 66,62 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war seit als Dreherlehrling im Betrieb der beklagten Kommanditgesellschaft beschäftigt, das Lehrverhältnis sollte am enden.

Am tauchte beim Kläger anlässlich dessen Stellungsuntersuchung der Verdacht einer Tuberkulosekrankheit auf, was durch Folgeuntersuchungen bestätigt wurde. Der Kläger begab sich deshalb sofort in den Krankenstand, welcher bis zum andauerte. Er unterzog sich zunächst einer stationären und dann bis einschließlich Jänner 2002 einer medikamentösen Behandlung. Gestützt auf Atteste seines behandelnden Arztes wusste der Kläger zunächst nicht darüber Bescheid, dass es sich - zunächst - um eine mit Ansteckungsgefahr verbundene Variante dieser Krankheit gehandelt hatte. Die Gesundheitsbehörde verständigte Anfang August 2001 den Betriebsleiter der Beklagten von der Notwendigkeit, dass sich die Mitarbeiter des Klägers einer Kontrolluntersuchung unterziehen müssten, was in der Folge auch geschah. Während der Phase akuter Ansteckungsgefahr begab sich der Kläger nicht mehr in den Betrieb, sondern unterzog sich der für die Erkrankung üblichen Behandlung. Im Monat August 2001 weilte er zur Kur in Slatibor/Jugoslawien, was der Beklagten auch bekannt war. Ab Ende September 2001 war der Kläger wieder arbeitsfähig, bereits seit Ende August 2001 bestand infolge der vom Kläger konsequent eingehaltenen Therapiemaßnahmen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Ansteckungsgefahr mehr.

Mit Schreiben vom sprach die Beklagte „wegen der Krankheit" die Entlassung des Klägers aus und wies darauf hin, dass dessen Lehrverhältnis daher mit ende. Die Zustellung dieses Schreibens wurde an der Wiener Adresse des - wegen seines Kuraufenthalts ortsabwesenden - Klägers versucht, anschließend wurde das Zustellstück bei der Post hinterlegt. Dort behob es der Kläger nach seiner Rückkehr aus Jugoslawien am . Er begab sich deshalb auch persönlich zum Betrieb der Beklagten, um wegen seiner Weiterbeschäftigung nachzufragen, erhielt vom Geschäftsführer jedoch eine abschlägige Antwort.

Mit seiner Klage begehrte er den Zuspruch von zuletzt EUR 6.738,65 brutto (Entgeltzahlungen für September bis Dezember 2001, Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration für 1. 1. - 31. 8. und 1. 9. - , unberechtigter Abzug für August 2001, abzüglich eines Akontos) sowie EUR 94,15 netto (Essens- und Arbeitskleidungspauschale; Prüfungstaxe für die während der Behaltezeit abgelegte Lehrabschlussprüfung) samt 10 % gestaffelten Zinsen seit . Die Entlassung sei unberechtigt erfolgt, sodass der Kläger Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zum Ende der Behaltefrist habe.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete ein, dass die Entlassung des Klägers zu Recht wegen dessen ansteckender Krankheit erfolgt sei (§ 82 lit h GewO 1859).

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von EUR 4.906,72 brutto sA und EUR 94,15 netto sA statt und wies - unangefochten - ein Mehrbegehren von EUR 1.831,92 brutto sA ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass der Kläger keinen Entlassungsgrund gesetzt und daher Anspruch auf Bezahlung wie bei einem durch Fristablauf beendeten Lehrverhältnis und für die daran anschließende Behaltezeit habe. Diese betrage aber nur drei Monate, sodass für Dezember 2001 kein Anspruch auf Zahlung mehr bestehe. Auch sei vom Klagebetrag ein für Urlaubszuschuss bezahlter, jedoch in der Klage nicht berücksichtigter Betrag abzuziehen.

Das Berufungsgericht bestätigte das Urteil des Erstgerichtes mit im wesentlichen gleichlautender Begründung. Unterziehe sich - wie im vorliegenden Fall - ein von einer ansteckenden Krankheit befallener Arbeitnehmer der notwendigen Heiltherapie und bleibe, weil im Krankenstand befindlich, ohnehin dem Arbeitsplatz fern, dann könne der Arbeitgeber vom Entlassungsgrund des § 82 lit h 1. Tatbestand GewO 1859 nicht Gebrauch machen.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die zulässige, aber nicht berechtigte Revision des Klägers.

Zur Mängelrüge:

Der behauptete Mangel des Berufungsverfahrens wurde geprüft, er liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Lediglich ergänzend sei vermerkt, dass die vom Erstgericht angenommene, „an Sicherheit grenzende" Wahrscheinlichkeit des Endes der Ansteckungsgefahr mit Ende August 2001 für die Erbringung eines diesbezüglichen Beweises jedenfalls ausreicht und demnach als entsprechend ausdrückliche Feststellung zu werten ist (RIS-Justiz RS0110701).

Zur Rechtsrüge:

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die von der Beklagten ausgesprochene Entlassung ihrem eindeutigen Wortlaut zufolge auf die sofortige Beendigung des Lehrverhältnisses, nicht aber eines (- im Falle einer wirksamen Beendigung gar nicht einsetzenden -!) daran anschließenden Arbeitsverhältnisses während der Behaltefrist abzielte. Wie festgestellt, kam die Entlassungserklärung dem Kläger erst am zu und hätte daher erst zu diesem Zeitpunkt wirksam werden können (RIS-Justiz RS0029157; RS0029207). Zu dieser Zeit war aber das Lehrverhältnis bereits durch Zeitablauf beendet und konnte daher nicht neuerlich beendet werden. Selbst wenn man annehmen wollte, dass den Kläger ausnahmsweise eine Pflicht zur Bekanntgabe seiner, von der Wohnadresse abweichenden Kuradresse getroffen habe (- ob dies geschehen ist, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen -) und daher von der Fiktion eines schon früher bewirkten Zugangs der Entlassungserklärung auszugehen wäre (9 ObA 349/98h ua), könnte dies der Beklagten nichts nützen:

Die taxative (RIS-Justiz RS0028277 [T 1]) Aufzählung der Entlassungsgründe des § 15 Abs 3 BAG kennt nämlich keinen der Regelung des § 82 lit h GewO 1859 vergleichbaren Entlassungsgrund. Auch tut sich dadurch keine Lücke auf, die dem Arbeitgeber die Erfüllung seiner Fürsorgepflicht gegenüber anderen Mitarbeitern unmöglich machen würde. Weigert sich nämlich ein mit einer ansteckenden Krankheit behafteter Lehrling, einer Weisung, dem Arbeitsplatz während der gefährlichen Phase seiner Krankheit fernzubleiben, nachzukommen, käme wohl die für die Pflichtenverletzung vorgesehene Sanktion (§ 15 Abs 3 lit c BAG) zum Tragen.

Wie schon vom Berufungsgericht zutreffend aufgezeigt, kann die Beklagte auch den in § 15 Abs 3 lit f BAG vorgesehenen Entlassungsgrund der „Unfähigkeit zur Erlernung des Lehrberufs" nicht ins Treffen führen. Der Zeitraum vom Antritt des Krankenstands des Klägers bis zum vereinbarten Ende der Lehrzeit betrug nämlich gerade noch etwas mehr als 2 ½ Monate. Im Zusammenhalt mit der Bestimmung des § 13 Abs 3 BAG kann aber von einer krankheitsbedingten, dem Ausbildungsziel abträglichen Abwesenheit überhaupt erst bei einer Mindestabwesenheit von vier Monaten die Rede sein (RIS-Justiz RS0053125; Kuderna, Entlassungsrecht2 170).

Für die an das Lehrverhältnis anschließende Behaltefrist gilt folgendes: Für die vorzeitige Auflösung wäre hier gemäß § 18 Abs 4 BAG der Entlassungsgrund des § 82 lit h 1. Tatbestand GewO 1859 grundsätzlich anwendbar. Gleichermaßen muss dem Arbeitgeber wohl das Recht eingeräumt werden, bei Vorliegen eines Entlassungsgrundes mit Dauercharakter einen Dienstvertrag erst gar nicht zu schließen. (Die Weiterbeschäftigung eines Lehrlings erfolgt nicht automatisch, sondern bedarf grundsätzlich einer ausdrücklichen oder schlüssigen - wenn auch vom Lehrling einforderbaren - Vereinbarung: RIS-Justiz RS0021683; RS0052853). Nun kann zwar eine ansteckende Krankheit wie die Tuberkulose wohl auch „abschreckend" iSd § 82 lit h 1. Tatbestand GewO 1859 sein, doch bedarf es als weiterer Voraussetzung der akuten Gefährdung von Arbeitgeber, Arbeitskollegen oder anderen im Betrieb verkehrenden Personen (Köck, „Arbeitsrechtliche Konsequenzen von AIDS, 2. Teil" in RdW 1987, 413, 415). Eine solche Gefährdung war aber im vorliegenden Fall auszuschließen: Der Kläger unterzog sich sofort nach Entdeckung seiner Krankheit der erforderlichen, in der Folge konsequent eingehaltenen und daher erfolgversprechenden Behandlung und suchte auch während der Dauer der von ihm ausgehenden Ansteckungsgefahr den Betrieb nicht auf. Damit fehlte es aber an der für jede Entlassung erforderlichen Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung im Betrieb. Gemäß § 1162b ABGB hat der Kläger daher sowohl für die restliche Lehrzeit (RIS-Justiz RS0028277) als auch für die daran anschließende Behaltezeit (RIS-Justiz RS0021683) Anspruch auf Bezahlung des in diesem Zeitraum angefallen Lohns wie sonstiger vom Lehrberechtigten zu tragender Kosten, wie zB der Prüfungstaxe (§ 9 Abs 7 S. 2 BAG).

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Dabei war zu beachten, dass entgegen dem Kostenverzeichnis des Klägers für die Revisionsbeantwortung nur 60% und nicht 180% Einheitssatz zustehen, weil § 23 Abs 9 RATG nur für das Berufungsverfahren gilt.